OGH 12Os1/19t

OGH12Os1/19t24.1.2019

Der Oberste Gerichtshof hat am 24. Jänner 2019 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé, Dr. Oshidari, Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Brenner in Gegenwart der Rechtspraktikantin Mag. Holzer als Schriftführerin in der Strafsache gegen Nino U***** wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG und einer weiteren strafbaren Handlung, AZ 62 U 112/18k des Bezirksgerichts St. Johann im Pongau, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil dieses Gerichts vom 27. September 2018 sowie den Beschluss auf Absehen vom Widerruf einer bedingten Entlassung und auf Verlängerung der Probezeit, GZ 62 U 112/18k‑165, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Oberstaatsanwältin Dr. Schreiber, LL.M., zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0120OS00001.19T.0124.000

 

Spruch:

 

Im Strafverfahren AZ 62 U 112/18k des Bezirksgerichts St. Johann im Pongau verletzen das Gesetz

1./ das Urteil vom 27. September 2018, GZ 62 U 112/18k‑165, in seinem Schuldspruch I./ in § 270 Abs 4 Z 2 StPO und § 35 Abs 1 SMG iVm § 37 SMG und

2./ der Beschluss vom 27. September 2018, GZ 62 U 112/18k‑165 (S 2) – soweit damit vom Widerruf der Nino U***** mit Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Vollzugsgericht vom 11. September 2017, GZ 48 BE 171/17a‑8, gewährten bedingten Entlassung abgesehen und die Probezeit auf fünf Jahre verlängert wurde – in § 53 Abs 1 erster Satz und Abs 3 erster Satz StGB.

Das oben bezeichnete Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, wird im Schuldspruch I./ sowie demzufolge auch im Strafausspruch ebenso aufgehoben wie der damit untrennbar verbundene Beschluss auf Absehen vom Widerruf bedingter Strafnachsichten und einer bedingten Entlassung sowie auf Verlängerung der Probezeiten zu AZ 48 BE 171/17a und zu AZ 63 Hv 2/17p, jeweils des Landesgerichts Salzburg, und es wird die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Bezirksgericht St. Johann im Pongau verwiesen.

 

Gründe:

Nino U***** wurde mit Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Vollzugsgericht vom 11. September 2017, GZ 48 BE 171/17a‑8, mit Wirkung vom 9. Dezember 2017 gemäß § 46 Abs 1 StGB aus dem Vollzug des unbedingten Teils der mit Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 3. Juni 2015, AZ 67 Hv 20/15m, über ihn verhängten Freiheitsstrafe unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt entlassen (Strafregisterauskunft ON 162 S 3 im Akt AZ 62 U 112/18k des Bezirksgerichts St. Johann im Pongau).

Mit dem – gekürzt ausgefertigten, auch einen Freispruch des Angeklagten enthaltenden – Urteil des Bezirksgerichts St. Johann im Pongau vom 27. September 2018, GZ 62 U 112/18k-165, wurde Nino U***** der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 (erg: Z 1) erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG (I./) und des Diebstahls nach §§ 15 Abs 1, 127 StGB (II./) schuldig erkannt und hiefür unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach § 127 StGB zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt.

Danach hat er am 29. Juli 2017 in S*****

I./ vorschriftswidrig Suchtgift, und zwar 0,3 Gramm Methamphetamin, für seinen Eigenkonsum erworben und bis zur Sicherstellung durch die Kriminalpolizei besessen;

II./ fremde bewegliche Sachen, und zwar zumindest zwei Einwegspritzen, Dr. Anton H***** mit dem Vorsatz, sich durch die Sachzueignung unrechtmäßig zu bereichern, wegzunehmen versucht.

Das sichergestellte Suchtgift (0,2 Gramm Methamphetamin) wurde gemäß § 34 SMG iVm § 26 StGB eingezogen.

Unter einem fasste die Bezirksrichterin gemäß § 494a Abs 1 Z 2 (zu ergänzen:) teils iVm Abs 6 StPO (der Sache nach) den Beschluss, vom Widerruf der zu AZ 48 BE 171/17a des Landesgerichts Salzburg gewährten bedingten Entlassung, der zu AZ 61 U 34/16d des Bezirksgerichts St. Johann im Pongau gewährten bedingten Strafnachsicht und der zu AZ 63 Hv 2/17p des Landesgerichts Salzburg gewährten bedingten Strafnachsicht abzusehen sowie weiters die Probezeiten zu AZ 48 BE 171/17a des Landesgerichts Salzburg und zu AZ 63 Hv 2/17p des Landesgerichts Salzburg jeweils auf fünf Jahre zu verlängern (ON 165 S 2).

Sämtliche Entscheidungen erwuchsen unangefochten in Rechtskraft.

