OGH 5Ob185/18v

OGH5Ob185/18v6.11.2018

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Familienrechtssache des Antragstellers Dr. A*, vertreten durch Christandl Rechtsanwalt GmbH in Graz, gegen den Antragsgegner A*, vertreten durch Mag. Heike Sporn, Rechtsanwältin in Wien, wegen Unterhalt (Streitwert 21.960 EUR) über den Revisionsrekurs des Antragstellers gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 16. Juli 2018, GZ 45 R 169/18p‑29, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 16. März 2018, GZ 90 Fam 1/18k‑14, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E123470

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat die Kosten seiner Revisionsrekursbeantwortung selbst zu tragen.

 

Begründung:

Der Antragsteller ist als Vater zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 610 EUR für den Antragsgegner verpflichtet. Mit Beschluss vom 21. März 2016 wies das Bezirksgericht Klagenfurt einen Unterhaltsenthebungsantrag des Vaters ab, den er darauf gestützt hatte, dass der Antragsgegner seine drei Bachelorstudien (Wirtschafts‑ und Sozialwissenschaften, Wirtschaftsrecht sowie Landschaftsplanung und Landschaftsarchitektur) nicht innerhalb der durchschnittlichen Studiendauer abgeschlossen habe. Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Es ging davon aus, dass der Antragsgegner trotz Überschreitung der durchschnittlichen Studiendauer des Bachelorstudiums Wirtschafts‑ und Sozialwissenschaften um vier Semester im Hinblick auf die Mehrfachstudien und die Nebenbeschäftigung seine Ausbildung zielstrebig und ernsthaft betreibe.

Am 5. September 2016 beendete der Antragsgegner dieses Studium mit der Bachelorarbeit und nahm im Wintersemester 2016/2017 drei Masterstudien (Finanzwirtschaft und Rechnungswesen, Steuern und Rechnungslegung sowie Umwelt‑ und Bioressourcen-management) auf. Die Durchschnittsstudiendauer der beiden erstgenannten Masterstudien beträgt vier Semester, jene des Masterstudiums Umwelt‑ und Bioressourcenmanagement sechs bis sieben Semester. Per 18. Jänner 2018 hat der Antragsgegner in diesen Masterstudien 18, 62 und 48 von jeweils 120 erforderlichen ECTS‑Punkten erreicht.

Das Erstgericht wies den Antrag des Antragstellers, ihn ab 1. Jänner 2018 von seiner Unterhaltsverpflichtung gegenüber dem Antragsgegner zu entheben, ab.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Antragstellers nicht Folge. Aufgrund der rechtskräftigen Vorentscheidung sei trotz der im dortigen erstgerichtlichen Entscheidungszeitpunkt gegebenen Überschreitung der durchschnittlichen Studiendauer im Hauptstudium noch von einem ernsthaften und zielstrebigen Studienfortgang des Antragsgegners bis zu diesem Zeitpunkt auszugehen. Der Antragsgegner habe dieses Bachelorstudium im darauffolgenden Semester beendet und damit seine Ausbildung weiterhin ernsthaft und zielstrebig betrieben. Die weiterführende Ausbildung durch das Masterstudium sei geeignet, seine Selbsterhaltungsfähigkeit weiter hinauszuschieben. Die Durchschnittsstudiendauer habe er noch in keinem der Masterstudien erreicht, er weise einen guten Studienerfolg auf.

Den ordentlichen Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht über Abänderungsantrag des Antragstellers nachträglich mit der Begründung zu, dieser weise auf eine eklatante Überschreitung des Ermessensspielraums durch das Rekursgericht, ein Abweichen von höchstgerichtlicher Rechtsprechung und eine uneinheitliche Rechtsprechung des Höchstgerichts hinsichtlich des Fortbestehens der Unterhaltspflicht während der Absolvierung eines Masterstudiums des Unterhaltsberechtigten hin, was „hier nicht von der Hand zu weisen sei“.

