OGH 1Ob43/18g

OGH1Ob43/18g21.3.2018

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer als weitere Richter in der Pflegschaftssache des E* S*, geboren am * 2013, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Vaters H* J*, vertreten durch Dr. Johann Etienne Korab, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 23. Jänner 2018, GZ 43 R 21/18h‑298, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Josefstadt vom 30. November 2017, GZ 2 Ps 184/13g‑273, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E120979

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Begründung:
Rechtliche Beurteilung

1. Die Frage, ob die alleinige Obsorge eines Elternteils oder die gemeinsame Obsorge (mit der Mutter oder aber dem Vater als „Domizilelternteil“) dem Wohl des Kindes besser entspricht, kann stets nur nach den besonderen Umständen des Einzelfalls beurteilt werden, sodass sich insoweit eine iSd § 62 Abs 1 AußStrG erhebliche Rechtsfrage regelmäßig nicht stellt (vgl nur RIS‑Justiz RS0048632 [T11, T14]). Dass dem Rekursgericht, das sich – wie das Erstgericht  – insoweit den Empfehlungen der gerichtlich bestellten Sachverständigen angeschlossen hat, eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung unterlaufen wäre, vermag der Revisionsrekurswerber nicht aufzuzeigen. Ihm ist auch entgegenzuhalten, dass Elternrechte – hier das vom Vater eingeforderte Recht auf regelmäßigen Kontakt – gegenüber dem Kindeswohl gegebenenfalls zurückzutreten haben (RIS‑Justiz RS0048632 [T5, T7, T15]); daran vermag auch das allgemeine Argument nichts zu ändern, das Kind habe einen „verfassungsrechtlichen Anspruch“ auf beide Elternteile.

2. Ein allgemeiner Rechtssatz, nach dem einem Elternteil, der eine mangelnde Bindungstoleranz aufweist und sich über einen längeren Zeitraum der Ausübung des Kontaktrechts des anderen Elternteils widersetzt, unter allen Umständen unabhängig vom Alter des Kindes und sonstigen Kriterien die Obsorge zu entziehen wäre, ist der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht zu entnehmen. Auch wenn das Erstgericht festgestellt hat, dass die Mutter seit September 2016 immer wieder den Kontakt des Minderjährigen zum Vater verhindert, steht nicht fest, dass dies stets auf ungerechtfertigten Motiven beruht, auch wenn solche immer wieder naheliegen mögen.

Andererseits würde die Trennung des Kindes von der Mutter, die es bisher gut versorgt hat, nach den auf dem Sachverständigengutachten beruhenden Feststellungen sehr wahrscheinlich ein schweres Bindungstrauma auslösen (vgl auch RIS‑Justiz RS0048632 [T17]). Die Einschränkung der Erziehungsfähigkeit der Mutter sei auch nicht als derart schwer einzuschätzen, dass deshalb der Entzug der Obsorge gerechtfertigt wäre.

Dass es insgesamt zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt aus der Sicht des Kindeswohls geboten gewesen wäre, der Mutter die Obsorge zur Gänze zu entziehen oder dessen Hauptbetreuung zum Vater zu verlegen, vermag der Revisionsrekurswerber, der insbesondere auf die Gefahr einer Traumatisierung des Kindes, das ihn jetzt längere Zeit nicht erleben konnte, nicht eingeht, nicht überzeugend darzustellen.

3. Soweit der Revisionsrekurswerber schließlich moniert, es habe entgegen der Auffassung des Rekursgerichts eine unzureichende Beweisaufnahme stattgefunden und es werde nach Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen insbesondere das Sachverständigengutachten zu ergänzen sein, ist ihm entgegenzuhalten, dass eingehende ergänzende Ermittlungen angesichts der zuletzt von der Mutter erhobenen massiven Vorwürfe ohnehin unausweichlich sind und vor deren Abschluss eine endgültige Entscheidung über die Obsorge keinesfalls ergehen kann. Auch aus einer Stellungnahme der zuständigen Mitarbeiterinnnen des Amts für Jugend und Familie ergibt sich im Übrigen, dass er das Ergebnis des Strafverfahrens abwarten wolle und akzeptiere, dass während der Abklärung der Vorwürfe keine Kontaktaufnahme zum Kind erfolgen werde.

4. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).

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