OGH 2Nc1/20z

OGH2Nc1/20z28.2.2020

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Musger und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Ordinationssache der klagenden Parteien 1. V*****, Wien *****, 2. F***** W*****, 3. C***** W*****, beide Wien *****, 4. S***** B***** und 5. M***** K*****, beide Wien *****, sämtliche vertreten durch Dr. Michael Wukoschitz, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei A*****, Serbien, wegen jeweils 250 EUR sA, über den Antrag auf Ordination gemäß § 28 JN den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0020NC00001.20Z.0228.000

 

Spruch:

Als örtlich zuständiges Gericht wird das Bezirksgericht Schwechat bestimmt.

 

Begründung:

Die Kläger streben die Verpflichtung des beklagten Flugunternehmens mit Sitz in Belgrad zur Zahlung von jeweils 250 EUR sA aufgrund der Verordnung (EG) Nr 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. 2. 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs‑ und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen an. Ihr bei der beklagten Partei gebuchter Flug von Wien‑Schwechat nach Belgrad am ***** habe mehr als drei Stunden Ankunftsverspätung gehabt.

Die Kläger beantragen die Ordination gemäß § 28 Abs 1 Z 2 JN und die Zuweisung des Rechtsstreits an das Bezirksgericht Schwechat. Sie seien Verbraucher mit gewöhnlichem Aufenthalt in Österreich. Das beklagte Unternehmen habe seinen Sitz in Serbien. Der in Art 7 Nr 1 EuGVVO gewährte Gerichtsstand könne daher nicht in Anspruch genommen werden. Ein den Gerichtsstand nach § 99 JN begründendes inländisches Vermögen, das konkret benannt und bewertet werden könnte, sei nicht bekannt. Aufgrund des geringen Streitwerts sei eine Prozessführung in Serbien schon wegen der Übersetzungskosten unzumutbar. Eine Entscheidung serbischer Gerichte wäre im Inland auch nicht vollstreckbar, zumal zwischen Österreich und Serbien auch kein einschlägiger Vollstreckungsvertrag bestehe. Es sei eine Exekutionsführung in Österreich geplant, da die beklagte Partei regelmäßig Flugzeuge nach Österreich verbringe. Im Sinne einer effektiven Durchsetzung der Ansprüche aus der Fluggastrechte-Verordnung müsse den Fluggästen die Möglichkeit eingeräumt werden, ihre Rechte vor einem für sie ohne größere Schwierigkeiten zugänglichen Gericht geltend zu machen.

Rechtliche Beurteilung

Die Voraussetzungen für eine Ordination durch den Obersten Gerichtshof sind gegeben.

1. Aus dem Vorbringen der Kläger ergibt sich kein Gerichtsstand im Inland:

1.1 Die Ordination durch den Obersten Gerichtshof setzt voraus, dass die Voraussetzungen für die örtliche Zuständigkeit eines inländischen Gerichts nicht gegeben sind oder sich nicht ermitteln lassen (RS0108569; RS0114391; RS0117256; RS0118239). Die Ordination hat daher zu unterbleiben, wenn ohnehin ein Gerichtsstand im Inland besteht. Der Oberste Gerichtshof hat dies anhand der Angaben im Ordinationsantrag zu prüfen (5 Ob 20/19i; 2 Nc 2/19w; RS0117256).

1.2 Auf den Gerichtsstand des Erfüllungsorts nach Art 7 Nr 1 lit a der VO (EU) Nr 1215/2012 (EuGVVO 2012) können sich die Kläger nicht berufen, weil die beklagte Partei nach deren Vorbringen ihren ausschließlichen Sitz iSd Art 63 Nr 1 EuGVVO 2012 in einem Drittstaat hat (5 Ob 20/19i).

1.3 Der Gerichtsstand des Erfüllungsorts nach § 88 Abs 1 JN ist nur bei ausdrücklicher und urkundlich nachweisbarer Vereinbarung des Erfüllungsorts gegeben, also jedenfalls dann nicht, wenn mangels einer Vereinbarung, die sich von den übrigen Parteienvereinbarungen deutlich abhebt und bestimmt und direkt auf die Festlegung eines Erfüllungsorts gerichtet ist, der Erfüllungsort aufgrund materiell-rechtlicher Vorschriften ermittelt werden muss (RS0046717). Die Vereinbarung muss also ausdrücklich und direkt die Bestimmung des Erfüllungsorts bezwecken; es darf nicht dem Gericht überlassen bleiben, den Erfüllungsort unter Anwendung des materiellen Rechts zu bestimmen (7 Ob 173/17t).

Diese Voraussetzungen sind nach den Antragsangaben, von denen im Rahmen der Ordinationsprüfung auszugehen ist, nicht erfüllt. Die Kläger weisen in diesem Zusammenhang zwar auf den für die Beförderungsleistung der beklagten Partei bestimmten Abflugort hin. Damit behaupten sie aber keine Vereinbarung, die im Sinn der Rechtsprechung zu § 88 Abs 1 JN ausdrücklich und direkt die Bestimmung des Erfüllungsorts bezweckt (vgl 5 Ob 20/19i).

1.4 Aus der bloßen Behauptung, die beklagte Partei verbringe regelmäßig Flugzeuge nach Österreich, ergeben sich auch keine ausreichenden Anhaltspunkte für das Bestehen eines Gerichtsstands des Vermögens nach § 99 Abs 1 JN.

