OGH 12Os87/18p

OGH12Os87/18p11.10.2018

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. Oktober 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé, Dr. Oshidari, Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Brenner in Gegenwart der Rechtspraktikantin Mag. Holzer als Schriftführerin in der Strafsache gegen Shahedullah S***** wegen des Verbrechens der kriminellen Organisation nach § 278a StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Leoben als Jugendschöffengericht vom 2. Mai 2018, GZ 14 Hv 123/17i‑22, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0120OS00087.18P.1011.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Shahedullah S***** der Verbrechen der kriminellen Organisation nach § 278a StGB (I./), der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB (II./) und der Ausbildung für terroristische Zwecke nach § 278e Abs 2 StGB (III./) schuldig erkannt.

Danach hat er sich

I./ in den Jahren 2014 und 2015 in Afghanistan an einer auf längere Zeit angelegten unternehmensähnlichen Verbindung einer größeren Zahl von Personen, die, wenn auch nicht ausschließlich, auf die wiederkehrende und geplante Begehung schwerwiegender strafbarer Handlungen, die das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit oder das Vermögen bedrohen, oder schwerwiegender strafbarer Handlungen im Bereich der sexuellen Ausbeutung von Menschen, der Schlepperei oder des unerlaubten Verkehrs mit Kampfmitteln, Kernmaterial und radioaktiven Stoffen, gefährlichen Abfällen, Falschgeld oder Suchtmitteln ausgerichtet ist, die dadurch eine Bereicherung im großen Umfang anstrebt und die andere zu korrumpieren oder einzuschüchtern oder sich auf besondere Weise gegen Strafverfolgungsmaßnahmen abzuschirmen versucht, nämlich an der Terrororganisation „Taliban“, in dem Wissen als Mitglied beteiligt, dass er dadurch die Vereinigung oder deren strafbare Handlungen fördert, indem er dieser Organisation freiwillig beitrat, sich von ihr im Umgang mit Waffen und Sprengstoffen, insbesondere in der Handhabung von Sprengstoffgürteln, ausbilden ließ, der Organisation zusagte, für sie einen Sprengstoffanschlag auf einen US-Flughafen zu begehen, und sich in diversen Posen mit Waffen und einem Sprengstoffgürtel für Propagandazwecke fotografieren ließ;

II./ durch die zu I./ genannte Tat als Mitglied (§ 278 Abs 3 StGB) an einer terroristischen Vereinigung, nämlich an einem auf längere Zeit angelegten Zusammenschluss von mehr als zwei Personen, der darauf ausgerichtet ist, dass von einem oder mehreren Mitgliedern dieser Vereinigung eine oder mehrere terroristische Straftaten (§ 278c StGB) ausgeführt werden oder Terrorismusfinanzierung (§ 278d StGB) betrieben wird, in dem Wissen, dass er dadurch die Vereinigung oder deren strafbare Handlungen fördert, beteiligt;

III./ durch die zu I./ genannte Tat im Gebrauch von Sprengstoff, Schuss- oder sonstigen Waffen unterweisen lassen, um eine terroristische Straftat nach § 278c Abs 1 Z 1, Z 2, Z 6, Z 7, Z 9 und Z 10 StGB unter Einsatz der erworbenen Fähigkeiten zu begehen.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, Z 9 lit b und Z 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Widersprüchlich sind zwei Urteilsaussagen, wenn sie nach den Denkgesetzen oder grundlegenden Erfahrungssätzen nicht nebeneinander bestehen können ( Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 438). Im Sinn der Z 5 dritter Fall können die Feststellungen über entscheidende Tatsachen in den Entscheidungsgründen (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) und deren Referat im Erkenntnis (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO), die Feststellungen über entscheidende Tatsachen in den Urteilsgründen, die zu den getroffenen Feststellungen über entscheidende Tatsachen angestellten Erwägungen sowie die Feststellungen über entscheidende Tatsachen in den Urteilsgründen und die dazu angestellten Erwägungen zueinander im Widerspruch stehen (RIS‑Justiz RS0119089).

