OGH 4Ob56/19t

OGH4Ob56/19t25.4.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.‑Prof. Dr. Brenn, Priv.‑Doz. Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Peter Zöchbauer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei A***** GmbH, *****, vertreten durch Gheneff Rami Sommer Rechtsanwälte OG in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Sicherungsverfahren 48.000 EUR), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 28. Februar 2019, GZ 1 R 6/19p‑11, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0040OB00056.19T.0425.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Die Streitteile sind Medieninhaber von Tageszeitungen, die sich im Wesentlichen an gleiche Kreise von Lesern und Anzeigekunden richten. Am 9. 11. 2018 erschien auf der Titelseite und auf der zweiten Seite der Fachzeitschrift für Marketing & Sales „medianet“ folgende Werbeeinschaltung der Beklagten:

 

 

 

 

Diese Einschaltung richtete sich an Fachkreise.

Zur Sicherung des inhaltsgleichen, vor allem auf § 2 UWG gestützten Unterlassungsanspruchs begehrte die Klägerin, der Beklagten mittels einstweiliger Verfügung im geschäftlichen Verkehr

1. zu verbieten, ihre Tageszeitung als „die Nummer 1“ zu bezeichnen, wenn die von der Media‑Analyse erhobenen Daten diese Zeitung nicht als das reichweitenstärkste Medium ausweisen und die Österreichische Auflagenkontrolle für diese Zeitung nicht die größte verbreitete Auflage ausweist, sowie

2. unter Bezugnahme auf die Ergebnisse der Media‑Analyse die Äußerung zu verbreiten, dass die Tageszeitung der Klägerin auf einen bestimmten (den sechsten) Platz zurückgefallen sei, wenn dies nicht in statistisch signifikanter Weise aus den Ergebnissen der Media‑Analyse ableitbar ist; dazu stellte die Klägerin zwei im Wesentlichen inhaltsgleiche Eventualbegehren.

Die Vorinstanzen wiesen das Sicherungsbegehren zur Gänze ab. Die von der Beklagten beanspruchte Spitzenstellung werde nach dem maßgebenden Gesamteindruck insbesondere durch die Balkengrafiken ausreichend relativiert. Zur Behauptung, die Nummer 1 zu sein, werde klargestellt, dass sich diese Aussage auf die Tageszeitungen in Wien und auf die Gratis‑Tageszeitungen österreichweit beziehe. Die angesprochenen Fachkreise seien auch in der Lage, die Reichweite von der verbreiteten Auflage zu unterscheiden. Zur Behauptung, die Klägerin sei auf den sechsten Platz zurückgefallen, werde in der beanstandeten Einschaltung auf die statistische Schwankungsbreite der von der Media‑Analyse erhobenen Zahlen hingewiesen. Nach diesen Reichweitenzahlen habe die Tageszeitung der Klägerin österreichweit tatsächlich nur den sechsten Platz erreicht.

Rechtliche Beurteilung

Mit ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs zeigt die Klägerin keine erhebliche Rechtsfrage auf:

1. Die geltend gemachten Verfahrensmängel und die behaupteten sekundären Feststellungsmängel liegen – wie der Oberste Gerichtshof geprüft hat – nicht vor.

Die Aussage des Rekursgerichts, wonach offen bleibe, in welcher Kategorie die Spitzenstellung von der Beklagten beansprucht werde, bezieht sich nur auf die Überschrift der Werbeeinschaltung, die nach Ansicht des Rekursgerichts jedoch nicht isoliert betrachtet werden darf. Ein Widerspruch in der Begründung des Rekursgerichts bzw ein Begründungsmangel ist nicht gegeben.

In der beanstandeten Werbeeinschaltung wird auf die Reichweite der verglichenen Tageszeitungen nach den in der Media‑Analyse angegebenen Zahlen Bezug genommen. Es ist unbestritten, dass diese Zahlen von einer dazu anerkannten Institution, bei der beide Streitteile Mitglieder sind, in einem methodisch einwandfreien Verfahren ermittelt und korrekt wiedergegeben wurden. Dem Umstand, dass es auch eine Reichweitenerhebung einer anderen Stelle gibt, kommt keine Bedeutung zu.

