OGH 1Ob174/19y

OGH1Ob174/19y21.1.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr.

 Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*****, vertreten durch Dr. Hannes Paulweber, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei J*****, vertreten durch die Heiss & Heiss Rechtsanwälte OG, Innsbruck, wegen 137.664,28 EUR sA sowie Feststellung (Streitwert 15.000 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das (richtig) Teilzwischenurteil des Oberlandesgerichts Innsbruck vom 18. Juli 2019, GZ 1 R 76/19i‑74, mit dem das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 21. Februar 2019, GZ 8 Cg 119/16z‑68, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0010OB00174.19Y.0121.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass das Teilzwischenurteil des Erstgerichts mit der Maßgabe wiederhergestellt wird, dass es lautet:

Die Klageforderung von 137.664,28 EUR besteht dem Grunde nach zu zwei Dritteln zu Recht.

Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

 

Entscheidungsgründe:

Der Kläger suchte, nachdem er mit einer „Polterrunde“ bereits mehrere Lokale besucht und „schon einiges“ an Alkohol („ein paar“ Bier und nach dem Essen einen Schnaps) konsumiert hatte, das Lokal („Irish Pub“) des Beklagten auf. Das genaue Ausmaß seiner Alkoholisierung steht nicht fest, er war „sicher nicht mehr nüchtern“.

Der Kläger erkundigte sich bei einer im Lokal des Beklagten anwesenden Person (es steht nicht fest, ob es sich um einen Kellner oder einen Gast handelte) nach den Toiletten und verstand dessen (in starkem Tiroler Dialekt erteilte) Auskunft so, dass er die Treppe hinunter müsse, obwohl sich die Toiletten im Obergeschoss befinden. Um zu den in das Ober- und Untergeschoss führenden Treppen zu gelangen, muss man vom Barbereich, in dem sich der Kläger aufhielt, in den hinteren Bereich des Lokals gehen. Man kommt dabei zuerst an der Treppe vorbei, die in das Untergeschoss führt, im Anschluss gelangt man zur Treppe in das Obergeschoss. Die Holztreppe in das Untergeschoss (die zu einem Lagerraum führt und deren Betreten durch Gäste „nicht vorgesehen“ ist) wurde vor mehreren Jahrzehnten errichtet. Sie ist „verschlissen“, die Stufen sind „massiv abgetreten“. Der Handlauf begann erst bei der dritten Stufe. Es funktionierte „in diesem Bereich“ (also im Bereich des Treppenabgangs) weder die „normale“ Beleuchtung noch die Notbeleuchtung, was dem Beklagten vom Personal bereits gemeldet worden war. Der „Antritt“ der Treppe in das Untergeschoss wurde zwar durch die Beleuchtung des Lokals ausgeleuchtet, nicht jedoch die hinabführenden Stufen. Die Beleuchtung wird einmal pro Jahr von einer Fachfirma überprüft; einen Wartungsvertrag hatte der Beklagte nicht abgeschlossen.

Der Kläger betrat die in das Untergeschoss führende Treppe, von der er – aufgrund der missverstandenen Auskunft – dachte, dass sie zu den Toiletten führt, vorsichtig und langsam. Es war in diesem Bereich zwar sehr dunkel, der Kläger ging aber davon aus, dass sich die Beleuchtung noch (automatisch) einschalten werde. Nach ein bis zwei Schritten trat der Kläger auf unebenen Untergrund und stürzte die Treppe hinunter, wodurch er schwer verletzt wurde. Ursächlich für den Sturz war neben der fehlenden Beleuchtung auch der zunächst fehlende Handlauf (soweit dieser ab der dritten Stufe vorhanden war, war er für den Kläger mangels Beleuchtung nicht erkennbar) sowie der Umstand, dass die Treppe gewunden war und sich ein „nicht feststellbares Material“ auf den ersten beiden Stufen befand. Ob sich der Unfall auch ohne die (dem Grad nach nicht feststehende) Alkoholisierung des Klägers ereignet hätte, konnte nicht festgestellt werden.

Der Kläger begehrt den Ersatz des durch den Sturz verursachten Schadens (Schmerzengeld, Heilungskosten sowie sonstige unfallbedingte Aufwendungen) sowie die Feststellung der Haftung des Beklagten für künftig daraus resultierende Spät- und Dauerfolgen. Er wirft dem Beklagten vor, gegen vertragliche Schutz- und Sorgfaltspflichten verstoßen zu haben.

