OGH 1Ob214/18d

OGH1Ob214/18d21.11.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj M***** E*****, vertreten durch die Dr. Farhad Paya Rechtsanwalt GmbH, Klagenfurt, gegen die beklagte Partei Krankenhaus *****gesellschaft m.b.H, *****, vertreten durch Dr. Walter Müller, Mag. Dr. Wolfgang Graziani-Weiss und andere, Rechtsanwälte in Linz, wegen 42.000 EUR sA und Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 19. September 2018, GZ 2 R 112/18f‑71, mit dem das Urteil des Landesgerichts Linz vom 27. Juli 2018, GZ 38 Cg 14/16w‑67, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0010OB00214.18D.1121.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.096,56 EUR (darin enthalten 182,76 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Die Klägerin kam 2001 mit einer urogenitalen Fehlbildung zur Welt. Die Beklagte haftet ihr für die Folgen der nicht lege artis durchgeführten Operation vom 3. 11. 2004, weil der Operateur statt eines Harnleiterstumpfs benachbarte Anteile des Gebärmutterhalses und der Scheidenwand entfernte. Durch die nachfolgende Wundheilung und Vernarbung kam es zu einem Verschluss zwischen diesen beiden Organen. Dies hat ihre Unfruchtbarkeit zur Folge, deren Behebung zwar möglich aber mit Risiken behaftet ist. Jede (danach) mögliche Schwangerschaft stellt eine Risikoschwangerschaft dar.

Das Berufungsgericht nahm eine Teilbemessung des Schmerzengeldes vor, weil sich die künftigen körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen der Klägerin noch nicht abschätzen ließen, und erachtete für die Zeit bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz einen Pauschalbetrag von 25.000 EUR für angemessen.

Die von der Klägerin neben dem Schmerzengeldbegehren erhobene Forderung auf Zahlung einer Entschädigung für die Verminderung ihrer Heiratsfähigkeit von 10.000 EUR wies es in Abänderung des Ersturteils ab, weil die Verletzung der Klägerin nicht dem Gesetzesbegriff der „Verunstaltung“ gemäß § 1326 ABGB unterstellt werden könne. Die ordentliche Revision erklärte es für zulässig, weil keine höchstgerichtliche Stellungnahme zur Frage vorliege, ob die sich potenziell negativ auf die Heiratsaussichten auswirkende Unfruchtbarkeit eines Mädchens als „Verunstaltung“ im Sinne des § 1326 ABGB gewertet werden könne.

Rechtliche Beurteilung

Die von der Beklagten beantwortete Revision der Kläger ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nach § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

1.1 Nach § 1326 ABGB steht eine Entschädigung zu, wenn die verletzte Person verunstaltet worden ist und ihr (berufliches oder privates) Fortkommen dadurch behindert werden kann.

Als Verunstaltung gilt ganz allgemein jede wesentliche nachteilige Veränderung der äußeren Erscheinung (RIS‑Justiz RS0031071, RS0031084, RS0031107). Darunter fallen nicht nur äußerlich sichtbare Beeinträchtigungen am Körper, sondern auch durch äußerlich nicht sichtbare Verletzungsfolgen hervorgerufene Beeinträchtigungen der äußeren Erscheinung, wie beispielsweise eine Sprachstörung, eine Ungeschicklichkeit oder ein Zittern der Hände als Folge einer Hirnverletzung (vgl RIS-Justiz RS0031169), Taubheit, weil auch dadurch die äußere Erscheinung sinnfällig beeinträchtigt wird (2 Ob 73/77), oder der gänzliche bzw teilweise Verlust der Sehfähigkeit (RIS-Justiz RS0031142). Ob mit den Folgen einer Verletzung Beeinträchtigungen der äußeren Erscheinung des Geschädigten verbunden sind, ist nach der allgemeinen Lebensanschauung zu beurteilen (9 Ob 148/00f wN bei; Reischauer in Rummel, ABGB2 Rz 4 zu § 1326).

1.2 Den im Wesentlichen auch schon vom Berufungsgericht genannten Entscheidungen ist gemeinsam, dass auch bei weiter Auslegung des Begriffs der Verunstaltung (dazu 9 Ob 148/00f) eine Beeinträchtigung der äußeren Erscheinung des Geschädigten gegeben sein muss, die in irgendeiner Form auch sinnlich wahrgenommen werden kann. Das ist bei einer auf einer Veränderung im Körperinneren beruhenden „Unfruchtbarkeit“ für sich genommen nicht der Fall, sodass sie auch nicht tatsbestandmäßig im Sinne des § 1326 ABGB ist. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts liegt daher eine erhebliche Rechtsfrage nicht vor, weil sich die Lösung der von ihm konkret beurteilten Fallgestaltung zwanglos aus vorhandenen Leitlinien höchstgerichtlicher Rechtsprechung ergibt (RIS‑Justiz RS0118640

; RS0042742 [T11; T13]; Zechner in Fasching/Konecny 2 § 502 ZPO Rz 70 mwN). Ihre Behauptung, der Oberste Gerichtshof hätte in zahlreichen Entscheidungen eine Entschädigung auch bei sinnlich nicht wahrnehmbaren Verunstaltungen zugesprochen, vermag die Klägerin nicht zu belegen.

