OGH 10Ob8/20d

OGH10Ob8/20d18.2.2020

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen Kinder 1. S*, geboren * 2004, 2. D*, geboren * 2005 und 3. L*, geboren * 2009, wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs der Kinder, in Unterhaltssachen vertreten durch das Land Wien als Träger der Kinder‑ und Jugendhilfe (Magistrat der Stadt Wien, Kinder‑ und Jugendhilfe – Rechtsvertretung Bezirke 3, 11, 1030 Wien, Karl-Borromäus-Platz 3), gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 12. November 2019, GZ 43 R 539/19m‑38, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 30. August 2019, GZ 5 Pu 82/18g‑28, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E127775

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

 

Begründung:

Die 16‑, 14‑ und 10‑jährigen Kinder befinden sich in Pflege und Erziehung der Mutter und haben kein eigenes Einkommen.

Der geldunterhaltspflichtige Vater bezog im Rahmen einer 32,5‑stündigen Wochenarbeitszeit im Zeitraum von 1. 4. 2018 bis 31. 3. 2019 ein Bruttoeinkommen inklusive Sonderzahlungen von insgesamt 21.880,88 EUR. Bei Aufrechnung auf eine 38,5‑stündige Wochenarbeitszeit ergäbe dies ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen von 1.662 EUR inklusive Sonderzahlungen.

Seit 28. 3. 2019 ist der Vater mit einer 30‑stündigen Wochenarbeitszeit unselbständig beschäftigt. Er verdiente – hochgerechnet auf ein Jahr – 18.911,88 EUR brutto zuzüglich Zuschlägen von – hochgerechnet auf ein Jahr – 4.209,42 EUR brutto. Bei Aufrechnung auf eine 38,5‑stündige Wochenarbeitszeit ergäbe dies ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen von 1.768 EUR inklusive Sonderzahlungen.

Der Vater hat keine weiteren Sorgepflichten zu erfüllen. Gesundheitliche Einschränkungen des Vaters sind nicht bekannt, es sind keine Gründe bekannt, weshalb der Vater keiner Vollzeitbeschäftigung nachgeht.

Die Kinder beantragten, den Vater zu einer monatlichen Unterhaltsleistung

ab 1. 9. 2018 von 340 EUR je für S* und D* und 280 EUR für L*;

ab 1. 2. 2019 von 380 EUR für S*, 340 EUR für D* und 280 EUR für L* zu verpflichten. Der Familienbonus Plus und die Unterhaltsabsetzbeträge für drei Kinder seien in die Bemessungsgrundlage einzubeziehen, der Familienbonus Plus jedoch nur in der Höhe, in der der Vater bei einer Vollzeitbeschäftigung Lohnsteuer zahlen müsste. Ein Unterhaltstitel bestehe noch nicht, der Vater leiste keinen Unterhalt.

Der Vater beteiligte sich weder am erstinstanzlichen Verfahren noch am Rechtsmittelverfahren.

Das Erstgericht verpflichtete den Vater, einen monatlichen Unterhaltsbeitrag

1. an S*

- von 1. 9. 2018 bis 31. 1. 2019 von 280 EUR

- von 1. 2. 2019 bis 31. 3. 2019 von 315 EUR

- von 1. 4. 2019 bis 31. 7. 2019 von 335 EUR und

- ab 1. 8. 2019 bis auf weiteres, längstens jedoch bis zur Selbsterhaltungsfähigkeit von 320 EUR;

2. an D*

- von 1. 9. 2018 bis 31. 3. 2019 von 280 EUR

- von 1. 4. 2019 bis 31. 7. 2019 von 300 EUR und

- ab 1. 8. 2019 bis auf weiteres, längstens jedoch bis zur Selbsterhaltungsfähigkeit von 280 EUR;

3. an L*

- von 1. 9. 2018 bis 31. 3. 2019 von 230 EUR

- von 1. 4. 2018 bis 31. 7. 2019 von 250 EUR und

- ab 1. 8. 2019 bis auf weiteres, längstens jedoch bis zur Selbsterhaltungsfähigkeit von 280 EUR zu bezahlen.

Das Unterhaltsmehrbegehren aller drei Kinder wies das Erstgericht ab.

Der Vater sei auf eine Vollzeitbeschäftigung anzuspannen und schulde ausgehend davon den vom Erstgericht im Einzelnen nach der Prozentsatzkomponente errechneten Unterhalt. Bemessungsgrundlage dafür sei das vom Vater bezogene Einkommen von monatlich durchschnittlich netto 1.662 EUR für den Zeitraum von 1. 9. 2018 bis 31. 3. 2019 und 1.768 EUR ab 1. 4. 2019. Von einer Anspannung des Vaters auf den Bezug des Familienbonus Plus und der Unterhaltsabsetzbeträge sei abzusehen, weil dies zu einer reinen Fiktion führe.

