OGH 12Os124/19f

OGH12Os124/19f5.12.2019

Der Oberste Gerichtshof hat am 5. Dezember 2019 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oshidari und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Dr. Brenner und Dr. Setz‑Hummel in Gegenwart der Schriftführerin Kontr. Fleischhacker in der Strafsache gegen Johann G***** wegen des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB idF BGBl 1974/60 und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 13. Juni 2019, GZ 16 Hv 105/18s‑35, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Leitner, des Verteidigers des Angeklagten Dr. Hauer und des Privatbeteiligtenvertreters Mag. Kerner zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0120OS00124.19F.1205.000

 

Spruch:

 

Die aus § 281 Abs 1 Z 5 und Z 5a StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird das Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in der rechtlichen Unterstellung aller zu I./ genannten Taten unter § 207 Abs 1 und Abs 2 StGB idF BGBl 1974/60 und aller zu II./ genannten Taten unter § 207 Abs 1 und Abs 3 StGB idF BGBl I 1998/153 und der zu III./ genannten Taten unter § 212 Abs 1 Z 2 StGB idgF sowie demzufolge auch im Strafausspruch aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:

Johann G***** hat durch die ihm zu I./ zur Last liegenden Taten in einem Fall das Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB idF BGBl 1974/60 und in einer unbestimmten Anzahl weiterer Fälle die Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB idF BGBl 1974/60, durch die ihm zu II./ zur Last liegenden Taten in einem Fall das Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB idF BGBl I 1998/153 und in einer unbestimmten Anzahl weiterer Fälle die Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB idF BGBl I 1998/153 sowie zu III./ die Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB idF BGBl 1974/60 begangen.

Er wird hiefür unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB und unter Bedachtnahme gemäß § 31 Abs 1 StGB auf das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 9. Oktober 2008, AZ 16 Hv 94/08h, zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt.

Mit seiner aus § 281 Abs 1 Z 11 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde und seiner Berufung gegen den Ausspruch über die Strafe wird der Angeklagte auf die Strafneubemessung verwiesen.

Seiner gegen den Privatbeteiligtenzuspruch erhobenen Berufung wird nicht Folge gegeben.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Johann G***** mehrerer Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 und Abs 2 (erster Fall; US 12) StGB idF BGBl 1974/60 (I./), mehrerer Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 und Abs 3 (erster Fall; US 14) StGB idF BGBl I 1998/153 (II./) und mehrerer Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB (III./) schuldig erkannt.

Danach hat er in L*****

I./ zwischen 23. November 1990 bis Herbst 1996 in zahlreichen Angriffen eine unmündige Person auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht missbraucht, indem er in wiederholten Angriffen seine am 23. November 1984 geborene Nichte Manuela P***** an der nackten Scheide berührte und einen Finger in diese einführte sowie ihre rechte Hand erfasste und sie zu seinem Penis führte, wobei die Taten eine schwere Körperverletzung, nämlich eine länger als 24 Tage dauernde Gesundheitsschädigung und Berufsunfähigkeit (posttraumatische Belastungsstörung) zur Folge hatten;

II./ zumindest ab 9. November 1997 bis spätestens zum Jahr 2000 außer dem Fall des § 206 StGB geschlechtliche Handlungen an einer unmündigen Person vorgenommen, indem er in wiederholten Angriffen seiner am 9. November 1993 geborenen Nichte Stefanie D***** die Unterhose wegzog und sie bei ihren Schamlippen streichelte, wobei die Taten eine schwere Körperverletzung, nämlich eine länger als 24 Tage dauernde Gesundheitsschädigung (posttraumatische Belastungsstörung; US 6) zur Folge hatten;

III./ zwischen 23. November 1990 und Herbst 1996 sowie zumindest ab 9. November 1997 bis spätestens zum Jahr 2000 in zahlreichen Angriffen durch die unter I./ und II./ geschilderten Taten mit minderjährigen Personen, die seiner Aufsicht unterstanden, geschlechtliche Handlungen vorgenommen.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus Z 5 und Z 5a des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten verfehlt ihr Ziel.

Die Mängelrüge (Z 5) bekämpft betreffend I./ des Schuldspruchs die Feststellung zum Tatzeitraum bis Herbst 1996 und zielt damit auf den Strafaufhebungsgrund der Verjährung ab.

Mit Blick auf § 58 Abs 2 StGB, welcher seit 1. Jänner 1975 (BGBl 1974/60) unverändert im Rechtsbestand ist, spricht das Vorbringen jedoch unter Berücksichtigung der von II./ des Schuldspruchs erfassten Taten keinen entscheidenden Umstand an. Nach der genannten Bestimmung tritt im Fall der neuerlichen Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung während der Verjährungsfrist durch den Täter die Verjährung nämlich nicht ein, bevor auch für diese Tat die Verjährungsfrist abgelaufen ist. Gemäß § 57 Abs 3 StGB idF BGBl 1974/60 ergibt sich aus der Strafdrohung des § 207 Abs 2 erster Fall StGB idF BGBl 1974/60 von einem bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe eine zehnjährige Verjährungsfrist (und nicht eine solche von fünf Jahren, wie es die Nichtigkeitsbeschwerde behauptet; vgl weiters § 58 Abs 3 Z 3 StGB idF BGBl I 1998/153 und die Übergangsregelung Art V Abs 3 des StRÄG 1998).