Der Einwand, die Feststellungen wonach der Angeklagte damit einverstanden gewesen sei, für die Terrormiliz Taliban mit einem Sprengstoffgürtel einen Anschlag auf einem US‑Flughafen zu begehen (US 6), stünden im Widerspruch zu den in dem Verfahren gegen den Nichtigkeitswerber wegen des Verbrechens des Mordes nach §§ 15 Abs 1, 75 StGB, AZ 11 Hv 62/17x des Landesgerichts Leoben, ergangenen Urteil des Oberlandesgerichts Graz vom 11. April 2018, AZ 8 Bs 91/18w, getroffenen Sachverhaltsannahmen, wonach der Angeklagte im jugendlichen Alter von den Taliban entführt und durch erzwungene militärische Ausbildung psychisch beeinflusst worden sei (S 3 des Berufungsurteils), orientiert sich somit nicht an den dargestellten Kriterien des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes der Z 5 dritter Fall. Dass mit dem hier angefochtenen Urteil unter Bedachtnahme auf das Urteil des Landesgerichts Leoben als Geschworenengericht vom 9. Oktober 2017, GZ 11 Hv 62/17x-67, unter Anwendung der §§ 31, 40 StGB eine Zusatzstrafe verhängt wurde, ändert daran der Beschwerdeansicht zuwider nichts.

Unvollständig (Z 5 zweiter Fall) ist ein Urteil dann, wenn das Gericht bei der für die Feststellung entscheidender Tatsachen angestellten Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) erhebliche, in der Hauptverhandlung vorgekommene (§ 258 Abs 1 StPO) Verfahrensergebnisse unberücksichtigt ließ (RIS‑Justiz RS0118316).

Das Vorbringen, das Erstgericht habe „wichtige, in der Vorverhandlung vorgeführte Verfahrensergebnisse“ ungewürdigt gelassen und nicht begründet, warum es „andere Feststellungen trifft als das ihm übergeordnete OLG Graz im Vorverfahren“, spricht daher Unvollständigkeit im Sinn der Z 5 zweiter Fall nicht an.

Mit der Kritik, das Erstgericht habe im Bezug auf das als belastend gewertete Schreiben ON 8 (vgl US 11) zu Unrecht keinen Dolmetsch der englischen Sprache beigezogen, wird ein Begründungsmangel im Sinn der Z 5 des § 281 Abs 1 StGB nicht einmal behauptet. Unter dem Aspekt der Tatsachenrüge (Z 5a) als Aufklärungsrüge zu diesem Vorbringen macht die Beschwerde nicht deutlich, wodurch der Angeklagte an der Ausübung seines Rechts, die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung sachgerecht zu beantragen, gehindert war (RIS‑Justiz RS0115823, RS0114036).

Die Behauptung, das vom Angeklagten verfasste Schreiben ON 8 hätte als Beweismittel „gar nicht herangezogen werden“ dürfen, weil es auf Englisch abgefasst und in der Hauptverhandlung nicht von einem Dolmetsch übersetzt worden sei, lässt keinen Bezug zu den Nichtigkeitsgründen des § 281 Abs 1 StPO erkennen.

Gleiches gilt, soweit die Beschwerde einwendet, das genannte Schreiben habe sich nur auf das Vorverfahren bezogen, und eine Begründung dafür vermisst, weshalb die Tatrichter es dennoch als entscheidungswesentlich beurteilten.

Ebenso wenig wird mit dem Vorbringen, aus dem Akt der Justizanstalt Leoben ergebe sich, dass der Angeklagte (ersichtlich gemeint im Zeitpunkt der Verfassung des Schreibens ON 8) „unter schwerer Medikation“ gestanden sei und knapp davor einen Selbstmordversuch unternommen habe, ein formaler Begründungsmangel im Sinn der Z 5 des § 281 Abs 1 StPO geltend gemacht.

