OGH 6Ob14/20g

OGH6Ob14/20g20.2.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B*****, vertreten durch Dr. Herwig Hasslacher, Rechtsanwalt in Villach, gegen die beklagten Parteien 1. Sportclub *****, vertreten durch Mag. Ingomar Arnez und Mag. Klaus Nagele, Rechtsanwälte in Villach, 2. Stadt V*****, vertreten durch Reif und Partner Rechtsanwälte OG in Villach, und deren Nebenintervenienten 1. H***** GmbH, *****, vertreten durch Schlösser & Partner Rechtsanwälte OG in Graz, 2. S***** AG, *****, vertreten durch Dr. Karlheinz de Cillia und Mag. Michael Kalmann, Rechtsanwälte in Klagenfurt am Wörthersee, 3. Dipl.‑Ing. W*****, vertreten durch Kaan Cronenberg & Partner Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Graz, wegen 16.366,75 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 21. November 2019, GZ 3 R 137/19w‑77, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0060OB00014.20G.0220.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs und auch des erkennenden Senats (siehe bloß 6 Ob 11/04t), dass Veranstalter von Sportwettbewerben für die im Interesse der Sicherheit von Beteiligten und Zuschauern erforderlichen Vorkehrungen zu sorgen haben. Liegt die Möglichkeit nahe, dass sich aus einer Veranstaltung Gefahren für andere ergeben, so hat der Verantwortliche im Rahmen des Zumutbaren auch dagegen angemessene Maßnahmen zu treffen. Es kommt darauf an, welche Maßnahmen zur Abwehr vorhersehbarer Gefahren notwendig und zumutbar sind (https://www.ris.bka.gv.at/Ergebnis.wxe?Abfrage=Justiz&Rechtssatznummer=RS0098750&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=False ). Die einschlägigen Richtlinien von Sportverbänden und allfällige behördliche Anordnungen sind dabei als Sorgfaltsmaßstab heranzuziehen (https://www.ris.bka.gv.at/Ergebnis.wxe?Abfrage=Justiz&GZ=7Ob2415/96i&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=False&SucheNachText=True ). Der Veranstalter muss die Anlage für die befugten Benutzer in einem verkehrssicheren und gefahrlosen Zustand erhalten und diese vor erkennbaren Gefahren schützen. Bei Nichterfüllung dieser Pflicht tritt gemäß § 1298 ABGB eine Umkehrung der Beweislast ein (https://www.ris.bka.gv.at/Ergebnis.wxe?Abfrage=Justiz&Rechtssatznummer=RS0023355&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=False ). Der Beweis, dass der Schaden auch bei rechtmäßigem Verhalten eingetreten wäre, obliegt dem Schädiger (https://www.ris.bka.gv.at/Ergebnis.wxe?Abfrage=Justiz&Rechtssatznummer=RS0022895&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=False ). Der Verkehrssicherungspflichtige muss zumutbare, schadens-verhindernde Maßnahmen unabhängig vom Vorhandensein einer behördlichen Bewilligung setzen. Das Vorliegen einer entsprechenden behördlichen Genehmigung – und dementsprechend auch die „Kommissionierung“ eines Fußballplatzes durch einen Sportverband – kann daher den zur Sicherung des Verkehrs Verpflichteten nicht entschuldigen, wenn er vom Bestand einer Gefahrenquelle weiß oder davon wissen muss und die ihm möglichen oder zumutbaren Maßnahmen zu deren Beseitigung unterlässt (https://www.ris.bka.gv.at/Ergebnis.wxe?Abfrage=Justiz&Rechtssatznummer=RS0023419&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=False ).

In der Entscheidung 4 Ob 172/11i hat der Oberste Gerichtshof aber auch darauf hingewiesen, dass die Anforderungen an die Verkehrssicherungspflicht nicht überspannt werden dürfen (https://www.ris.bka.gv.at/Ergebnis.wxe?Abfrage=Justiz&Rechtssatznummer=RS0023487&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=False ; https://www.ris.bka.gv.at/Ergebnis.wxe?Abfrage=Justiz&Rechtssatznummer=RS0023893&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=False ; https://www.ris.bka.gv.at/Ergebnis.wxe?Abfrage=Justiz&Rechtssatznummer=RS0023950&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=False ), soll sie keine in Wahrheit vom Verschulden unabhängige Haftung des Sicherungspflichtigen zur Folge haben (https://www.ris.bka.gv.at/Ergebnis.wxe?Abfrage=Justiz&Rechtssatznummer=RS0023950&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=False ). Sie findet ihre Grenze daher immer in der Zumutbarkeit möglicher Maßnahmen der Gefahrenabwehr (https://www.ris.bka.gv.at/Ergebnis.wxe?Abfrage=Justiz&Rechtssatznummer=RS0023397&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=False ). Umfang und Intensität von Verkehrssicherungspflichten richten sich dabei vor allem danach, in welchem Maß die Verkehrsteilnehmer selbst vorhandene Gefahren erkennen und ihnen begegnen können (https://www.ris.bka.gv.at/Ergebnis.wxe?Abfrage=Justiz&Rechtssatznummer=RS0023726&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=False ).

