OGH 7Ob94/18a

OGH7Ob94/18a20.6.2018

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Pflegschaftssache des minderjährigen H*s W*, geboren * 2002, und der minderjährigen H*a W*, geboren * 2005, Mutter: Ing. S* W*, vertreten durch die Ehrenhöfer & Häusler Rechtsanwälte GmbH in Wiener Neustadt, Vater: Ing. Mag. H* W*, vertreten durch Ing. Mag. Dr. Roland Hansély, Rechtsanwalt in Wien, wegen Obsorge und Besuchsrecht, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Vaters gegen den Beschluss des Landesgerichts Korneuburg als Rekursgericht vom 27. März 2018, GZ 20 R 291/17k‑316, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Mistelbach vom 10. Oktober 2017, GZ 17 Ps 584/13z‑304, teils bestätigt, teils abgeändert und teils aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E121921

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Der Entscheidung über die Übertragung der Obsorge auf den Kinder- und Jugendhilfeträger (KJHT) kommt im Einzelfall keine grundsätzliche Bedeutung im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG zu, wenn dabei ausreichend auf das Kindeswohl Bedacht genommen wurde (vgl RIS‑Justiz RS0115719; RS0007101 [insb T1, T11, T21]). Obsorgeentscheidungen begründen als Entscheidungen des Einzelfalls nur dann erhebliche Rechtsfragen, wenn leitende Rechtsprechungsgrundsätze verletzt werden (RIS‑Justiz RS0007101; RS0115719 [T12]; RS0097114 [T10]).

2. Im Revisionsrekursverfahren herrscht zwar grundsätzlich Neuerungsverbot (RIS‑Justiz RS0119918), doch ist der Maxime des Kindeswohls im Obsorgeverfahren dadurch zu entsprechen, dass der Oberste Gerichtshof Entwicklungen, welche die bisherige Tatsachengrundlage wesentlich verändern, auch dann berücksichtigen muss, wenn sie erst nach der Beschlussfassung einer der Vorinstanzen eingetreten sind (RIS‑Justiz RS0122192; RS0119918 [T2]; RS0048056). Dies bezieht sich aber nur auf unstrittige und aktenkundige Umstände (RIS‑Justiz RS0048056 [T11]); es besteht keine Pflicht zur ständigen amtswegigen Erhebung der jeweiligen aktuellen Umstände (RIS‑Justiz RS0119918 [T3]).

Generell setzt eine ausnahmsweise Durchbrechung des Neuerungsverbots im Interesse des Kindeswohls ganz besondere Umstände voraus (RIS‑Justiz RS0119918 [T6]), insbesondere dass die bisherige Tatsachengrundlage dadurch wesentlich verändert wird, wobei aber zu bedenken ist, dass bei wesentlicher Änderung der maßgeblichen Umstände den Parteien ohnehin die Möglichkeit einer neuerlichen Antragstellung offensteht (RIS‑Justiz RS0122192 [T3] = RS0048056 [T10]).

3. Der Revisionsrekurswerber zeigt in Ansehung der Obsorgeübertragung die mj H*a betreffend keine solchen Umstände auf, zumal das Rekursgericht ohnehin eine das Mädchen betreffende Gefährdung des Kindeswohls bei Belassung bei der Mutter im Einklang mit den zuletzt abgegebenen dringenden Empfehlungen des Sachverständigen bejahte und dies zum Anlass einer vorläufigen Obsorgeentziehung nahm. Für die Anordnung einer vorläufigen Maßnahme nach § 107 Abs 2 AußStrG können wegen der Eilbedürftigkeit umfassende Erhebungen unterlassen werden, weil andernfalls bereits mit einer endgültigen Entscheidung vorgegangen werden könnte (vgl RIS‑Justiz RS0006999 [T1]). Zwischenberichte des KJHT über jüngere Entwicklungen wurden – wie das Rekursgericht (den Argumenten im Rekurs des Vaters folgend) festhielt – den Eltern vor der erstgerichtlichen Entscheidung nicht zugestellt oder mit ihnen erörtert, womit das rechtliche Gehör jedenfalls des Rekurswerbers verletzt wurde, was das Rekursgericht berücksichtigte.

Insgesamt werden daher aktenkundige oder unstrittige Umstände, die entgegen dem letzten Stand des Gutachtens eine vorläufige Übertragung der alleinigen Obsorge auf den Vater nahelegen würden, weder vom Revisionsrekurs aufgezeigt noch sind solche ersichtlich.

4.1. Hinzuweisen ist zunächst darauf, dass das Rekursgericht aus dem Zusammenhang eindeutig erkennbar und in der Begründung (S 18, 1. Absatz seines Beschlusses) auch ausdrücklich Punkt 2 der erstgerichtlichen Entscheidung (Abweisung des Antrags des Revisionsrekurswerbers auf [endgültige] Übertragung der Obsorge hinsichtlich der mj H*a) aufgehoben hat. Das Rekursgericht hat die Beobachtung der Entwicklung des Mädchens über einen gewissen Zeitraum zur Beurteilung der Frage, ob die Übertragung von Pflege und Erziehung auf den KJHT ausreicht oder die Übertragung an den Vater angezeigt ist, als unerlässlich erachtet, zumal die vorliegenden Feststellungen und Verfahrensergebnisse noch keine endgültigen Schlüsse zuließen. Es hat dazu auf die gegenüber dem mj H*s differenziert zu beurteilende Situation des Mädchens sowie darauf verwiesen, dass sich zum Stand bei Vorlage des schriftlichen Gutachtens kurzfristige Entwicklungen ergeben hätten, die den Sachverständigen auch zu einer Änderung seiner ursprünglichen Empfehlungen veranlasst hätten. Eine mangelhafte Begründung des Rekursgerichts ist vor diesem Hintergrund nicht erkennbar.

4.2. Im Übrigen wurden die das Mädchen betreffenden Entscheidungen des Erstgerichts in Bezug auf Kontaktrecht, Besuchsmittlung und Kinderbeistand sowie die allfällige Ergänzung des Sachverständigengutachtens aufgehoben und die Rechtssache in diesem Umfang an das Erstgericht zurückverwiesen, sodass über die Anträge des Vaters insofern noch abzusprechen sein wird.

5. Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 62 Abs 1 AußStrG war der Revisionsrekurs daher zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).

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