Der Beklagte bestritt einen solchen Verstoß und wandte ein, dass den Kläger – vor allem aufgrund seiner Alkoholisierung – das Alleinverschulden, zumindest aber ein überwiegendes Mitverschulden am Unfall treffe.

Das Erstgericht sprach mit Teilzwischenurteil aus, „dass der Beklagte dem Kläger zu 2/3 für sämtliche dem Kläger aufgrund des verfahrensgegenständlichen Unfalls entstandenen Schäden hafte“. Es ging davon aus, dass der Beklagte durch die fehlende Absicherung und Beleuchtung der Treppe gegen dem Kläger gegenüber bestehende vertragliche Schutz- und Sorgfaltspflichten verstoßen habe. Die von der ungesicherten, unbeleuchteten und stark abgenutzten Treppe ausgehende Gefahr sei für den Beklagten leicht erkennbar gewesen und hätte durch einfache Maßnahmen beseitigt werden können.

Aufgrund der Weigerung des Klägers (im Verfahren), seine Zustimmung zur Untersuchung einer unmittelbar nach seinem Sturz im Krankenhaus abgenommenen und dort nach wie aufbewahrten Blutprobe zu erteilen, traf das Erstgericht in seinen Ausführungen zur Beweiswürdigung die – der zuvor getroffenen Negativfeststellung widersprechende – Feststellung, dass der Sturz nicht geschehen wäre, „wenn der Kläger nicht so stark alkoholisiert gewesen wäre, auch wenn sich das genaue Ausmaß der Alkoholisierung ohne Auswertung der Blutprobe nicht feststellen lässt“. Aufgrund der derart angenommenen Mitursächlichkeit der Alkoholisierung des Klägers für den Sturz ging das Erstgericht von einem Mitverschulden von einem Drittel aus. In diesem Sinn sei über den Grund des Anspruchs (Leistungsbegehren) ein Teilzwischenurteil zu fällen; das Feststellungsbegehren sei noch nicht spruchreif.

Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil ab und sprach aus, dass das Zahlungsbegehren dem Grunde nach (zur Gänze) zu Recht bestehe. Es ging – ebenso wie das Erstgericht – davon aus, dass der Beklagte aufgrund eines (groben) Verstoßes gegen vertragliche Schutz- und Sorgfaltspflichten hafte. Dass – wie das Berufungsgericht im Rahmen der Beurteilung des Rechtsmittelgrundes der Aktenwidrigkeit aus dem Akt feststellte – gegenüber dem Stiegenantritt (aber – wie sich aus dem in das Ersturteil integrierten Foto ergibt – immer noch im [dunklen] Bereich der Treppe) ein Schild mit der Aufschrift „Privat“ angebracht und das Betreten der Treppe für Betriebsfremde „nicht vorgesehen“ war, entlaste den Beklagten nicht.

Dem Kläger sei kein Mitverschulden aufgrund seiner Alkoholisierung (deren Grad nicht feststeht) anzulasten. Die Feststellung, dass die Alkoholisierung für den Sturz ursächlich war, sei für das Berufungsgericht „nicht bindend“, weil das Erstgericht nicht alle Umstände des Unfallhergangs gewürdigt habe und die genannte Feststellung kein Ausfluss der Beweiswürdigung, sondern einer unrichtigen Rechtsansicht des Erstgerichts gewesen sei, das – aufgrund der Weigerung des Klägers zur Untersuchung seiner Blutprobe – zu Unrecht ein Zugeständnis der Kausalität der Alkoholisierung für den Sturz angenommen habe. Der Kläger habe sich auch – trotz Alkoholisierung – nicht sorglos in eigenen Angelegenheiten verhalten. Er sei bloß wegen eines sprachlichen Missverständnisses auf die falsche Treppe geraten, habe diese nicht unvorsichtig oder unaufmerksam betreten und habe darauf vertrauen dürfen, dass sich die Beleuchtung noch einschalten werde. Selbst wenn ihm das Schild mit der Aufschrift „Privat“ trotz schlechter Lichtverhältnisse aufgefallen wäre, hätte ihm das Betreten der Treppe nicht vorgeworfen werden können. Aufgrund der Negativfeststellung zum Grad der Alkoholisierung sei auch von einer bloß leichten, die Dispositions- und Diskretionsfähigkeit nicht einschränkenden Alkoholbeeinträchtigung auszugehen. Selbst bei Zugrundelegung der (positiven) Feststellung zur Kausalität der Alkoholisierung des Klägers für den Sturz träfe ihn kein Mitverschulden, zumal nicht feststehe, „in welcher Hinsicht“ die Alkoholisierung für den Sturz kausal gewesen sein sollte.

