European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0170OB00010.19Y.0905.000
Spruch:
Das angefochtene Urteil wird, soweit es die Abweisung des Teilbegehens, die beklagten Parteien seien zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei 18.168,21 EUR samt 4 % Zinsen seit 15. 6. 2015 zu zahlen, bestätigt, samt dem ihm vorangegangenen Berufungsverfahren als nichtig aufgehoben. Die Berufung der klagenden Partei wird insoweit als verspätet zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist – in Abänderung der Kostenentscheidung über die Berufung der klagenden Partei – schuldig, den beklagten Parteien die mit 3.372,28 EUR (darin 562,05 EUR USt) bestimmten Kosten der Berufungsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sowie – im Umfang der Nichtigerklärung – des Berufungsverfahrens werden gegenseitig aufgehoben.
Begründung:
Der Kläger begehrte mit seiner Klage, die Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung von 31.555,32 EUR zu verurteilen sowie den Erstbeklagten zur Zahlung weiterer 27.473,28 EUR, dies jeweils samt 4 % Zinsen seit 15. 6. 2015. Die Klage wurde mit Urteil des Erstgerichts vom 30. 8. 2018, das den Parteien am 31. 8. 2018 zugestellt wurde, abgewiesen.
Der Kläger beantragte am 6. 9. 2018 die Bewilligung der Verfahrenshilfe dahingehend, dass er von den Gerichtsgebühren für das zweitinstanzliche Verfahren befreit werde. Das Erstgericht trug dem Kläger mit Beschluss vom 17. 9. 2018 auf, den Verfahrenshilfeantrag durch die Vorlage eines nicht mehr als vier Wochen alten Vermögensbekenntnisses binnen 14 Tagen zu verbessern. Der Kläger entsprach diesem Auftrag am 19. 9. 2018. Das Erstgericht gewährte dem Kläger mit Beschluss vom 20. 9. 2018 „die Verfahrenshilfe für das zweitinstanzliche Verfahren im vollen Umfang des § 64 Abs 1 Z 1 lit a ZPO“ und sprach aus, dass dem Kläger folgende Begünstigungen gewährt werden: „1. die einstweilige Befreiung von der Entrichtung der a) Gerichtsgebühr und anderen bundesgesetzlich geregelten staatlichen Gebühren“. Dieser Beschluss wurde dem Kläger am 24. 9. 2018 zugestellt.
Am 3. 10. 2018 brachte der Kläger die Berufung ein. Die Beklagten erstatteten rechtzeitig eine Berufungsbeantwortung, in der sie die Frage der Rechtzeitigkeit der Berufung nicht thematisierten.
Das Berufungsgericht wertete im angefochtenen Urteil ohne inhaltliche Auseinandersetzung die Berufung als rechtzeitig, gab ihr nicht Folge und verurteilte den Kläger zum Ersatz der Kosten des Berufungsverfahrens. Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht nicht zu.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die rechtzeitige außerordentliche Revision des Klägers mit einem auf Verurteilung der Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung von 18.168,21 EUR samt 4 % Zinsen seit 15. 6. 2015 gerichteten Abänderungsantrag. Hinsichtlich der Bestätigung der Abweisung des darüber hinausgehenden Klagebegehrens lässt der Kläger das Berufungsurteil unbekämpft.
Die Beklagten beantragen in der ihnen freigestellten Revisionsbeantwortung, die außerordentliche Revision mangels der Voraussetzungen des § 502 (1) ZPO als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
1. Die außerordentliche Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts zulässig, weil hinsichtlich des vor dem Obersten Gerichtshof noch strittigen Betrags von 18.168,21 EUR samt 4 % Zinsen seit 15. 6. 2015 eine Nichtigkeit der angefochtenen Entscheidung aufzugreifen ist. Der Wahrnehmung einer Nichtigkeit kommt immer erhebliche Bedeutung zur Wahrung der Rechtssicherheit iSd § 502 Abs 1 ZPO zu (RIS‑Justiz RS0042743 [T2]).
