OGH 8Ob12/20b

OGH8Ob12/20b8.4.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely‑Kristöfel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S* T*, vertreten durch Rechtsanwälte Steflitsch OG in Oberwart, gegen die beklagten Parteien 1. C* S* und 2. A* S*, beide vertreten durch Dr. Emilio Stock und Mag. Gerhard Endstrasser, Rechtsanwälte in Kitzbühel, wegen 8.200 EUR sA, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Eisenstadt vom 10. September 2019, GZ 13 R 32/19g‑37, mit dem der Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Eisenstadt als Rekursgericht vom 12. August 2019, GZ 13 R 32/19g‑34, zurückgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E128104

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit 917,02 EUR (darin 152,84 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Der Kläger erhob beim Erstgericht, dem Bezirksgericht Güssing, eine Mahnklage auf Zahlung von 8.200 EUR sA.

Die Beklagten erhoben im Einspruch gegen den Zahlungsbefehl die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit und brachten dazu vor, in Tirol zu wohnen (ON 14).

Der Kläger beantragte der Unzuständigkeitseinrede keine Folge zu geben und hilfsweise für den Fall, dass das Erstgericht unzuständig sein sollte, die Überweisung der Rechtssache an das nicht offenbar unzuständige Bezirksgericht Kitzbühel (ON 16).

Das Erstgericht wies mit Beschluss vom 15. 1. 2019 die Klage zurück und erklärte sich unter einem für unzuständig. Dass der Kläger einen Überweisungsantrag gestellt hatte, übersah das Erstgericht (ON 27).

Der Kläger erhob gegen diese Entscheidung Rekurs (ON 30).

Das Rekursgericht gab mit Beschluss vom 12. 8. 2019 dem Rekurs nicht Folge und überwies unter einem die Rechtssache gemäß § 261 Abs 6 ZPO an das nicht offenbar unzuständige Bezirksgericht Kitzbühel.

Gegen diese Entscheidung erhob der Kläger Rekurs. Er focht den Beschluss (nur) hinsichtlich des Überweisungsausspruchs nach § 261 Abs 6 ZPO an und beantragte, die Rechtssache insofern aufzuheben und sie dem Rekursgericht, hilfsweise dem Erstgericht „zur gesetzmäßigen Erledigung zurückzuverweisen“ (ON 36).

Das Rekursgericht wies mit dem angefochtenen Beschluss den Rekurs ON 36 zurück. Der Rechtsmittelausschluss des § 261 Abs 6 ZPO gelte auch für den Überweisungsbeschluss der zweiten Instanz. Dieser gelte sowohl in dem Fall, dass das Berufungsgericht, weil das Erstgericht die Unzuständigkeitseinrede verworfen und meritorisch entschieden habe, die Überweisung ausspreche, als auch dann, wenn die Überweisung durch das Rekursgericht erfolge, weil das Erstgericht den Überweisungsantrag abgewiesen und die Klage zurückgewiesen habe, und letztlich auch im hier vorliegenden Fall, einer Überweisung durch das Rekursgericht, wenn das Erstgericht die Klage, ohne über den Überweisungsantrag zu entscheiden, zurückgewiesen habe (ON 37).

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs des Klägers mit dem er deren ersatzlose Behebung beantragt. Er releviert zum einen, dass der Rekurs ON 36 gemäß § 520 ZPO beim Erstgericht einzubringen gewesen sei, was der Kläger auch getan habe. Zur allfälligen Zurückweisung des Rekurses wäre gemäß § 523 ZPO nur das Erstgericht als Einbringungsgericht, nicht das Rekursgericht als Durchlaufgericht zuständig gewesen. Zum anderen releviert der Kläger, dass sein Rekurs ON 36 nicht unzulässig gewesen sei. Erhebe ein Beklagter die Unzuständigkeitseinrede und erachte sich das Prozessgericht erster Instanz als unzuständig, so habe dieses gemäß § 261 Abs 6 ZPO die Überweisung mit dem Beschluss über die Unzuständigkeit zu verbinden. Gegen diesen Beschluss sei ein Rechtsmittel nicht zulässig. Der Rechtsmittelausschluss greife nur dann, wenn ein und dasselbe Gericht beide Aussprüche – den der Unzuständigkeit und den der Überweisung – verbunden habe. Zwar gelte der Rechtsmittelausschluss nicht nur für einen Überweisungsbeschluss des Prozessgerichts erster Instanz, sondern auch für einen solchen der zweiten Instanz, dies aber nur unter der Voraussetzung, dass das Gericht zweiter Instanz einen Überweisungsbeschluss fasse und gleichzeitig die Unzuständigkeit des Erstgerichts ausspreche. Anzunehmen, dass der Rechtsmittelausschluss auch dann gelte, wenn bereits das Erstgericht den Beschluss über die Zurückweisung der Klage gefasst habe, ohne über den Überweisungsantrag zu entscheiden, sodass das Gericht zweiter Instanz anlässlich eines Rekursverfahrens nur den fehlenden Überweisungsbeschluss fasse, widerspreche dem Wortlaut des § 261 Abs 6 ZPO und liefe auf eine Billigung der Verletzung der gesetzlich angeordneten Verbindungspflicht hinaus (ON 40).

