European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0100OB00005.19M.0219.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Gegenstand des Rechtsstreits ist die Aufkündigung eines von der Klägerin als Vermieterin und den Beklagten als Mietern geschlossenen Mietvertrags über ein Einfamilienhaus.
Nach den erstgerichtlichen Feststellungen plante die Klägerin ursprünglich, die in ihrem Eigentum stehende Liegenschaft samt dem Einfamilienhaus zu verkaufen. Im Hinblick auf die im Grundbuch angemerkte fideikommissarische Substitution zu Gunsten ihres damals noch minderjährigen Sohnes war ein Verkauf aber nicht möglich. Sie schloss daraufhin am 15. 4. 2011 mit den Beklagten einen unbefristeten Mietvertrag sowie (gesondert) am selben Tag einen Darlehensvertrag über 70.000 EUR mit einer Laufzeit bis 31. März 2031, wobei pro Monat ein Betrag von rund 300 EUR angerechnet bzw vom Darlehensbetrag abgezogen werden sollte. In Punkt III des Darlehensvertrags erklärte die Klägerin hinsichtlich des Mietvertrags einen mindestens 20‑jährigen Kündigungsverzicht (bis 31. 3. 2031), wobei dieser Kündigungsverzicht unter der Bedingung der „Einhaltung des Mietvertrags sowie des Darlehensvertrags“ steht. Nach Punkt VIII.5 des Mietvertrags („Rechte und Pflichten der Vertragsteile“) steht es der Mieterseite frei, nach Rücksprache und schriftlicher Genehmigung von Seiten der Vermieterin etwaige Investitionen in das Bestandobjekt zu tätigen, sofern sie wertsteigernd sind und im Anschluss im Bestandobjekt verbleiben. Unstrittig ist, dass die Beklagten– entgegen Punkt VIII.5 – Investitionen in das Bestandobjekt getätigt haben, ohne dass dazu eine schriftliche Genehmigung der Klägerin vorlag. Ob eine mündliche Genehmigung vorlag konnte nicht festgestellt werden .
Die Klägerin bringt vor, nach dem Wortlaut von Punkt III des Darlehensvertrags sei sie ungeachtet des Kündigungsverzichts bei jedweder Mietvertragsverletzung – auch wegen Fehlens einer schriftlichen Genehmigung für die von den Beklagten getätigten Investitionen (siehe Punkt VIII.5 des Mietvertrags) – zur Aufkündigung berechtigt.
Die Beklagten nehmen demgegenüber den Standpunkt ein, die beiden Vertragspunkte könnten von redlichen Vertragsparteien nur so verstanden werden, dass nur besonders schwerwiegendes vertragswidriges Verhalten – und nicht jedwede geringfügige Vertragsverletzung – zur Kündigung berechtige, andernfalls der Verlust der restlichen, noch nicht auf die Miete angerechneten Darlehensforderung (zum Zeitpunkt der Kündigung knapp 60.000 EUR) drohen würde.
Das Erstgericht folgte dem Standpunkt der Klägerin und erklärte die Aufkündigung für wirksam.
Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil dahin ab, dass es die Aufkündigung aufhob. Im Hinblick auf den Sinn und Zweck der gesamten Vertragskonstruktion seien beide Verträge – Mietvertrag und Darlehensvertrag – gemeinsam auszulegen. Der Wortlaut der vertraglichen Einigung bilde zwar die Auslegungsgrenze; unter Berücksichtigung des Gesamtzwecks der Verträge sowie unter Beachtung von Treu und Glauben sei der Kündigungsverzicht von redlichen und vernünftigen Parteien aber nur so zu verstehen, dass zwar Auflösungsgründe iSd § 1118 ABGB zur sofortigen Aufkündigung berechtigten, nicht aber andere (nicht schwerwiegende) Gründe. Unter „Einhaltung des Mietvertrags“ sei zu verstehen, dass keine „sofortigen“ Auflösungsgründe verwirklicht würden, sei doch auf die Kündigung verzichtet worden. Ein außerordentlicher Kündigungsgrund liege nicht vor, weil die am Bestandobjekt ohne schriftliche Einwilligung vorgenommenen Veränderungen keinen erheblich nachteiligen Gebrauch darstellten (Erneuerung von Schaltern, Montieren von zusätzlichen Steckdosen, Einbau von Spots, Versetzen von Wandlampen, Abhängen einer Zusatzdecke aus Rigips, „schwimmende“ Verlegung von Parkettböden in zwei Zimmern, Einbau eines Schiebefensters zwischen zwei Räumen in einer nicht tragenden Mauer, Verputzarbeiten).
