OGH 14Os125/19t

OGH14Os125/19t14.1.2020

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. Jänner 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz‑Hummel in Gegenwart des Schriftführers Mag. Hauer in der Strafsache gegen Ali P***** wegen Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 23. September 2019, GZ 38 Hv 52/19t‑44, und über dessen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 18. Juni 2019, GZ 38 Hv 52/19t‑31, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0140OS00125.19T.0114.000

 

Spruch:

Der Beschwerde wird Folge gegeben und der Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 23. September 2019, GZ 38 Hv 52/19t‑44, ersatzlos aufgehoben.

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird zurückgewiesen.

 

Gründe:

Mit – in der Hauptverhandlung am 18. Juni 2019 mündlich verkündetem – Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht wurde Ali P***** mehrerer Verbrechen der Vergewaltigung (zu I) nach § 201 Abs 2 StGB idF BGBl 1989/242 sowie (zu II und III) nach § 201 Abs 1 StGB in verschiedenen Fassungen, in einem Fall (zu II/3) in Verbindung mit § 15 StGB, (zu IV) mehrerer Vergehen der Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung nach § 205a Abs 1 erster Fall StGB, (zu V) mehrerer Verbrechen der schweren Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1, in zwei Fällen (V/2 und V/3) auch nach Z 3 StGB, sowie (zu VI) des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB schuldig erkannt (ON 30 S 14 f).

Dagegen meldeten der Angeklagte Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung (ON 30 S 16), die Staatsanwaltschaft Berufung (ON 34), an.

Die schriftliche Urteilsausfertigung, in der im Erkenntnis (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) zu VI ein Schuldspruch wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 StGB aufschien (ON 31 S 5), wurde nach deren Zustellung an den Verteidiger (am 9. Juli 2019; ON 36 S 3) und die Anklagebehörde (über Antrag Letzterer) mit Beschluss des Vorsitzenden des Schöffengerichts vom 22. Juli 2019 insoweit an das mündlich verkündete Urteil angeglichen (vgl dazu Danek, WK‑StPO § 270 Rz 56 f; ON 38).

Am 24. Juli 2019 wurde dem Verteidiger diese Entscheidung, nicht aber eine Abschrift des an die mündliche Verkündung angeglichenen Urteils zugestellt, deren Zustellung vielmehr in einem Klammervermerk erst für den Zeitpunkt nach Rechtskraft des Angleichungsbeschlusses in Aussicht genommen (ON 38 S 4 f).

Am 2. August 2019 führte der Angeklagte die angemeldeten Rechtsmittel aus (ON 39).

Aufgrund (durch bloßen Verweis auf die „Verfügung in ON 38“ missverständlicher) Verfügung des Vorsitzenden des Schöffengerichts vom 9. August 2019 erfolgte erneut (bloß) die Zustellung des Angleichungsbeschlusses vom 22. Juli 2019 an den Verteidiger mit dem Beisatz, dass „bereits eingebrachte Rechtsmittel und Gegenäußerungen ... erneut einzubringen“ seien (ON 41 S 1 ff).

Einen – als Begehren um Verlängerung der Frist des § 285 Abs 1 StPO beurteilten – Antrag des Angeklagten auf Erstreckung der „Frist für die Beschwerde auf den 9. September 2019“ vom 13. August 2019 (ON 42) gab das Landesgericht Innsbruck nicht Folge (ON 43) und wies mit dem angefochtenen Beschluss vom 23. September 2019 die „mündlich angemeldete Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 18. Juni 2019 …“ zurück (ON 44). In der Begründung nahm das Erstgericht auf eine angebliche Zustellung der angeglichenen Urteilsausfertigung an den Verteidiger am 24. Juli 2019 Bezug und vertrat die Ansicht, dass die zuvor übermittelte Urteilsausfertigung aufgrund deren rechtskräftiger Angleichung an das mündlich verkündete Urteil ebenso „gegenstandslos“ sei wie die „mit 2. August 2019 vom Angeklagten ausgeführten Rechtsmittel“. Da innerhalb der– durch den Fristerstreckungsantrag in ihrem Fortlauf gehemmten – Frist des § 285 Abs 1 erster Satz StPO bis zum 4. September 2019 keine (erneute) schriftliche Ausführung der angemeldeten Rechtsmittel eingelangt sei und der Angeklagte auch bei Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde die Nichtigkeitsgründe nicht einzeln und bestimmt bezeichnet habe, sei diese „als unzulässig zurückzuweisen“.

Dagegen richtet sich die rechtzeitige (vgl dazu Danek, WK-StPO § 270 Rz 57) Beschwerde des Angeklagten. Weiters

beantragt dieser – unter gleichzeitiger (neuerlicher) Ausführung der Rechtsmittel – die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung (ON 45).

Rechtliche Beurteilung

Die Beschwerde ist im Recht.

Im hier vorliegenden Fall einer Urteilsangleichung nach Zustellung der Urteilsabschrift muss die (verbesserte) Abschrift dem Rechtsmittelwerber erneut zugestellt werden. Ab diesem Zeitpunkt beginnt eine neue Ausführungsfrist zu laufen.

Die Zustellung bloß eines Beschlusses auf Urteilsangleichung löst die Frist nicht aus (Danek, WK‑StPO § 270 Rz 52 und 57; Ratz, WK‑StPO § 285 Rz 1 f; RIS‑Justiz

RS0098962).

Wie die Beschwerde zutreffend einwendet, wurde dem Angeklagten – entgegen den Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung – eine Abschrift des an die mündliche Verkündung angeglichenen Urteils (sohin eine vollständige Urteilsabschrift) weder am 24. Juli 2019 noch– nach dem Akteninhalt – zu einem späteren Zeitpunkt zugestellt, weshalb die Frist des § 285 Abs 1 StPO noch nicht zu laufen begonnen hat. Demzufolge durfte der Vorsitzende die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten nicht mangels rechtzeitiger Ausführung der Beschwerdegründe zurückweisen (§ 285a Z 2 StPO).

Der angefochtene Beschluss war daher ersatzlos aufzuheben.

Das Erstgericht wird die Zustellung nunmehr nachzuholen und die Akten nach Ablauf der damit ausgelösten neuen Ausführungsfrist (unabhängig davon, ob der Angeklagte von seinem Recht auf erneute Ausführung seiner Beschwerdegründe Gebrauch macht) dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 18. Juni 2019, GZ 38 Hv 52/19t‑31, vorzulegen haben.

Entgegen der im angefochtenen Beschluss vertretenen Rechtsansicht macht nämlich die Urteilsangleichung bereits eingebrachte Rechtsmittelausführungen nicht „gegenstandslos“. Dem Beschwerdeführer erwächst mit der Zustellung der verbesserten Urteilsabschrift nur erneut das Recht zur Ausführung seiner Beschwerdegründe. Macht er davon nicht Gebrauch, ist die bereits eingebrachte beachtlich (Ratz, WK‑StPO § 285 Rz 2; RIS‑Justiz RS0098953).

Da die Zustellung einer an das mündliche Urteil angeglichenen Urteilsausfertigung bis dato unterblieb, kann hier von einem solchen Verzicht auf eine erneute Rechtsmittelausführung nicht ausgegangen werden, womit über die bereits eingebrachten Ausführungen der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung noch nicht zu entscheiden war.

Der Antrag auf

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war mangels Versäumung einer prozessualen Frist gegenstandslos und demzufolge zurückzuweisen (RIS‑Justiz RS0101307; Lewisch , WK-StPO § 364 Rz 7).

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