OGH 11Os126/19t

OGH11Os126/19t10.12.2019

Der Oberste Gerichtshof hat am 10. Dezember 2019 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Jukic als Schriftführerin in der Strafsache gegen G***** und A***** wegen der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten sowie über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Schöffengericht vom 5. Juni 2019, GZ 11 Hv 46/19g‑122, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Geymayer, der Angeklagten und ihrer Verteidiger Mag. Lanzinger und Dr. Kirschner sowie des Privatbeteiligtenvertreters Mag. Kanzler zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0110OS00126.19T.1210.000

 

Spruch:

 

1./ Die Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten werden verworfen.

2./ In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird das angefochtene Urteil, das sonst unberührt bleibt, in der Nichtunterstellung der Taten des Erstangeklagten zu II./1./ unter §§ 12 zweiter Fall, 205 Abs 1 StGB, zu II./2./ unter §§ 12 zweiter Fall, 205 Abs 2 StGB, jener der Zweitangeklagten zu I./1./ unter § 205 Abs 1 StGB, zu I./2./ unter § 205 Abs 2 StGB, demgemäß auch im Strafausspruch aufgehoben und in diesem Umfang in der Sache selbst erkannt:

Durch die zu nachgenannten Punkten des Ersturteils angeführten Taten hat der Erstangeklagte

zu II./1./ (auch) das Verbrechen des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach §§ 12 zweiter Fall, 205 Abs 1 StGB,

zu II./2./ (auch) die Verbrechen des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach §§ 12 zweiter Fall, 205 Abs 2 StGB,

die Zweitangeklagte

zu I./1./ (auch) das Verbrechen des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 1 StGB,

zu I./2./ (auch) die Verbrechen des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 2 StGB

begangen.

3./ Sie werden hiefür sowie für je das Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB, die Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und die Verbrechen der pornographischen Darstellung Minderjähriger nach § 207a Abs 2 letzter Fall StGB, der Erstangeklagte jeweils auch nach § 12 zweiter Fall StGB, unter Anwendung des § 28 StGB nach § 206 Abs 1 StGB wie folgt verurteilt:

Der Erstangeklagte zu einer Freiheitsstrafe von 5 (fünf) Jahren, die Zweitangeklagte zu einer Freiheitsstrafe von 4 (vier) Jahren.

4./ Mit ihren Berufungen werden die Angeklagten und die Staatsanwaltschaft hierauf verwiesen.

5./ Gemäß § 38 Abs 1 Z 1 StGB wird die Vorhaft des Erstangeklagten von 13. November 2018, 9:07 Uhr, der Zweitangeklagten von 13. November 2018, 10:02 Uhr bis jeweils 5. Juni 2019, 14:05 Uhr auf die verhängten Strafen angerechnet.

6./ Den Angeklagten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden A***** des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (I./1./), der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (I./2./) sowie der Verbrechen der pornographischen Darstellung Minderjähriger nach § 207a Abs 2 erster Fall StGB (I./3./) und G***** des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach §§ 12 zweiter Fall, 206 Abs 1 StGB (II./1./), der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach §§ 12 zweiter Fall, 207 Abs 1 StGB (II./2./) sowie der Verbrechen der pornographischen Darstellung Minderjähriger nach §§ 12 zweiter Fall, 207a Abs 2 erster Fall StGB (II./3./) schuldig erkannt.

Danach haben in M***** und andernorts

I./ A*****

1./ am 23. Oktober 2018 mit ihrer am ***** 2005 geborenen Tochter C*****, sohin einer unmündigen Person, die aufgrund ihres tiefen Schlafs wehrlos war, unter Ausnützung dieses Zustands eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung unternommen, indem sie sich mit dem linken Zeigefinger ihrer Tochter (digital) vaginal penetrierte;

