European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0210DS00001.18M.0425.000
Spruch:
Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.
Gründe:
Rechtliche Beurteilung
Mit dem angefochtenen Beschluss sprach der Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Salzburg – soweit hier relevant – aus, dass ... B. kein Grund zur Disziplinarbehandlung der Rechtsanwältin ***** wegen des Vorwurfs bestehe, sie habe im Rahmen des zu AZ ***** des Bezirksgerichts ***** Scheidungsverfahrens im kombinierten Schriftsatz vom 18./23. September 2015, der sowohl eine Ablehnung des Erstrichters ***** als auch eine Berufung gegen das Ersturteil enthielt, vorgebracht
1. „Das absolute Fehlen technischer Computerkenntnisse beim Erstgericht, sodass es sich sogar von höchst dilettantisch hergestellten gefälschten SMS und E‑Mail‑Übermittlungsprotokollen so übertölpeln ließ“ (im Ablehnungsantrag) und
2. „Hier geht die Fantasie des Erstgerichts sehr weit, sodass es mehr als offensichtlich ist, dass hier mit Hilfe einer völlig abwegigen Beweiswürdigung eine noch abwegigere Geschichte verfasst wird.“ (in der Berufung).
Die dagegen erhobene, die Fassung eines Einleitungsbeschlusses begehrende Beschwerde des Kammeranwalts ist nicht im Recht.
Die zitierten Äußerungen erfolgten in einem umfangreichen Scheidungsverfahren, in dem die Beschuldigte den beklagten Ehemann vertrat. Mit Urteil des Bezirksgerichts ***** vom 24. August 2014 wurde die Ehe aus dem Alleinverschulden des Mannes geschieden und dessen Widerklage abgewiesen.
Dem Vorbringen des Beklagten, die von der Gegenseite vorgelegten Urkunden (darunter auch SMS‑Protokolle und E‑Mails) wären fingiert, folgte das Erstgericht nicht. Dem Beschwerdevorbringen zuwider ist dem Disziplinarrat, der sich unter Berufung auf ein gebräuchliches Erläuterungswerk zur deutschen Sprache eingehend mit der Bedeutung des Wortes „übertölpeln“ befasst hat, zuzustimmen, dass sich das negative Werturteil des Begriffs gegen jene Person richtet, die die Maßnahmen (angeblich) veranlasst hat (hier: die Prozessgegnerin), nicht jedoch gegen jene Person, die sich (angeblich) übertölpeln ließ.
Freilich ist nicht zu verkennen, dass der Vorwurf, eine Person habe sich „übertölpeln“ lassen, auch die Annahme nahelegt, dass sie übliche oder gebotene Plausibilitätsprüfungen nicht vorgenommen habe, welche negative Wertung auf den Erstrichter zielte.
Der gegenständliche Vorhalt ist in einer Ablehnung formuliert worden. Befangenheitsgründe können sich aus persönlichen Beziehungen ergeben oder aus der richterlichen Tätigkeit hergeleitet werden (vgl die Darstellung der Rechtsprechung bei Klauser/Kodek, ZPO17 § 19 JN). So können etwa unter bestimmten Voraussetzungen eine „völlig unhaltbare Beweiswürdigung“ oder das Außerachtlassen von Verfahrensvorschriften, die der Objektivität dienen, Befangenheitsgründe bilden (Ballon in Fasching/Konecny 3 § 19 JN Rz 9).
Die inhaltliche Konkretisierung eines tätigkeits- oder berufsbezogenen Ablehnungsgrundes beinhaltet geradezu typischerweise negative Ausführungen über einen Richter. Dabei erfordert das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung besondere Zurückhaltung bei der Beurteilung einer Äußerung als Disziplinarvergehen (RIS‑Justiz RS0056168; Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek RAO9 § 1 DSt Rz 61; § 9 RAO Rz 16; Feil/Wennig, Anwaltsrecht8 § 9 RAO S 130 ff).
Mit Blick auf die emotionale Aufheizung dieses Scheidungsverfahrens – auch im Ersturteil wird eine Zeugenaussage als „geradezu lächerlich“ (S 22) oder eine Argumentation des Beklagten als „absurd und lächerlich“ (S 25) bezeichnet – ist der vom Disziplinarrat der Äußerung beigemessene Bedeutungsgehalt, wonach der „Übertölpelte“ zusammengefasst überlistet worden wäre, nicht zu beanstanden und noch nicht geeignet, eine disziplinarrechtlich relevante und erkennbar beleidigende Äußerung zu bilden (Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek RAO9 § 9 RAO Rz 16 f, 21).
Der Beschwerde zuwider ist auch die Formulierung in der umfangreichen Berufung, dass die Fantasie des Erstgerichts sehr weit gehe, noch tolerabel. Unter dem Berufungsgrund der unrichtigen Beweisführung kann eine Partei aufzeigen, dass das Gericht Beweismittel fehlerhaft gewürdigt habe (vgl Rechberger in Rechberger, ZPO4 Vor § 266 Rz 1 ff). Im Vordergrund steht insoweit der Widerspruch zu Erfahrungssätzen und Plausibilitätsregeln. Mit dem Vorhalt sollte der (angebliche) Konflikt zwischen der gebotenen Würdigung und der tatsächlich vorgenommenen akzentuiert werden. Das ist durch § 9 Abs 1 RAO gedeckt (zum weiten Spielraum, der dem Rechtsanwalt bei der Verwendung von Angriffs‑ und Verteidigungsmitteln eingeräumt ist vgl Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek RAO9 § 9 Rz 14 ff). Ein Vorwurf, der Richter hätte die Realität bewusst ignoriert und den festgestellten Sachverhalt – in einer dem wissentlichen Missbrauch der Amtsgewalt „ziemlich nahe“ kommenden Weise – frei erfunden, lässt sich aus der gewählten Formulierung nicht ableiten.
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