Rechtliche Beurteilung
Die gegen diese Entscheidung gerichtete außerordentliche Revision der Klägerin ist nicht zulässig:
1. Die geltend gemachte Nichtigkeit des Berufungsurteils im Zusammenhang mit dem Datum der Aufkündigung liegt nicht vor. Die Aufkündigung wurde am 1. 8. 2016 bei Gericht eingebracht und mit Beschluss vom 12. 8. 2016 bewilligt. Das Berufungsgericht hat demnach folgerichtig im Spruch seiner Entscheidung die „Aufkündigung vom 12. 8. 2016“ aufgehoben.
2. Zur Vertragsauslegung:
2.1 Fragen der Vertragsauslegung begründen – als typischerweise vom Einzelfall abhängig – in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage. Das vom Berufungsgericht im vorliegenden Fall erzielte Auslegungsergebnis ist unter Bedachtnahme auf die zur Auslegung von Verträgen entwickelten Grundsätze der Rechtsprechung durchaus nachvollziehbar.
2.2 Mit ihrem Standpunkt, infolge des klaren Vertragstexts hätte das Berufungsgericht keine Vertragsauslegung vorzunehmen gehabt („Überraschungsentscheidung“), lässt die Klägerin das in erster Instanz erstattete, gegenläufige Parteienvorbringen zur Auslegung der relevanten Vertragspunkte außer Acht.
2.3 Verträge sind in ihrer Gesamtheit auszulegen (vgl RIS‑Justiz RS0017902). Von diesem Grundsatz weicht die Rechtsansicht des Berufungsgerichts nicht ab, das Bestandverhältnis könne nicht losgelöst vom Darlehensvertrag beurteilt werden, weshalb auch bei der Auslegung beide (am selben Tag geschlossenen) Verträge gemeinsam heranzuziehen seien. Die von der Klägerin bestrittene „Verflechtung“ beider Verträge geht im Übrigen schon daraus hervor, dass in der Präambel des Darlehensvertrags explizit auf den Mietvertrag verwiesen wird und die entscheidungswesentliche Vereinbarung über den Kündigungsverzicht betreffend das Bestandverhältnis im Darlehensvertrag enthalten ist.
2.4 Punkt III des Darlehensvertrags macht seinem Wortlaut nach den Kündigungsverzicht zwar davon abhängig, dass die Darlehensgeber und Mieter den Miet- und auch den Darlehensvertrag einhalten, wobei die „Einhaltung“ des Mietvertrags die schriftliche Genehmigung jedweder Veränderungen am Mietobjekt verlangt (siehe Punkt VIII.5 des Mietvertrags). Dennoch ist beim Wortlaut nicht stehen zu bleiben, sondern der von den Vertragsparteien beabsichtigte Zweck des Darlehensvertrags zu berücksichtigen, den Darlehensgebern die langfristige Nutzung des Mietobjekts, aber auch den Darlehensbetrag zu sichern, andererseits aber für den Fall Vorsorge zu treffen, dass die Liegenschaft nach Erreichen der Geschäftsfähigkeit des minderjährigen Sohnes veräußert werden könnte (siehe Punkt I des Darlehensvertrags). Im Hinblick auf diese Zweckrichtung und den Zusammenhang beider Verträge ist das vom Berufungsgericht erzielte Auslegungsergebnis nicht zu beanstanden. Ein anderes Verständnis würde der Klägerin die Möglichkeit eröffnen, ungeachtet des von ihr erklärten Kündigungsverzichts bereits kurz nach Abschluss des Mietvertrags auch bei geringfügigsten Vertragsverstößen erfolgreich zu kündigen und die Darlehenssumme nicht zurückzahlen zu müssen. Dieses Ergebnis stünde aber nicht nur dem – beiden Teile redlicherweise zu unterstellenden – Vertragszweck entgegen, sondern führte auch zu einem Widerspruch zu Punkt II des Darlehensvertrags. Dort wird der vorzeitige Verfall der Darlehenssumme (vor dem 31. 3. 2031) einerseits an den Eintritt des Todes der Klägerin geknüpft, andererseits daran, dass der Mietvertrag von den Darlehensgebern als Mieter „nicht eingehalten werden sollte“. Es liegt daher nahe, dass auch auf Mieter- bzw Darlehensgeberseite schwerwiegende Gründe vorliegen müssen, wie etwa solche, die die weitere Einhaltung des Vertrags unmöglich machen.