2./ im Zeitraum ab November 2017 bis 2. November 2018 außer dem Fall des § 206 StGB an ihrer am ***** 2005 geborenen Tochter C*****, sohin an einer unmündigen Person, die aufgrund ihres tiefen Schlafs wehrlos war, unter Ausnutzung dieses Zustands in wiederholten Angriffen eine geschlechtliche Handlung vorgenommen, indem sie

a./ deren entblößte Vagina mit ihrer Zunge berührte;

b./ mit ihrer nackten Scheide deren bekleidetes Gesäß berührte;

c./ mit ihrem linken Zeigefinger deren entblößte Vagina berührte;

d./ deren Intimbereich über der Bekleidung berührte;

e./ mit einem Finger deren Scheidenbereich berührte;

f./ mit ihrem Zeigefinger deren Intimbereich berührte;

g./ deren Scheide berührte;

h./ den rechten Fuß der C***** nahm und deren Ferse zu ihrer nackten Vagina führte und sich damit selbst stimulierte;

i./ mit dem rechten kleinen Finger über der Kleidung bohrende Bewegungen Richtung Scheideneingang ihrer Tochter ausführte;

3./ im Zeitraum „Mai“ [richtig: November; vgl US 5] 2017 bis 2. November 2018 pornographische Darstellungen Minderjähriger, und zwar wirklichkeitsnahe Abbildungen von geschlechtlichen Handlungen an einer unmündigen Person zum Zweck der Verbreitung hergestellt, indem sie die zu 1./ und 2./ beschriebenen Tathandlungen filmte und/oder fotografierte und [die Bild- und Videodateien; vgl US 9] an G***** über eine App bzw per E‑Mail weiterleitete;

II./ G***** im Zeitraum November 2017 bis 2. November 2018 A***** zu den unter I./ beschriebenen Tathandlungen bestimmt (§ 12 zweiter Fall StGB), indem er sie zu den jeweiligen Tathandlungen aufforderte und Anweisungen gab und sie anwies, diese zu filmen bzw zu fotografieren und [die Bild- und Videodateien; vgl US 9] an ihn weiterzuleiten, und zwar

1./ zu der unter Punkt I./1./ beschriebenen Tathandlung;

2./ zu den unter Punkt I./2./ beschriebenen Tathandlungen;

3./ zu den unter Punkt I./3./ beschriebenen Tathandlungen.

 

Gegen dieses Urteil richten sich die Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten G***** und A***** sowie der Staatsanwaltschaft, wobei die Angeklagte A***** den Schuldspruch I./1./ aus § 281 Abs 1 Z 5, 5a und 10 StPO, G***** den Schuldspruch II./1./ aus dem Grunde des § 281 Abs 1 Z 5a, 9 lit a und 10 StPO bekämpft, während sich die Staatsanwaltschaft aus dem Grunde des § 281 Abs 1 Z 10 StPO gegen die jeweilige Ablehnung der rechtlichen Unterstellung des zu I./1./ inkriminierten Sachverhalts auch unter § 205 Abs 1 StGB, der zu I./2./ maßgeblichen Geschehen auch unter § 205 Abs 2 StGB, des zu II./1./ inkriminierten Verhaltens auch unter §§ 12 zweiter Fall, 205 Abs 1 StGB sowie der zu II./2./ maßgeblichen Sachverhalte auch unter §§ 12 zweiter Fall, 205 Abs 2 StGB wendet.

 

Rechtliche Beurteilung

I./ Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten G*****:

Soweit die Tatsachenrüge (Z 5a) unter Bezugnahme auf die leugnende Einlassung des Nichtigkeitswerbers in der Hauptverhandlung (ON 121 S 8; vgl dazu US 11 ff) das Vorliegen tragfähiger Beweise für eine Bestimmung der Angeklagten A***** zu der im Schuldspruch I./1./ beschriebenen Missbrauchshandlung bestreitet und unter Hinweis auf die von dieser per Threema‑Chat und per E‑Mail kommunizierten Fantasien (ON 32 S 19 ff; ON 46 S 247 ff) ein eigeninitiatives Handeln der Genannten behauptet, wendet sie sich – nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung – nur in unzulässiger Weise gegen die tatrichterliche Beweiswürdigung (US 11 ff) und erweckt solcherart auch keine erheblichen Bedenken gegen die zu II./1./ getroffenen Urteilsfeststellungen (US 7 ff; RIS-Justiz RS0119583).