2. Der konkrete Inhalt einer Verkehrssicherungspflicht kann immer nur von Fall zu Fall bestimmt werden (https://www.ris.bka.gv.at/Ergebnis.wxe?Abfrage=Justiz&Rechtssatznummer=RS0029874&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=False ; https://www.ris.bka.gv.at/Ergebnis.wxe?Abfrage=Justiz&Rechtssatznummer=RS0110202&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=False ); gleiches gilt für das Maß der Zumutbarkeit geeigneter Vorkehrungen gegen einen Schadenseintritt (https://www.ris.bka.gv.at/Ergebnis.wxe?Abfrage=Justiz&Rechtssatznummer=RS0029874&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=False ). Der konkrete Inhalt einer Verkehrssicherungspflicht hängt somit immer von den Umständen des Einzelfalls ab (https://www.ris.bka.gv.at/Ergebnis.wxe?Abfrage=Justiz&Rechtssatznummer=RS0110202&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=False ; RS0111380), sodass regelmäßig eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zu beantworten ist (RS0029874).

3. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen wurde die von den Nebenintervenienten geplante und errichtete und von der Zweitbeklagten an den Erstbeklagten (unter‑)verpachtete Sportanlage, die über ein Hauptfußballspielfeld und einen Trainingsplatz verfügt, den einschlägigen ÖNORMEN entsprechend errichtet und kommissioniert und wies zum Zeitpunkt des Unfalls des Klägers keinerlei Mängel auf, und zwar weder hinsichtlich des Kunstrasens in der Sicherheitszone im unmittelbaren Anschluss an das Hauptfußballspielfeld noch hinsichtlich dessen Naturrasens, des Aluminiumgeländers, mit dem (konkret: einem einzelnen senkrechten Steher) der Kläger kollidierte, der Steher des Geländers oder der Sicherheitszone, die nicht bloß in der vorgeschriebenen Mindestbreite von einem Meter, sondern sogar in einer Sollbreite von zwei Metern ausgeführt war. Dass das Aluminiumgeländer zum Unfallzeitpunkt nicht verplankt war, widersprach weder einer Norm noch einer sonstigen Vorschrift oder einer Auflage. Für den Kläger, der vor der Kollision mit einem der Steher des Aluminiumgeländers im Zuge eines Angriffs als Stürmer einen gegnerischen Verteidiger an der Seitenoutlinie umlaufen wollte, jedoch von diesem (ohne Körperkontakt) blockiert und vom Ball getrennt wurde, deshalb den Kampf um den Ball aufgab und aufgrund seiner Lauflinie und Geschwindigkeit in die Sicherheitszone außerhalb der Seitenoutlinie auswich, um dort ein „Bremsmanöver“ durch kleine Schritte und eine Verlagerung seines Körpergewichts nach hinten einzuleiten, wodurch es ihm die Beine wegzog, er auf sein Gesäß fiel, mit aufrechtem Oberkörper in Richtung Geländer rutschte und mit gestrecktem Bein mit dem Steher kollidierte, war bereits vor Spielbeginn – ebenso wie den Beklagten – eine Gefahr durch das Geländer insoferne erkennbar gewesen, dass ein Fußballspieler dagegen prallen könnte; die letztlich vom Kläger erlittenen Verletzungen bedingt durch das Geländer waren jedoch weder für diesen noch für die Beklagten vorhersehbar gewesen.

Im Übrigen hat der Oberste Gerichtshof in der bereits erwähnten Entscheidung 4 Ob 172/11i klargestellt, dass ein Fußballspieler zwar nicht damit rechnen muss, innerhalb eines Spielfelds Gefahren ausgesetzt zu sein, die sich nicht durch die Ausgestaltung des Spiels an sich ergeben. Es müsse aber jedem Sportler, mag er sich auch in einer Wettkampfsituation befinden, einsichtig sein, dass erhöhte Aufmerksamkeit angebracht ist, wenn man sich dem Spielfeldrand nähert. So bestehe etwa auch bei in Hallen (der dortige Kläger hatte sich bei einem Hallenfußballspiel verletzt) üblicherweise verwendeten Banden aus beweglichen Teilen ein erhebliches Verletzungspotential; ein Veranstalter dürfe darauf vertrauen, dass ein Fußballspieler auch im Wettkampf darauf achtet, wohin er mit vollem Tempo läuft. Dass diese Grundsätze – wie der Kläger in seiner außerordentlichen Revision meint – auf einem Fußballfeld im Freien keine Geltung haben sollten, ist nicht erkennbar. Das Geländer befand sich in einem – den Mindestabstand um das Doppelte überschreitenden – Abstand zur Seitenoutlinie und war vom Kläger bereits vor dem Unfall wahrgenommen worden. Seine Überlegung, er hätte sich nicht verletzt, hätte sich das Geländer um einen weiteren halben Meter weiter von der Seitenoutlinie befunden oder wäre es verplankt gewesen, mag zwar den Feststellungen der Vorinstanzen entsprechen; bei einem anderen Laufwinkel, einer höheren Laufgeschwindigkeit, einem nassen Kunstrasen in der Sicherheitszone oder anderen (zufällig eintretenden) Umständen hätten jedoch möglicherweise auch diese Vorkehrungen eine Verletzung nicht verhindert. Dass aber der Veranstalter jede auch nur denkbare oder vielleicht auch gar nicht vorhersehbare Verletzungsgefahr außerhalb des Spielfelds verhindern bzw schadenersatzrechtlich dafür einzustehen hätte, würde die Grenzen der Zumutbarkeit überschreiten.

Die Abweisung des Klagebegehrens durch die Vorinstanzen ist somit jedenfalls vertretbar.

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