OGH 7Ob49/18h

OGH7Ob49/18h21.3.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E***** AG, *****, vertreten durch CMS Reich-Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien, und deren Nebenintervenientinnen 1. G***** AG, *****, vertreten durch Dr. Herbert Salficky, Rechtsanwalt in Wien, und 2. N***** S***** GmbH, *****, vertreten durch KWR Karasek Wietrzyk Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei G***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Johann Etienne Korab, Rechtsanwalt in Wien, und deren Nebenintervenientin G***** GmbH, *****, vertreten durch Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 1.912.592,71 EUR sA, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 22. Dezember 2017, GZ 4 R 180/17w‑217, mit dem die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 20. September 2017, GZ 63 Cg 11/16m‑208, berichtigt mit Beschluss vom 22. September 2017, GZ 63 Cg 11/16m‑211, zurückgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0070OB00049.18H.0321.000

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei und ihrer zweiten Nebenintervenientin jeweils binnen 14 Tagen die mit jeweils 4.210,74 EUR (darin jeweils 701,79 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten ihrer Rekursbeantwortungen zu ersetzen.

 

Begründung:

Das Erstgericht sprach mit seinem Urteil aus:

„1) Die klagende Partei ist schuldig der beklagten Partei EUR 1.532.361,89 samt 4 % Zinsen p.a. seit 31. 3. 2009 und EUR 291.757,47 an Lager-, Bewachungs- und Beraterkosten samt 4 % Zinsen p.a. von 31. 7. 2013 bis 31. 3. 2016 aus EUR 254.455,81 und seit 1. 4. 2016 aus EUR 291.757,47 binnen 14 Tagen zu zahlen.

2) Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig der klagenden Partei weitere EUR 43.108,20 samt 4% Zinsen p.a. seit 31. 3. 2009, EUR 86.804,44 samt 4 % Zinsen p.a. seit 31. 7. 2013 und 4 % Zinsen p.a. aus EUR 37.301,66 von 31. 7. 2013 bis 31. 3. 2016 binnen 14 Tagen zu zahlen, wird abgewiesen.

…“

In der rechtlichen Beurteilung heißt es ua:

„Die E***** (Klägerin) begehrt aber nur ein Versicherungsäquivalent von EUR 1.575.470,09, weil sie den Selbstbehalt von 10 % schon vor dem Verkauf und somit von einer höheren Berechnungsbasis abgezogen hat (…).

Die fehlerhafte Geltendmachung der Rechnungen von … (in Summe EUR 47.898,--) ist daher noch von den EUR 1.575.470,09 abzuziehen jedoch nur mit 90 %, weil der Selbstbehalt schon berücksichtigt wurde. Es ergibt sich somit beim Versicherungsäquivalent bei einem Zuspruch von EUR 1.532.361,89 eine Teilabweisung von EUR 43.108,20.

Die Rettungskosten ergeben sich aus EUR 286.165,52 Lager‑ und Bewachungskosten, EUR 29.474,05 Beratungskosten …, EUR 5.812,60 Gerichtsgebühren … und EUR 4.289,18 Reisespesen. Die von der Klägerin zu ihren Lasten berücksichtigten EUR 1.566,38 Erlöse aus Masseverwertung sind davon auch ohne Beleg abzuziehen. Von der Summe von EUR 324.174,97 ist noch der Selbstbehalt von 10 % abzuziehen, so dass die mit EUR 378.561,91 geltend gemachten Lager-, Bewachungs- und Beratungskosten auf EUR 291.757,47 zu kürzen sind. …“

Das Urteil des Erstgerichts wurde den Parteien am 22. 9. 2017 zugestellt.

Das Erstgericht berichtigte mit Beschluss vom 22. 9. 2017 sein Urteil in Punkt 1) des Spruchs dahin, dass es anstatt: „Die klagende Partei ist schuldig der beklagten Partei … zu zahlen.“ richtig: „Die beklagte Partei ist schuldig der klagenden Partei … zu zahlen.“ zu lauten hat.