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) vermisst „ausreichende“ Feststellungen dahin, dass der Nichtigkeitswerber mit dem Vorsatz handelte, die Mitangeklagte zu einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung (iSd § 206 Abs 1 StGB) mit der Unmündigen zu veranlassen, erschöpft sich dabei aber – unter Darstellung eigenständiger Beweiswerterwägungen – nur in einer Bestreitung der Tatsachenbasis des Urteils, wonach G***** die Mitangeklagte aufforderte (US 7 f), sich mit dem Finger ihrer Tochter vaginal zu penetrieren, es ihm dabei darauf ankam (US 9), dass die Mitangeklagte durch seine Aufforderung diese Tathandlung setzt und er es überdies ernsthaft für möglich hielt und sich billigend damit abfand (US 8 f), dass C***** das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte und A***** mit ihrer unmündigen Tochter diese dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche vaginale Penetrationshandlung vornimmt (RIS-Justiz RS0099810).

Soweit sich die Subsumtionsrüge (Z 10) gegen eine „Qualifikation der Tathandlung“ II./1./ „als § 62 Abs 1 StGB“ [offenbar gemeint: gegen die rechtliche Unterstellung des zu II./1./ konstatierten Sachverhalts unter §§ 12 zweiter Fall, 206 Abs 1 StGB] mit der Argumentation wendet, „eine Penetrationshandlung“ sei „tatsächlich nicht zweifelsfrei festgestellt“ worden und daher auch „eine beischlafsähnliche Handlung letztlich nicht anzunehmen“, setzt sie den Urteilskonstatierungen (US 7 ff) nur erneut eigenständige Überlegungen zur Beweiskraft von Verfahrensergebnissen (hier: zu dem zu ON 46 erliegenden Video sowie zu den Einlassungen der Angeklagten) entgegen und verfehlt damit den Vergleich des in erster Instanz als erwiesen angenommenen Sachverhalts mit dem darauf angewendeten Gesetz (RIS-Justiz RS0099810).

Weshalb eine schlafende Unmündige nicht als Opfer eines schweren sexuellen Missbrauchs nach § 206 Abs 1 StGB in Betracht kommen bzw inwiefern es für die rechtliche Beurteilung des Geschehens nach diesem Tatbestand erforderlich sein sollte, dass das unmündige Opfer den schweren Missbrauch „aktiv“ (also bewusst) erlebt, demnach den Sexualbezug einer Handlung erkennen kann (vgl insofern aber: RIS‑Justiz RS0120163, RS0095109; Bertel/Schwaighofer BT II13 § 206 Rz 2; Leukauf/Steininger/Tipold StGB4 § 207 Rz 2), legt die Beschwerde über bloße Behauptungen hinaus nicht dar (RIS‑Justiz RS0116565, RS0116569).

Dass das hier in Rede stehende (mit Penetrationsvorsatz erfolgte) Einführen des Fingers einer Unmündigen in die Scheide einer erwachsenen Frau (US 7 ff) eine bestimmte Intensität haben bzw mit einer Demütigung des kindlichen Opfers verbunden sein müsste, um als dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung im Sinn des § 206 Abs 1 StGB zu gelten (vgl insofern aber RIS-Justiz RS0132647, https://www.ris.bka.gv.at/Ergebnis.wxe?Abfrage=Justiz&Rechtssatznummer=RS0095004&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=False [ab T7; insbes T17], https://www.ris.bka.gv.at/Ergebnis.wxe?Abfrage=Justiz&Rechtssatznummer=RS0095211&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=False [T4]; Philipp in WK2 StGB § 201 Rz 25; Fabrizy, StGB13 § 201 Rz 2; Hinterhofer SbgK § 201 Rz 47), vermag auch dieser Beschwerdeteil nicht aus dem Gesetz abgeleitet zu argumentieren (RIS‑Justiz RS0116565, RS0116569).

Gänzlich offen bleibt, inwiefern sich aus einer Passage des Beschlusses des Oberlandesgerichts Linz vom 22. Jänner 2019 (betreffend die zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung fassbare Verdachtslage – ON 88 S 3) ein dem Urteil anhaftender Rechtsfehler ableiten lassen sollte.

