OGH 6Ob106/18h

OGH6Ob106/18h28.6.2018

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Pflegschaftssache des Minderjährigen A* O*, geboren am *, derzeit bei Pflegeeltern über den außerordentlichen Revisionsrekurs der M* R*, sowie des F* R*, beide vertreten durch Dr. Anton Hintermeier und andere Rechtsanwälte in St. Pölten, gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 27. April 2018, GZ 23 R 143/18d‑85, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E122463

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Die nach pflichtgemäßen Ermessen zu treffende Entscheidung, wem die Obsorge für das Kind übertragen werden soll, ist immer eine solche des Einzelfalls, der in der Regel keine erhebliche Bedeutung zuerkannt werden kann (RIS‑Justiz RS0007101). Diese Grundsätze kommen auch auf eine Entscheidung zur Anwendung, mit der die Obsorge auf den Kinder‑ und Jugendhilfeträger übertragen wird (RIS‑Justiz RS0007101 [T11]).

Der Kinder‑ und Jugendhilfeträger ist nur subsidiär zu Verwandten, anderen nahestehenden Personen oder sonst besonders geeigneten Personen mit der (Teil‑)Obsorge zu betrauen (RIS‑Justiz RS0123509). Die Eltern, Großeltern und Pflegeeltern haben Vorrang vor geeigneten Dritten (RIS‑Justiz RS0123509 [T1]). Damit wird auch dem Recht nach Art 8 EMRK auf Schutz des Privat‑ und Familienlebens Rechnung getragen (RIS‑Justiz RS0123509 [T3]). Von einer Übertragung der Obsorge auf den Kinder‑ und Jugendhilfeträger darf das Gericht daher nur aus schwerwiegenden Gründen Gebrauch machen (RIS‑Justiz RS0048712). Die Maßnahme darf nur soweit angeordnet werden, als dies zur Abwendung einer drohenden Gefährdung des Kindeswohls notwendig ist (RIS‑Justiz RS0048712 [T9]).

Im vorliegenden Fall sind die Überlegungen der Vorinstanzen, die gegen eine Obsorgeübertragung an die Revisionsrekurswerber sprechen, nicht zu beanstanden: Zwar bestand zu diesen ein regelmäßiger Besuchskontakt; nach den Feststellungen haben die väterlichen Großeltern beim mittlerweile verstorbenen mj M* allerdings selbst gesehen, dass das Kindeswohl massiv gefährdet ist, jedoch nichts unternommen, um nicht selbst Nachteile zu erfahren. Bei dieser Sachlage ist in der Übertragung der Obsorge an den Kinder‑ und Jugendhilfeträger keine im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung zu erblicken. Auch ist nicht zu beanstanden, wenn die Vorinstanzen zu dem Ergebnis gelangten, dass angesichts des Verhaltens der Revisionsrekurswerber in Bezug auf den verstorbenen mj M* nicht mit bloßen „Auflagen oder Kontrollen“ das Auslangen gefunden werden kann.

Entgegen den Revisionsausführungen war demgegenüber der Umstand, dass es sich bei F* R* nicht um den leiblichen Großvater, sondern den Stiefgroßvater des Minderjährigen handelt, ebenso wenig ausschlaggebend, wie der Umstand, dass sich die Revisionsrekurswerber bereits in einem fortgeschrittenen Lebensalter befinden. Das Rekursgericht hat diesen Umstand lediglich in die gebotene Gesamtbeurteilung einbezogen.

Das Rekursgericht hat in der Unterlassung der Einholung eines Sachverständigengutachtens keinen Verfahrensmangel erblickt. Der Grundsatz, dass vom Rekursgericht verneinte Mängel des Verfahrens erster Instanz vor dem Obersten Gerichtshof nicht erneut geltend gemacht werden können, ist im Pflegschaftsverfahren dann durchbrochen, wenn es das Kindeswohl erfordert (RIS‑Justiz RS0042963 [T51]). Ein derartiger Fall liegt hier aber nicht vor, zumal der Revisionsrekurs nicht aufzeigt, zu welchen konkreten Ergebnissen die Vorinstanzen bei Einholung eines Gutachtens gekommen wären. Im Übrigen hat das Erstgericht seine Feststellungen überwiegend auf eigene Angaben der Revisionsrekurswerber selbst gestützt.

Zusammenfassend bringt der Revisionsrekurs daher keine Rechtsfragen der von § 62 Abs 1 AußStrG geforderten Bedeutung zur Darstellung, sodass er spruchgemäß zurückzuweisen war.

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