European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0070OB00133.19P.1023.000
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei und deren Nebenintervenientin die jeweils mit 2.629,62 EUR (darin enthalten 438,27 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
K***** V***** schloss mit der Beklagten am 5. August 1999 einen Er‑ und Ablebensversicherungsvertrag der wie folgt lautet:
„Kapitalversicherung mit Gewinnbeteiligung nach Tarif L 11
[…]
Versicherungssumme ATS 5.130.000 (= EUR 372.811,64) […]
Versicherungsbeginn 1. Mai 1999
Versicherungsablauf 1. Mai 2014
Versicherungsdauer 15 Jahre
Prämienzahldauer 12 Jahre
Die Versicherungssumme wird sofort fällig, wenn der Versicherte während der Versicherungsdauer stirbt oder den Ablauf der Versicherungsdauer erlebt.
[…]
Vereinbarungsgemäß wird festgehalten, dass die Leistungen aus diesem Lebensversicherungsvertrag zum Jahresstichtag jährlich durch Erhöhung der Prämie im Verhältnis der Steigerung des zuletzt verlautbarten Index der Verbraucherpreise (Basis 1986 = 100) des österreichischen statistischen Zentralamts – mindestens aber um 4 % – bei gleichzeitiger Erhöhung der Versicherungssumme in entsprechendem Ausmaß den gestiegenen Verbraucherpreisen angeglichen werden. Diese Vereinbarung endet spätestens mit Erreichung des 75. Lebensjahres.
Ausgangsindex für Wertanpassung 134,2
[…]“
Die Beklagte informierte den Versicherungsnehmer ab dem Jahr 2000 bis einschließlich 2009 mit insgesamt neun Schreiben zu den Anpassungen aufgrund der Indexklausel, wobei jeweils die aktuelle Versicherungssumme und die aktuelle jährliche Prämie angegeben wurden. Es wurde darauf hingewiesen, dass gemäß den Bestimmungen der bei Abschluss der Lebensversicherung vereinbarten Indexklausel die Beklagte mit Wirkung 1. Mai des jeweiligen Jahres die Prämie um 4 % erhöht und gleichzeitig die Versicherungssumme im versicherungstechnisch erforderlichen Ausmaß angehoben hat.
Im November 2002 verpfändete der Versicherungsnehmer den Versicherungsvertrag an die Nebenintervenientin, die die Verpfändung der Beklagten anzeigte.
Am 31. März 2014 informierte die Beklagte den Versicherungsnehmer über den Ablauf des Versicherungsvertrags per 1. Mai 2014, bezifferte den Auszahlungsbetrag mit 475.151,97 EUR und schlüsselte diesen mit einer Versicherungssumme von 459.599,23 EUR und einem Gewinnanteil von 15.552,74 EUR auf.
Am 14. Juli 2014 forderten der Versicherungsnehmer und die Klägerin von der Beklagten die Auszahlung von 671.412,70 EUR. Am 18. November 2014 forderten der Versicherungsnehmer und die Klägerin die Beklagte unter Berücksichtigung der mittlerweile erfolgten Auszahlung von 475.151,97 EUR auf, den restlichen Betrag von 196.260,73 EUR zu bezahlen.
Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom 4. Dezember 2014 ab.
Am 21. August 2017 trat der Versicherungsnehmer seine Ansprüche aus dem zur Beklagten bestehenden Versicherungsverhältnis an die Klägerin zum Inkasso ab, welche die Abtretung annahm.
Die Versicherungssumme zum jeweiligen Stichtag ergibt sich rechnerisch aus der Versicherungssumme aus dem Vorjahr zuzüglich der Versicherungssumme aus der Prämienerhöhung. Letztere berechnet sich auf Basis des Rechnungszinses und dem Tafelwert der Sterbetabelle aus dem Vertrag. Der Betrag von 475.151,97 EUR stimmt mit dem vereinbarten Geschäftsplan überein.
