OGH 6Ob163/18s

OGH6Ob163/18s26.9.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden, durch die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny sowie durch die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B* S*, vertreten durch Rechtsanwälte Dr. Kleinszig/Dr. Puswald – Partnerschaft in St. Veit an der Glan, gegen die beklagte Partei G*, vertreten durch Mag. Dr. Karin Kostan, Rechtsanwältin in Klagenfurt, und der Nebenintervenientin auf Seiten der Beklagten M*, vertreten durch Hudelist/Primig Rechtsanwälte OG in Feldkirchen, wegen 14.869,56 EUR sA, Feststellung und Rente (Streitwert 25.685,64 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 18. Juli 2018, GZ 4 R 95/18x‑28, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E123122

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

 

Begründung:

Die Klägerin ist als Diplomkrankenschwester für das Rote Kreuz im mobilen Gesundheits- und Sozialdienst tätig. Die Beklagte ist Eigentümerin einer Liegenschaft, auf der sich ein Mehrparteienhaus befindet, in dem das Konzept des „betreubaren Wohnens“ verwirklicht ist.

Die Klägerin betreute an einem Wintertag eine Bewohnerin dieses Hauses im Erdgeschoß. Nach Beendigung ihrer Dienstleistungen verließ sie das Haus über eine zum Ein- und Ausgehen in die bzw aus der Wohnung nicht vorgesehene Terrasse. Infolge Vereisung auf der Terrasse stürzte sie und verletzte sich. Sie nimmt die Beklagte auf Schadenersatz wegen ihrer Verletzungen in Anspruch.

Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren ab.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision der Klägerin zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf.

1. Die gerügte Aktenwidrigkeit liegt nicht vor, weil die Klägerin mit ihren diesbezüglichen Ausführungen in Wahrheit die vor dem Obersten Gerichtshof nicht angreifbare Beweiswürdigung der Vorinstanzen bekämpft.

2. Die gerügte Mangelhaftigkeit liegt nicht vor, weil sich das Berufungsgericht durchaus ausreichend mit der Beweisrüge der Berufung befasst hat.

3. Die Klägerin stützt die Haftung der Beklagten in der Revision nur noch auf die Verletzung von Verkehrssicherungspflichten sowie auf die Haftung aus dem Mietvertrag der Betreuten mit der Beklagten, der Schutzwirkungen zu ihren Gunsten entfalte. Die Wegehalterhaftung nach § 1319a ABGB releviert die Revisionswerberin nicht mehr, weshalb darauf nicht mehr einzugehen ist.

Die Vorinstanzen haben durchaus vertretbar die Haftung der Beklagten aus den von der Klägerin noch aufrecht erhaltenen Anspruchsgrundlagen verneint:

3.1. Haftung aus Verkehrssicherungspflichten: Der konkrete Inhalt einer Verkehrssicherungspflicht hängt immer von den Umständen des Einzelfalls ab (RIS-Justiz RS0110202). Dies betrifft etwa auch die Größe des vom Gastwirt zu säubernden und zu streuenden Bereichs (9 Ob 162/00i = RIS-Justiz RS0110202 [T9]). Eine erhebliche Rechtsfrage liegt nur bei einer auffallenden Fehlbeurteilung der zweiten Instanz vor (vgl RIS-Justiz RS0021095 [T20]).

In der Entscheidung 9 Ob 162/00i wurde zu einem Gasthaus ausgeführt, es sei nicht zutreffend, dass jede Stelle, von der aus das Gasthaus faktisch erreichbar sei, auch bei schlechten Witterungsverhältnissen in verkehrssicherem Zustand gehalten werden müsse. Entscheidend seien der sichere Zustand des Gasthauses selbst und der sichere Zugang zu diesem, sodass es genüge, wenn die Gasträumlichkeiten samt Nebenräumen und die Zugänge dazu im unmittelbaren Bereich möglichst gesichert würden. Der Gastwirt habe demnach den Eingang in sein Gasthaus und den unmittelbar davor befindlichen Gehsteigbereich von Schnee und Eis zu säubern oder zu streuen.

Diese Überlegungen können auf den vorliegenden Sachverhalt übertragen und die Gewährleistung eines sicheren Zugangs über den Haupteingang für ausreichend erachtet werden, zumal die Terrasse zum Ein- und Ausgehen nicht gedacht war, was die Klägerin wusste.

Die Beurteilung des Berufungsgerichts, das eine Haftung aus Verkehrssicherungspflichten verneint hat, steht daher mit dieser durchaus vergleichbaren Entscheidung im Einklang.

3.2. Haftung aus Schutzwirkungen des Mietvertrags zugunsten der Klägerin: Aus dem Mietvertrag sind neben dem Mieter selbst auch seine Angehörigen, die mit ihm in der Wohnung wohnen, geschützt (RIS-Justiz RS0023168 [T2]). Nicht geschützt sind dagegen ein Bekannter, der dem Mieter ein Paket zustellt (RIS-Justiz RS0023168 [T3]) sowie auf Besuch weilende Angehörige des Mieters (RIS-Justiz RS0023168 [T5, T10]). Der Kreis der begünstigten Personen umfasst somit die zur Hausgemeinschaft des Mieters gehörenden Personen, insbesondere seine Familienangehörigen und Hausangestellten, nicht aber Personen, mit denen er rein gesellschaftlich oder im allgemeinen Verkehr mit der Umwelt in Kontakt kommt (RIS-Justiz RS0023168 [T6]). Nicht in den Schutzbereich des Mietvertrags sind daher Personen einzubeziehen, die sich in den Mieträumen nur kurzfristig aufhalten, wie Gäste, Lieferanten und Handwerker (RIS-Justiz RS0020884 [T6]).

In der Entscheidung 7 Ob 151/00g wurde zwar auch eine Pflegehelferin des Mieters in den geschützten Personenkreis einbezogen. Nach dem dortigen Sachverhalt lag dem Wohnverhältnis jedoch ein bäuerlicher Übergabsvertrag zugrunde und die Pflegeperson benützte die Wohnung praktisch wie eine Hausangestellte. Wesentlich war, dass die Klägerin den gesamten Haushalt zu führen und zusätzlich auch noch Pflegeleistungen zu erbringen hatte.

Davon unterscheidet sich der hier vorliegende Sachverhalt maßgeblich, weil die Klägerin die Bewohnerin nach den Feststellungen lediglich ca ein- bis zweimal pro Woche aufsuchte.

Damit ist es keine korrekturbedürftige Verkennung der Rechtslage, wenn die Vorinstanzen die Klägerin nicht einer (geschützten) Hausangestellten gleichgestellt haben, sondern von einem im allgemeinen Verkehr mit der Umwelt üblichen Kontakt, wie der Einladung von Gästen, der Heranziehung von Lieferanten oder Handwerkern oder dem Besuch des Briefträgers ausgegangen sind (vgl RIS-Justiz RS0020884 [T6]).

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