Rechtliche Beurteilung

Die Beklagten beantragen in ihrer Rekursbeantwortung, dem Rekurs nicht Folge zu geben (ON 52).

1. Rekurse gegen Entscheidungen der zweiten Instanz sind beim Gericht erster Instanz zu überreichen (§ 520 Abs 1 Satz 1 HalbS 2 ZPO). Legt das Gericht erster Instanz das Rechtsmittel dem Obersten Gerichtshof nicht direkt, sondern über die zweite Instanz vor, so fungiert diese nur als sogenanntes „Durchlaufgericht“. Weist das Gericht zweiter Instanz als Durchlaufgericht das an den Obersten Gerichtshof gerichtete Rechtsmittel, sei es ein Rekurs oder ein Revisionsrekurs, zurück, so kommen die Rechtsmittelbeschränkungen des § 528 Abs 1 und 2 ZPO nicht zum Tragen. Ein solcher Beschluss ist gemäß § 514 Abs 1 ZPO (mit „Vollrekurs“) bekämpfbar (RIS‑Justiz RS0044507 [T9 und T10]; RS0112633 [T3]; RS0044005; A. Kodek in Rechberger/Klicka, ZPO5 § 528 Rz 2; Musger in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze3 IV/1§ 528 ZPO Rz 17; Neumayr in Höllwerth/Ziehensack, ZPO‑TaKom § 528 Rz 4; Sloboda in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze3 IV/1 § 523 ZPO Rz 10). Das Rechtsmittel des Klägers gegen die Zurückweisung seines an den Obersten Gerichtshof gerichteten Rekurses ist damit unabhängig von den sonst gegebenen Beschränkungen zulässig (vgl RS0044547); es ist aber nicht berechtigt:

2. Das Erstgericht hat Rekurse und Revisionsrekurse, die verspätet oder aus einem anderen Grund als dem Fehlen einer erheblichen Rechtsfrage (§ 519 Abs 2, § 527 Abs 2 letzter Satz, § 528 Abs 1 ZPO) unzulässig sind, zurückzuweisen (§ 523 ZPO). Nimmt das Erstgericht seine Kompetenz zur Zurückweisung nicht wahr und legt es das Rechtsmittel dem Gericht zweiter Instanz zur Entscheidung oder zur Weiterleitung an den Obersten Gerichtshof vor, so devolviert das Recht und die Pflicht zur Zurückweisung an das Rekursgericht. Aus § 523 ZPO kann somit eine ausschließliche funktionelle Zuständigkeit des Erstgerichts für die Zurückweisung unzulässiger (Revisions‑)Rekurse nicht abgeleitet werden. Eine unterbliebene Zurückweisung ist vielmehr vom Rekursgericht (oder falls auch dieses untätig bleibt: vom Obersten Gerichtshof) nachzuholen (A. Kodek in Rechberger/Klicka, ZPO5 § 523 Rz 1; Musger in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze3 IV/1 § 528 ZPO Rz 96; Sloboda in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze3 IV/1 § 523 ZPO Rz 10). Dem Rekursgericht kam daher als Durchlaufgericht mangels Wahrnehmung der Unzulässigkeit des Rechtsmittelausschlusses des § 261 Abs 6 Satz 4 ZPO durch das Erstgericht die subsidiäre Kompetenz zur Zurückweisung des Rechtsmittels des Klägers zu.