In seinem – vom Antragsgegner beantworteten – Revisionsrekurs strebt der Antragsteller an, mit Wirkung vom 1. Jänner 2018 von seiner Unterhaltsverpflichtung enthoben zu werden.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist – ungeachtet des den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 71 Abs 1 AußStrG) – Ausspruchs des Rekursgerichts nicht zulässig. Er vermag keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG aufzuzeigen. Die Begründung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 71 Abs 3 letzter Satz AußStrG).

1. Ein vom Rekursgericht verneinter Mangel des außerstreitigen Verfahrens erster Instanz kann keinen Revisionsrekursgrund bilden (RIS‑Justiz RS0050037). Die diesen Grundsatz einschränkende, von der Rechtsprechung entwickelte Negativvoraussetzung, „sofern eine Durchbrechung dieses Grundsatzes nicht aus Gründen des Kindeswohls erforderlich ist“, hat im Regelfall nur in Obsorge‑ und Besuchsrechtsverfahren Bedeutung (RIS‑Justiz RS0050037 [T8]). Sie ist hier nicht anzuwenden.

2.1. Ob ein Kind seinen Unterhaltsanspruch verliert, wenn es seine Berufsausbildung nicht zielstrebig betreibt, kann nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt werden (RIS‑Justiz RS0008857), sodass einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofs keine über diesen hinausgehende Bedeutung zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung zukommt (RIS‑Justiz RS0109289). Eine auch im Einzelfall korrekturbedürftige Fehlbeurteilung der Vorinstanzen ist nicht zu erkennen:

2.2. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs studiert ein Kind in der Regel zielstrebig, solange die durchschnittliche Gesamtstudiendauer nicht überschritten wird (RIS‑Justiz RS0083694). Auch während dieses Zeitraums hat das Kind aber nur Anspruch auf Unterhalt, wenn es das Studium ernsthaft und zielstrebig betreibt, wobei bei in Studienabschnitten gegliederten Studien die Regeln des § 2 Abs 1 lit b FLAG als Orientierungsgrundlage zur Beurteilung dieser Frage herangezogen werden können (RIS‑Justiz RS0083694 [T25]). Fehlt eine Gliederung in Studienabschnitte – wie dies bei einem Bachelor‑ oder Masterstudium der Fall ist – hat die erforderliche Kontrolle des periodischen Studienfortgangs durch eigenständige Beurteilung der vom Unterhaltswerber erbrachten Leistungen zu erfolgen (RIS‑Justiz RS0120928).

2.3. Die behauptete Uneinheitlichkeit der höchstgerichtlichen Rechtsprechung in Bezug auf das Masterstudium liegt nicht vor. Zwar verneint die Rechtsprechung (RIS‑Justiz RS0101996) ein Erlöschen der Unterhaltspflicht der Eltern für die Zeit des Doktoratsstudiums nur dann, wenn der bisherige Studienfortgang zeitlich überdurchschnittlich war, der Erwerb des Doktorgrades ein besseres Fortkommen erwarten lässt, dieses Studium zielstrebig betrieben wird und ein maßstabgerechter Elternteil bei intakten Familienverhältnissen seinem Kind für diesen Zeitraum weiterhin Unterhalt gewährt hätte. Bereits 6 Ob 92/08k(= iFamZ 2008/112) sprach aber – ebenso zum Bachelorstudium Betriebswirtschaft – ausdrücklich aus, dass auch das Masterstudium unmittelbar der Berufsvorbildung diene, dies jedenfalls dann, wenn die Absolvierung des Masterstudiums Voraussetzung für die Ausübung bestimmter Berufe wie etwa des Wirtschaftsprüfers sei. Der 9. Senat sprach zu einem an ein Bachelorstudium anschließenden Magisterstudium der Publizistik und Kommunikationswissenschaft aus (9 Ob 63/08t), dass ungeachtet des Umstands, dass keine Anhaltspunkte für bestimmte Berufe vorlägen, für deren Ausübung die Absolvierung des Magisterstudiums Voraussetzung sei, davon auszugehen sei, dass sich die beruflichen Möglichkeiten durch den Abschluss des Magisterstudiums gegenüber dem des Bachelorstudiums jedenfalls erweitern. Der 3. Senat hielt zum Bachelor- und Masterstudium Maschinenbau fest (3 Ob 69/14i = iFamZ 2014/164), dass die Unterhaltspflicht für die Dauer eines an ein Bachelorstudium anschließenden und zielstrebig betriebenen Masterstudiums auch ohne die von der Rechtsprechung geforderten strengen Kriterien für die Zumutbarkeit der Finanzierung eines Doktoratsstudiums besteht (idS auch Gitschthaler, Unterhaltsrecht3 Rz 846).

