European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E121972
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Das Urteil des Erstgerichts wird (einschließlich der Kostenentscheidung) wiederhergestellt.
Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens von 2.491,59 EUR (darin 376,03 EUR USt und 235,40 EUR Barauslagen) zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Die Streitteile sind Eigentümer benachbarter Wohngrundstücke. Im Jahr 2012 errichteten die Beklagten mit baubehördlicher Bewilligung einen gartenseitigen Zubau (Wohn‑Wintergarten mit Terrasse) mit einem Satteldach mit einer Dachneigung von 21 Grad. Auf diesem wurde eine Solaranlage mit jeweils zwei „Indachkollektoren“ montiert, von denen zwei in Richtung des Hauses des Klägers geneigt sind. Die Vorgabe, die Solarpaneele „Indach“ auszuführen, stammte von „der Baubeschreibung, der Bauanzeige bzw der Baubehörde“. Von den ostseitigen Solarpaneelen gehen nun– bei entsprechendem Sonnenstand und Einfallswinkel – Sonnenlichtreflexionen aus, die unter anderem den (südseitigen) Balkon und eine (westseitige) Terrasse des Nachbarhauses erreichen, und zwar von Mitte April bis Ende September für einen Zeitraum von etwa zwei bis drei Stunden. In dieser Zeit wandert das durch die Reflexionen verursachte etwa 20 cm breite Lichtband über den Balkon des Hauses nach unten. Da die Paneelen niedrig angebracht sind, kommt das Licht dabei – anders als natürliches Sonnenlicht – aus waagrechter Richtung bzw „von unten“. Die Bestrahlungsintensität entspricht einer Blendung, wie sie bei einem direkten Blick in die Sonne gegeben ist. Ohne geeigneten Sonnenschutz ist ein Blick in die Reflexion für wenige Sekunden für das menschliche Auge schädlich. Während der Reflexionen ist ein Aufenthalt und eine Benützung des Balkons ohne Sonnenschutz nicht möglich, weil auch ein kurzer (unwillkürlicher) Blick in das reflektierte Sonnenlicht zu einer Augenschädigung führen kann. Ein Abwehren dieser Strahlung wäre etwa durch das Aufstellen eines Sonnenschutzes (zB Sonnenschirms) auf der Westseite des Balkons des Klägers möglich. Der Umbau der Solaranlage in einer Weise, die die Reflexionen verhindern würde (zB „Aufdach‑Variante“), wäre mit Kosten von 12.000 bis 15.000 EUR verbunden. Eine Reduktion der Blendwirkung könnte auch durch das Versehen der Solarpaneele mit einem Anstrich erreicht werden, dessen Kosten nicht festgestellt werden können. In der Umgebung der Liegenschaften der Streitteile bestehen auch an anderen Hausdächern Solaranlagen; deren exakte Anzahl sowie die genaue Ausrichtung der Paneele ist nicht feststellbar.
Das Erstgericht erkannte die Beklagten entsprechend dem Urteilsantrag schuldig, es zu unterlassen, im Wege der unmittelbaren Reflexion Sonnenlicht bzw Sonnenenergie vom Grundstück Nr *, inneliegend der EZ *, Grundbuch * auf das Grundstück Nr * der Liegenschaft EZ * des GB * zuzuleiten, soweit dies das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschreitet und die ortsübliche Benützung des Grundstücks Nr *, der Liegenschaft EZ * des GB * wesentlich beeinträchtigt. Auch zu Immissionen durch die Einwirkung reflektierten Sonnenlichts habe der Oberste Gerichtshof maßgeblich darauf abgestellt, ob die auf die benachbarte Liegenschaft wirkenden Einflüsse iSd § 364 Abs 2 ABGB das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß übersteigen und zugleich die ortsübliche Benutzung der Liegenschaft wesentlich beeinträchtigen. Da die Normen des Nachbarrechts dem Interessenausgleich dienten und im hohen Maße einer wertenden Auslegung zugänglich