OGH 11Os19/19g

OGH11Os19/19g28.5.2019

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. Mai 2019 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger, Dr. Michel‑Kwapinski, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Setz‑Hummel als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Korner als Schriftführerin in der Strafsache gegen DI Reinholf F***** und weitere Beschuldigte wegen des Verbrechens des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 3 StGB,

AZ 617 St 1/17z der Staatsanwaltschaft Wien (AZ 333 HR 122/17m des Landesgerichts für Strafsachen Wien), über den Erneuerungsantrag des belangten Verbands A***** GmbH in Bezug auf die Beschlüsse des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 12. Jänner 2018, GZ 333 HR 122/17m‑153, und des Oberlandesgerichts Wien vom 28. August 2018, AZ 20 Bs 54/18i (ON 279 der HR‑Akten), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0110OS00019.19G.0528.000

 

Spruch:

Der Antrag auf Erneuerung des Verfahrens wird zurückgewiesen.

 

Gründe:

Die Staatsanwaltschaft Wien führt zu AZ 617 St 1/17z gegen mehrere Beschuldigte und belangte Verbände, darunter die A***** GmbH, ein Ermittlungsverfahren wegen des Verbrechens des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 3 StGB (iVm § 3 VbVG).

Mit Beschluss vom 12. Jänner 2018, GZ 333 HR 122/17m‑153, wies das Landesgericht für Strafsachen Wien – soweit im Folgenden von Relevanz – einen die (teilweise) Verweigerung der Akteneinsicht durch die Staatsanwaltschaft relevierenden Einspruch wegen Rechtsverletzung (§ 106 StPO) des genannten belangten Verbands vom 13. Oktober 2017 (ON 99) ab.

Das Oberlandesgericht Wien als Rechtsmittelgericht gab der dagegen gerichteten Beschwerde (ON 157) mit Beschluss vom 28. August 2018, AZ 20 Bs 54/18i, Folge und stellte fest, dass der belangte Verband durch die Verweigerung der Akteneinsicht in für das Ermittlungsverfahren relevant erachtete Aktenteile in seinem „subjektiven Recht auf Akteneinsicht nach §§ 51 ff iVm § 68 StPO“ verletzt wurde (ON 279).

Das Beschwerdegericht lehnte die Rechtsansicht des Erstgerichts, dass die Verweigerung von Akteneinsicht auch auf Gefährdung der öffentlichen Sicherheit gestützt werden könne, ausdrücklich ab (BS 5). Soweit die Haft- und Rechtsschutzrichterin die Beschränkung der Akteneinsicht auf § 51 Abs 2 zweiter Fall StPO gegründet hatte, vermisste das Oberlandesgericht Wien – diesen Ausspruch tragende –„bestimmte Umstände für die Befürchtung einer Gefährdung des Zwecks der Ermittlungen durch die sofortige Information der Beschuldigten“ und erachtete deren deutliche Bezeichnung für eine solche Annahme als erforderlich (BS 6).

Gegen die Beschlüsse des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 12. Jänner 2018, GZ 333 HR 122/17m‑153, und des Oberlandesgerichts Wien vom 28. August 2018, AZ 20 Bs 54/18i, richtet sich der (rechtzeitige) Antrag des belangten Verbands A***** GmbH auf Erneuerung des Strafverfahrens, mit welchem dieser eine Verletzung von Art 6 Abs 1 MRK behauptet.

Rechtliche Beurteilung

Für einen – wie hier – nicht auf ein Urteil des EGMR gestützten Erneuerungsantrag (RIS-Justiz RS0122228), bei dem es sich um einen subsidiären Rechtsbehelf handelt, gelten alle gegenüber dem EGMR normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art 34 und Art 35 MRK sinngemäß (RIS‑Justiz RS0122737, RS0128394).