2.4. Dass das Bachelor‑ und das Masterstudium nicht als einheitliches Studium zu qualifizieren sind, hat der 3. Senat bereits ausdrücklich ausgesprochen (3 Ob 69/14i). Auch der 9. Senat verlangte in der vom Revisionsrekurswerber selbst zitierten Entscheidung 9 Ob 34/16i (iFamZ 2017/40) – wenn auch in anderem Zusammenhang – die getrennte Beurteilung der Studiendauer für das Bachelor‑ und das Masterstudium.

3.1. Das Rekursgericht hat sich – wie schon das Erstgericht – an diesen Rechtsprechungsgrundsätzen orientiert, eine auch im Einzelfall korrekturbedürftige Fehlbeurteilung liegt nicht vor. Bei seiner Argumentation mit der Gesamtstudiendauer des Antragsgegners lässt der Revisionsrekurswerber insbesondere den von beiden Vorinstanzen ausdrücklich hervorgehobenen Umstand außer Acht, dass – anders als in den von ihm zitierten Entscheidungen 6 Ob 118/14t bzw 9 Ob 34/16i – hier eine rechtskräftige Vorentscheidung zu berücksichtigen war, dieden auf das nicht mehr zielstrebige Betreiben des Studiums gerichteten Unterhaltsenthebungsantrags des Vaters abgewiesen hatte. Auf die Argumentation des Rekursgerichts, die Entscheidung des Landesgerichts Klagenfurt sei in dem Sinn bindend, dass die – zum maßgeblichen dortigen erstgerichtlichen Entscheidungszeitpunkt am 21. März 2016 –gegebene Überschreitung der Durchschnittsstudiendauer um vier Semester noch nicht schade und bis zur Beendigung des Bachelorstudium der Wirtschafts‑ und Sozialwissenschaft im darauffolgenden Semester von einem ernsthaften und zielstrebigen Betreiben dieses Studiums auszugehen sei, geht der Antragsteller in seiner Rechtsrüge gar nicht ein. Da die Voraussetzungen für eine materielle Bindungswirkung als Folge der – auch im außerstreitigen Verfahren zu beachtenden (RIS‑Justiz RS0007477) – materiellen Rechtskraft einer Entscheidung unter anderem dann vorliegen, wenn das Begehren das begriffliche Gegenteil des bereits rechtskräftig entschiedenen Anspruchs ist, wobei die Entscheidungsgründe zur Auslegung und Individualisierung des rechtskräftig entschiedenen Anspruchs insbesondere bei einer abweisenden Entscheidung heranzuziehen sind (RIS‑Justiz RS0041331), ist hier jedenfalls davon auszugehen, dass mit der Rechtskraft der abweisenden Entscheidung im Vorprozess bindend das aufrechte Bestehen des Unterhaltsanspruchs des Antragstellers zum relevanten Entscheidungszeitpunkt März 2016 festgestellt wurde. Das Abstellen bloß auf die Gesamtdauer des Bachelorstudiums ohne Berücksichtigung dieser rechtskräftigen Entscheidung kommt nach der jedenfalls vertretbaren Auffassung der Vorinstanzen somit in diesem speziellen Einzelfall nicht in Betracht.

