European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0050NC00020.19I.0902.000
Spruch:
Dem Ordinationsantrag wird stattgegeben.
Zur Verhandlung und Entscheidung über die beabsichtigte Klage wird das Bezirksgericht Schwechat als örtlich zuständiges Gericht bestimmt.
Der Antrag der Antragsteller auf Kostenzuspruch wird zurückgewiesen.
Begründung:
Die Antragsteller streben – gestützt auf die Verordnung (EG) Nr 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. 2. 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr 295/91 (in der Folge kurz „Fluggastrechte-Verordnung“) – die Verpflichtung des beklagten Luftfahrtunternehmens zur Zahlung von jeweils 400 EUR an. Teil eines von den Klägern abgeschlossenen Pauschalreisevertrags sei die Beförderung durch die Beklagte als ausführendes Luftfahrtunternehmen gewesen. Der von der Beklagten in Erfüllung eines von den Klägern abgeschlossenen Pauschalreisevertrags durchgeführte Flug von Wien nach Marsa Alam habe eine um mehr als drei Stunden verspätete Ankunft gehabt.
Die Antragsteller beantragen die Ordination gemäß § 28 Abs 1 Z 2 JN und die Zuweisung des Rechtsstreits an das Bezirksgericht Schwechat. Die Kläger seien Verbraucher mit gewöhnlichem Aufenthalt in Österreich. Das beklagte Unternehmen habe seinen Sitz in Ägypten. Der allgemeine Gerichtsstand der Beklagten befinde sich daher in Ägypten. Es sei keine Norm ersichtlich, aus welcher sich die Zuständigkeit eines bestimmten österreichischen Gerichts ergebe. Das Bezirksgericht Schwechat habe zwar als das für das Gebiet des Flughafens Wien-Schwechat zuständige Gericht die engste Verbindung zum vorliegenden Rechtsstreit. Nach der Rechtsprechung des Bezirksgerichts Schwechat und des Landesgerichts Korneuburg als Gericht zweiter Instanz sei der Gerichtsstand des Erfüllungsorts nach § 88 Abs 1 JN jedoch nicht gegeben. Die inländische (österreichische) Gerichtsbarkeit müsse aber gegeben sein, weil den Klägern die Rechtsverfolgung in Ägypten nicht möglich sei. Eine Klageführung gegen die Beklagte vor ihrem Sitzgericht sei mangels Anwendung der Fluggastrechte-Verordnung durch ägyptische Gerichte aussichtslos. Selbst wenn ägyptische Gerichte nicht nationales ägyptisches Recht, sondern EU‑Gemeinschaftsrecht anwendeten, wäre dennoch von einer übermäßigen Erschwernis für die Antragsteller als Verbraucher auszugehen. Ein Urteil ägyptischer Gerichte könnte in Österreich nicht vollstreckt werden.
Rechtliche Beurteilung
Die Voraussetzungen für eine Ordination durch den Obersten Gerichtshof sind gegeben.
1. Für den Fall, dass für eine bürgerliche Rechtssache die Voraussetzungen für die örtliche Zuständigkeit eines inländischen Gerichts nicht gegeben oder nicht zu ermitteln sind, bestimmt § 28 Abs 1 Z 2 JN, dass der Oberste Gerichtshof aus den sachlich zuständigen Gerichten eines zu bestimmen hat, welches für die fragliche Rechtssache als örtlich zuständig zu gelten hat, wenn der Kläger österreichischer Staatsbürger ist oder seinen Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz im Inland hat und im Einzelfall die Rechtsverfolgung im Ausland nicht möglich oder unzumutbar wäre. Die Bestimmung des § 28 Abs 1 Z 2 JN erweitert demnach die internationale Zuständigkeit Österreichs, indem eine Notkompetenz für den Fall, dass die Rechtsverfolgung im Ausland nicht möglich oder unzumutbar ist, eröffnet wird (8 Nc 16/19y; 6 Nc 1/19b).