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt, stehen der Schuldspruch I./ des Urteils des Bezirksgerichts St. Johann im Pongau vom 27. September 2018 sowie der (gemeinsam mit diesem Urteil) verkündete Beschluss auf Absehen vom Widerruf der zu AZ 48 BE 171/17a des Landesgerichts Salzburg gewährten bedingten Entlassung und auf Verlängerung der Probezeit auf fünf Jahre mit dem Gesetz nicht in Einklang:

1./ Gemäß § 37 SMG hat nach Einbringen der Anklage das Gericht die §§ 35 und 36 SMG sinngemäß anzuwenden und das Verfahren unter den für die Staatsanwaltschaft geltenden Voraussetzungen bis zum Schluss der Hauptverhandlung mit Beschluss einzustellen.

Wurden durch die Tat § 27 Abs 1 und Abs 2 SMG verwirklicht, so ist Diversion nach § 35 Abs 1 (iVm § 37) SMG – bei Vorliegen auch der weiteren Voraussetzungen und Bedingungen (§ 35 Abs 3 bis 7 SMG) – stets geboten (vgl Schroll, WK‑StPO § 203 Rz 32; E. Leitner in Schmölzer/Mühlbacher, StPO I § 203 Rz 28; RIS-Justiz RS0131952).

Der Umstand, dass der Angeklagte – wie hier – auch wegen einer strafbaren Handlung nach dem StGB schuldig erkannt wird, steht einer vorläufigen Verfahrenseinstellung nach § 37 iVm § 35 Abs 1 SMG ebensowenig entgegen (Schroll, WK‑StPO § 203 Rz 33/1; RIS-Justiz RS0113621) wie dessen Vorstrafenbelastung (Schwaighofer in WK2 SMG § 35 Rz 19; Schroll, WK‑StPO § 203 Rz 32/1; RIS-Justiz RS0113620 [T4]).

Das Bezirksgericht hätte angesichts des Schuldspruchs nach § 27 Abs 1 und Abs 2 SMG im Rahmen der Hauptverhandlung jedenfalls zu prüfen gehabt, ob die Voraussetzungen für ein diversionelles Vorgehen iSd § 35 SMG vorliegen. Gelangt es zur Ansicht, dass die Voraussetzungen für eine Diversion nach § 35 Abs 1 iVm § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG nicht erfüllt sind, so hätte es – auch bei gekürzter Ausfertigung des Urteils im Sinne des sich aus § 270 Abs 4 Z 2 StPO ergebenden Gebots, die als erwiesen (oder nicht erwiesen) angenommenen Tatsachen in gedrängter Darstellung anzuführen, sodass insgesamt die rechtliche Beurteilung des Sachverhalts nachvollziehbar und überprüfbar ist (vgl Danek, WK-StPO § 270 Rz 60 iVm Rz 30 f) – entsprechende Feststellungen im Urteil zu treffen gehabt, aus denen sich die Nichtanwendung der – als temporäres Verfolgungshindernis einer Verurteilung entgegenstehenden – Diversionsbestimmungen des SMG ableiten lässt (12 Os 111/12h; RIS‑Justiz RS0119091 [insbes T7], RS0125764 [T3] und RS0101786 [T6]).

Da das vorliegende Urteil keine derartigen Feststellungen enthält, verletzt es in Ansehung des Schuldspruchs I./ wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG das Gesetz in § 270 Abs 4 Z 2 StPO iVm §§ 37, 35 Abs 1 SMG.

Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die aufgezeigte Gesetzesverletzung dem Verurteilten zum Nachteil gereicht, war ihre Feststellung wie aus dem Spruch ersichtlich mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO). Die von der Kassation rechtslogisch abhängigen Entscheidungen und Verfügungen gelten damit gleichfalls als beseitigt (RIS-Justiz RS0100444).

2./ Die Entscheidung darüber, ob eine bedingte Entlassung widerrufen oder (im Fall des Absehens vom Widerruf) die Probezeit verlängert wird (§ 53 Abs 3 erster Satz StGB), setzt gemäß § 53 Abs 1 erster Satz StGB (von der hier nicht aktuellen Ausnahme des letzten Satzes dieser Bestimmung abgesehen) eine während der Probezeit begangene strafbare Handlung voraus (RIS‑Justiz RS0112811; RS0092019; vgl auch § 494a Abs 1 erster Satz StPO).

Da die dem am 27. September 2018 (unter einem mit dem Urteil) gefassten Beschluss, mit dem vom Widerruf der im Vollzugsverfahren AZ 48 BE 171/17a gewährten bedingten Entlassung abgesehen und die Probezeit auf fünf Jahre verlängert wurde, zugrunde liegenden strafbaren Handlungen bereits am 29. Juli 2017 begangen wurden, die in Rede stehende Probezeit jedoch erst am 9. Dezember 2017 begann (§ 49 StGB), verletzt der in Rede stehende Beschluss auf Verlängerung der Probezeit § 53 Abs 1 erster Satz und Abs 3 erster Satz StGB (vgl 14 Os 100/17p uva).

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