OGH 9ObA28/18k

OGH9ObA28/18k30.10.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Dehn, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter KR Mag. Paul Kunsky und Angela Taschek in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Personalausschuss der Bediensteten der Österreichische Post AG *****, vertreten durch Dr. Harald Burmann, Dr. Peter Wallnöfer ua, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Österreichische Post AG, *****, vertreten durch CMS Reich-Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Feststellung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26. Jänner 2018, GZ 13 Ra 39/17h‑30, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:009OBA00028.18K.1030.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

 

Begründung:

Der klagende Personalausschuss der Bediensteten der Österreichische Post AG ***** begehrte im Wesentlichen die Feststellung, dass die von ihm vertretenen Dienstnehmer der Beklagten, deren Dienstverhältnis vor dem 1. 5. 1996 begründet wurde (iSd § 18 Abs 1 PTSG übergeleitete Vertragsbedienstete), das Recht auf Anrechnung der vor Vollendung des 18. Lebensjahres erbrachten Vordienstzeiten als Postpraktikanten haben. Die Vorinstanzen erachteten die Nichtanrechnung dieser Zeiten unter Verweis auf die Rechtsprechung des EuGH (va Rs Hütter ; Starjakob ) und des Obersten Gerichtshofs (zB 9 ObA 15/15v, 9 ObA 16/15s, 9 ObA 19/15g) als altersdiskriminierend und gaben dem Begehren statt.

In ihrer dagegen gerichteten außerordentlichen Revision richtet sich die Beklagte gegen die von den Vorinstanzen bejahte Vergleichbarkeit der Tätigkeit der Postpraktikanten mit jener der regulären, volljährigen Postmitarbeiter. Ihre Ausführungen zeigen jedoch keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO auf:

Rechtliche Beurteilung

1.  Bei der Anrechnung von Vordienstzeiten aus einer einschlägigen Berufstätigkeit nach § 26 Abs 3 VBG ist entscheidend, ob die Vortätigkeit von einer derart qualifizierten Bedeutung ist, dass der durch sie verursachte Erfolg der Verwendung ohne die Vortätigkeit nur in einem beträchtlich geringeren Ausmaß gegeben wäre (RIS-Justiz RS0082096 [T2]). Dies hängt naturgemäß von den besonderen Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab, deren Beurteilung in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO begründet (s RIS-Justiz RS0082096 [T6]). Unter Diskriminierungsaspekten entspricht es auch der Rechtsprechung des EuGH, dass bei der Frage nach der Gleichwertigkeit von Arbeit stets eine Gesamtheit von Faktoren maßgebend ist, wie Art der Arbeit, Ausbildungsanforderungen und Arbeitsbedingungen (EuGH Rs C-427/11 Kenny ua Rn 27). Auch diese Beurteilung kann nur nach Maßgabe der Umstände des Falls erfolgen. Sie weist hier keinen Korrekturbedarf auf.

2.  Die Beklagte beruft sich zunächst auf die Entscheidung 9 ObA 76/07b, in der eine Differenzierung zwischen der Überstundenentlohnung von jugendlichen Lehrlingen und jener von Lehrlingen, die bereits das 18. Lebensjahr überschritten hatten, wegen der sehr starken Beschränkung der Einsatzmöglichkeit der jugendlichen Lehrlinge (KJBG) für gerechtfertigt erachtet wurde. Für die unterschiedliche Einsetzbarkeit wurde auch auf legitime bildungspolitische Ziele im Sinn des notwendigen Schutzes von Jugendlichen verwiesen.

Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht zwischen der Dienstzeit als Postpraktikant einerseits und der Dienstzeit als Postmitarbeiter andererseits wesensmäßig keinen ausreichenden Unterschied feststellen können. Diese Beurteilung ist nicht weiter zu beanstanden, wenn man in einer Gesamtbetrachtung der Faktoren bedenkt, dass die Postpraktikanten – anders als die Lehrlinge – grundsätzlich in gleicher Weise wie volljährige Mitarbeiter eingesetzt wurden. Jugendschutzbedingte Beschränkungen ergaben sich daraus, dass Postpraktikanten nicht zu Nachtdiensten herangezogen wurden und bei körperlich beschwerlichen Arbeiten auf ihre Konstitution Bedacht genommen wurde. Sonst bestanden Beschränkungen für Postpraktikanten beim Geldverkehr (kein direkter Zahlungsverkehr im Schalterbereich; betragliche Beschränkungen beim Geldzustellverkehr). Mangels Führerscheins waren sie nicht als Landpostzusteller, sondern als Ortszusteller einsetzbar, wobei ihnen Zustellbezirke in derselben Größenordnung wie volljährigen Mitarbeitern zugewiesen wurden. Die Einschulungen und das höhere Ausbildungsniveau als bei volljährigen Mitarbeitern sicherten den Postpraktikanten andererseits die Verwendung in allen postinternen Funktionen, sodass eine Karrieremöglichkeit bis in die untere Führungsebene garantiert war. Anders als in der Entscheidung 9 ObA 76/07b bestehen hier keine ausreichenden spezifisch jugendschutz- und bildungspolitischen Ziele für die von der Beklagten begehrte Differenzierung. In der nachfolgenden Entscheidung des EuGH Rs C‑88/08 Hütter wurde das Kriterium des Alters zur Erreichung bildungspolitischer Ziele auch nicht als angemessen erachtet (Rn 48 ff).

3.  Die Beklagte macht unter Berufung auf die Entscheidungen des EuGH Rs C‑309/97 Angestelltenbetriebsrat der Gebietskrankenkasse und Rs C‑427/11 Kenny ua , geltend, dass nicht nur die tatsächlichen Einsätze, sondern auch unterschiedliche potenzielle Einsatzmöglichkeiten eine Differenzierung rechtfertigen. Auch in diesem Zusammenhang reichen die genannten Unterschiede für die gewünschte Differenzierung jedoch nicht aus: Für die Beurteilung der Gleichwertigkeit der Arbeit wurde in der Rs C‑309/97 Angestelltenbetriebsrat der Gebietskrankenkasse eine unterschiedliche Berufsausbildung (Ärzte/Psychotherapeuten) als mögliches Differenzierungskriterium angesehen. In der Rs C‑427/11 Kenny ua wurde darauf Bezug genommen, dass die im Verwaltungsinnendienst eingesetzten Exekutivbeamten, anders als die beamteten Verwaltungssekretärinnen, für eine völlig andere Tätigkeit (operativer Bedarf im Außendienst) eingesetzt werden könnten. Dagegen wurden im vorliegenden Fall sowohl die Postpraktikanten als auch die volljährigen Mitarbeiter für ihre Tätigkeiten im Postdienst geschult, wobei die Postpraktikanten eine noch breitere Ausbildung (Durchlaufen sämtlicher Bereiche des Postbetriebs) erhielten. Den Postpraktikanten war auch grundsätzlich ein Einsatz in sämtlichen Bereichen des Postdienstes möglich. Die Beurteilung der Vorinstanzen ist danach nicht zu beanstanden.

4.  Von der Einholung der angeregten Vorabentscheidung war danach abzusehen, zumal die notwendige Prüfung, ob die betreffenden Arbeitnehmer gleiche oder zumindest als gleichwertig anerkannte Arbeit verrichteten, dem nationalen Gericht obliegt (zB EuGH Rs C‑427/11 Kenny ua Rn 26 mwN).

5.  Die außerordentliche Revision der Beklagten war mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

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