Demnach hat – weil die Opfereigenschaft nach Art 34 MRK nur anzunehmen ist, wenn der Beschwerdeführer substantiiert und schlüssig vorträgt, in einem bestimmten Konventionsrecht verletzt zu sein (Grabenwarter/Pabel, EMRK6 § 13 Rz 16) – auch ein Erneuerungsantrag deutlich und bestimmt darzulegen, worin eine (vom angerufenen Obersten Gerichtshof sodann selbst zu beurteilende) Grundrechtsverletzung im Sinn des § 363a Abs 1 StPO zu erblicken sei (RIS‑Justiz RS0122737 [T17]). Dabei hat er sich mit der als grundrechtswidrig bezeichneten Entscheidung in allen relevanten Punkten auseinanderzusetzen (RIS‑Justiz RS0124359, RS0128393) und – soweit er (auf Grundlage der Gesamtheit der Entscheidungsgründe) nicht Begründungsmängel aufzuzeigen oder erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit getroffener Feststellungen zu wecken vermag – seine Argumentation auf Basis der Tatsachenannahmen der bekämpften Entscheidung zu entwickeln (RIS-Justiz RS0125393 [T1]).

Da Erneuerungsanträge gegen Entscheidungen, die der Erneuerungswerber im Instanzenzug anfechten kann, unzulässig sind, ist der (ausdrücklich auch) gegen den erstinstanzlichen Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 12. Jänner 2018, GZ 333 HR 122/17m‑153, gerichtete Antrag schon deshalb zurückzuweisen (RIS‑Justiz RS0122737 [T40, T41], RS0124739 [T2]).

Den oben dargestellten Erfordernissen wird aber auch das gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien gerichtete Vorbringen nicht gerecht.

Der Antrag wendet sich ausschließlich gegen die in der Entscheidungsbegründung enthaltene Äußerung des Beschwerdegerichts, dass es der Anklagebehörde – wenn sie „weiterhin eine Gefährdung der nationalen Sicherheit durch die im Ermittlungsverfahren bereits angeschlossenen Aktenteile sieht“ – „unbenommen“ bleibe, „dieselben dem Ermittlungsakt wieder zu entnehmen“ (BS 8). Der belangte Verband erklärt jedoch nicht, inwiefern er bereits hiedurch „direkt betroffen“ (vgl Grabenwarter/Pabel EMRK6 § 13 Rz 16 ff; Meyer-Ladewig/Kulick in Meyer‑Ladewig/ Nettesheim/von Raumer EMRK4 Art 34 Rz 26) sei. Weder allgemein noch im Gegenstand bewirkt die kritisierte Äußerung eines Oberlandesgerichts zu einer von mehreren Möglichkeiten der Reaktion auf die Rechtsmittelentscheidung – anders als eine im Spruch zum Ausdruck kommende Rechtsansicht (§ 107 Abs 4 StPO) – irgendeine Bindung der – und somit direkte Wirkung auf die – Anklagebehörde (Art 90 Abs 2 B‑VG; §§ 4, 19 ff StPO).

Die Berufung auf die in weiterer Folge tatsächlich erfolgte Rückstellung von Aktenstücken an die Privatbeteiligte geht überdies deshalb ins Leere, weil diese von der Staatsanwaltschaft – deren Vorgehen nicht Gegenstand eines Antrags auf Erneuerung des Strafverfahrens ist (RIS-Justiz RS0128957) – veranlasst wurde.

Dass durch die angebliche Verkürzung von Rechten des belangten Verbands im Ermittlungsverfahren das reklamierte Grundrechtsziel eines zur Entscheidung über eine strafrechtliche Anklage führenden fairen Verfahrens endgültig vereitelt worden wäre, der Antragsteller somit – ungeachtet seiner Möglichkeiten im (allfälligen) weiteren (Ermittlungs-, Haupt- und Rechtsmittel-)Verfahren, die Beischaffung der zurückgestellten Aktenteile und Einsicht in dieselben zu begehren – Opfer im Sinn des Art 34 MRK sei, legt der Erneuerungsantrag nicht substantiiert und schlüssig dar (RIS‑Justiz RS0122737 [T17]).

Das Vorbringen, wonach verschiedene Bestimmungen der StPO verletzt worden seien, entzieht sich einer inhaltlichen Erwiderung, weil Erneuerungsanträge ohne Befassung des EGMR auf eine Verletzung der MRK oder eines ihrer Zusatzprotokolle abzielen und andere Rechtsverletzungen bei der Behandlung dieses Rechtsbehelfs außer Betracht bleiben (RIS‑Justiz RS0129606).

 

Der Erneuerungsantrag des belangten Verbands A***** GmbH war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei nichtöffentlicher Beratung zurückzuweisen.

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