Das Rekursgericht gab dem von den Kindern gegen diesen Beschluss im Umfang der Abweisung der jeweiligen Unterhaltsmehrbegehren erhobenen Rekurs nicht Folge. Eine Anspannung des Vaters auf den Familienbonus Plus sei erst ab 1. 1. 2019 möglich. Als unselbständig Erwerbstätiger sei der Vater nach den Entscheidungen 5 Ob 236/18v und 4 Ob 139/19y so zu behandeln, als ob er den Unterhaltsabsetzbetrag beziehe. Die Anspannung des Vaters auf eine Vollzeiterwerbstätigkeit umfasse auch die Anspannung auf den Bezug des halben Familienbonus Plus. Die vom Vater zu leistende Lohnsteuer sei jedoch bei Heranziehung eines durchschnittlichen Unterhaltsabsetzbetrags von 43,80 EUR so gering, dass eine Kürzung des nach der Prozentsatzkomponente ermittelten Geldunterhaltsanspruchs des Kindes nicht in Betracht komme.

Rechtliche Beurteilung

Den Revisionsrekurs an den Obersten Gerichtshof ließ das Rekursgericht mit der Begründung zu, dass Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu den Auswirkungen des Familienbonus Plus fehle.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der vom Vater nicht beantwortete Revisionsrekurs der Kinder, mit dem die Kinder die Erhöhung des Unterhalts auf folgende Beträge begehren:

1. S*:

- 285 EUR ab 1. 9. 2018

- 305 EUR ab 1. 1. 2019

- 340 EUR ab 1. 2. 2019

- 370 EUR ab 1. 4. 2019

- 350 EUR ab 1. 8. 2019

2. D*:

- 285 EUR ab 1. 9. 2018

- 305 EUR ab 1. 1. 2019

- 330 EUR ab 1. 4. 2019

- 310 EUR ab 1. 8. 2019

3. L*:

- 235 EUR ab 1. 9. 2018

- 250 EUR ab 1. 1. 2019

- 270 EUR ab 1. 4. 2019

- 310 EUR ab 1. 8. 2019

Der Revisionsrekurs ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Die Kinder machen im Revisionsrekurs geltend, dass der Familienbonus Plus und auch Unterhaltsabsetzbeträge für drei Sorgepflichten in der Steuerpflicht des Vaters keine Deckung fänden. Der Vater hätte beim fiktiv heranzuziehenden Einkommen daher keine Lohnsteuer zu zahlen. Dadurch erhöhe sich die Unterhaltsbemessungsgrundlage für die Kinder.

Dem kommt im Ergebnis keine Berechtigung zu.

1.1 Der Oberste Gerichtshof hat sich in der erst nach der Beschlussfassung des Rekursgerichts ergangenen Entscheidung 4 Ob 150/19s ausführlich mit der Frage der Behandlung des Familienbonus Plus im Unterhaltsrecht auseinandergesetzt. Mit dieser Entscheidung erfolgte aus Anlass der neuen gesetzlichen Regelung zum Familienbonus Plus mit dem Jahressteuergesetz 2018, BGBl I 2018/62, eine Neuausrichtung der unterhaltsrechtlichen Rechtsprechung.

1.2 Nach der Entscheidung 4 Ob 150/19s handelt es sich beim Familienbonus Plus – so wie beim Unterhaltsabsetzbetrag – um einen echten Steuerabsetzbetrag. Der Gesetzgeber hat den Familienbonus Plus mit der Zielsetzung eingeführt, die verfassungsrechtlich gebotene steuerliche Entlastung der Geldunterhaltspflichtigen nunmehr durch die in dieser Entscheidung ausführlich dargestellten steuergesetzlichen Maßnahmen herbeizuführen. Dadurch findet eine Entkoppelung von Unterhalts‑ und Steuerrecht statt. Die verfassungsrechtlich gebotene steuerliche Entlastung des Geldunterhaltspflichtigen erfolgt nunmehr durch den Familienbonus Plus und den Unterhaltsabsetzbetrag. Der Familienbonus Plus ist – zumindest wenn die Kinder wie hier das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben – nicht in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehen. Eine Anrechnung von Transferleistungen findet nicht mehr statt. Familienbonus Plus und Unterhaltsabsetzbetrag bleiben damit unterhaltsrechtlich neutral.

1.3 Diesen ausführlichen Erwägungen haben sich mehrere Senate (zB 10 Ob 75/19f; 7 Ob 139/19w; 9 Ob 83/19z) angeschlossen (zustimmend Gruber/Spitzer, Judikaturwende beim Kindesunterhalt – alles neu durch FaBo+, ÖJZ 2020/17, 140; Kolmasch, Ende der Familienbeihilfenanrechnung für minderjährige Kinder, Zak 2020/9, 13; Gitschthaler, Habemus iudicata de Fabone! EF‑Z 2020/1, 1).

2. Das Erstgericht ist im Ergebnis daher zu Recht davon ausgegangen, dass der Familienbonus Plus und auch die Unterhaltsabsetzbeträge die Unterhaltsbemessungsgrundlage (frühestens) ab 1. 1. 2019 nicht erhöhen. Eine darüber hinausgehende Unrichtigkeit seiner Entscheidung haben die Kinder bereits in ihrem Rekurs nicht geltend gemacht. Das Rekursgericht ist bei seinen rechtlichen Ausführungen zwar von anderen Grundsätzen ausgegangen, es hat aber die vom Erstgericht getroffene Entscheidung im Ergebnis bestätigt.

Dem Revisionsrekurs war daher nicht Folge zu geben.

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