Der Berichtigungsbeschluss des Erstgerichts wurde den Parteien am 26. 9. 2017 zugestellt.

Die Beklagte erhob gegen den klagsstattgebenden Teil des Ersturteils Berufung, die sie am 24. 10. 2017 einbrachte.

Das Berufungsgericht wies mit dem angefochtenen Beschluss die Berufung der Beklagten zurück. Schon nach der ursprünglichen Fassung des erstgerichtlichen Urteilsspruchs und nach den Entscheidungsgründen sei völlig klar gewesen, dass die Beklagte zur Zahlung habe verpflichtet werden sollen. Dem Erstgericht sei in Punkt 1) des Urteilsspruchs lediglich eine eindeutig erkennbare Verwechslung der Parteien unterlaufen. Der Lauf der Rechtsmittelfrist habe somit nicht erst mit Zustellung des Berichtigungsbeschlusses, sondern bereits mit der ursprünglichen Urteilszustellung zu laufen begonnen. Die Beklagte habe demnach die vierwöchige Berufungsfrist versäumt.

Gegen den Beschluss des Berufungsgerichts richtet sich der Rekurs der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, den bekämpften Beschluss aufzuheben und dem Berufungsgericht die Durchführung des ordentlichen Verfahrens über die Berufung unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufzutragen.

Die Klägerin und ihre zweite Nebenintervenientin erstatteten eine Rekursbeantwortung mit dem Antrag, dem Rekurs der Beklagten nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist zulässig (RIS‑Justiz RS0043893); er ist aber nicht berechtigt.

1. Der Grundsatz, wonach im Fall der Berichtigung eines Urteils die Rechtsmittelfristen erst mit der Zustellung der berichtigten Urteilsausfertigung beginnen, gilt nach ständiger Rechtsprechung dann nicht, wenn schon vor der Berichtigung für beide Parteien Klarheit darüber bestand, dass der Entscheidungswille des Erstgerichts auf den– später – berichtigten Inhalt gerichtet war. In diesem Fall beginnt die Rechtsmittelfrist bereits mit der Zustellung der ursprünglichen Entscheidung (RIS‑Justiz RS0041797 [insb T1 und T33]).

2. Nicht nur wegen des Fehlens einer Widerklage, sondern auch aus dem Zusammenhang der Spruchpunkte 1) und 2) sowie der (auszugsweise) wiedergegebenen (ausführlichen) Entscheidungsgründe des Ersturteils ist völlig eindeutig erkennbar, dass in Spruchpunkt 1) lediglich eine Verwechslung der Parteirollen vorlag und ein Zuspruch an die Klägerin erfolgen sollte, der auch betragsmäßig eindeutig ausgewiesen war. Die ganz offenkundige Verwechslung der Parteirollen führt zu keinem neuen Beginn der Rechtsmittelfrist.

3. Die (ursprüngliche) Rechtsmittelfrist begann mit der Zustellung des Ersturteils am 22. 9. 2017 zu laufen und endete daher am 20. 10. 2017. Die erst am 24. 10. 2017 eingebrachte Berufung war somit verspätet und wurde vom Berufungsgericht zutreffend zurückgewiesen. Dem dagegen erhobenen Rekurs muss ein Erfolg versagt bleiben.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 41 ZPO. Der vom Erstgericht ausgesprochene Kostenvorbehalt nach § 52 Abs 3 ZPO steht der Kostenentscheidung im Zwischenstreit über die Rechtzeitigkeit (vgl 1 Ob 105/11i) eines Rechtsmittels nicht entgegen (vgl 1 Ob 44/14y). Für die Rekursbeantwortungen gebührt kein Streitgenossenzuschlag, weil sich die Nebenintervenientin der Beklagten am Rekursverfahren nicht beteiligt hat (RIS‑Justiz RS0036223).

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