OGH 6Ob156/18m

OGH6Ob156/18m26.9.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*****, vertreten durch Hajek & Boss & Wagner Rechtsanwälte OG in Eisenstadt, gegen die beklagte Partei B*****, vertreten durch Dr. Manfred Moser, Rechtsanwalt in Wr. Neustadt, wegen 30.991,54 EUR sA und Feststellung über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 12. Juli 2018, GZ 16 R 55/18b‑58, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0060OB00156.18M.0926.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1.1. Die Vorinstanzen kamen zu dem Ergebnis, die beklagte Partei habe sich mit Vertrag vom 12. 12. 1990 verpflichtet, den Sperrmüll der Bürger der klagenden Gemeinde unentgeltlich zu entsorgen sowie weiters der klagenden Partei eine finanzielle Abgeltung für die mit dem Standort der Mülldeponie verbundenen Nachteile zu leisten. Die beklagte Partei steht demgegenüber auf dem Standpunkt, dass die Entsorgung des Sperrmülls nicht kostenlos zu erfolgen habe, sodass sie von der Standortnachteileabgeltung Kosten der Container für die Sperrmüllentsorgung abzieht.

1.2. Das Erstgericht konnte keinen über den Wortlaut der Vereinbarung hinausgehenden oder davon abweichenden Parteiwillen feststellen. Daher ist bei der Auslegung des Vertrags von dessen Wortlaut auszugehen, wobei die Bedeutung eines Wortes jeweils im Zusammenhang zu betrachten ist (RIS‑Justiz RS0017831). Maßgebend ist aber nicht nur der Wortlaut, sondern auch, wie die Erklärung inhaltlich verstanden und gehandhabt wurde (RIS‑Justiz RS0017831 [T2]). Die Absicht der Parteien ist im Rahmen der rechtlichen Beurteilung allein aus der Urkunde nach dem objektiven Aussagewert des Textes und dem Wortsinn in seiner gewöhnlichen Bedeutung im Zusammenhalt mit dem Zweck der Vereinbarung zu ermitteln (RIS‑Justiz RS0017833).

1.3. Ob ein Vertrag im Einzelfall richtig ausgelegt wurde, stellt nur dann eine erhebliche Rechtsfrage dar, wenn infolge einer wesentlichen Verkennung der Rechtslage ein unvertretbares Auslegungsergebnis erzielt wurde (RIS‑Justiz RS0042936). Ebenso hat die Frage der Vertretbarkeit einer anderen Vertragsauslegung keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung und ist daher keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO (RIS‑Justiz RS0042936 [T3]).

2.1. Im vorliegenden Fall findet sich im Vertrag Blg ./1 unter Punkt 6) die Vereinbarung, wonach sich die beklagte Partei verpflichtet, in Punkt 5) näher definierten sortenreinen Bauschutt und nicht kontaminiertes Aushubmaterial „unentgeltlich zur vorschriftsmäßigen Entsorgung zu übernehmen“. In Punkt 3) ist festgelegt, dass sämtliche im Gemeindegebiet anfallenden Abfälle und Altstoffe, ausgenommen Hausmüll und sortenreiner Bauschutt zur Verwertung bzw Entsorgung übernommen werden, wobei die Kosten von der Gemeinde getragen werden. Die beklagte Partei hat nach Punkt 4) der Vereinbarung an die Klägerin eine Standortnachteileabgeltung zu zahlen, die anhand „fiktiver Entsorgungseinsätze“ so berechnet wird, dass je 110 angefangene Müllsammeleinheiten 8 Einsätze der Berechnung zu Grunde gelegt werden.

2.2. Der beklagten Partei kommt nach dem Burgenländischen Abfallwirtschaftsgesetz 1993 die Aufgabe zu, Abfälle zu sammeln und zu behandeln. Dazu sind die Eigentümer von Grundstücken, die an die Müllabfuhr angeschlossen sind, zur Zahlung von Beiträgen an die beklagte Partei verpflichtet (§ 63 Bgld AWG). Insgesamt ergibt sich damit das Bild, dass die beklagte Partei sich über diese Beiträge finanziert, während sie der Klägerin in Gestalt der Standortnachteileabgeltung eine Abgeltung für die mit dem Standort der Mülldeponie auf ihrem Gemeindegebiet verbundenen Nachteile leistet.