3. Die Zurückweisung war auch berechtigt.

3.1. Wenn der Beklagte das Fehlen der sachlichen oder örtlichen Zuständigkeit einwendet oder das Gericht seine Zuständigkeit von Amts wegen prüft, kann der Kläger den Antrag stellen, dass das Gericht für den Fall, dass es seine Unzuständigkeit ausspricht, die Klage an das vom Kläger namhaft gemachte Gericht überweise (§ 261 Abs 6 Satz 1 ZPO). Diesem Antrag hat das Gericht stattzugeben, wenn es das andere Gericht nicht für offenbar unzuständig erachtet (Satz 2 leg cit). Die Überweisung ist mit dem Beschluss über die Unzuständigkeit zu verbinden (Satz 3 leg cit). Gegen diesen Beschluss ist mit Ausnahme der Entscheidung über die Kosten des Zuständigkeitsstreites ein Rechtsmittel nicht zulässig (Satz 4 leg cit).

3.2. Hat das Gericht seine Unzuständigkeit ausgesprochen, dann muss es sofort über den Überweisungsantrag entscheiden. Die Entscheidung über die Unzuständigkeit des Gerichts und die Überweisung erfolgt in einem einheitlichen Beschluss. Hat das Erstgericht – gesetzwidrig – die Klage zurückgewiesen, ohne über den Überweisungsantrag zu erkennen, so greift der Rechtsmittelausschluss des § 261 Abs 6 ZPO nicht, weil diesfalls nicht sicher ist, ob es tatsächlich zur Überweisung kommt (G. Kodek in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze3 III/1 § 261 ZPO Rz 139, 168).

Das Erstgericht entsprach mit seinem Beschluss ON 27 diesen gesetzlichen Vorgaben nicht. Deshalb brachte das Rekursgericht auf den Rekurs ON 30 bei Fassung seines Beschlusses ON 34 zutreffend den Rechtsmittelausschluss des § 260 Abs 6 Satz 4 ZPO nicht zur Anwendung, sondern erachtete den Rekurs ON 30 als zulässig.

3.3. Mit dem Beschluss ON 34 bestätigte das Rekursgericht die auf seine örtliche Unzuständigkeit lautende Entscheidung des Erstgerichts und überwies unter einem die Rechtssache dem Bezirksgericht Kitzbühel.

Gegen den Überweisungsbeschluss nach § 261 Abs 6 ZPO ist ein Rechtsmittel auch dann unzulässig, wenn die Überweisung in zweiter Instanz erfolgte (RS0040271; Ziehensack in Höllwerth/Ziehensack, ZPO‑TaKom § 261 Rz 11 ua). Dies gilt nicht nur, wenn das Berufungsgericht die Überweisung ausspricht, weil das Erstgericht die Unzuständigkeitseinrede verworfen und meritorisch entschieden hat, sondern auch wenn zuvor das Erstgericht den Überweisungsantrag abgewiesen und die Klage zurückgewiesen hat (G. Kodek in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze3 III/1 § 261 ZPO Rz 174). Als weiterer Anwendungsfall für den Rechtsmittelausschluss ist aber auch die hier vorliegende Konstellation anzusehen, dass das Rekursgericht deshalb die Überweisung ausspricht, weil das Erstgericht den Überweisungsantrag gesetzwidrig unerledigt gelassen hat. Auch durch das „Nachholen“ der Überweisung tritt im Ergebnis die Situation ein, die bestünde, hätte bereits das Erstgericht seine Unzuständigkeit ausgesprochen und unter einem die Sache an das vom Kläger namhaft gemachte, nicht offenbar unzuständige andere Gericht überwiesen. Der Zweck des Rechtsmittelanschlusses wird auch hier erfüllt (vgl RS0039091 ua).

Als Ergebnis ist festzuhalten: Der Rechtsmittelausschluss nach § 261 Abs 6 Satz 4 ZPO gilt auch für einen Beschluss des Rekursgerichts, mit dem es eine Überweisung an das vom Kläger genannte, nicht offenbar unzuständige Gericht deshalb nachholt, weil das Erstgericht entgegen § 261 Abs 6 Satz 3 ZPO zwar seine Unzuständigkeit aussprach, aber die Überweisung unterließ.

Damit erweist sich der angefochtene Beschluss als rechtsrichtig.

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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