European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E123661
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird an das Erstgericht zurückverwiesen und ihm die Fortsetzung des gesetzmäßigen Verfahrens über die Klage unter Abstandnahme vom herangezogenen Zurückweisungsgrund aufgetragen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
Die Streitteile schlossen am 10. 3. 2012 vor dem Standesamt R* (Kroatien) die Ehe. Beide Parteien sind kroatische Staatsbürger. Ihr letzter gemeinsamer Aufenthalt befand sich in Österreich, wo sie nach wie vor wohnen.
Am 2. 11. 2017 brachte der Beklagte in Kroatien beim Gemeindegericht R* eine Scheidungsklage ein.
Mit der am 20. 2. 2018 beim Erstgericht eingebrachten Klage begehrte die Klägerin – gestützt auf § 49 EheG – die Scheidung der Ehe aus dem alleinigen Verschulden des Beklagten. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Beklagte seit zumindest Herbst des Jahres 2017 eine ehewidrige Beziehung unterhalte. Aufgrunddessen habe die Klägerin am 13. 11. 2017 die Ehewohnung verlassen. Der Beklagte habe zwar bereits Scheidungsklage beim Gemeindegericht R* eingebracht, jedoch sei dort kroatisches Recht anzuwenden. Die kroatische Rechtsordnung sehe kein Verschuldensprinzip vor, weshalb auch keine Identität der geltend gemachten Ansprüche gegeben sei. Die Klägerin verfolge das Rechtsschutzziel, dass das Verschulden des Beklagten an der Ehescheidung festgestellt werde, weil dies nach dem österreichischen Unterhaltsrecht wesentliche Auswirkungen auf den nachehelichen Unterhalt habe.
Der Beklagte wandte im Wesentlichen Streitanhängigkeit ein. Der Streitgegenstand des Scheidungsverfahrens in Kroatien sei ident mit jenem des Scheidungsverfahrens in Österreich. Es werde auch bestritten, dass er seit September 2017 eine ehewidrige Beziehung führe. Tatsächlich habe die Klägerin das alleinige Verschulden an der unheilbaren Zerrüttung der Ehe zu verantworten.
Da sich die Klägerin im Verfahren vor dem kroatischen Gemeindegericht dem Antrag des Beklagten auf Ehescheidung anschloss, wurde dieses wie bei einem Antrag auf einvernehmliche Scheidung geführt und in der Tagsatzung vom 30. 3. 2018 der Beschluss auf Scheidung der Ehe gefällt, der am selben Tag infolge Rechtsmittelverzichts rechtskräftig wurde. Daraufhin schränkte die Klägerin ihr Klagebegehren dahingehend ein, dass das Alleinverschulden des Beklagten an der Zerrüttung der Ehe festgestellt werden möge.
Das Erstgericht wies die Klage zurück. Die internationale wie auch die örtliche Zuständigkeit seien gegeben. Nach Art 8 der ROM III‑Verordnung gelange österreichisches Scheidungsrecht zur Anwendung. Der rechtskräftigen Entscheidung des Gerichts in R* komme jedoch Einmaligkeitswirkung zu, weshalb zwischen denselben Parteien kein auf den gleichen rechtserzeugenden Sachverhalt gestütztes weiteres Verfahren anhängig gemacht werden könne. Es liege ein identes Rechtsschutzbegehren vor, sodass die Rechtskraft der die Streitsache erledigenden Entscheidung des Gemeindegerichts R* ein Prozesshindernis darstelle. Die hier eingebrachte Klage sei wegen entschiedener Rechtssache zurückzuweisen.
Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss. Die in Kroatien eingebrachte Scheidungsklage sei auf eine Scheidung wegen Zerrüttung gemäß Art 51 Pkt 2 des kroatischen Familiengesetzes gerichtet gewesen. Aus der– unstrittig – rechtskräftigen Entscheidung des Gemeindegerichts R* gehe hervor, dass sich die– anwaltlich vertretene – Klägerin dem Antrag des Beklagten auf Ehescheidung angeschlossen habe und daher das Verfahren „wie bei einem Antrag auf einvernehmliche Ehescheidung geführt wurde“. Sowohl nach kroatischem wie auch nach österreichischem Familienrecht bestehe die Möglichkeit einer einvernehmlichen Ehescheidung, bei der in beiden Rechtsordnungen kein Verschuldensausspruch vorgesehen sei. Da bereits in Kroatien eine rechtskräftige einvernehmliche Entscheidung vorliege, die endgültig beide Parteien binde und die in Österreich anerkannt werde (Art 21 der Brüssel IIa‑Verordnung) und die mit der Wirkung verbunden sei, dass keine damit in Widerspruch stehende weitere Entscheidung zulässig sei, liege das Prozesshindernis der rechtskräftig entschiedenen Streitsache vor.
Gegen diesen Beschluss wendet sich der Revisionsrekurs der Klägerin mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufzutragen.
Der Beklagte begehrt, den Revisionsrekurs zurückzuweisen; hilfsweise ihm keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist aus Gründen der Rechtssicherheit zulässig, er ist auch berechtigt.