2.3. Woraus sich nun eine Befugnis der beklagten Partei ergeben sollte, von der vertraglich vereinbarten Standortnachteileabgeltung Beträge für die Sperrmüllentsorgung abzuziehen, wird von der Revision nicht nachvollziehbar dargelegt. Die Umstellung des Tarifsystems in den 1990er‑Jahren und die – von § 9 Abs 3 Bgld AWG gedeckte – „Auslagerung“ des operativen Geschäfts an eine Tochtergesellschaft sind ausschließlich in der Sphäre der beklagten Partei gelegene Umstände, die eine Änderung des Berechnungssystems jedenfalls nicht zu rechtfertigen vermögen.

2.4. Nicht stichhaltig ist insbesondere die Argumentation der Revision, wonach deshalb ein Abzug von der Standortnachteileabgeltung erfolgen müsse, weil der Gemeinde die Kosten für die Sperrmüllentsorgung nicht mehr entstünden: Die Standortnachteileabgeltung soll offensichtlich nur die mit dem Standort der Mülldeponie verbundenen Nachteile wie Umweltbeeinträchtigungen, Grundentwertung, Lärmentwicklung und höheres Verkehrsaufkommen ausgleichen und ist daher von den Kosten für die Entsorgung des Sperrmülls zu trennen, was auch an der Formulierung deutlich wird, wonach die Leistung „als Abgeltung für die Standortnachteile“ erfolgt. Die Standortnachteileabgeltung ist daher von der Sperrmüllentsorgung unabhängig zu sehen. Damit kommt aber der in der Revision thematisierten Auslegung des Begriffs „Hausmüll“ und der Frage, ob Sperrmüll Teil des Hausmülls ist, keine entscheidende Bedeutung zu. Überzeugend ist dabei auch die Überlegung der Vorinstanzen, wonach die von der beklagten Partei vertretene Auslegung dazu führen würde, dass die Standortnachteileabgeltung umso geringer wird, je mehr Sperrmüll von den Bewohnern angeliefert wird, was nicht dem Sinn und Zweck der Abgeltung entsprechen würde, die offensichtlich die Nachteile durch den Standort der Mülldeponie ausgleichen soll.

2.5. Zutreffend ist auch die weitere Überlegung des Erstgerichts, wonach die von der beklagten Partei vertretene Auffassung dazu führen würde, dass diese die Kosten der Sperrmüllentsorgung zweimal erhielte, nämlich einmal über die bei den Bewohnern im Verbandsgebiet eingehobenen Tarife und andererseits von der Gemeinde durch die Reduktion der Standortnachteileabgeltung. Nicht zu beanstanden ist auch das Argument des Berufungsgerichts, wonach Standortnachteileabgeltung und Sperrmüllentsorgung auch deshalb voneinander unabhängig sind, weil die Berechnungsformel für die Standortnachteileabgeltung an die Anzahl der sogenannten „Müllsammelgefäßeinheiten“ anknüpft, in denen Sperrmüll jedoch nicht gesammelt werden kann (vgl § 2 Abs 4 Bgld Müllgesetz 1980 und § 2 Abs 3 Bgld AWG 1993). Zusammengefasst besteht daher für den von der beklagten Partei vorgenommenen Abzug einer bestimmten Anzahl von Containern von der Berechnungsgrundlage für die Standortnachteileabgeltung keine rechtliche Grundlage.

2.6. Die Revision bekämpft auch die Auffassung des Berufungsgerichts, wonach Punkt 9.2. der Vorgängervereinbarung aus dem Jahr 1985 weiterhin gelte. Darin war ausdrücklich festgelegt, dass den Bürgern der klagenden Gemeinde ua das Ablagern von Sperrmüll aus Haushalten unentgeltlich gestattet wird. Unabhängig davon, ob der Weitergeltung dieser Vereinbarung Punkt 8) des Vertrags aus dem Jahr 1990 entgegensteht, wonach mit Inkrafttreten des neuen Vertrags sämtliche „entgegenstehenden Vereinbarungen“ aufgehoben sind, können zur Auslegung eines Vertrags jedenfalls auch früher abgewickelte gleichartige Verträge herangezogen werden (Heiss in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.01 § 914 Rz 71; vgl auch 7 Ob 265/01y). Es ist daher nicht korrekturbedürftig, wenn das Berufungsgericht zur Auslegung des neuen Vertrags auch auf die Formulierungen in der alten Vereinbarung zurückgegriffen hat.

3.1. Gemäß § 23 Abs 1 der Burgenländischen Gemeindeordnung ist der Gemeinderat in den Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereichs der Gemeinde das beschließende Organ, soweit nicht bestimmte Angelegenheiten durch Gesetz anderen Gemeindeorganen zugewiesen sind. Dem Bürgermeister kommt gemäß § 25 Abs 2 Z 2 und § 27 Abs 1 Bgld GO unter anderem die Aufgabe zu, die vom Gemeinderat und Gemeindevorstand gesetzmäßig gefassten Beschlüsse durchzuführen.