2. Die Rechtsverfolgung im Ausland ist für die Kläger unzumutbar:

2.1 Die Kläger stützen ihren Ordinationsantrag auf § 28 Abs 1 Z 2 JN. Danach hat der Oberste Gerichtshof aus den sachlich zuständigen Gerichten eines zu bestimmen, welches für die fragliche Rechtssache als örtlich zuständig zu gelten hat, wenn der Kläger österreichischer Staatsbürger ist oder seinen Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz im Inland hat und im Einzelfall die Rechtsverfolgung im Ausland nicht möglich oder unzumutbar wäre.

2.2 Das Naheverhältnis der Kläger zum Inland folgt aus ihrem inländischen Wohnsitz. Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung im Ausland wird in Lehre und Rechtsprechung insbesondere dann bejaht, wenn die ausländische Entscheidung in Österreich nicht anerkannt oder vollstreckt wird, eine dringende Entscheidung im Ausland nicht rechtzeitig erreicht werden kann, eine Prozessführung im Ausland eine der Parteien politischer Verfolgung aussetzen würde oder äußerst kostspielig wäre (RS0046148).

2.3 In den Entscheidungen 6 Nc 25/19g, 5 Nc 13/19k und 6 Nc 1/19b hat der Oberste Gerichtshof in gleichgelagerten Fällen der Durchsetzung von Ansprüchen nach der Fluggastrechte-Verordnung gegen ein Flugunternehmen mit Sitz in Serbien die Ordination bewilligt und das Bezirksgericht Schwechat als zuständiges Gericht bestimmt. § 28 Abs 1 Z 2 JN solle Fälle abdecken, in denen trotz Fehlens eines Gerichtsstands im Inland ein Bedürfnis nach Gewährung inländischen Rechtsschutzes vorhanden ist, weil ein Naheverhältnis zum Inland besteht und im Einzelfall eine effektive Klagemöglichkeit im Ausland nicht gegeben sei (vgl RS0057221 [T4]). Das Prozesskostenargument bestehe bei Distanzprozessen zwar für beide Parteien jeweils mit umgekehrten Vorzeichen und gehe daher grundsätzlich zu Lasten des Klägers (vgl RS0046420; RS0046148 [T12]). In Fällen, in denen der Kläger offensichtlich als Verbraucher aufgetreten sei, könne die Frage der Kostspieligkeit der Führung eines Rechtsstreits im Ausland aber stärker berücksichtigt werden (vgl RS0046420 [T14]). Vor allem aber sei zu berücksichtigen, dass die Rechtsverfolgung im Ausland unzumutbar sei, wenn die ausländische Entscheidung in Österreich nicht anerkannt oder vollstreckt würde und eine Exekutionsführung im Inland geplant sei (RS0046148 [T17]). Nach den einschlägigen Bestimmungen der Exekutionsordnung seien (nur) Akte und Urkunden […] für vollstreckbar zu erklären, wenn sie nach den Bestimmungen des Staats, in dem sie errichtet wurden, vollstreckbar seien und die Gegenseitigkeit durch Staatsverträge oder durch Verordnungen verbürgt sei. Zwischen Österreich und Serbien bestehe aber kein Abkommen über die Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen nach der Fluggastrechte-Verordnung. Zudem sei die Fluggastrechte-Verordnung Bestandteil des Europäischen Gemeinschaftsrechts. Für dieses gelte der Grundsatz der effektiven Umsetzung („effet utile“), der ebenfalls dafür spreche, (jedenfalls) Fluggästen, die aufgrund eines Beförderungsvertrags mit einem Flugunternehmen mit Sitz in einem Drittstaat von einem in der Europäischen Union liegenden Flughafen abflögen, die Geltendmachung und Durchsetzung von in der Verordnung begründeten Ansprüchen nicht zu erschweren (vgl 4 Nc 11/19h; RS0046644 [T3]). In der dort zu beurteilenden Konstellation käme die Abweisung eines Ordinationsantrags im Ergebnis geradezu einer Rechtsschutzverweigerung gleich; angesichts der Höhe der Ansprüche sei nicht davon auszugehen, dass sie von Fluggästen in einem Drittstaat geltend gemacht würden, wenn die Entscheidung in Österreich gar nicht vollstreckbar sei.

2.4 Diese Erwägungen gelten hier sinngemäß. Im Hinblick auf das unionsrechtliche Gebot der Gewährung eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes für die Durchsetzung von Ansprüchen aus der Fluggastrechte-Verordnung sind auch die Anforderungen an die Behauptungs- und Bescheinigungspflicht der Kläger (§ 28 Abs 4 JN) nicht zu überspannen (5 Nc 13/19k).

3. Für die Auswahl des zu ordinierenden Gerichts (in örtlicher Hinsicht) enthält § 28 JN keine ausdrücklichen Vorgaben; es ist dabei auf die Kriterien der Sach- und Parteinähe sowie der Zweckmäßigkeit Bedacht zu nehmen (RS0106680 [T13]). Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben ist die Sache dem Bezirksgericht Schwechat zuzuweisen, lag doch der Abflugort im vorliegenden Fall in dessen Sprengel (vgl 5 Nc 13/19k; 6 Nc 1/19b).

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