1.1 Die Verordnung (EU) Nr 1259/2010 des Rates vom 20. Dezember 2010 zur Durchführung einer verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebands anzuwendenden Rechts („ROM III“) gilt für gerichtliche Verfahren, die – wie hier – ab dem 21. 6. 2012 eingeleitet wurden (Art 18 Abs 1 leg cit). Die Verordnung ist nur in den Mitgliedstaaten anzuwenden, die sich an der verstärkten Zusammenarbeit beteiligen, wozu auch Österreich zählt.
1.2 Zu Recht wird im Revisionsverfahren nicht in Frage gestellt, dass nach Art 8 der ROM III‑Verordnung, die insoweit § 20 IPRG verdrängt, österreichisches Recht zur Anwendung gelangt.
2. Gemäß Art 2 der ROM III‑Verordnung bleibt die Anwendung der Verordnung (EG) Nr 2201/2003 unberührt.
3.1 Nach Art 21 Abs 1 der VO (EG) Nr 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und im Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung EG Nr 1347/2000 (Brüssel IIa‑Verordnung; EuEheKindVO) werden die in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen die in den Anwendungsbereich der Verordnung fallen – wie die rechtskräftige Entscheidung des kroatischen Gerichts über die Scheidung der Ehe der Streitteile – in allen anderen Mitgliedstaaten – ausgenommen Dänemark – anerkannt, ohne dass es der Durchführung eines besonderen Verfahrens bedarf.
3.2 Richtig ist, dass auch Entscheidungen ausländischer Gerichte die Einrede der Rechtskraft begründen können, wenn sie im Inland – wie hier – anzuerkennen sind (RIS‑Justiz RS0110172 [T3]).
3.3 Im vorliegenden Fall sind die Vorinstanzen aber mit ihrer Beurteilung, die rechtskräftige kroatische Scheidungsentscheidung, die keinen Verschuldensausspruch enthält, begründe hinsichtlich des auf Feststellung des Alleinverschuldens des Beklagten an der Zerrüttung der Ehe gerichteten Klagebegehrens das Prozesshindernis der entschiedenen Rechtssache, von der oberstgerichtlichen Rechtsprechung abgewichen:
4.1 Nach ständiger Judikatur wird nämlich die Möglichkeit einer (nachträglichen) Ergänzung des Verschuldensausspruchs einer mit rechtskräftigem Urteil geschiedenen Ehe unter bestimmten Voraussetzungen bejaht. Eine solche Ergänzungsklage dient der Nachholung oder Korrektur eines Schuldausspruchs, der mangels Ausschöpfung vorhandener prozessualer Gestaltungsmöglichkeiten im Urteil des Vorprozesses nicht enthalten oder unvollständig geblieben ist. Ebenso kann dann, wenn ein ausländisches Gericht die Ehe ohne Verschuldensausspruch geschieden hat, in Österreich ein Verschuldensausspruch nach § 61 Abs 3 EheG nachgetragen werden (7 Ob 77/99w mzwN). Wird eine Ehe aus einem dem § 55 Abs 3 EheG entsprechenden Grund einer ausländischen Rechtsordnung ohne Verschuldensausspruch geschieden, besteht ein selbständiger Rechtsschutzanspruch auf eine Entscheidung nach § 61 Abs 3 EheG. Auf Antrag ist das rechtskräftige Urteil eines anderen Staats (nachträglich) durch einen Verschuldensausspruch zu ergänzen (RIS‑Justiz RS0057050, 7 Ob 116/12b, 1 Ob 97/18y je mwN).
Abgelehnt wurde die Möglichkeit einer derartigen nachträglichen Ergänzung allerdings für den Fall einer Ehescheidung im Einvernehmen nach § 55a EheG, weil es der durch diese Gesetzesstelle geschaffenen Möglichkeit der einvernehmlichen Scheidung und einvernehmlichen Regelung der Scheidungsfolgen widersprechen würde, einem Ehegatten nach rechtskräftiger Auflösung der Ehe die Möglichkeit zu geben, eine dem Einverständnis des anderen Gatten nicht entsprechende Entscheidung herbeizuführen (RIS‑Justiz RS0008475, 7 Ob 77/99w mwN).
4.2 Aus der eben dargestellten Rechtsprechung ergibt sich, dass ein rechtskräftiges ausländisches Scheidungsurteil ohne Verschuldensausspruch keine entschiedene Rechtssache im Verhältnis zur Frage des Vorliegens der Voraussetzungen für einen nachträglichen Verschuldensausspruch begründet, der im Sinne der obigen Ausführungen materiell-rechtlich zu prüfen ist. Selbst dann, wenn die kroatische Scheidung einer einvernehmlichen Scheidung nach § 55a EheG entsprechen würde, was einer (noch nicht vorliegenden) genauen Gegenüberstellung der beiden Rechtsordnungen (vgl 7 Ob 77/99w) bedarf, wäre das Klagebegehren nicht wegen entschiedener Sache zurück-, sondern mangels Berechtigung abzuweisen.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen sind daher aufzuheben und die Rechtssache ist zur Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom herangezogenen Zurückweisungsgrund an das Erstgericht zurückzuverweisen.
5. In Folge des amtswegigen Vorgehens der Vorinstanzen liegt kein echter Zwischenstreit vor, weshalb die Kostenentscheidung gemäß § 52 Abs 1 ZPO vorzubehalten ist (RIS‑Justiz RS0035955 [T11]).
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