Die Klägerin begehrt die Zahlung von 196.260,73 EUR sA, hilfsweise eine Zahlung an die Nebenintervenientin. Der Versicherungsnehmer habe ihr die gegenständliche Forderung gegen die Beklagte zum Inkasso abgetreten. Die Versicherung habe als Tilgungsträger für ein Kreditkonto bei der Nebenintervenientin gedient. Der Versicherungsvertrag habe vorgesehen, dass die Versicherungssumme mit einer jährlichen Steigerung um 4 % indexiert werde. Dies ergebe für das Jahr 2014 eine Versicherungssumme von 671.412,70 EUR, es seien allerdings nur 475.151,97 EUR bezahlt worden. Nach unrichtiger Auslegung der Klausel durch die Beklagte sei lediglich eine jährliche Erhöhung der Versicherungsprämie um mindestens 4 % vereinbart worden, während die Versicherungssumme keiner Mindeststeigerung unterliegen sollte. Tatsächlich hätte aber auch die Versicherungssumme um mindestens 4 % jährlich steigen sollen.
Die Beklagte beantragt die Klagsabweisung und wandte ein, dass die Indexklausel von der Klägerin falsch interpretiert werde. Es sei eine Indexierung der Prämie vorgesehen gewesen. Diese erfolge aufgrund der im Vertrag enthaltenen Klausel auf Basis des Verbraucherpreisindex. Liege der Index unter 4 %, sei eine Prämienanpassung von zumindest 4 % vorgesehen. Eine Auslegung wie von der Klägerin gewünscht, wonach die Versicherungssumme zwingend um einen Prozentsatz von 4 % jährlich erhöht werde, widerspreche dem vereinbarten Tarif L 11 sowie versicherungstechnischen Maßstäben. Die Anpassung der Versicherungssumme erfolge auf Grundlage des Eintrittsalters, der Versicherungsdauer sowie der Prämienzahlungsdauer. Das Verständnis der Klägerin laufe jedweden versicherungsmathematischen und vertraglichen Grundlagen zuwider.
Die Nebenintervenientin schloss sich im Wesentlichen dem Vorbringen der Beklagten an.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Bereits die gewählte Formulierung der Indexklausel spreche gegen die von der Klägerin vertretene Auslegung. Vereinbart sei nämlich eine Erhöhung der Versicherungssumme in „entsprechendem Ausmaß“ gewesen. Bei Auslegung der Indexklausel im Sinn des Prozessstandpunkts der Klägerin wäre mit einer Prämienerhöhung von 4 % nicht das Auslangen zu finden gewesen.
Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Gerade die in den Versicherungsbedingungen gewählte Formulierung „im entsprechenden Ausmaß“ verdeutliche, dass nicht von einer Erhöhung der Versicherungssumme im gleichen Ausmaß, sondern von einem angemessenen oder verhältnismäßigen Ausmaß der Erhöhung der Versicherungssumme im Verhältnis zur Erhöhung der Prämie auszugehen sei. Im Gegensatz zur Auffassung der Klägerin bedeute das Wort „entsprechend“ nicht Identität auf unterschiedlicher Basis. Außerdem sei einem durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmer einsichtig, dass bei einer Er‑ und Ablebensversicherung (bei immer kürzer werdender Versicherungsdauer und damit immer kürzer werdender Prämienveranlagungsmöglichkeit für den Versicherer, bei gleichzeitig steigendem Risiko aus der Ablebensversicherung wegen steigendem Alter des Versicherungsnehmers) eine Prämienerhöhung nicht im gleichen Ausmaß zu einer Leistungserhöhung führe. Ein durchschnittlich verständiger Versicherungsnehmer verstehe die Klausel auch nicht so, dass sogar trotz Ende der Prämienzahlungsdauer die Versicherungsleistung weiterhin um 4 % steige.
Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil zur Auslegung der allgemein verwendeten Wertsicherungsklausel im Bereich der Er‑ und Ablebensversicherung keine oberstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision der Klägerin mit einem Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte begehrt, die Revision zurückzuweisen; hilfsweise ihr keine Folge zu geben.
Die Nebenintervenientin beantragt, der Revision keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.
1. Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung (§§ 914 ff ABGB) auszulegen, und zwar orientiert am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers und stets unter Berücksichtigung des erkennbaren Zwecks einer Bestimmung (RS0050063 [T71]; RS0112256 [T10]; RS0017960). Die Klauseln sind, wenn sie nicht Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen; dabei ist der einem objektiven Beobachter erkennbare Zweck einer Bestimmung zu berücksichtigen (RS0008901 [insb T5, T7, T87]). Unklarheiten gehen dabei zu Lasten der Partei, von der die Formulare stammen, das heißt im Regelfall zu Lasten des Versicherers (RS0050063 [T3]).
1.1 Die vorliegende Vertragsbestimmung sieht eine dynamische Erhöhung der Beiträge und Leistungen des Versicherungsvertrags vor. Zweck solcher Klauseln ist die Anpassung des Versicherungsumfangs an die vermutete Änderung des Bedarfs während der Vertragsdauer. Der Bedarf kann durch verschiedene Gründe ansteigen, wie etwa Geldwertschwankungen, Kaufkraftschwund, aber auch wegen Einkommensentwicklungen des Versicherungsnehmers (vgl Goll/Gilbert/Steinhaus , Handbuch der Lebensversicherung 174 f; Winter in Baumann/Beckmann/K. Johannsen/R. Johannsen/Koch , Versicherungsvertragsgesetz 9 Bd 8/1 § 163 Rn 40; Armbrüster in Prölls/Martin VVG 30 Vorbem zu §§ 74–99, Rn 10).
1.2 Die Klausel sieht eine Angleichung (Erhöhung) der Leistung aus dem Lebensversicherungsvertrag vor, die durch eine Erhöhung der Prämien erzielt wird, welche zu einer Erhöhung der Versicherungssumme im entsprechenden Ausmaß führt. Bereits aus dem Wortlaut der Klausel folgt eindeutig, dass sich die Erhöhung um den Verbraucherpreisindex/um mindestens 4 % ausschließlich auf die Prämie bezieht, die Versicherungssumme sich aber nur im „entsprechenden Ausmaß“ erhöhen soll. Aus dieser Wortfolge ist entgegen der Ansicht der Klägerin nicht auf die Erhöhung der Versicherungssumme im „gleichen prozentuellen Ausmaß“ zu schließen. Das Adjektiv „entsprechend“ bedeutet „im richtigen Verhältnis stehend“, sodass auch der durchschnittlich verständige Versicherungsnehmer die Wortfolge „im entsprechenden Verhältnis“ dahin verstehen muss, dass die Versicherungssumme nur in einem verhältnismäßigen Ausmaß zur Erhöhung der Prämie vorgenommen wird. Dies folgt auch daraus, dass keine „und-Verknüpfung“ (… Erhöhung der Prämien und der Versicherungssumme um …) vorgenommen ist. Keinesfalls kann der Klausel die Bedeutung unterstellt werden, dass sogar trotz Beendigung der Prämienzahlungen die Versicherungssumme dennoch jährlich um 4 % steigt; sich also eine Erhöhung der Versicherungssumme völlig losgelöst von der Erhöhung der Prämienzahlung ergibt.
Das Auslegungsergebnis der Vorinstanzen, dass nach der fraglichen Klausel die Anpassung der Versicherungssumme jedenfalls nicht im gleichen Ausmaß wie die Erhöhung der Prämien erfolgt (lediglich das ist Gegenstand des Revisionsverfahrens), ist nicht zu beanstanden.
1.3 Gegen dieses Auslegungsergebnis spricht auch nicht die Argumentation der Klägerin, dass in den letzten drei prämienfreien Versicherungsjahren für den Ablebensfall überhaupt kein Risiko mehr bestanden habe und die Erhöhung der Versicherungssumme wirtschaftlich gesehen nichts anderes als eine Verzinsung des bereits einbezahlten Kapitals darstelle. Hier übersieht sie, dass sich aus dem insofern völlig eindeutigen Wortlaut der Klausel keine garantierte Verzinsung des angesparten Kapitals ergibt.
2. Der Revision war damit keine Folge zu geben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.
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