3.2. Die erforderliche Zustimmung der Klägerin zur Umstellung der Berechnung der Standortnachteileabgeltung kann nicht im Rahmen der Vollzugskompetenz des Bürgermeisters erfolgen. Vielmehr stellt der Umstand, dass Freiabfuhren bei der Sperrmüllentsorgung zu einer Reduzierung der Standortnachteileabgeltung führen sollen, weil eine bestimmte Anzahl von Containern – in Abweichung vom Wortlaut der ursprünglichen Vereinbarung – nicht mehr berücksichtigt wird, eine Änderung des bestehenden Vertrags dar, wozu der Bürgermeister aber nicht befugt ist. Die Berechnungsmodalität der Abgeltung ist im Vertrag anhand einer Formel festgelegt, sodass eine Änderung der Berechnung nur im Wege einer Vertragsänderung möglich wäre.

3.3. Bei Verträgen mit Gemeinden ergibt sich aus § 867 ABGB, dass es für die Vertretungsbefugnis des jeweiligen Organs entscheidend auf die Bestimmungen der Gemeindeordnung ankommt; wer mit einer Gemeinde einen Vertrag abschließt, muss die für ihre Willensbildung geltenden öffentlich-rechtlichen Beschränkungen beachten und auch dann gegen sich gelten lassen, wenn er sie nicht gekannt haben sollte (RIS‑Justiz RS0014699). In Bestimmungen der Gemeindeordnungen enthaltene Beschränkungen der Vertretungsbefugnis der Gemeindeorgane wirken daher auch gegen jeden Dritten (vgl RIS‑Justiz RS0014699 [T12]).

3.4. Allerdings kann ein Vertrag mit einer Gemeinde auch schlüssig abgeschlossen werden (RIS‑Justiz RS0014699 [T25]). Der Vertragspartner ist jedenfalls dann in seinem Vertrauen auf den äußeren Tatbestand zu schützen, wenn das zuständige Organ (der Gemeinderat) im Wege einer Anscheinsvollmacht oder Duldungsvollmacht den Anschein erweckt hat, die Handlung sei durch seine Beschlussfassung gedeckt (RIS‑Justiz RS0014699 [T26]; RS0014110 [T10]). Auch eine schlüssige Genehmigung des vollmachtslosen Handelns des Bürgermeisters durch den Gemeinderat ist möglich (RIS‑Justiz RS0014699 [T40]). Ebenso kann ein bloß passives Verhalten des Gemeinderats beachtlich sein (RIS‑Justiz RS0014110 [T11]).

3.5. Stets muss aber das zur Bewilligung der Vereinbarung berufene Organ der Gemeinde das Verhalten im Sinne des § 863 ABGB setzen (RIS‑Justiz RS0014110 [T1]). Es muss also das vertretungsbefugte Organ den erforderlichen Anschein erweckt haben; das Verhalten des Scheinvertreters ist unerheblich (RIS‑Justiz RS0014110 [T19]). Das Vertrauen des Dritten muss seine Grundlage im Verhalten des Vollmachtgebers haben, der diesen äußeren Tatbestand schuf und die Überzeugung des Dritten vom Vorhandensein der Vertretungsmacht begründete (RIS‑Justiz RS0014110 [T20]).

3.6. Im vorliegenden Fall sind den Feststellungen keinerlei Handlungen des zuständigen Gemeinderats zu entnehmen, aus denen auf eine Zustimmung zur Änderung des Vertrags geschlossen werden könnte. Aus der von der Revision genannten Mitteilung der beklagten Partei an die Gemeinde und einem Bericht in der Gemeindezeitung kann dies keinesfalls abgeleitet werden, weil es sich bloß um eine einseitige Mitteilung der beklagten Partei selbst handelte, die bestenfalls als Angebot zur Vertragsänderung gedeutet werden könnte. Eine bloße Vorsorge im Gemeindebudget für bestimmte Arbeiten beinhaltet nach der Judikatur keine (schlüssige) Bevollmächtigung des Bürgermeisters zum diesbezüglichen Vertragsabschluss (RIS‑Justiz RS0014110 [T12]). Umso weniger kann daher bei Anlegung des von § 863 ABGB geforderten strengen Maßstabs aus der Verbuchung der überwiesenen reduzierten Standortnachteileabgeltungen als Einnahme ein Verzicht auf weitergehende Ansprüche oder eine Zustimmung zu einer neuen Berechnungsmodalität abgeleitet werden, bei der bestimmte Container nicht mehr berücksichtigt werden (vgl auch RIS‑Justiz RS0014190 [T49]).

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