Im Übrigen kann der „Zweifelsgrundsatz“ (in dubio pro reo), auf welchen sich der Rechtsmittelwerber beruft, niemals Gegenstand der Nichtigkeitsgründe der Z 5 und Z 5a des § 281 Abs 1 StPO sein (RIS‑Justiz RS0102162).

Der Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 5a StPO greift seinem Wesen nach erst dann, wenn aktenkundige Beweisergebnisse vorliegen, die nach allgemein menschlicher Erfahrung gravierende Bedenken gegen die Richtigkeit der bekämpften Urteilsfeststellungen aufkommen lassen. Eine über die Prüfung erheblicher Bedenken hinausgehende Auseinandersetzung mit der Überzeugungskraft von Beweisergebnissen – wie sie die Berufung wegen Schuld des Einzelrichterverfahrens einräumt – wird dadurch nicht eröffnet (RIS‑Justiz RS0119583). Indem der Rechtsmittelwerber ausführt, die Zeugin D***** hätte sich auf einem Bild wiedererkannt, welches sich auf einem beim Angeklagten sichergestellten Datenträger befunden hatte, was jedoch in Widerspruch zu dem Gutachten des Sachverständigen DI Dr. F***** stehe, werden derartige Bedenken beim Obersten Gerichtshof jedoch nicht geweckt. Im Übrigen haben sich die Tatrichter mit diesem Umstand bei der Beweiswürdigung auseinandergesetzt und kamen zum Ergebnis, dass dies nichts an der Glaubwürdigkeit der Darstellung des Opfers ändern könne (US 9).

In Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur war daher die Nichtigkeitsbeschwerde, soweit sie sich auf § 281 Abs 1 Z 5 und Z 5a StPO stützt, zu verwerfen.

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde hat sich der Oberste Gerichtshof jedoch von nicht geltend gemachter unrichtiger Anwendung des materiellen Strafrechts (§ 281 Abs 1 Z 10 StPO) zum Nachteil des Angeklagten überzeugt, die von Amts wegen aufzugreifen war (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO; vgl 14 Os 172/11t, EvBl 2012/163, 1094 [verst Senat]):

Das Schöffengericht hat den Angeklagten zu I./ mehrerer Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB idF BGBl 1974/60 und zu II./ mehrerer Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB idF BGBl I 1998/153 schuldig erkannt. Dabei hat es verkannt, dass ein und derselbe Erfolg bei Realkonkurrenz strafbarer Handlungen die darauf bezogene Qualifikation nur bei einer der zusammentreffenden Taten (materielle Subsidiarität) begründet (RIS‑Justiz RS0120828). Das Erstgericht lastete dem Angeklagten die schwere Körperverletzung demgegenüber zu I./ und II./ jeweils bei jeder einzelnen Tat, somit nicht nur einmal jeweils zu I./ und zu II./ an.

Betreffend III./ des Schuldspruchs verstieß das Schöffengericht bei der nach § 61 zweiter Satz StGB vorzunehmenden Prüfung, ob das Tatzeitrecht in seiner Gesamtauswirkung für den Täter günstiger war als das Urteilszeitrecht, gegen das Verbot der Kombination unterschiedlicher Rechtsschichten im Fall der Idealkonkurrenz (RIS‑Justiz RS0119085 [T4, T5], RS0112939 [T9]), indem es diesbezüglich die geltende Rechtslage anwandte (US 15). Richtigerweise ist hier Tatzeitrecht anzuwenden.

Das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt zu bleiben hatte, war somit in der Subsumtion der Taten zu I./, II./ und III./ und demgemäß auch im Strafausspruch aufzuheben. Es war hinsichtlich der Subsumtion wie aus dem Spruch ersichtlich zu erkennen.

Bei der dadurch erforderlichen Strafneubemessung war gemäß §§ 31, 40 StGB auf das im Spruch näher bezeichnete Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz Bedacht zu nehmen, mit welchem über den Angeklagten wegen der Vergehen der pornographischen Darstellung Minderjähriger nach § 207a Abs 3 dritter und vierter Fall iVm Abs 4 Z 1 und Z 3 lit b StGB eine unbedingte Geldstrafe von 90 Tagessätzen á 30 Euro sowie eine unter Setzung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe von vier Monaten verhängt worden war (US 3). Das Unterlassen der Bedachtnahme auf diese Strafe durch das Erstgericht hat der Angeklagte in seiner Nichtigkeitsbeschwerde aus § 281 Abs 1 Z 11 StPO im Übrigen zutreffend gerügt.

Als erschwerend waren das Zusammentreffen mehrerer Verbrechen und Vergehen, das besonders geringe Alter der Opfer zur Tatzeit und der lange Deliktszeitraum zu werten, als mildernd hingegen das sehr lange Zurückliegen der Taten und der davor ordentliche Lebenswandel.

In Anbetracht dieser Strafzumessungsgründe war eine dem Unrecht der Tat und der Schuld des Angeklagten angemessene Zusatzstrafe wie aus dem Spruch ersichtlich zu verhängen.

Mit seiner aus § 281 Abs 1 Z 11 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde und seiner Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

Weshalb die den Privatbeteiligten zugesprochenen Schmerzengeldbeträge von 3.500 Euro bzw 4.000 Euro überhöht sein sollten, legt der Berufungswerber nicht dar.

Die – die amtswegige Maßnahme nicht umfassende – Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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