seien, seien Emmissionen jedenfalls zu dulden, wenn sie keine wesentliche Beeinträchtigung der ortsüblichen Nutzung hervorrufen, mögen sie auch ganz ortsunüblich sein. Eine solche wesentliche Beeinträchtigung sei im vorliegenden Fall zu bejahen, sei die Benützung des Balkons doch durch die aus unerwarteter Richtung kommenden und bereits bei einem kurzen Blick in die Lichtreflexionen gesundheitsschädlichen Einwirkungen wesentlich beeinträchtigt. Da ein Sonnenschirm, der ausschließlich der Abschirmung der Lichtimmissionen vom Grundstück der Beklagten dienen solle, wegen der Witterung nicht dauerhaft aufgestellt bleiben könne, könne in einem solchen Sonnenschutz keine zumutbare und sinnvolle Abwehrmaßnahme des Beeinträchtigten gesehen werden. Schon zum Aufspannen des Sonnenschirms müsse der Balkon betreten werden, wobei auch in diesem Zeitraum die Lichtreflexionen das Auge treffen könnten. Eine Interessenabwägung schlage zugunsten des Klägers aus, dem in diesem Zusammenhang eigene Abwehrmaßnahmen nicht zugemutet werden könnten. Schließlich würde der aufgespannte Sonnenschirm allenfalls den Balkon selbst schützen, hingegen die auf der Terrasse unterhalb des Balkons auftretenden Lichtreflexionen nicht beseitigen. Zudem handle es sich um gesundheitsschädigende Immissionen, die schon deshalb auch dann als ortsunüblich anzusehen seien, wenn auch in der näheren Umgebung der Liegenschaft ähnliche Anlagen errichtet seien, bei denen es zu Reflexionen komme. Entsprechend der einschlägigen höchstgerichtlichen Judikatur sei auch zu Lasten der Beklagten zu berücksichtigen, dass die Solarpaneele in unüblicher Weise Richtung Osten ausgerichtet seien, wogegen der beste Wirkungsgrad nach allgemeinen Erfahrungsgrundsätzen Richtung Süden erzielbar sei.
Das Berufungsgericht hob das erstgerichtliche Urteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück; es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht jedoch 30.000 EUR, übersteige und dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Entgegen der Auffassung der Beklagten mangle es nicht an Feststellungen zur Ortsüblichkeit derartiger Lichtreflexionen. Abgesehen davon, dass das Vorhandensein von Solaranlagen an sich nichts darüber aussage, ob es auch zu vergleichbaren Blendwirkungen kommt, sei davon auszugehen, dass gesundheitsgefährdende Immissionen nie als ortsüblich beurteilt werden können. Dem von den Beklagten gezogenen Vergleich mit regelmäßig im Alltag vorkommenden Lichteinwirkungen, wie etwa der direkten Sonnenstrahlung oder Spiegelungen durch Fensterglas, vermöge sich das Berufungsgericht nicht anzuschließen, weil die vorliegenden Reflexionen gegenüber der direkten Sonneneinstrahlung eine zusätzliche Gesundheitsgefährdung bewirkten und auch nicht generell davon ausgegangen werden könne, dass etwa Reflexionen durch Fensterglas jedenfalls hinzunehmen sind. Der Oberste Gerichtshof habe zu 4 Ob 43/16a Grundsätze für einen „Interessensausgleich“ im Rahmen der gegenseitigen Rücksichtnahme entwickelt und bei der Beurteilung der Zumutbarkeit allfälliger eigener Abwehrmaßnahmen [des beeinträchtigten Nachbarn] im damals beurteilten Fall berücksichtigt, dass die Beklagten den Zustand durch unsachgemäßes Vorgehen geschaffen hatten, nämlich durch eine ungünstige und unübliche Neigung der Anlage auf der Nordseite des Daches als Auslöser für die horizontal auf die Wohnung des Klägers wirkenden Lichtreflexionen. Im vorliegenden Fall sei kein hinreichendes Tatsachensubstrat für die Annahme vorhanden, dass die Ausrichtung von Sonnenkollektoren Richtung Osten