2. Die Ordination durch den Obersten Gerichtshof setzt voraus, dass die Voraussetzungen für die örtliche Zuständigkeit eines inländischen Gerichts nicht gegeben sind oder sich nicht ermitteln lassen (RIS‑Justiz RS0108569; RS0114391; RS0117256; RS0118239). Die Ordination hat daher zu unterbleiben, wenn ohnehin ein Gerichtsstand im Inland besteht. Der Oberste Gerichtshof hat dies anhand der Angaben im Ordinationsantrag zu prüfen (2 Nc 2/19w; RS0117256).
3.1. Aus dem Vorbringen der Antragsteller ergibt sich kein Gerichtsstand im Inland.
3.2. Auf den Gerichtsstand des Erfüllungsorts nach Art 7 Nr 1 lit a der VO (EU) Nr 1215/2012 (EuGVVO 2012) können sich die Antragsteller nicht berufen, weil die Antragsgegnerin nach deren Vorbringen ihren ausschließlichen Sitz iSd Art 63 Nr 1 EuGVVO 2012 in einem Drittstaat hat (8 Nc 24/18y).
3.3. Es ist daher zu prüfen, ob für den Anspruch der Antragsteller nach den innerstaatlichen Zivilprozessgesetzen ein Wahlgerichtsstand in Österreich besteht. Nach dem Antragsvorbringen kommt (nur) der Gerichtsstand des Erfüllungsorts nach § 88 Abs 1 JN in Betracht. Klagen auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Vertrags, auf Erfüllung oder Aufhebung desselben sowie auf Entschädigung wegen Nichterfüllung oder wegen nicht gehöriger Erfüllung können nach § 88 Abs 1 JN bei dem Gericht des Orts erhoben werden, an welchem der Vertrag nach Übereinkunft der Parteien vom Beklagten zu erfüllen ist. Die Vereinbarung muss urkundlich nachgewiesen werden. Dieser Gerichtsstand des Erfüllungsorts nach § 88 Abs 1 JN ist nur bei ausdrücklicher und urkundlich nachweisbarer Vereinbarung des Erfüllungsorts gegeben, also jedenfalls dann nicht, wenn mangels einer Vereinbarung, die sich von den übrigen Parteienvereinbarungen deutlich abhebt, bestimmt und direkt auf die Festlegung eines Erfüllungsorts gerichtet ist, der Erfüllungsort aufgrund materiell-rechtlicher Vorschriften ermittelt werden muss (RS0046717). Die Vereinbarung muss also ausdrücklich und direkt die Bestimmung des Erfüllungsorts bezwecken; es darf nicht dem Gericht überlassen bleiben, den Erfüllungsort unter Anwendung des materiellen Rechts zu bestimmen (7 Ob 173/17t).
3.4. Die Voraussetzungen für den Gerichtsstanddes Erfüllungsortsnach § 88 Abs 1 JN sind nach den Antragsangaben, von denen im Rahmen der Ordinationsprüfung auszugehen ist, nicht erfüllt. Die Antragsteller weisen in diesem Zusammenhang zwar auf den im Pauschalreisevertrag für die Beförderungsleistung der Beklagten bestimmten Abflugort hin. Damit behaupten sie aber keine Vereinbarung, die im Sinn der Rechtsprechung zu § 88 Abs 1 JN ausdrücklich und direkt die Bestimmung des Erfüllungsorts bezweckt. Die weiteren Ausführungen der Antragsteller zur Bedeutung der Bestimmung des Abflugorts enthalten keine zusätzlichen Tatsachenbehauptungen, sondern sind rechtliche Beurteilung. Unter Hinweis auf die Rechtsprechung der für Schwechat in erster und zweiter Instanz zuständigen Gerichte verneinen freilich (auch) die Antragsteller – konsequenterweise – das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen für den Gerichtsstand nach § 88 Abs 1 JN.