2. Die Berufungsfrist beträgt vier Wochen (§ 464 Abs 1 HalbS 1 ZPO). Sie beginnt für jede Partei mit der an sie erfolgten Zustellung der schriftlichen Ausfertigung des Urteils (§ 464 Abs 2 HalbS 1 ZPO). Hat eine die Verfahrenshilfe genießende oder beantragende Partei innerhalb dieser Frist die Beigebung eines Rechtsanwalts beantragt, so beginnt für sie die Berufungsfrist mit der Zustellung des Bescheides über die Bestellung des Rechtsanwalts und einer schriftlichen Urteilsausfertigung an ihn (§ 464 Abs 3 Satz 1 HalbS 1 ZPO). Wird der rechtzeitig gestellte Antrag auf Beigebung eines Rechtsanwalts abgewiesen, so beginnt die Berufungsfrist mit dem Eintritt der Rechtskraft des abweisenden Beschlusses (§ 464 Abs 3 Satz 2 ZPO).
Bei der Bestimmung des § 464 Abs 3 ZPO handelt es sich um eine für das streitige Verfahren geschaffene Ausnahmebestimmung, deren Heranziehung nur in dem vom Gesetz angeführten Fall zulässig ist (
RS0007016 [T1]). Ein lediglich auf die Begünstigung nach § 64 Abs 1 Z 1 lit a bis f ZPO abzielender Verfahrenshilfeantrag beeinflusst den Beginn der Rechtsmittelfrist nicht (
RS0041683 [T2]; 4 Ob 99/10b).
Die Berufung des Klägers war demnach verspätet, das Ersturteil bei Einbringung der Berufung bereits in Rechtskraft erwachsen.
3. Die Rechtskraft des Urteils ist von Amts wegen zu berücksichtigen (§ 411 Abs 2 ZPO). Die sachliche Erledigung einer verspäteten Berufung begründet wegen Verstoßes gegen die Rechtskraft des erstgerichtlichen Urteils Nichtigkeit. Dies ist vom Obersten Gerichtshof aus Anlass einer rechtzeitigen und zulässigen Revision von Amts wegen (
RS0062118; A. Kodek in Rechberger, ZPO5 § 503 Rz 2) insoweit aufzugreifen, als sie einen Teil des Klagebegehrens betrifft, der Gegenstand des Revisionsverfahrens ist (1 Ob 190/05f = RS0039826 [T4]).
Hier liegt eine rechtzeitige und nicht jedenfalls unzulässige Revision hinsichtlich der Bestätigung der Abweisung der Klage (auch) in Bezug auf einen Teilbetrag von 18.168,21 EUR samt 4 % Zinsen seit 15. 6. 2015 vor. Jeweils in diesem Umfang ist daher das angefochtene Berufungsurteil sowie das ihm vorangegangene Berufungsverfahren als nichtig aufzuheben und die verspätete Berufung des Klägers insoweit zurückzuweisen (vgl 9 Ob 151/04b; 2 Ob 254/05z; 1 Ob 190/05f; 3 Ob 52/15s).
4. Die teilweise Nichtigerklärung des angefochtenen Berufungsurteils schlägt im selben Umfang auf die berufungsgerichtliche Kostenentscheidung durch. Nicht umfasst von der Zurückweisung ist die Berufung hinsichtlich des restlichen Teils des Klagebegehrens erster Instanz, somit hinsichtlich eines Streitwerts von 40.860,39 EUR sA. Die Kostenentscheidung des Berufungsgerichts, das ausgehend von einem Streitwert von 59.028,60 EUR den Beklagten gemäß §§ 41, 50 ZPO vollen Ersatz der Kosten des Berufungsverfahrens zusprach, ist dahingehend abzuändern, dass den Beklagten der volle Kostenersatz nur auf Basis eines Teilstreitwerts von 40.860,39 EUR zusteht (vgl 1 Ob 190/05f).
Hinsichtlich der Kosten des Revisionsverfahrens sowie des Berufungsverfahrens, insoweit es Gegenstand des Revisionsverfahrens ist und daher für nichtig erklärt wurde, beruht die Kostenaufhebung auf § 51 Abs 2 ZPO. Der Kläger hat die Nichtigkeit des Berufungsverfahrens durch die Einbringung der Berufung, deren Verspätung ihm bekannt sein musste, verschuldet (9 Ob151/04b). Die Beklagten haben weder in ihrer Berufungs‑ noch in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Verspätung bzw die bereits eingetretene Rechtskraft hingewiesen. Da damit beide Seiten ein Verschulden an der Nichtigerklärung trifft, sind die Kosten gegeneinander aufzuheben (2 Ob 254/05z; 9 Ob 2/07w = RS0122082; 3 Ob 52/15s; 9 Ob 22/16z; M. Bydlinski in Fasching/Konecny , Zivilprozessgesetze 3 § 51 ZPO Rz 10; Fucik in Rechberger , ZPO 4 § 51 Rz 4).
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