unüblich wäre. Unter Berücksichtigung der Feststellungen zu den Blendwirkungen der Reflexionen habe das Erstgericht die Zumutbarkeit von Abwehrmaßnahmen durch den Kläger selbst zu Unrecht verneint. Auch wenn die Reflexionen in bestimmten Zeiträumen zumindest zwei Stunden lang andauerten, könne das Aufstellen eines Sonnenschirms, mit dem der Balkon gegen die Reflexionen abgeschirmt werden könnte, als zumutbar angesehen werden, zumal damit auch keine besonders hohen Kosten verbunden seien. Dem Argument des Erstgerichts, dass auch beim Aufspannen des Schirms die Gefahr einer Blendung bestehe, sei entgegenzuhalten, dass dem Kläger wohl zugemutet werden könne, den Sonnenschirm vor Auftreffen der Reflexionen aufzuspannen oder dabei eine Sonnenbrille aufzusetzen. Entsprechendes gelte für die Reflexionen auf der Terrasse gegen die wohl auch mit dem Aufstellen eines Schirms das Auslangen gefunden werden könne. In Ansehung des Balkons und der Terrasse erweise sich das Unterlassungsbegehren somit als nicht berechtigt. Ob und inwieweit gesundheitsgefährdende Reflexionen andere Teile der Liegenschaft des Klägers treffen, worauf sich dieser ebenfalls berufen habe, könne aufgrund der bisherigen Feststellungen nicht abschließend beurteilt werden, weshalb sich das Verfahren insoweit als ergänzungsbedürftig erweise. Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil keine eindeutige Rechtsprechung dazu vorliege, wie weit bei gesundheitsschädlichen Immissionen das in § 364 Abs 1 ABGB normierte Rücksichtnahmegebot auch auf Seiten des Gestörten tatsächlich reicht.
Rechtliche Beurteilung
Der dagegen erhobene Rekurs des Klägers ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig und– im Sinne einer Wiederherstellung der klagestattgebenden erstgerichtlichen Entscheidung – auch berechtigt.
Im Rekursverfahren ist (zutreffenderweise) nicht mehr strittig, dass die von der Solaranlage der Beklagten ausgehenden Einwirkungen auf das Grundstück des Klägers nicht als ortsüblich qualifiziert werden können. Dazu kann zudem auf die zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichts verwiesen werden, wobei hervorzuheben ist, dass für die Frage der Ortsüblichkeit nicht auf die Immissionsquelle, sondern in erster Linie auf die den Nachbarn treffende nachteilige Einwirkung abzustellen ist (4 Ob 43/16a unter Hinweis auf 2 Ob 252/04d). Dass andere Liegenschaftseigentümer in der Umgebung von vergleichbar gravierenden und aus ungewöhnlicher Richtung kommenden Blendwirkungen betroffen wären, haben die Beklagten nie konkret behauptet; dies wurde auch nicht festgestellt.
Die Vorinstanzen sind übereinstimmend davon ausgegangen, dass ein Unterlassungsanspruch nach § 364 Abs 2 ABGB nur insoweit besteht, als die vorliegenden ortsunüblichen Immissionen die ortsübliche Benutzung des Grundstücks wesentlich beeinträchtigen (vgl nur RIS‑Justiz RS0010587), und haben in diesem Zusammenhang in Auseinandersetzung mit den entsprechenden Einwendungen der Beklagten erörtert, ob die Wesentlichkeit der Beeinträchtigung allenfalls deshalb zu verneinen ist, weil der Kläger diese durch einfache – und ihm daher zumutbare – Abwehrmaßnahmen hintanhalten könnte. Dabei haben sie sich auch mit dem zu 4 Ob 43/16a ergangenen Beschluss des Obersten Gerichtshofs (= wobl 2017/22, 51 [E. Wagner] = immolex 2016/73, 262 [A. Klein] = RdU 2016/35, 142 [Riederer]) befasst, nach dessen Begründung bei der gebotenen Interessenabwägung unter anderem auch darauf Bedacht zu nehmen ist, ob der Störer den beeinträchtigenden Zustand durch „unsachgemäßes Vorgehen“ geschaffen hat.
