OGH 10Ob99/18h

OGH10Ob99/18h19.12.2018

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden und die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann, den Hofrat Mag. Ziegelbauer sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*****, vertreten durch MMag. Serkan Akman, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei O ***** GmbH *****, vertreten durch Lederer Rechtsanwalt GmbH in Wien, und ihrer Nebenintervenientin C***** GmbH in Liquidation, *****, vertreten durch Wess Kux Kispert & Eckert Rechtsanwalts GmbH in Wien, wegen 12.492,10 EUR sA und Feststellung (5.000 EUR), über die Rekurse der beklagten Partei und ihrer Nebenintervenientin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 13. August 2018, GZ 1 R 84/18f‑24, mit dem das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 11. April 2018, GZ 13 Cg 51/17f‑17, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0100OB00099.18H.1219.000

 

Spruch:

1. Die Rekurse der beklagten Partei und ihrer Nebenintervenientin werden zurückgewiesen.

2. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 1.379,02 EUR (darin enthalten 229,84 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens zu ersetzen.

 

Begründung:

Der Kläger macht mit der am 28. 7. 2017 eingebrachten Klage Schadenersatzansprüche und ein Feststellungsbegehren aus der im Februar 2007 erfolgten Zeichnung von Kommanditanteilen an einem geschlossenen Fond („Achtundsechzigste Sachwert Rendite Fonds Holland & Co KG“) mit einem Zeichnungsbetrag von 10.000 EUR geltend. Es seien zu seinen Lasten Aufklärungs- und Beratungspflichten verletzt worden.

Das Erstgericht wies die Klagebegehren wegen Verjährung ab. Der Kläger verfüge über keine juristische Ausbildung, sondern habe eine bautechnische Zeichnerlehre absolviert und betreibe nunmehr ein Küchenstudio. Die Veranlagung sei ihm gegenüber insgesamt als sicher im Sinn eines wertstabilen Investment in ertragreiche Immobilien mit renommierten Langzeitmietern dargestellt worden. Der Kläger habe zwar gewusst, dass keine Kapitalgarantie bestehe und die Investition nicht vollkommen risikolos sei, habe aufgrund der Erklärungen des Geschäftsführers und eines Mitarbeiters der beklagten Partei aber darauf vertraut, dass es sich dabei nur um ein rein theoretisches Risiko handle und das Verlustrisiko äußerst gering sei. Infolge des ihm übermittelten Informationsmaterials, spätestens nach Zugang eines „Kurzreports“ im Jänner 2013 sei dem Kläger jedoch erkennbar geworden, dass ein Kapitalverlustrisiko bis hin zum Totalverlust drohe und Ausschüttungen allenfalls zurückgefordert werden könnten, weil in dem „Kurzreport“ auf die anhaltende Finanzkrise, den allgemeinen Wertverlust der Immobilien in den Niederlanden sowie die bis auf weiteres erfolgende Aussetzung von Auszahlungen hingewiesen worden sei. Der Beginn der Verjährungsfrist aus dem Beratungsfehler über das Kapitalverlustrisiko und die Möglichkeit der Rückforderung der Auszahlungen sei daher mit Zugang dieses Kurzreports anzusetzen, sodass zum Zeitpunkt der Klageeinbringung bereits Verjährung eingetreten war.