 

II./ Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten A*****:

Mit dem Vorwurf der „Aktenwidrigkeit“ (Z 5), der inhaltlich nur die Differenz zwischen dem eigenen Prozessstandpunkt und den zu I./1./ getroffenen Urteilsfeststellungen anspricht, wird keine unrichtige Wiedergabe eines Beweismittelinhalts durch formalen Vergleich von Zitat und Aktenlage (§ 281 Abs 1 Z 5 letzter Fall StPO; RIS-Justiz RS0099547) aufgezeigt, sondern nur das über das Tatgeschehen angefertigte und als DVD (zu ON 46) im Akt erliegende Video einer eigenständigen Würdigung unterzogen, um daraus andere, für die Nichtigkeitswerberin günstigere Schlüsse (als jene vom Erstgericht gezogenen; vgl US 7 f und 11 f) plausibel zu machen. Solcherart wird nur die tatrichterliche Beweiswürdigung auf im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässige Weise bekämpft (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 468).

Auch die Tatsachenrüge (Z 5a), die den (zu I./1./ getroffenen) Urteilsannahmen bloß eigene Beweiswerterwägungen (insbesondere zu dem über das Tatgeschehen angefertigten Video sowie zu der – eine pädophile Neigung in Abrede stellenden und ein Handeln auf Geheiß des Mitangeklagten bekundenden [ON 41 S 23 ff; ON 46 S 237 ff] – Einlassung der Nichtigkeitswerberin [vgl US 11 ff]) entgegenhält, um das Unternehmen einer digitalen Vaginalpenetration insgesamt in Zweifel zu ziehen, verlässt den aus Z 5a eröffneten Anfechtungsrahmen (RIS‑Justiz RS0119583).

Mit dem Einwand einer unzureichenden Tatsachenbasis zur Fundierung der Annahme einer „dem Beischlaf gleichzusetzenden“ geschlechtlichen Handlung (§ 206 Abs 1 StGB) argumentiert die Subsumtionsrüge (Z 10) nicht auf Basis des Urteilssachverhalts (RIS‑Justiz RS0099810), wonach die Angeklagte den Zeigefinger ihrer schlafenden Tochter ergriff, diesen ausstreckte, um sich mit dem Finger der Unmündigen vaginal zu penetrieren (US 7 f), ihn mehrfach in Richtung ihres Scheideneingangs bewegte (US 12 f) und den Finger ihrer Tochter in ihre Vagina einführte (US 13), wobei sie wusste, dass die Genannte das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, und es ernsthaft für möglich hielt und sich billigend damit abfand, durch diese Handlung mit einer unmündigen Person eine dem Beischlaf gleichzusetzende vaginale Penetrationshandlung vorzunehmen (US 8).

Dass diese Konstatierungen dem Tatbild des § 206 Abs 1 StGB nicht entsprechen, sondern „richtigerweise unter § 207 Abs 1 StGB zu subsumieren“ gewesen wären, bzw das Einführen eines Fingers einer Unmündigen in die Scheide einer erwachsenen Frau – um eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung iSd § 206 Abs 1 StGB darzustellen – eine bestimmte Intensität haben, mit einer Demütigung oder Erniedrigung des Opfers verbunden sein müsste oder auf ein bestimmtes (in der Beschwerde nicht näher bezeichnetes) Alter des unmündigen Opfers abzustellen wäre, entspricht nicht gefestigter jüngerer Rechtsprechung, wonach jede digitale Penetration das Tatbild einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung erfüllt (RIS‑Justiz RS0132647, https://www.ris.bka.gv.at/Ergebnis.wxe?Abfrage=Justiz&Rechtssatznummer=RS0095004&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=False [ab T7; zuletzt insbes T17], https://www.ris.bka.gv.at/Ergebnis.wxe?Abfrage=Justiz&Rechtssatznummer=RS0095211&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=False [T4]; Philipp in WK2 StGB § 201 Rz 25; Fabrizy, StGB13 § 201 Rz 2; Hinterhofer SbgK § 201 Rz 47).

 

Die Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten waren daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur zu verwerfen.

 

III./ Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft:

Diese strebt mit – entgegen der Argumentation der Generalprokuratur – (durchaus) methodisch korrekter Begründung eine

Unterstellung des festgestellten Sachverhalts jeweils auch unter das Verbrechen des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 1 bzw § 205 Abs 2 StGB (im Fall des Erstangeklagten überdies jeweils § 12 zweiter Fall StGB) an.