1.3 Das Berufungsgericht hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass gar nicht behauptet wurde, dass der haftungsbegründende Behandlungsfehler eine ‒ mit der erektilen Impotenz eines Mannes vergleichbare und sich einem Sexualpartner offenbarende ‒ Beischlafunfähigkeit oder auch nur Einschränkung in der sexuellen Begegnung zur Folge hätte. Die Klägerin tritt diesen Ausführungen nicht entgegen und kann sich damit auch nicht auf eine Vergleichbarkeit ihrer auf den nicht lege artis durchgeführten Eingriff zurückzuführende Verletzung des inneren Genitales mit dem zu 1 Ob 715/86 entschiedenen Sachverhalt berufen, dem unter anderem die (sichtbare und erhebliche) Verstümmelung des Geschlechtsorgans eines männlichen Jugendlichen zugrunde lag. Zu 2 Ob 89/88 war nicht nur eine Impotenz als eine für einen Sexualpartner wahrnehmbare nachteilige Veränderung, sondern auch eine Harninkontinenz zu beurteilen. Die auf das Prozessvorbringen der Klägerin reflektierenden Überlegungen des Berufungsgerichts halten sich damit jedenfalls im Rahmen der Rechtsprechung. In der Verneinung einer zu entschädigenden Verunstaltung der Klägerin liegt damit auch keine im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung. Mit dem Verweis auf ihre psychische Belastung – auch im Zusammenhang mit einer zukünftigen Partnerschaft – spricht die Klägerin keine Fragen der Verunstaltungsentschädigung gemäß § 1326 ABGB an, sondern solche der Bemessung des Schmerzengeldes.

2.1 Eine Teilbemessung des Schmerzengeldes kommt ausnahmsweise dann in Betracht, wenn die Folgen der Körperbeschädigung noch nicht vorhersehbar sind (RIS-Justiz RS0031082) oder wenn das Ausmaß der Schmerzen noch nicht so weit abgeschätzt werden kann, dass eine globale Beurteilung möglich ist (RIS-Justiz RS0031082 [T3]). Grundlage für eine zulässige Teilbemessung des Schmerzengeldes ist das vorläufige Gesamtbild, das sich bei Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz aus dem festgestellten Sachverhalt ergibt; die bis dahin aufgetretenen Schmerzen sind global zu bemessen (2 Ob 240/10y mwN). Bereits bekannte jedenfalls zu erleidende zukünftige Schmerzen bleiben hingegen außer Betracht (2 Ob 240/10y mwN; RIS-Justiz RS0115721).

2.2 Die Klägerin legt ihren Revisionsausführungen ausdrücklich zugrunde, dass die Voraussetzungen für eine Teilbemessung des Schmerzengeldes gegeben sind, und wendet sich damit in Wahrheit ausschließlich gegen die Höhe des vom Berufungsgericht ausgemittelten Betrags.

Die Ausmessung von Schmerzengeld unter Berücksichtigung der maßgebenden Umstände wirft als Entscheidung im Einzelfall in der Regel aber keine Rechtsfrage von der Bedeutung des § 502 Abs 1 ZPO auf (RIS-Justiz RS0042887 [T2, T5 ua]). Nur im Fall einer eklatanten Fehlbemessung wäre die Revision ausnahmsweise aus Gründen der Einzelfallgerechtigkeit zur Vermeidung einer gravierenden Ungleichbehandlung durch die Rechtsprechung zulässig (RIS-Justiz RS0044088).

2.3 Eine solche Fehlbemessung liegt nicht vor, weil das Berufungsgericht die festgestellten Schmerzperioden ebenso berücksichtigte, wie die sich bis Ende 2015 nicht gesondert darin niederschlagenden psychischen Belastungen der heranwachsenden Klägerin, die mit ihren massiven, zunächst unklaren Menstruationsbeschwerden, dem Wissen um ihre kunstfehlerbedingte Unfruchtbarkeit und der Ungewissheit darüber verbunden waren, ob bzw inwiefern sich ihr derzeitiger körperlicher Status auf ihr Beziehungsleben und die Möglichkeit auswirken werde, Kinder zu bekommen. Damit hat das Berufungsgericht alles bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz aufgetretene Ungemach ohne Überschreitung des ihm bei der Beurteilung dieser Frage eingeräumten Ermessens berücksichtigt. Dass die Folgen des fehlgeschlagenen Eingriffs bei der Klägerin auch für deren Mutter belastend waren, ist zwar gut nachvollziehbar, aber ohne Bedeutung für die Bemessung der der Klägerin aus diesem Titel gebührenden Entschädigung.

3. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 ZPO iVm § 50 ZPO. Die Beklagte hat darauf hingewiesen, dass die

Revision nicht zulässig ist, weshalb ihr die

Kosten der Revisionsbeantwortung als zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig zuzuerkennen sind.

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