Das Berufungsgericht hob über Berufung des Klägers das Urteil des Erstgerichts auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Rechtlich ging das Berufungsgericht – soweit für das Rekursverfahren noch wesentlich – davon aus, es komme für den Beginn der Verjährungsfrist darauf an, wann der Kläger ausreichende Anhaltspunkte dafür gehabt habe, dass das Risiko des Totalverlusts nicht nur ein theoretisches Risiko darstelle bzw das Verlustrisiko nicht äußerst gering sei. Als Maßstab für die Kenntnis des Klägers vom Schaden bzw vom Beratungsfehler sei heranzuziehen, dass dem Kläger bekannt gewesen sei, dass die gewählte Investition auch hinsichtlich des eingesetzten Kapitals keine Garantien aufweise und nicht vollkommen risikolos sei. Entgegen der Ansicht des Erstgerichts sei der „Kurzreport“ nicht so abgefasst, dass ein unbedarfter Anleger Verdacht hätte schöpfen müssen, das von ihm eingesetzte Kapital könnte ganz oder teilweise verloren sein. Dafür ergäben sich aus dem Kurzreport keine ausreichenden Anhaltspunkte, sei dieser doch nur als Beschwichtigungsversuch mit einem positiven Ausblick in die Zukunft zu verstehen. Die darin enthaltene Mitteilung, dass ein namhafter Langzeitmieter ausgefallen sei, habe im Hinblick darauf nicht zu entsprechenden Erkundigungsobliegenheiten des Klägers führen müssen, weil zugleich darauf hingewiesen worden sei, dass ein – ebenfalls namhafter – Ersatzmieter gefunden worden sei. Die Reduktion und das anschließende Ausbleiben der Ausschüttungen hätte nur dann ein Indikator für eine vom Anleger unerwünschte Risikoträchtigkeit der Anlageform und für eine Fehlberatung sein können, wenn der Kläger davon ausgegangen wäre, dass die Anlageform überhaupt keinem Risiko unterliege. Auch die subjektiven Befürchtungen des Klägers aufgrund des Platzens der „Immobilienblase“ in den USA im Jahr 2008 seien keine ausreichenden Verdachtsmomente, die ihn zu näheren Erkundigungen veranlassen hätten müssen. Der Beginn der Verjährungsfrist sei somit erst 2015 anzusetzen, als der Kläger durch einen (anderen) Bankberater objektive Kenntnis über die Hochrisikoträchtigkeit der gewählten Veranlagung und das tatsächlich gegebene Risiko des Totalverlusts erhalten habe. Soweit der Kläger einen eigenständigen Beratungsfehler infolge unterlassener Aufklärung darüber geltend mache, dass es sich bei den prognostizierten Ausschüttungen um wieder rückforderbare Teilrückzahlungen der geleisteten Einlage (Liquiditätsausschüttungen) und nicht um Kapitalverzinsungen handle („Ausschüttungsschwindel“), sei der darauf gestützte Anspruch infolge von bereits im Jahr 2010 dem Kläger zugegangenen schriftlichen Unterlagen verjährt. Dennoch sei die Rechtssache in Bezug auf die Verjährung nicht entscheidungsreif, weil bisher Feststellungen zu dem von der Nebenintervenientin erhobenen Verjährungseinwand fehlten, dem Kläger hätte das Kapitalverlustrisiko aufgrund der seit dem Jahr 2012 verdichteten Medienberichterstattung bekannt sein müssen.

Das Berufungsgericht ließ den Rekurs an den Obersten Gerichtshof mit der Begründung zu, es sei keine auf den vorliegenden Sachverhalt passende Entscheidung des Obersten Gerichtshofs auffindbar.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen den Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts erhobenen Rekurse der beklagten Partei und der Nebenintervenientin sind entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 526 Abs 2

ZPO) mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1

ZPO nicht zulässig. Auch die Zurückweisung eines solchen Rekurses kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 528a iVm § 510 Abs 3 letzter Satz

ZPO; RIS-Justiz RS0043691).

Gegenstand des Rekursverfahrens ist ausschließlich die Frage der Verjährung der Ansprüche des Klägers wegen unterlassener Aufklärung darüber, dass das Risiko des Totalverlusts nicht nur ein theoretisches Risiko darstelle bzw das Verlustrisiko nicht äußerst gering sei.

Aus Zweckmäßigkeitsgründen sind beide Rekurse gemeinsam zu behandeln:

1.1 Die dreijährige Verjährungsfrist nach § 1489 ABGB beginnt mit Kenntnis von Schaden und Schädiger. Kennenmüssen reicht daher grundsätzlich nicht aus (RIS‑Justiz RS0034366 [T3, T6]). In gewissem Umfang wird aber dann eine Erkundigungsobliegenheit angenommen (RIS‑Justiz RS0034686 [T12]), wenn der Geschädigte die für die erfolgversprechende Anspruchsverfolgung notwendigen Voraussetzungen ohne nennenswerte Mühe in Erfahrung bringen kann (RIS-Justiz RS0034366 [T20]). Diese Obliegenheit darf nicht überspannt werden (RIS-Justiz RS0034327 [T6]). Sie setzt regelmäßig deutliche Anhaltspunkte für einen Schadenseintritt voraus. Es braucht konkrete Verdachtsmomente, aus denen der Anspruchsberechtigte schließen kann, dass Verhaltenspflichten nicht eingehalten wurden (RIS-Justiz RS0034327 [T21]). Dies gilt auch in Anlegerfällen. Musste der Geschädigte bestimmte Umstände nicht als wahrscheinlich betrachten, so beginnt für die dadurch bedingten Schäden die Verjährungsfrist erst mit deren positiver Kenntnis zu laufen (RIS-Justiz RS0034378).