Mit eigenen Erwägungen dazu, dass die sprachkundige Übersetzerin Waranga F***** den Angeklagten bei dessen Erstbefragung im Asylverfahren am 12. Juni 2015 (ON 2 S 91 ff) nicht ausreichend verstanden und seine Aussage nicht richtig übersetzt habe, sowie zur Sinnhaftigkeit der getätigten Angaben des Angeklagten für das Asylverfahren wendet sich die Rüge bloß nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht zulässigen Schuldberufung gegen die den Tatrichtern vorbehaltene Beweiswürdigung. Im Übrigen hat das Erstgericht eingehend dargelegt, warum es – entgegen der Darstellung des Angeklagten – nicht von Verständigungsschwierigkeiten mit der Übersetzerin ausging (US 9 f).

Der „Zweifelsgrundsatz“ (in dubio pro reo) kann entgegen dem Beschwerdevorbringen niemals Gegenstand des formellen Nichtigkeitsgrundes der Z 5 des § 281 Abs 1 StPO sein (RIS‑Justiz RS0102162).

Die leugnende Verantwortung des Angeklagten haben die Tatrichter dem Gebot zu gedrängter Darstellung in den Entscheidungsgründen (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) folgend hinreichend erörtert (US 8). Sie waren der Beschwerdekritik (Z 5 zweiter Fall) zuwider nicht verhalten, im Urteil den vollständigen Inhalt seiner Aussage im Einzelnen zu erörtern und darauf zu untersuchen, wieweit sie für oder gegen die Feststellungen sprechen (RIS‑Justiz RS0098377 [insbesondere T17]).

Mit dem Hinweis auf die Begründung der Staatsanwaltschaft für die in Ansehung des nunmehr urteilsgegenständlichen Sachverhalts gemäß § 190 Z 2 StPO erklärte Einstellung des Verfahrens vom 6. März 2017 (ON 1 S 3) spricht der Beschwerdeführer neuerlich keinen Nichtigkeitsgrund im Sinn des § 281 Abs 1 StPO an.

Der Einwand, entgegen der Ansicht des Erstgerichts handle es sich bei dem Flughafen in Dschalalabad und dem Flughafen in Nangarhar nicht um verschiedene Flughäfen, zeigt dem Beschwerdevorbringen zuwider einen Widerspruch im Sinn der Z 5 dritter Fall nicht auf. Unter dem Aspekt einer den Gesetzen folgerichtigen Denkens oder grundlegenden Erfahrungssätzen widersprechenden Begründung (Z 5 vierter Fall) beschränkt sich die Kritik prozessordnungswidrig bloß auf einzelne beweiswürdigende Erwägungen ( Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 455).

Weshalb es eine Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) darstellen sollte, dass die Tatrichter eine erst mit dem Rechtsmittel vorgelegte Stellungnahme der den Angeklagten in der Justizanstalt Leoben betreuenden D***** nicht erörterten, bleibt offen.

Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, er habe bereits in der Hauptverhandlung „unprotokolliert geblieben angeregt“, diese Stellungnahme einzuholen, geht er daran vorbei, das unabdingbare Voraussetzungen einer erfolgversprechenden (der Sache nach angesprochenen) Rüge aus Z 4 stets ein Antrag oder ein nach Art von Anträgen substanziierter Widerspruch ist ( Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 302).

Die nach Art einer Aufklärungsrüge (Z 5a) vorgebrachte Kritik, „diese Stellungnahme hätte eingeholt werden müssen“, unterlässt einen nachvollziehbaren Hinweis, aus welchem Grund der Angeklagte an einer entsprechenden Antragstellung gehindert war (RIS‑Justiz RS0115823, RS0114036).

Die Rechtsrüge (Z 9 lit b) behauptet, die Strafbarkeit der Tat sei „aufgehoben oder die Verfolgung wegen der Tat ausgeschlossen“, weil der Angeklagte bei seiner Befragung durch die Asylbehörden am 12. Juni 2015 (ON 2 S 91 ff), auf die sich die Verurteilung stütze, nicht auf das ihm zustehende, „grundrechtlich gewährleistete Selbstbezichtigungsverbot“ hingewiesen worden sei. Solcherart liege ein „Beweismittelverbot“ vor.

