OGH 9ObA134/18y

OGH9ObA134/18y24.1.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Hon.‑Prof. Dr. Dehn und Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Rolf Gleißner und Gabriele Svirak als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei A*****, vertreten durch Celar Senoner Weber-Wilfert Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei W***** GmbH & Co KG, *****, vertreten durch Fellner Wratzfeld & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Kündigungsanfechtung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 29. Oktober 2018, GZ 7 Ra 98/18k‑42, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:009OBA00134.18Y.0124.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Bei der Anfechtung einer Kündigung nach § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG ist zunächst zu prüfen, ob dem Arbeitnehmer durch die Kündigung erhebliche soziale Nachteile entstehen, die über die normale Interessenbeeinträchtigung bei einer Kündigung hinausgehen (RIS‑Justiz RS0051746 [T7]). Ist dies der Fall, so ist das Vorliegen von subjektiven oder objektiven Kündigungsrechtfertigungsgründen zu prüfen und anschließend eine Interessenabwägung vorzunehmen (RIS‑Justiz RS0116698).

2. Die in der Person des Arbeitnehmers gelegenen Gründe, die der Arbeitgeber zur Rechtfertigung der Kündigung gemäß § 105 Abs 3 Z 2 lit a ArbVG geltend machen kann, müssen nicht so gravierend sein, dass sie die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers über den Kündigungstermin hinaus unzumutbar machen (RIS‑Justiz RS0051888 [T14]) oder gar das Gewicht eines Entlassungsgrundes erreichen. Sie müssen aber die betrieblichen Interessen soweit nachteilig berühren, dass sie bei objektiver Betrachtungsweise einen verständigen Betriebsinhaber zur Kündigung veranlassen würden und die Kündigung als gerechte, dem Sachverhalt adäquate Maßnahme erscheinen lassen. Werden die betrieblichen Interessen in erheblichem Maße berührt, überwiegen sie das (wesentliche) Interesse des Arbeitnehmers an der Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses (RIS‑Justiz RS0051888).

3. Nach ständiger Rechtsprechung stellt die konkrete Abwägung der durch die Kündigung beeinträchtigten wesentlichen Interessen des gekündigten Arbeitnehmers gegen die vom Arbeitgeber nachgewiesenen personenbezogenen Kündigungsgründe iSd § 105 Abs 3 Z 2 lit a ArbVG wegen ihrer Einzelfallbezogenheit im Regelfall keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar (RIS‑Justiz RS0051818 [T7, T8]).

4. Die Vorinstanzen sahen zwar durch die Kündigung wesentliche Interessen des Klägers als beeinträchtigt an, bejahten aber zugleich das Vorliegen überwiegender personenbedingter Kündigungsgründe aufgrund des nachlässigen Umgangs des Klägers mit der Fahrerkarte.

Der Kläger macht in der Revision demgegenüber geltend, dass länger zurückliegende Vorfälle nicht hätten berücksichtigt werden dürfen und jedenfalls kein gegenüber den ihm drohenden Nachteilen ins Gewicht fallendes Fehlverhalten vorgelegen sei.

5. Richtig ist, dass der arbeitsrechtliche Unverzüglichkeitsgrundsatz auch für die Geltendmachung von Verfehlungen des Arbeitnehmers als personenbezogenen Rechtfertigungsgrund für eine Kündigung gilt. Hat der Dienstgeber ihm zur Kenntnis gelangte konkrete Vorfälle bloß zum Anlass für eine Ermahnung genommen, so kann eine derartige Erklärung nur dahin verstanden werden, dass der Dienstgeber auf das Recht, den Dienstnehmer wegen dieses Verhaltens zu entlassen bzw zu kündigen, verzichtet hat. Abgemahnte alte Vorfälle können daher später nicht neuerlich als Entlassungs- oder Kündigungsgrund herangezogen werden. Bei späterer Wiederholung des abgemahnten Verhaltens können aber die alten Vorfälle im Rahmen einer Würdigung des Gesamtverhaltens auch noch nachträglich Berücksichtigung finden (8 ObA 19/13x mwN; vgl auch RIS‑Justiz RS0082248 [T4]).

Aus den Feststellungen ergibt sich, dass der Kläger im Zusammenhang mit der von ihm bei jeder Fahrt zu verwendenden Fahrtenschreiberkarte („Fahrerkarte“) wiederholt nachlässiges Verhalten zeigte, diesbezüglich von der Beklagten ermahnt und zu einer Nachschulung eingeteilt wurde. Ihm war daher die (auch objektiv gegebene) Bedeutung dieser dienstrechtlichen Vorschrift für die Beklagte bekannt. Dessen ungeachtet kam es zu einem weiteren Vorfall, bei dem der Kläger nicht nur auf die Verwendung der „Fahrerkarte“ vergaß, sondern auch auf eine Anfrage der Verkehrsführung hin keine Kontrolle durchführte.

Betrachtet man diesen letzten Vorfall vor dem Hintergrund des Gesamtverhaltens des Klägers, hält sich die Beurteilung der Vorinstanzen, dass ein die Interessenbeeinträchtigung des Klägers durch die Kündigung überwiegender personenbezogener Kündigungsgrund vorliegt, im Rahmen des vom Gesetz eingeräumten Ermessensspielraums.

6. Soweit in der Revision geltend gemacht wird, dass dem Kläger vor einer Kündigung der Ernst der Situation durch Ermahnungen, Gespräche oder Nachschulungen hätte vor Augen geführt werden müssen, übergeht sie, dass die Beklagte nach den Feststellungen alle diese Maßnahmen– wiederholt, offenkundig aber ohne Erfolg – gesetzt hat.

7. Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Zurückweisung nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

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