Die ordentliche Revision sei nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO abhänge.

Die Revision ist entgegen diesem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) Ausspruch – zulässig und teilweise berechtigt, weil dem Berufungsgericht bei der Beurteilung des Mitverschuldens eine zu korrigierende Fehlbeurteilung unterlaufen ist.

Rechtliche Beurteilung

1. Nach § 1304 ABGB kann die Haftung eines Schädigers in jenem Ausmaß entfallen, in dem ein Verschulden von Seiten des Geschädigten bei einer Beschädigung mitgewirkt hat; im Zweifel haften Schädiger und Geschädigter zu gleichen Teilen. Hat der Geschädigte selbst – in sorgloser Weise – eine Ursache gesetzt, die gleichermaßen wie die vom Dritten gesetzte Ursache geeignet war, den Schaden herbeizuführen, haben beide gemeinsam für den Schaden einzustehen (vgl RIS‑Justiz RS0027284 [T3]). Das Mitverschulden des Geschädigten an der Herbeiführung seines eigenen Schadens im Sinn des § 1304 ABGB setzt die Sorglosigkeit gegenüber den eigenen Gütern voraus (RS0022681; RS0032045).

2. Der Vorwurf sorglosen Verhaltens in eigenen Angelegenheiten besteht hier primär darin, dass der betrunkene („sicher nicht mehr nüchterne“) Kläger eine ihm unbekannte alte Holz‑(wendel‑)treppe, die bei den ersten Stufen über keinen Handlauf verfügte, trotz Dunkelheit betrat, obwohl es ihm leicht möglich gewesen wäre, sich im Lokal (noch einmal) nach dem richtigen Weg zur Toilette zu erkundigen, nachdem er in einen unbeleuchteten und damit uneinsehbaren Bereich gelangt war. Das letztlich unberechtigte Vertrauen darauf, es werde sich schon noch eine Beleuchtung (etwa aufgrund eines Bewegungsmelders) automatisch einschalten, dufte den Kläger ebensowenig dazu veranlassen, sich – ohne abzuwarten, ob das Licht tatsächlich aktiviert wird – der absehbaren Gefahr eines Sturzes auszusetzen, wie der von offensichtlichen Kommunikationsschwierigkeiten (der Kläger war Wiener, die Auskunft erfolgte in starkem Tiroler Dialekt) geprägte Kontakt mit einer im Lokal anwesenden Person. Dass der Kläger die Treppe trotz der erkennbaren Gefahrenmomente (Alkoholkonsum; Dunkelheit im Bereich der Treppe; zu Beginn fehlender – und dann nur schlecht erkennbarer – Handlauf) ohne (neuerliche) Nachfrage betrat, begründet – im Hinblick auf das (deutlich überwiegende) Verschulden des Beklagten – ein Mitverschulden von einem Drittel. Das Betreten der Treppe trotz des vom Beklagten aufgehängten Schildes „Privat“ kann ihm hingegen nicht vorgeworfen werden, weil sich dieses Schild auch nach der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellung, wonach es gegenüber der in das Untergeschoss führenden Treppe an der Wand(‑verkleidung) befestigt war, im dunklen Treppenbereich befand. Ein sekundärer Feststellungsmangel liegt in diesem Zusammenhang nicht vor. Dass der Sturz nicht passiert wäre, wenn der Kläger die Treppe nicht betreten hätte, liegt auf der Hand, weshalb sich hinsichtlich dieses sorglosen Verhaltens keine Kausalitätsprobleme stellen.

3. Darauf, ob der Kläger auch in nüchternem Zustand (in dem er sich zweifellos nicht befand) auf der Treppe gestürzt wäre, muss aufgrund des Umstands, dass bereits das Betreten der Treppe selbst eine vermeidbare Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten begründet, nicht eingegangen werden. Auch auf den genauen Grad der Alkoholisierung des Klägers kommt es nicht an. Den – im Zusammenhang mit den vom Berufungsgericht getroffenen Sachverhaltsannahmen zur Kausalität der Alkoholisierung des Klägers für seinen Sturz – monierten Verfahrensfehlern fehlt es an der erforderlichen Relevanz.

4. Zusammenfassend erweist sich die Revision als teilweise berechtigt, wobei die im Ergebnis zutreffende Entscheidung des Erstgerichts in ihrem Spruch so zu formulieren ist, dass sie sich (klar) nur auf den Grund des Leistungsbegehrens bezieht, worüber das Erstgericht bisher ausschließlich entschieden hat.

5. Der

Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 3 ZPO.

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