OGH 22Ds1/19w

OGH22Ds1/19w4.12.2019

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 4. Dezember 2019 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel als weiteren Richter sowie die Rechtsanwältin Dr. Mascher und den Rechtsanwalt Dr. Waizer als Anwaltsrichter in Gegenwart des Schriftführers Mag. Hauer in der Disziplinarsache gegen *****, Rechtsanwalt in *****, wegen der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes nach § 1 Abs 1 DSt über die Berufung des Beschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Tiroler Rechtsanwaltskammer vom 9. April 2018, GZ D 16‑50, 2 DV 17‑13‑23, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Mag. Schneider, und des Kammeranwalts Dr. Schmidinger zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0220DS00001.19W.1204.000

 

Spruch:

 

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Dem Beschuldigten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde ***** der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 DSt schuldig erkannt.

Danach hat er, nachdem er am 28. September 2016 die Vertretung der Christine S***** in einem Ehescheidungsverfahren gegen Johannes S***** übernommen und am 2. November 2016 die Ehescheidungsklage beim Bezirksgericht Reutte überreicht hatte, die Vertretung der Christine S***** im diesbezüglichen Verfahren beibehalten, obwohl er im Februar 2014 über Auftrag des Johannes S***** eine Vereinbarung zwischen diesem und Christine S***** überprüft hatte und diese Vereinbarung im Ehescheidungsverfahren (AZ 1 C 30/16y des Bezirksgerichts Reutte) thematisiert wurde und solcherart verfahrensgegenständlich war.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen wegen Vorliegens des Nichtigkeitsgrundes des § 281 Abs 1 Z 5 StPO und wegen des Ausspruchs über die Schuld erhobene Berufung des Beschuldigten geht fehl.

Undeutlichkeit im Sinn der Z 5 erster Fall ist gegeben, wenn – nach Beurteilung durch den Obersten Gerichtshof, somit aus objektiver Sicht – nicht für sämtliche unter dem Gesichtspunkt der Nichtigkeitsgründe relevanten Urteilsadressaten, also für den (hier) Berufungswerber und das Rechtsmittelgericht, unzweifelhaft erkennbar ist, ob eine entscheidende Tatsache in den Entscheidungsgründen festgestellt worden oder aus welchen Gründen die Feststellung entscheidender Tatsachen erfolgt ist (RIS‑Justiz RS0117995 [insbesondere T3 und T4]).

Unvollständig (Z 5 zweiter Fall) ist ein Erkenntnis dann, wenn (hier) der Disziplinarrat bei der für die Feststellung entscheidender Tatsachen angestellten Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO iVm § 77 Abs 3 DSt) erhebliche, in der mündlichen Verhandlung vorgekommene (§ 258 Abs 1 StPO iVm § 77 Abs 3 DSt) Verfahrensergebnisse unberücksichtigt ließ (13 Os 138/03, SSt 2003/93; RIS‑Justiz RS0118316).

Fehler in der Bedeutung dieser Nichtigkeitsgründe werden mit dem Vorbringen, das angefochtene Erkenntnis lasse „eine Darstellung der Vereinbarung, die auch laut den Feststellungen des Disziplinarrates vor der Eheschließung der Streitteile Christine und Johannes S***** abgeschlossen worden war“, vermissen, nicht behauptet.

Die Ableitung der Feststellung, wonach auch die angesprochene Vereinbarung Gegenstand des Verfahrens 1 C 30/16y des Bezirksgerichts Reutte war, aus den diesbezüglichen Schriftsätzen und Verhandlungsprotokollen (ES 3), ist unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit (Z 5 vierter Fall) nicht zu beanstanden.

Der Einwand, das inkriminierte Verhalten stelle keine Doppelvertretung im Sinn des § 10 Abs 1 RAO dar (der Sache nach Z 9 lit a), orientiert sich nicht an den Feststellungen des Disziplinarrats, wonach der Vertreter des Johannes S***** die in Rede stehende Vereinbarung im Verfahren 1 C 30/16y des Bezirksgerichts Reutte vorlegte und dazu ein diese Vereinbarung verletzendes Verhalten der Christine S***** (als Eheverfehlung) vorbrachte, der Beschuldigte als Vertreter der Letztgenannten auf dieses Vorbringen replizierte und beide Streitteile sich in mehreren Schriftsätzen auf die Vereinbarung bezogen (ES 3), und entzieht sich solcherart einer meritorischen Erledigung (RIS‑Justiz RS0099810).

Die Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld vermag mit ihren Ausführungen, wonach es für den Beschuldigten zur Zeit der Übernahme der Vertretung der Christine S***** und der Einbringung der Scheidungsklage für diese gegen seinen ehemaligen Mandanten Johannes S***** nicht vorhersehbar gewesen sei, dass die bezeichnete Vereinbarung auch Gegenstand des Scheidungsverfahrens sein werde, keine Bedenken an der Lösung der Schuldfrage zu wecken. Nach den insofern unbekämpft gebliebenen Feststellungen des Disziplinarrats vertrat der Beschuldigte Christine S***** nämlich auch dann noch im Scheidungsverfahren AZ 1 C 30/16y des Bezirksgerichts Reutte, als die in Rede stehende Vereinbarung dort Verhandlungsgegenstand war, was durch das dargestellte Berufungsvorbringen nicht tangiert wird.

Der Disziplinarrat verhängte über den Beschuldigten nach § 16 Abs 1 Z 2 DSt eine Geldbuße von 1.500 Euro und wertete dabei den Umstand erschwerend, dass dieser die Vertretung der Christine S***** beibehielt, obwohl die diesbezügliche Problematik der Doppelvertretung (§ 10 Abs 1 RAO) in der am 2. Oktober 2017 vor dem Bezirksgericht Reutte durchgeführten mündlichen Verhandlung ausdrücklich thematisiert wurde, den bislang ordentlichen Lebenswandel als mildernd.

Zur Strafbemessung sind im anwaltlichen Disziplinarverfahren die entsprechenden Bestimmungen des Strafgesetzbuchs (§§ 32 ff StGB) sinngemäß heranzuziehen (RIS‑Justiz RS0054839).

Ausgehend davon, dass zu den vom Disziplinarrat herangezogenen Erschwerungs‑ und Milderungsgründen die Begehung zweier Disziplinarvergehen erschwerend (§ 33 Abs 1 Z 1 StGB) hinzutritt (§ 32 Abs 2 erster Satz StGB), erweist sich unter Bedachtnahme auf die Einkommens‑ und Vermögensverhältnisse des Beschuldigten sowie mit Blick auf die allgemeinen Grundsätze der Strafbemessung des § 32 StGB die ausgesprochene Sanktion einer Reduktion keinesfalls zugänglich.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 54 Abs 5 DSt.

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