Vor allem letzterem Aspekt hat das Berufungsgericht nach Auffassung des erkennenden Senats keine ausreichende Beachtung geschenkt. Ebensowenig hat es sich mit der Frage beschäftigt, inwieweit den Beklagten Mittel zur Verfügung stehen, die nachteiligen Auswirkungen ihrer Anlage selbst zu beseitigen oder zumindest erheblich zu verringern. Auch wenn es zutreffen mag, dass entgegen der erstgerichtlichen Auffassung den Beklagten nicht vorgehalten werden kann, ihre Solarpaneele „in unüblicher Weise“ nach Osten (und Westen) anstatt nach Süden ausgerichtet zu haben, liegt ein objektiver Fehler in ihrer Sphäre zweifellos darin, die Paneele in ungewöhnlich niedriger Höhe angebracht und damit die besonders unangenehme Art der Blendwirkung– insoweit weicht der Sachverhalt entgegen der Ansicht der Beklagten erheblich von dem zu 10 Ob 20/11f beurteilten ab – überhaupt erst herbeigeführt zu haben. Dass sie die Paneele nicht – wie an sich üblich und naheliegend – auf ihrem Hausdach, sondern auf dem (neu errichteten) Dach des erheblich niedrigeren Wintergartens positioniert haben, mag auf die damit verbundene Kostenersparnis zurückzuführen sein, kann aber nicht dazu führen, dass es nun ausschließlich an dem beeinträchtigten Nachbarn läge, sich um Abwehrmaßnahmen zu bemühen. Je mehr die schädlichen Immissionen auf ein Manko in der Sphäre des Störers zurückzuführen sind, umso weniger kann man Abhilfemaßnahmen durch den Gestörten im Rahmen der Prüfung der Beeinträchtigung auf ihre Wesentlichkeit als zumutbar ansehen. Warum es die Beklagten entlasten sollte, dass der Balkon auch der natürlichen Sonneneinstrahlung ausgesetzt ist, erschließt sich dem Senat nicht, zumal diese von oben kommt und unwillkürliche Blicke in die Sonne regelmäßig vermieden werden können.
Im vorliegenden Fall vertreten die Beklagten (und das Berufungsgericht) die Auffassung, es wäre dem Kläger ohne weiteres zuzumuten, (zumindest) zwei Sonnenschirme (einen für den Balkon und einen für die Terrasse) anzuschaffen und während mehrerer Monate täglich vor Beginn der kritischen Tageszeiten in Funktion zu setzen, wobei allenfalls eine Sonnenbrille zu Hilfe zu nehmen wäre, um sich dem direkten Blick in das grelle Licht nicht aussetzen zu müssen. Abgesehen davon, dass die Beklagten nicht einmal angeboten haben, die Kosten solcher Abwehrmaßnahmen zu übernehmen, ist dem Erstgericht beizupflichten, dass ein derartiges Verhalten dem Kläger billigerweise nicht zugemutet werden kann. Erstaunlicherweise setzen sich die Beklagten mit (vergleichbaren) Abhilfemaßnahmen, die von ihnen selbst getroffen werden könnten, nicht einmal ansatzweise auseinander, obwohl nicht zu erkennen ist, warum solche nicht in Betracht kommen sollten. Ebenso wie sie dem Kläger zusinnen wollen, Sonnenschirme zu erwerben, diese an bestimmten Stellen seiner Liegenschaft zu platzieren und (täglich) vor Beginn der gesundheitsgefährdenden Blendwirkung in Funktion zu setzen, könnten sie ohne weiteres selbst auf ihrer Liegenschaft die Initiative zu einem vergleichbaren Schutz ergreifen. Abgesehen von der schon vom Erstgericht festgestellten Möglichkeit der Verringerung der Blendwirkung durch Aufbringen eines Anstrichs wäre etwa an die Montage eines Sonnensegels an der östlichen Kante des Wintergartendachs zu denken, das senkrecht montiert und in den kritischen Zeiten aufgespannt wird.
Da somit die gebotene nachbarrechtliche Interessenabwägung entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts zugunsten des Klägers ausfällt, ist das klagestattgebende erstgerichtliche Urteil wiederherzustellen. Zu dem von den Beklagten in ihrer Berufung erhobenen Einwand des Rechtsmissbrauchs, den sie im Rekursverfahren nicht mehr wiederholen, ist auf die Ausführungen des Berufungsgerichts zu verweisen, nach denen das Schreiben des Klägers für die von den Beklagten gewählte Ausrichtung der Paneele nicht kausal war.
Die Entscheidung über die Kosten des Berufungs‑ und Rekursverfahrens beruht auf § 50 Abs 1 iVm § 41 Abs 1 und § 46 Abs 1 ZPO. Für den Rekurs hat der Kläger eine Pauschalgebühr von nur 235,40 EUR verzeichnet.
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