3.2. Dass jedenfalls ein Masterstudium „Steuern und Rechnungslegung“ der unmittelbaren Berufsvorbildung eines Absolventen des Bachelorstudiums „Betriebswirtschaft“ dient, liegt auch ohne nähere Feststellungen zu möglichen Erwerbstätigkeiten aufgrund des Bachelorabschlusses auf der Hand. Dass der Antragsgegner zum Entscheidungszeitpunkt erster Instanz jeweils erst am Beginn des vierten Semesters der drei von ihm betriebenen Masterstudien stand, sodass er die – getrennt zu beurteilende – Durchschnittsdauer in keinem der Masterstudien überhaupt erreicht hatte, zieht der Revisionsrekurswerber nicht in Zweifel. In den Masterstudien erreichte der Antragsgegner in drei Semestern insgesamt 128 ECTS‑Punkte und führte daneben auch die Bachelorstudien Wirtschaftsrecht sowie Landschaftsplanung und Landschaftsarchitektur weiter. Er gehört zu den besten 25 % der Studierenden der Vergleichsgruppe. Wenn die Vorinstanzen angesichts dessen von einem ernsthaften und zielstrebigen Betreiben jedenfalls des Masterstudiums „Steuern und Rechnungslegung“ ausgingen, in dem allein der Antragsgegner bereits 62 ECTS‑Punkte erreicht hat, ist dies im Einzelfall selbst dann vertretbar, wenn man berücksichtigt, dass nach den Feststellungen unter Berücksichtigung des Auslandssemesters mit einem Studienabschluss erst im Sommersemester 2019 zu rechnen ist. In Lehre und Rechtsprechung ist anerkannt, dass ein Überschreiten selbst der durchschnittlichen Studiendauer nicht zum Verlust des Unterhaltsanspruchs führt, wenn dafür besondere Gründe vorliegen (5 Ob 1/17h = iFamZ 2017/84 mwN; Gitschthaler, Unterhaltsrecht3 Rz 837), wobei ein dem Ausbildungsziel dienender Studienaufenthalt im Ausland – wie er hier geplant ist – (vgl auch RIS‑Justiz RS0047669) oder eine Teilzeitbeschäftigung im Rahmen wissenschaftlicher Tätigkeit, die dem vertieften Wissenserwerb dient und geeignet ist, sich positiv auf den Studienerfolg auszuwirken (5 Ob 1/17h), als derartige Gründe zu werten sind. Der Antragsgegner ist bei der Wirtschaftsuniversität Wien geringfügig beschäftigt, zunächst im IT‑Service Center und nunmehr am Institut für Finance, Banking & Insurance. Die Berücksichtigung dieser Tätigkeit durch das Rekursgericht ist jedenfalls vertretbar.

3.3. Bei der Beurteilung der Frage der Zumutbarkeit einer Finanzierung des Masterstudiums sind die Verhältnisse einer „intakten Familie“ heranzuziehen (RIS‑Justiz RS0107722 [T4]). Die Auffassung, in einer solchen würde ein akademisch gebildeter und über ein weit überdurchschnittliches Einkommen von 8.000 EUR verfügender Vater seinem Sohn einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von 610 EUR (der nicht nur weit hinter einem unter Berücksichtigung der „Luxusgrenze“ ermittelten Unterhalt nach der Prozentsatzmethode, sondern auch hinter dem Regelbedarf eines Studenten zurückbleibt) als Zuschuss auch dann weiter gewähren, wenn mit einer gewissen Überschreitung der Durchschnittsstudiendauer des Masterstudiums zu rechnen wäre, ist jedenfalls vertretbar und bedarf keiner Korrektur durch das Höchstgericht. Einer näheren Auseinandersetzung mit der Frage, inwieweit die Mehrfachstudien des Antragsgegners für sich alleine geeignet sein könnten, seine Selbsterhaltungsfähigkeit hinauszuschieben, bedarf es daher hier nicht.

4. Damit war der ordentliche Revisionsrekurs mangels erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen.

5. Das in § 78 Abs 2 Satz 1 AußStrG enthaltene Erfolgsprinzip rechtfertigt einen Kostenzuspruch nur dann, wenn in der Revisionsrekursbeantwortung auf die Unzulässigkeit des gegnerischen Rechtsmittels hingewiesen wurde (vgl RIS‑Justiz RS0122774). Dies war hier nicht der Fall, sodass der Antragsgegner die Kosten der Revisionsrekursbeantwortung selbst zu tragen hat.

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