3. Zum erheblich nachteiligen Gebrauch gemäß § 1118 ABGB:
3.1 Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass ohne Zustimmung des Bestandgebers vorgenommene bauliche Veränderungen durch den Mieter die Auflösung des Bestandvertrags für sich noch nicht rechtfertigen, sondern es dazu einer erheblichen Nachteiligkeit für die Bestandsache bedarf. Mangels erheblicher Substanzschädigung des Bestandgegenstands berechtigt ein eigenmächtiger Umbau (selbst bei gleichzeitiger Missachtung der Intentionen bzw Vorgaben des Vermieters) für sich allein noch nicht zur sofortigen Vertragsauflösung. Vielmehr bedürfte es dazu einer – vom Bestandgeber darzulegenden – Verletzung wichtiger wirtschaftlicher oder sonstiger Interessen des Bestandgebers bzw eines Verhaltens, das die Vertragsfortsetzung unzumutbar machte (RIS-Justiz RS0067816 [T4]). Sachgemäß durchgeführte Vorkehrungen zur Verbesserung bzw Modernisierung des Bestandgegenstands erfüllen den Auflösungstatbestand grundsätzlich nicht (vgl RIS‑Justiz RS0067816 [T2]).
3.2 Wenn das Berufungsgericht die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen dahin beurteilte, dass nach den im vorliegenden Einzelfall gegebenen Umständen kein erheblich nachteiliger Gebrauch iSd § 1118 erster Fall ABGB vorliegt, hält sich dies im Rahmen dieser Grundsätze der Rechtsprechung. Eine nicht fachgerechte Durchführung der Arbeiten wurde nicht behauptet. Sachgemäß vorgenommene Arbeiten rechtfertigen die Kündigung aber nicht, selbst wenn (wie die Klägerin hinsichtlich des Schiebefensters behauptet), vor deren Beginn die Baubehörde beizuziehen gewesen sein sollte (RIS‑Justiz RS0067816). Auch der Hinweis, durch das Abhängen der Rigipsdecke und das Anbringen von Spots seien Bohrlöcher entstanden, lässt die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, es sei keine erhebliche Substanzschädigung des Hauses zu erkennen, nicht unvertretbar erscheinen. Das Vorbringen, das Schiebefenster sei in einer tragenden Mauer eingebaut worden, sodass sich statische Bedenken ergäben, wurde nicht erwiesen.
4. Die behauptete (weitere) Nichtigkeit und Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wurde vom Obersten Gerichtshof geprüft, ist aber zu verneinen. Das Berufungsgericht ist nicht von den Feststellungen abgewichen. Die ziffernmäßige Höhe des zum Kündigungszeitpunkt noch aushaftenden Darlehens wurde nicht erwähnt. Aus den Feststellungen zur „schwimmenden“ Verlegung der Parkettböden und das Abhängen der Rigipsdecke (unter Belassung der darunter befindlichen Decke) leitete das Berufungsgericht lediglich in rechtlicher Hinsicht ab, dass die Änderungsarbeiten möglichst substanzschonend erfolgt seien. Ob ein erheblich nachteiliger Gebrauch vorliegt, ist eine vom Gericht (und nicht vom Bausachverständigen) zu beurteilende Rechtsfrage.
Mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision daher zurückzuweisen.
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