1.2 Wann eine Erkundigungsobliegenheit entsteht, hängt ganz von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab (RIS-Justiz RS0034327 [T45]). Der Zeitpunkt des Entstehens der Erkundigungsobliegenheit in Bezug auf Beratungsfehler über das Kapitalverlustrisiko bei geschlossenen Fonds war bereits mehrfach Gegenstand der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs:

1.2.1 Nach der Entscheidung 2 Ob 99/16x hätte eine Anlegerin, die als Rechtsanwältin und Insolvenzverwalterin berufstätig war, zumindest ab jenem Zeitpunkt, als die Ausschüttungen hinter den Prognosen zurück blieben, die Frage nach der Entwicklung ihrer Kommanditbeteiligung zu stellen gehabt und zu diesem Zweck die ihr übersandten Berichte lesen und daraus erkennen müssen, dass ein Kapitalverlustrisiko besteht und sie unter Umständen zur Rückzahlung der Ausschüttungen verpflichtet sein könnte.

1.2.2 Einem Anleger, der als Unternehmer selbst Gesellschafter einer KG war und mehrere Aufsichtsratsfunktionen ausübte, wurde zugemutet, dass er nach objektivem Bekanntwerden des Totalverlustrisikos– ungeachtet des Versuchs der Verharmlosung dieses Risikos durch seinen Berater – die Frage nach der Entwicklung seiner Beteiligung stellen und die ihm übersandten Grundlagen-, Geschäfts- und Treuhandberichte liest (10 Ob 58/16a).

1.2.3 Hingegen wurde es bei einem juristisch unversierten Kläger nicht als eine die Erkundigungsobliegenheit auslösende Verdachtslage angesehen, wenn in einem Schreiben von wirtschaftlichen Risiken, Leerstandsrisiko und einer Begrenzung der Haftung auf den Betrag der Einlage die Rede war (10 Ob 70/15i zur Kommanditbeteiligung „Holland 44“).

1.2.4 In der Entscheidung 6 Ob 118/16w billigte der Oberste Gerichtshof die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, für einen laienhaften Anleger (der nicht einmal darüber im Bild war, dass er Kommanditist geworden war), ergäben sich aus der Reduzierung bzw dem Ausbleiben von Ausschüttungen keine konkreten Anhaltspunkte für einen Aufklärungsfehler über die Rückforderbarkeit der Ausschüttungen.

2.1 Von dieser – zu gleichartigen Veranlagungsprodukten ergangenen – Rechtsprechung weicht die Begründung des Berufungsgerichts nicht ab, auch im vorliegenden Fall sei eine Verletzung der Erkundigungspflicht zu verneinen. Die Ansicht, für den juristisch nicht gebildeten Kläger hätten sich weder aus dem „Kurzreport“ noch aus dem Aussetzen von Auszahlungen ausreichend konkrete Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die beklagte Partei ihre Verhaltenspflichten hinsichtlich des möglichen Verlustrisikos verletzt habe, bewegt sich im Rahmen des den Gerichten eingeräumten Beurteilungsspielraums. Diese Ansicht entspricht zudem der ständigen Rechtsprechung, nach der an die Erkundigungspflicht generell keine allzu strengen Anforderungen gestellt werden dürfen (RIS-Justiz RS0034327). Bloße Mutmaßungen – wie die Befürchtung des Klägers, es könnte eine ähnliche Entwicklung wie 2008 in den USA („Immobilienblase“) eintreten, – reichen grundsätzlich nicht aus (RIS-Justiz RS0034524 [T18, T69]). Dem in beiden Rekursen erstatteten Vorbringen, zumindest das Ausbleiben der Ausschüttungen hätte zu weiteren Erkundigungen Anlass geben müssen, ist zudem die Feststellung entgegenzuhalten, dass der Kläger nach Ausbleiben der Ausschüttungen das Gespräch mit einem Berater der beklagten Partei gesucht hat, der aber die Bedenken des Klägers über die Sicherheit seiner Investition nur neuerlich beschwichtigte, indem er auf den Mieterwechsel und die damit im Zusammenhang stehenden Umbaukosten verwies.

3. Darauf, dass – ex post gesehen – das Risiko eines Totalverlusts infolge einer mit dem Darlehensinhaber erzielten Einigung nicht schlagend geworden ist, sodass der Anleger die an ihn getätigten Auszahlungen in Höhe von 2.126,70 EUR nicht rückerstatten muss, kommt es für den Beginn der Verjährungsfrist nicht an.

4. Fehlende Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einem gleichgelagerten Sachverhalt wirft noch keine erhebliche Rechtsfrage auf; Besonderheiten der Fallgestaltung schließen eine richtungsweisende Entscheidung eher aus (RIS-Justiz RS0102181). Da die Entscheidung des Berufungsgerichts somit nicht von der Lösung einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 

519 Abs 2 iVm § 502 Abs 1

ZPO abhängt, waren beide Rekurse zurückzuweisen.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50

ZPO. Der Kläger hat in seiner zum Rekurs der beklagten Partei erstatteten Rekursbeantwortung auf die Unzulässigkeit dieses Rechtsmittels hingewiesen und daher Anspruch auf Kostenersatz (RIS-Justiz RS0123222 [T8]).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte