European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E122419
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Begründung:
Das Erstgericht bestellte für die Betroffene Mag. D* W* gemäß § 268 Abs 3 Z 2 ABGB zur Sachwalterin.
Das Rekursgericht verwies die Sache an das Erstgericht zurück. Dieses habe die Betroffene zur mündlichen Verhandlung nicht geladen, womit deren rechtliches Gehör verletzt worden sei, eine Gutachtenserörterung unter Beteiligung der Betroffenen habe nicht stattgefunden, es fehle an einer Erörterung, ob die von der Betroffenen als Sachwalterin gewünschte Cousine hiefür geeignet und in der Lage sei, und es sei zu prüfen, ob die Betroffene bei Errichtung der nunmehr vorgelegten Vorsorgevollmacht vom 2. 1. 2018 ausreichend geschäftsfähig gewesen sei.
Rechtliche Beurteilung
Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 71 Abs 1 AußStrG) – Ausspruch des Rekursgerichts ist der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig. Das Rekursgericht hat seinen Zulässigkeitsausspruch vor allem damit begründet, es fehle Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage, ob für die Errichtung einer qualifizierten Vorsorgevollmacht nach § 284f Abs 3 ABGB kumulativ die Einhaltung der Gültigkeitsvorschriften nach Abs 2 und 3 notwendig sei.
1. Die Betroffene wird im Revisionsrekursverfahren von einem frei gewählten Rechtsanwalt vertreten, wobei dieser im Revisionsrekurs selbst die Frage aufwirft, ob ihm die Betroffene rechtsgültig Vollmacht erteilen konnte. Diesbezüglich bestehen jedoch keine Zweifel:
1.1. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs kann eine Person, die im Übrigen keine gültigen Vollmachten erteilen kann, für Zwecke der Vertretung im Sachwalterschaftsverfahren noch einen Vertreter bevollmächtigen. Voraussetzung ist nur, dass ihr nicht völlig die Vernunft fehlt und sie bei der Vollmachtserteilung fähig war, den Zweck der dem Rechtsvertreter erteilten Vollmacht zu erkennen. Nur bei offenkundig fehlender Einsichtmöglichkeit der betroffenen Person in das Wesen der Vollmachtserteilung scheitert eine wirksame Bevollmächtigung eines gewählten Vertreters (RIS‑Justiz RS0008539, RS0053067 [T1]; vgl auch 5 Ob 36/17f; 7 Ob 130/16t; 1 Ob 91/15m).
1.2. Nach den Feststellungen des Erstgerichts besteht bei der Betroffenen eine nicht besonders schwere Persönlichkeitsstörung, die dazu führt, dass sie nicht in der Lage ist, ihre eigenen Angelegenheiten ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu erledigen. Sie weist eine misstrauisch, zwanghaft, sozial etwas unterentwickelte Persönlichkeitsstruktur auf. Es besteht ein erhebliches Selbstfürsorgedefizit, was mit einer Verwahrlosung der Wohnung einhergeht. Zudem verweigert sie die medizinische Versorgung und nimmt ihre Medikamente nicht ein. Dass die Betroffene nicht in der Lage wäre, den Zweck einer ihrem Rechtsanwalt erteilten Prozessvollmacht zu erfassen, lässt sich den Feststellungen somit nicht entnehmen. Solches lässt sich auch dem Situationsbericht der Verfahrenssachwalterin vom 30. 11. 2017 (ON 28) nicht entnehmen. Die Betroffene zeigt sich danach lediglich bei der Medikamenteneinnahme und bei Hygienemaßnahmen nachlässig. In Bezug auf ihr geistiges Verhalten wird sie als sehr selbstbestimmend beschrieben. Sie lehne eine Heimunterbringung sowie jegliche Fremdbestimmung ab und sei nicht in der Lage, hinsichtlich ihres Gesundheitszustands Aufträge zu erteilen, weil es ihr kein Mensch „Recht machen“ könne. Die Vollmachtserteilung erfolgte am 27. 12. 2017 (vgl ON 34), also rund einen Monat nach Erstellung des Situationsberichts. Die Betroffene war zu diesem Zeitpunkt demnach nicht offenkundig unfähig, die Wirkungen der Bevollmächtigung zu erkennen.
2. Die Betroffene strebt in ihrem Revisionsrekurs – jedenfalls erkennbar – eine Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen dahin an, dass von einer Sachwalterschaft für sie Abstand genommen, also das Bestellungsverfahren gemäß § 122 AußStrG eingestellt werde; in eventu möge ihre Cousine zur Sachwalterin bestellt werden. Inhaltlich wendet sie sich gegen die vom Rekursgericht dem Erstgericht erteilten Aufträge allerdings nicht, sodass bereits aus diesem Grund die Zurückverweisung der Sache an das Erstgericht keinen Bedenken begegnet. Das Erstgericht hat tatsächlich gegen die zwingenden Vorschriften des § 121 Abs 3 und 5 AußStrG verstoßen, indem es die Betroffene zur mündlichen Verhandlung nicht geladen, diese in Abwesenheit der Betroffenen durchgeführt und dabei das Gutachten des Sachverständigen erörtert hat. Dass nach Inkrafttreten des 2. Erwachsenenschutz-Gesetzes mit 1. 7. 2018 sowohl die Beiziehung eines Sachverständigen (§ 120a AußStrG nF) als auch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung (§ 121 AußStrG nF) nur mehr dann zwingend vorgesehen sein werden, wenn sie das Gericht für erforderlich hält oder die betroffene Person dies beantragt, vermag an dieser Beurteilung zum jetzigen Zeitpunkt nichts zu ändern.
3. Tatsächlich wendet sich die Betroffene im Revisionsverfahren gegen die Auffassung des Rekursgerichts, ihre Vorsorgevollmacht vom 2. 1. 2018 sei ungültig. Das Rekursgericht hat dies zum einen mit ihrer (möglicherweise) fehlenden Geschäftsfähigkeit und zum anderen mit inhaltlichen sowie formellen Fehlern begründet.
3.1. Ob die Betroffene bei Errichtung der Vorsorgevollmacht nach § 284f ABGB bzw § 260 ABGB idFd 2. Erwachsenenschutz-Gesetzes geschäftsfähig bzw entscheidungsfähig (vgl die ErläutRV zu § 260 ABGB nF, abgedruckt bei Gitschthaler/Schweighofer, Erwachsenenschutzrecht [2017] 104 f) war, wird vom Erstgericht festzustellen sein.
3.2. Eine qualifizierte Vorsorgevollmacht nach § 284f Abs 3 ABGB ist eine Vorsorgevollmacht, die besondere Merkmale aufweist und gesteigerten Inhalts- und Formerfordernissen entsprechen muss. Lautet die Vollmacht auf eine oder mehrere der in Abs 3 Satz 1 angeführten Angelegenheiten, so müssen diese ausdrücklich bezeichnet sein. Es genügt deshalb beispielsweise nicht, wenn sich die Vollmacht pauschal auf die Einwilligung in sämtliche medizinische Behandlungen oder auf die Verwaltung des gesamten Vermögens bezieht (Schauerin Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.02 § 284f Rz 22f; ErläutRV 1420 BlgNR 22. GP 27, 28); vielmehr müssen die Angelegenheiten, für welche Vollmacht erteilt wird, konkret angeführt werden (RIS-Justiz RS0124291). Dafür müssen die Angelegenheiten im Einzelnen zwar nicht genannt werden, es muss aber zumindest eine einigermaßen konkretisierte Bezeichnung erfolgen (etwa „Entscheidung über die Vornahme von Operationen“; vgl Stabentheiner in Rummel/Lukas, ABGB4 § 284f Rz 6). In der vorliegenden Vorsorgevollmacht (vgl ON 37) wurden konkrete medizinische Behandlungen nicht einzeln angeführt und die Vollmacht über die Vermögensangelegenheiten pauschal nur „nach Weisung der Betroffenen“ auf die Bevollmächtigte übertragen. Eine gültige (qualifizierte) Vorsorgevollmacht liegt damit aber nicht vor. Insoweit die Formulierungen den nach allgemeinem Vollmachtsrecht bestehenden Formerfordernissen entsprechen, kommt es jedoch zu einer gültigen „normalen“ bzw „schlichten“ Vollmacht (Stabentheiner aaO Rz 5).
Auch nach Inkrafttreten des 2. Erwachsenenschutz-Gesetzes wird die Vollmacht – im Sinn einer Gattungsvollmacht – auch für „Arten von Angelegenheiten“ erteilt werden können (wenn gewünscht auch für alle denkbaren Arten; vgl § 261 ABGB nF). Die Gattung der übertragenen Angelegenheiten ist weiterhin klar zu bezeichnen; so wird es weiterhin nicht möglich sein, jemanden im Rahmen einer Vorsorgevollmacht etwa für „alle Persönlichkeitsrechte“ oder „in allen Angelegenheiten vermögensrechtlicher Natur“ zu bevollmächtigen (ErläutRV zu § 261 ABGB nF, abgedruckt bei Gitschthaler/Schweighofer aaO 105 f). Ausdrücklich vorgesehen wird die in der Praxis schon übliche Kombination von Vollmacht und Vorsorgevollmacht sein: Die Vollmacht soll bereits gelten (und zwar als sogenannte „schlichte“ Vollmacht), wenn der Vollmachtgeber (noch) über die erforderliche Entscheidungsfähigkeit verfügt. Tritt der Vorsorgefall ein und wird dieser registriert, entsteht eine Vorsorgevollmacht. Wesentlich ist, dass der Vollmachtgeber die Fortgeltung der Vollmacht bei Eintritt des Vorsorgefalls ausdrücklich anordnet (so schon RV 1420 BlgNR 22. GP 26). Fehlt eine solche Anordnung, so ist die Vollmacht dennoch weiter wirksam, aber als „schlichte“ Vollmacht; das Wirksamwerden als Vorsorgevollmacht kann nicht registriert werden (ErläutRV zu § 260 ABGB nF, abgedruckt bei Gitschthaler/Schweighofer aaO 105).
3.3. Damit kommt es zwar auf die vom Rekursgericht als erheblich bezeichnete Frage, ob die Errichtung einer qualifizierten Vorsorgevollmacht nach § 284f Abs 3 ABGB der in Abs 2 vorgesehenen Mitwirkung von Zeugen bedarf, gar nicht mehr an. Lediglich der Vollständigkeit halber ist aber darauf hinzuweisen, dass es herrschender Auffassung entspricht, dass für die qualifizierte Vorsorgevollmacht nach § 284f Abs 3 ABGB nicht die Formerfordernisse des § 284f Abs 2 ABGB gelten. Abs 2, im Besonderen das Erfordernis der Anwesenheit von drei Zeugen, gelangt demnach nicht kumulativ zur Anwendung; vielmehr ist es bei der qualifizierten Vorsorgevollmacht ausreichend, wenn diese vor einem Rechtsanwalt, Notar oder bei Gericht errichtet wurde (Weitzenböck in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 284f Rz 10; Barth/Ganner, Wie errichte ich eine Vorsorgevollmacht? ÖJZ 2007, 475 [494]; Schweighofer, Kann eine Vorsorgevollmacht auch bei einem Rechtsanwalt oder bei Gericht qualifiziert errichtet werden? ÖZPR 2014/127). Die Erfüllung der besonderen Formerfordernisse nach Abs 3 ersetzt die Formgebote des Abs 2, sodass es für die Gültigkeit einer beide Geschäftskreise umfassenden Vorsorgevollmacht keiner Mitwirkung von Zeugen bedarf (Stabentheiner in Rummel/Lukas, ABGB4 § 284f Rz 6; Schauer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.02 § 284f Rz 24).
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