2.1 In rechtlicher Hinsicht beanstandet die Klägerin zunächst die Aussage der Beklagten, dass deren Tageszeitung „die Nummer 1“ sei. Dadurch entstehe der unrichtige Eindruck, dass es sich bei ihrer Zeitung um die meistgelesene Tageszeitung in Österreich handle; die verbreitete Auflage der Zeitung der Beklagten übersteige jene der Klägerin aber nicht. Eine vollständige Tatsachenbehauptung in einer Überschrift sei isoliert zu beurteilen, weil der dadurch hervorgerufene Blickfang den selbständigen Sinngehalt der Werbeeinschaltung präge. Die relativierenden Grafiken und Hinweise im Text seien nicht zu berücksichtigen.

2.2 Im Rahmen der lauterkeitsrechtlichen Beurteilung richtet sich der Bedeutungsinhalt einer Äußerung nach dem Gesamtzusammenhang und dem dadurch vermittelten Gesamteindruck, den ein aufmerksamer Durchschnittsadressat gewinnt (RIS‑Justiz RS0078352 [T24]; RS0078470 [T39]). Richtet sich eine Werbeaussage – wiehier – allein an Fachkreise, so ist für die lauterkeitsrechtliche Beurteilung das Verständnis eines fachkundigen Lesers der Fachzeitschrift maßgebend (vgl RS0043590 [T41]).

Der Gesamteindruck ist aber nicht gleichbedeutend mit dem Gesamtinhalt der Ankündigung, weil der Gesamteindruck durch einzelne Teile der Ankündigung, die als Blickfang besonders herausgestellt sind, entscheidend geprägt werden kann (vgl RS0078535). Bei einer blickfangartigen Aussage bedarf es zur Vermeidung eines irreführenden Gesamteindrucks eines deutlich wahrnehmbaren Hinweises, mit dem über die einschränkenden Voraussetzungen, unter denen die Aussage gilt, ausreichend aufgeklärt wird. Maßgebend ist dabei, ob ein aufmerksamer Durchschnittsadressat den aufklärenden Hinweis wahrnimmt, wenn er mit der Werbeaussage konfrontiert wird (RS0118488; 4 Ob 68/13y).

2.3 Auf die Entscheidung 6 Ob 92/04d kann sich die Klägerin schon deshalb nicht berufen, weil sich diese auf einen isolierten „Schlagzeilenvorwurf“ im Anwendungsbereich des § 1330 ABGB bezieht und für die lauterkeitsrechtliche Beurteilung nicht einschlägig ist. Davon abgesehen wird auch in dieser Entscheidung darauf hingewiesen, dass vollständige tatsachenbezogene Aussagen in Titeln und Überschriften isoliert beurteilt werden können, und dies insbesondere dann gilt, wenn solche Tatsachenbehauptungen mit denjenigen im Folgetext nicht in Einklang zu bringen sind.

Auch in der von der Klägerin zitierten Entscheidung 4 Ob 245/07v hat der Oberste Gerichtshof festgehalten, dass es für die lauterkeitsrechtliche Beurteilung auf den Gesamteindruck ankommt, den der aufmerksame Durchschnittsadressat als die lauterkeitsrechtliche Maßfigur aus der Veröffentlichung gewinnt, und dass in diesem Zusammenhang Inhalt und grafische Gestaltung der gesamten Veröffentlichung entscheidend sind. Es ist nun durchaus möglich, dass nach der Gestaltung der Veröffentlichung der maßgebende Gesamteindruck durch einen eine selbständige Aussage enthaltenden Slogan bestimmt wird, wenn einschränkende Hinweise nicht vorhanden sind oder diese untergehen, sodass ein aufmerksamer Durchschnittsadressat nur eine blickfangartig hervorgehobene und nicht als unvollständig erkennbare Angabe wahrnimmt.

2.4 In der hier beanstandeten Einschaltung der Beklagten wird gleich unterhalb der Überschrift und insbesondere in den Grafiken auf die Reichweite bzw Leserzahlen der verglichenen Tageszeitungen (Tageszeitungen in Wien und Gratis‑Zeitungen österreichweit) hingewiesen. Die Beurteilung des Rekursgerichts, dass insbesondere die Balkengrafiken diesen einschränkenden Hinweis jedenfalls gegenüber den fachkundigen Lesern der verfahrensgegenständlichen Fachzeitschrift ausreichend offenlegten und daher keine isolierte Betrachtung nur der Überschrift zu erfolgen habe, hält sich im Rahmen der Rechtsprechung.

2.5 Der Frage, wie der aufmerksame Durchschnittsadressat eine Werbeaussage versteht und ob sie demnach zur Irreführung geeignet ist, kommt keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu, weshalb sie in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage begründet (RS0107771; RS0053112; RS0043000).

Der von den Vorinstanzen ermittelte Aussagegehalt der beanstandeten Werbeeinschaltung nach Maßgabe des Gesamteindrucks (also nicht bei Beurteilung nur der Überschrift), wonach der aufmerksame fachkundige Leser nicht annehme, die Tageszeitung der Beklagten sei die meistgelesene Tageszeitung in Österreich, und wonach die angesprochenen Fachkreise die Reichweite von der verbreiteten Auflage unterscheiden könnten, wird in der außerordentlichen Revision nicht in Zweifel gezogen. Die daran anknüpfende Beurteilung der Vorinstanzen, dass für den wirtschaftlichen Erfolg und die Werbewirksamkeit einer Zeitung der Reichweite ein deutlich stärkeres Gewicht zukomme als der verbreiteten Auflage, weshalb die konkret beanspruchte, auf die Reichweite bei Tageszeitungen in Wien und Gratis‑Zeitungen österreichweit als Alleinstellungskategorie bezogene Spitzenstellung bei den angesprochenen Fachkreisen keinen irreführenden Eindruck erwecke, steht mit den Rechtsprechungsgrundsätzen im Einklang.

3.1 Die weitere Werbeaussage der Beklagten, die die Klägerin beanstandet, ist jene, dass die Tageszeitung der Klägerin zufolge der Media‑Analyse 2017/18 hinter den „Standard“ auf den sechsten Platz zurückgefallen sei. Der Abstand zwischen den beiden genannten Tageszeitungen liege innerhalb der statistischen Schwankungsbreite. Die Klägerin releviere nicht, dass die Beklagte bei der Reichweitenwerbung die Quellenangabe unterlassen habe oder die entsprechenden Angaben zu klein seien. Die Behauptung sei aber irreführend, weil die Hinweise in der Quellenangabe nicht offenlegten, welcher Prozentsatz konkret zur Anwendung gelange und was dies für die Behauptung der Beklagten bedeute.

3.2 Grundsätzlich darf eine Spitzenstellung nur behauptet werden, wenn sie in der maßgebenden Alleinstellungskategorie auch unter Berücksichtigung der statistischen Schwankungsbreite vorliegt (4 Ob 97/12m mwN). Allerdings ist auch in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass aufklärende Hinweise grundsätzlich geeignet sind, die Irreführungseignung zu beseitigen (RS0118488; RS0106634). Wird eine Spitzenstellung mit (methodisch einwandfrei erhobenen und plausiblen) Zahlen (vgl dazu RS0113425) behauptet, bei denen der Abstand zwischen zwei Vergleichsgrößen innerhalb der statistischen Schwankungsbreite liegt, so muss auch ein ausreichend erkennbarer Hinweis erfolgen, mit dem auf die Schwankungsbreite von Statistikdaten mit hinreichender Deutlichkeit branchenüblich aufgeklärt wird (vgl 4 Ob 116/18i = MR 2018, 291 [Rest]; RS0078834 [T1]).

3.3 Das Rekursgericht ist von diesen Grundsätzen nicht abgewichen. Die Klägerin macht auch nur geltend, dass die aufklärenden Hinweise in der Quellenangabe nicht offenlegten, welcher Prozentsatz zur Anwendung gelange und was dies für die Behauptung der Beklagten bedeute.

Der aufklärende Hinweis (unterhalb der Balkengrafiken) weist für den hier maßgebenden Bereich „national“ (österreichweit) für die beiden verglichenen Zeitungen (fünfter und sechster Platz) jeweils die konkrete Schwankungsbreite aus und nennt die dafür maßgebende Quelle (MA = Media‑Analyse 2017/18). Unter Berücksichtigung dieses Hinweises ist die Schlussfolgerung des Rekursgerichts, dass in der Werbeeinschaltung auf die statistische Schwankungsbreite der MA‑Zahlen für einen aufmerksamen fachkundigen Leser ausreichend deutlich hingewiesen werde und die Tageszeitung der Klägerin nach diesen Zahlen tatsächlich den sechsten Platz erreicht habe, weshalb die bildliche und verbale Darstellung dieses Ergebnisses, auch wenn sie in Form einer Reihung geschehe, nicht irreführend sei, keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung.

4. Insgesamt gelingt es der Klägerin mit ihren Ausführungen nicht, eine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen. Der außerordentliche Revisionsrekurs war daher zurückzuweisen.

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