Soweit in diesem Zusammenhang von Bedeutung stellte das Erstgericht Folgendes fest:

Bei der Vornahme der § 206 Abs 1 StGB (I./1./) und § 207 Abs 1 StGB (I./2./) unterstellten Handlungen war die unmündige C***** wegen ihres Schlafs nicht in der Lage, gegen diese Tathandlungen Widerstand zu leisten, sie war daher wehrlos. Die Zweitangeklagte nahm die geschlechtlichen Handlungen unter Ausnutzung dieser Wehrlosigkeit der Unmündigen vor (US 6, 8). Die Zweitangeklagte wusste, dass C***** das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte und daher unmündig war, diese bei den Tathandlungen schlief und auf Grund dieses Zustands nicht in der Lage war, Widerstand zu leisten, sie also wehrlos war. Mit diesem Wissen hielt es die Zweitangeklagte zumindest ernstlich für möglich und fand sich billigend damit ab, an einer unmündigen und wehrlosen Person die oben näher beschriebenen geschlechtlichen Handlungen vorzunehmen. Dabei kam es ihr auch darauf an, die Wehrlosigkeit der C***** bei der Tatausführung auszunutzen (US 7, 8). Als der Erstangeklagte die Zweitangeklagte aufforderte, dass diese die geschlechtlichen Handlungen an C***** vornimmt, hielt er es zumindest ernstlich für möglich und fand sich billigend damit ab, dass C***** das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte und daher unmündig war. Mit diesem Wissen kam es dem Erstangeklagten gerade darauf an, dass die Zweitangeklagte an ihrer schlafenden, daher zum Widerstand unfähigen und deshalb wehrlosen unmündigen Tochter die oben beschriebenen geschlechtlichen Handlungen vornimmt und die Zweitangeklagte dabei diese Wehrlosigkeit ausnützt (US 7, 8 f).

Damit hat das Erstgericht – wie die Beschwerdeführerin zutreffend bemerkt – alle für die Unterstellung des Sachverhalts (auch) unter das Verbrechen nach § 205 Abs 1 bzw Abs 2 StGB erforderlichen Feststellungen getroffen. In rechtlicher Hinsicht führte es unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs (15 Os 178/00) und eine Kommentarmeinung (Philipp in WK2 StGB § 206 Rz 33) aus, dass § 205 Abs 1 und Abs 2 StGB von §§ 206 Abs 1, 207 Abs 1 StGB verdrängt würden.

Der Oberste Gerichtshof hat dazu erwogen:

Kann eine Tat unter die Tatbestände mehrerer strafbarer Handlungen subsumiert werden, ist prinzipiell von echter Idealkonkurrenz auszugehen und der Täter demnach wegen sämtlicher dieser strafbaren Handlungen zu verurteilen (RIS-Justiz RS0113812; Ratz in WK² StGB Vor §§ 28–31 Rz 37). Eine Verurteilung wegen nur einer dieser strafbaren Handlungen und Verdrängung der übrigen kommt nur dann in Betracht, wenn jene den gesamten Unwert abdeckt; die Prüfung einer solchen Scheinkonkurrenz erfolgt durch Zuordnung zu deren Typen Spezialität, Subsidiarität oder Konsumtion (Ratz in WK² StGB Vor §§ 28–31 Rz 26 und 81).

Spezialität erfordert, dass zwei strafbare Handlungen im Verhältnis von Gattung und Art stehen, eine daher sämtliche Merkmale der anderen enthält und dazu noch ein weiteres – spezielles – Merkmal (Ratz in WK² StGB Vor §§ 28–31 Rz 32; RIS-Justiz RS0091146), was hier nicht der Fall ist.

Eine – an den konkreten Umständen des Tatgeschehens zu messende (Ratz in WK² StGB Vor §§ 28–31 Rz 36 und 57) – Konsumtion des § 205 Abs 1 bzw Abs 2 StGB im Sinn einer typischen Begleittat zu § 206 Abs 1 oder § 207 Abs 1 StGB scheidet schon deshalb aus, weil es im Gegenstand an der Typizität mangelt (RIS-Justiz RS0124022, RS0090829, RS0091179, RS0091453; Ratz in WK² StGB Vor §§ 28–31 Rz 58).