4.1. Die Antragsteller stützen ihren Ordinationsantrag auf § 28 Abs 1 Z 2 JN, also auf den Fall der Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung im Ausland. Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung im Ausland wird in Lehre und Rechtsprechung insbesondere dann bejaht, wenn die ausländische Entscheidung in Österreich nicht anerkannt oder vollstreckt wird, eine dringende Entscheidung im Ausland nicht rechtzeitig erreicht werden kann, eine Prozessführung im Ausland eine der Parteien politischer Verfolgung aussetzen würde oder äußerst kostspielig wäre (2 Nc 12/19s; RS0046148).
4.2. In der Entscheidung 2 Nc 12/19s hat der Oberste Gerichtshof in einem gleichgelagerten Fall der Durchsetzung von Ansprüchen nach der Fluggastrechte-Verordnung gegen ein Flugunternehmen mit Sitz in Ägypten die Ordination bewilligt und das Bezirksgericht Schwechat als zuständiges Gericht bestimmt. Das Prozesskostenargument besteht bei Distanzprozessen zwar für beide Parteien jeweils mit umgekehrten Vorzeichen und geht daher grundsätzlich zu Lasten des Klägers (vgl RS0046420; RS0046148 [T12]). In Fällen, in denen der Kläger offensichtlich als Verbraucher aufgetreten sei, kann die Frage der Kostspieligkeit der Führung eines Rechtsstreits im Ausland aber stärker berücksichtigt werden (vgl RS0046420 [T14]). Vor allem aber ist zu berücksichtigen, dass Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung im Ausland vorliegt, wenn die ausländische Entscheidung in Österreich nicht anerkannt oder vollstreckt würde und eine Exekutionsführung im Inland geplant ist (vgl RS0046148 [T17]). Nach § 79 Abs 2 EO sind (nur) Akte und Urkunden [...] für vollstreckbar zu erklären, wenn sie nach den Bestimmungen des Staats, in dem sie errichtet wurden, vollstreckbar sind und die Gegenseitigkeit durch Staatsverträge oder durch Verordnungen verbürgt ist. Zwischen Österreich und Ägypten besteht kein Abkommen über die Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen nach der Fluggastrechte-Verordnung.
4.3. Diese Erwägungen gelten hier sinngemäß. Dazu kommt, dass die Antragsteller ihre Ansprüche aus der Fluggastrechte-Verordnung, also aus einem unionsrechtlichen Sekundärrechtsakt ableiten. Für solche Ansprüche haben die Mitgliedstaaten nach Art 47 GRC einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz sicherzustellen. Diesem unionalen Verfahrensgrundrecht kommt insbesondere dann Bedeutung zu, wenn der Kläger sonst gehalten wäre, seine Ansprüche außerhalb der Europäischen Union geltend zu machen. Aus diesem Grund sind alle interpretativen Möglichkeiten auszuschöpfen, um – bei einem ausreichenden Inlandsbezug – Fluggästen, die von einem in der Europäischen Union gelegenen Flughafen abfliegen, die Durchsetzung von in der Fluggastrechte-Verordnung normierten Ansprüchen grundsätzlich auch gegen ein Flugunternehmen mit Sitz in einem Drittstaat zu ermöglichen (4 Nc 11/19h; vgl auch 6 Nc 1/19b; RS0046644 [T3]). Vor diesem Hintergrund sind auch die Anforderungen an die Behauptungs- und Bescheinigungspflicht der Antragsteller (§ 28 Abs 4 JN) nicht zu überspannen.
5. Für die Auswahl des zu ordinierenden Gerichts (in örtlicher Hinsicht) enthält § 28 JN keine ausdrücklichen Vorgaben; es ist dabei auf die Kriterien der Sach- und Parteinähe sowie der Zweckmäßigkeit Bedacht zu nehmen (RS0106680 [T13]). Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben hat eine Zuweisung der Sache an das Bezirksgericht Schwechat zu erfolgen, lag doch der Abflugort im vorliegenden Fall in dessen Sprengel (vgl 2 Nc 12/19s; 6 Nc 1/19b).
6. Im einseitigen Ordinationsverfahren findet kein Kostenersatz statt (RS0114932).
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