Dieses Vorbringen lässt jede methodengerechte Ableitung der gewünschten Konsequenz aus dem Gesetz vermissen (vgl RIS-Justiz RS0116565).

Anzumerken bleibt, dass das Verbot eines Zwangs zur Selbstbelastung (nemo‑tenetur‑Prinzip) aus Art 6 EMRK, vom Verfassungsgerichtshof auch aus Art 90 Abs 2 B‑VG, der verfassungsmäßigen Verankerung des Anklageprinzips, abgeleitet wird (VfGH B 795/90 VfSlg 12.454). Eine Erstbefragung nach dem Asylgesetz durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes (§ 19 Abs 1 AsylG) fällt jedoch weder in den Anwendungsbereich des Art 6 EMRK (VfGH B 1219/93, B 1698/93, B 397/94 VfSlg 13.831), noch erfolgt diese in einem gerichtlichen Strafverfahren im Sinn des Art 90 Abs 2 B-VG (vgl Mayer , B‑VG 4 Art 90 B-VG II und III). Zudem bestehen zum Schutz vor der Missachtung von Beweisverboten im Schöffenverfahren fünf – hier nicht geltend gemachte – Nichtigkeitsgründe, nämlich § 281 Abs 1 Z 2, Z 3, Z 4, Z 5 und Z 5a StPO ( Kirchbacher , WK‑StPO § 246 Rz 176).

Der Angeklagte hat im Übrigen der Verlesung seiner Erstbefragung nach dem Asylgesetz am 12. Juni 2015 (ON 2 S 91 ff) ausdrücklich zugestimmt (ON 21 S 21).

Indem die Rechtsrüge (Z 9 lit b) erneut Bezug auf die – bereits dargestellten, gegenteiligen – Annahmen des Oberlandesgerichts Graz im Urteil vom 11. April 2018, AZ 8 Bs 91/18w, nimmt und das Vorliegen einer „res iudicata“ behauptet, geht sie daran vorbei, dass Gegenstand von Rechts‑ und Subsumtionsrüge ausschließlich der Vergleich des zur Anwendung gebrachten materiellen Rechts einschließlich prozessualer Verfolgungsvoraussetzungen mit dem im angefochtenen Urteil festgestellten Sachverhalt ist (RIS‑Justiz RS0099724).

Mit der weiters „vorsichtshalber“ erhobenen Kritik, die Staatsanwaltschaft Leoben habe das gegenständliche Strafverfahren am 6. März 2017 zu AZ 6 St 48/17y eingestellt, verkennt sie, dass der aus Z 9 lit b des § 281 Abs 1 StPO erhobene Einwand einer Verletzung der Sperrwirkung die Geltendmachung eines Feststellungsmangels voraussetzt, die nur durch Hinweis auf in der Hauptverhandlung Vorgekommenes erfolgen kann (vgl Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 634/1).

Die zu Schuldspruch I./ den Strafaufhebungsgrund der tätigen Reue behauptende Rechtsrüge (Z 9 lit b) unterlässt es prozessordnungswidrig, Verfahrensergebnisse aufzuzeigen (RIS-Justiz RS0122332,

RS0118580), wonach die Taliban während der Zeit der Teilnahme des Angeklagten an der Vereinigung (vgl aber US 5) keine Straftat der geplanten Art ausgeführt oder versucht hätten (vgl Plöchl in WK 2 StGB § 278 Rz 80).

Dass die Ausbildung für terroristische Zwecke nach § 278e Abs 2 StGB als typische Begleittat der Beteiligung an einer kriminellen Organisation oder an einer terroristischen Vereinigung „konsumiert“ sei, wird von der Subsumtionsrüge (Z 10) – unter insoweit unverständlicher gleichzeitiger Einräumung hier vorliegender echter Idealkonkurrenz zwischen § 278b Abs 2 StGB und § 278e Abs 2 StGB – erneut ohne Ableitung aus dem Gesetz bloß substanzlos behauptet (RIS‑Justiz RS0116565; vgl aber Plöchl in WK 2 StGB § 278e Rz 21).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher in nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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