OGH 7Ob138/18x

OGH7Ob138/18x9.7.2018

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat Dr. Höllwerth als Vorsitzenden und durch die Hofrätinnen und Hofräte Dr. E. Solé, Mag. Malesich, Mag. Painsi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der gefährdeten Partei Minderjährige P* B*, geboren am * 2013, vertreten durch J* H*, diese vertreten durch Mag. Alfred Hütteneder, Mag. Michaela Hütteneder‑Estermann, Rechtsanwälte in Bad Hofgastein, gegen den Gegner der gefährdeten Partei R* B*, vertreten durch Mag. Wolfgang Brandstätter, Rechtsanwalt in Bad Hofgastein, wegen einstweiliger Verfügung nach §§ 382b, 382e EO, über den Revisionsrekurs (richtig: Rekurs) der gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Rekursgericht vom 16. Mai 2018, GZ 21 R 143/18b‑20, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Zell am See vom 22. März 2018, GZ 25 C 2/18s‑14, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E122127

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Die gefährdete Partei ist schuldig, dem Gegner der gefährdeten Partei die mit 252,31 EUR (darin enthalten 42,05 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – §§ 78, 402 Abs 4 EO, § 526 Abs 2 letzter Satz ZPO – Ausspruch des Gerichts zweiter Instanz liegen die Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Rekurses nach §§ 78, 402 Abs 4 EO, § 527 Abs 2, § 528 Abs 1 ZPO nicht vor.

1. Nach der Judikatur des Obersten Gerichtshofs setzt die Erlassung der hier beantragten einstweiligen Verfügung nach §§ 382b, 382e EO die Bescheinigung eines konkreten Verhaltens des Gegners der gefährdeten Partei voraus, das eine Gewaltanwendung im weiteren Sinn beinhaltet. Die Bescheinigung eines bloßen Verdachts, der Gegner der gefährdenden Partei verhalte sich gewalttätig– die Ausübung der hier in Rede stehenden sexuellen Gewalt ist von diesem Begriff selbstverständlich umfasst – reicht für die Annahme, das Verhalten des Antragsgegners mache das weitere Zusammenleben oder Zusammentreffen unzumutbar, nicht (RIS‑Justiz RS0124434; 7 Ob 132/14h).

2. Dieser Rechtsprechung folgt der Aufhebungsbeschluss des Rekursgerichts, wenn das Erstgericht lediglich die Verdachtslage eines sexuellen Missbrauchs als bescheinigt angenommen, die Bescheinigung tatsächlicher Übergriffe aber offen gelassen hat.

2.1 Die Auslegung der in einer gerichtlichen Entscheidung enthaltenen Feststellungen ist jedenfalls einzelfallbezogen und bildet regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage (RIS‑Justiz RS0118891). Nur wenn die Auslegung der erstgerichtlichen Feststellungen durch die zweite Instanz eine unvertretbare Fehlbeurteilung darstellt, ist die Anrufung des Obersten Gerichtshofs zur Korrektur zulässig (RIS‑Justiz RS0118891 [T5]). Eine solche liegt hier jedoch nicht vor:

Angesichts dessen, dass das Erstgericht ausdrücklich nur den Inhalt gegenüber Dritten getätigter Angaben der gefährdeten Partei als bescheinigt annahm und den sexuellen Missbrauch bloß nicht ausschloss, ist die Beurteilung des Rekursgerichts, das Erstgericht habe bisher nur Feststellungen zu einer Verdachtslage auf sexuellen Missbrauch getroffen, die Frage der Bescheinigung tatsächlicher Übergriffe aber offen gelassen, nicht zu beanstanden. Der Aufhebungsbeschluss des Rekursgerichts zur Klarstellung der Bescheinigungslage entspricht daher den insbesondere in 7 Ob 132/14h dargelegten Grundsätzen.

2.2 Der Oberste Gerichtshof, welcher nicht Tatsacheninstanz ist, kann nach ständiger Rechtsprechung dem Gericht zweiter Instanz nicht entgegentreten, wenn es– wie hier – von einer richtigen Rechtsansicht ausgehend den Sachverhalt aufgrund der vom Erstgericht berücksichtigten Bescheinigungsmittel nicht für hinreichend geklärt hält und daher eine Verfahrensergänzung für notwendig erachtet (RIS‑Justiz RS0042179, zum Provisorialverfahren 4 Ob 126/91).

3. Da die Entscheidung somit nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 ZPO abhängt – das allfällige Abweichen von in Zeitschriften gebildeten Leitsätzen von einer oberstgerichtlichen Entscheidung begründet keine solche –, war der Rekurs zurückzuweisen, was keiner weiteren Begründung bedarf (§ 510 Abs 3 letzter Satz, § 528a ZPO).

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 402 iVm 78 EO iVm §§ 41, 50 ZPO; der Gegner der gefährdeten Partei hat auf die Unzulässigkeit des Rekurses hingewiesen. Bemessungsgrundlage für die Berechnung der Vertretungskosten im Provisorialverfahren ist der Wert des zu sichernden bzw zu regelnden Anspruchs (§§ 3, 13 RATG). Die §§ 54 ff JN sind für die Bewertung heranzuziehen, soweit keine Sonderbestimmungen bestehen (7 Ob 143/12y). Eine derartige Bewertung ist in der Klage (§ 4 RATG iVm § 56 Abs 2 JN) und im außerstreitigen Verfahren im Antrag (§ 4 RATG) vorzunehmen. Unterbleibt eine solche Bewertung, ist die Bemessungsgrundlage gemäß § 14 RATG zugrunde zu legen. Dies gilt auch für das Provisorialverfahren. Mangels Bewertung im Sicherungsantrag richtet sich demnach die Bemessungsgrundlage hier nach § 14 lit c RATG (vgl 7 Ob 143/12y); weiters gebührt auch nur der einfache Einheitssatz.

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