Schließlich kann eine Verdrängung der Subsumtion unter § 205 Abs 1 oder Abs 2 StGB durch § 206 Abs 1 oder § 207 Abs 1 StGB auch nicht auf materielle (stillschweigende) Subsidiarität gestützt werden: Eine solche liegt nur dann vor, wenn die zusammentreffenden strafbaren Handlungen nach ihrem abstrakten Verhältnis zueinander erkennen lassen, dass eine davon nur dann begründet sein soll, wenn nicht eine andere begründet ist. Soll Subsidiarität gelten, bedarf es einer zweifelsfreien Begründung, die in Abweichung vom Grundsatz (echter) Idealkonkurrenz die Annahme rechtfertigt, der Gesetzgeber habe an deren Stelle stillschweigend Subsidiarität vorausgesetzt (Ratz in WK² StGB Vor §§ 28–31 Rz 36 f; RIS-Justiz RS0113812).

Entgegen mehrerer (diese Rechtsansicht nicht im Sinn der dargelegten Kriterien [Ratz in WK² StGB Vor§§ 28–31 Rz 81] begründenden) Kommentarmeinungen (Philipp in WK² StGB § 205 Rz 6 und Rz 27, § 206 Rz 33; Fabrizy, StGB13 § 205 Rz 8; Kienapfel/Schmoller StudB BT III2 §§ 206–207 Rz 50; Bertel/Schwaighofer BT II13 § 205 Rz 2 und 9; Leukauf/Steininger/Tipold StGB4 § 205 Rz 26; aM Hinterhofer,SbgK § 205 Rz 22 und 67; vgl insofern auch: Hinterhofer/Rosbaud BT II6 § 205 Rz 4 und 21) und der– vereinzelt gebliebenen (vgl § 8 Abs 1 OGH‑G) – Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 15 Os 178/00 (die die Gründe für die angenommene Scheinkonkurrenz nicht offenlegt) ist nicht davon auszugehen, dass das gesamte dem festgestellten Handeln der Angeklagten innewohnende Unrecht allein schon durch die Subsumtion unter §§ 206 Abs 1, 207 Abs 1 StGB erfasst wird. Vielmehr ist zwischen den Tathandlungen einerseits des § 205 Abs 1 bzw Abs 2 StGB sowie andererseits des § 206 Abs 1 StGB bzw § 207 Abs 1 StGB nicht ein solches kriminologisches Naheverhältnis auszumachen, von dem angenommen werden kann, dass der Gesetzgeber – der bewusst eine Trennung der bisherigen kumulativen Mischdelikte der §§ 127, 128 StG (Rittler, Lehrbuch 1. Band AT 95) auf §§ 205 Abs 1, 206 Abs 1 StGB einerseits und auf §§ 205 Abs 2, 207 Abs 1 StGB andererseits vornahm (vgl RIS‑Justiz RS0113812 [T2 erster Satz]) – es bei Aufstellung der Strafsätze ausreichend berücksichtigt habe (vgl Ratz in WK2 StGB Vor §§ 28–31 Rz 57, 58, 66 und 68).

Bloße Scheinkonkurrenz scheidet demnach aus (vgl RIS-Justiz RS0113811, RS0113812, RS0091179).

Folglich ist von echter Konkurrenz zwischen § 205 Abs 1 StGB und § 206 Abs 1 StGB einerseits und § 205 Abs 2 StGB und § 207 Abs 1 StGB andererseits auszugehen.

Demgemäß war in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wie aus dem Spruch (2./) ersichtlich zu erkennen.

Bei der Strafneubemessung war bei beiden Angeklagten das Zusammentreffen mehrerer Verbrechen und der längere Tatzeitraum als erschwerend zu werten, bei der Zweitangeklagten auch, dass es sich bei dem Opfer um ihre Tochter handelt, beim Erstangeklagten die Verführung hiezu (vgl Ebner in WK2 StGB § 33 Rz 14), mildernd waren der ordentliche Lebenswandel und die (Teil‑)Geständnisse. Hievon ausgehend entsprechen die verhängten Freiheitsstrafen dem Tatschuldgehalt und generalpräventiven Erfordernissen.

Mit ihren Berufungen waren die Angeklagten und die Staatsanwaltschaft auf die Neubemessung zu verweisen.

Die Vorhaftanrechnung folgt aus § 38 Abs 1 Z 1 StGB (vgl Lässig, WK-StPO § 400 Rz 1; RIS‑Justiz RS0091624).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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