OGH 5Ob29/18b

OGH5Ob29/18b13.3.2018

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj E*, vertreten durch den Magistrat der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie, Rechtsvertretung Bezirk 10, 1100 Wien, Alfred‑Adler‑Straße 12, wegen Unterhalts, über den Revisionsrekurs des Vaters R*, vertreten durch Rechtsanwaltspartnerschaft Blümke & Schöppl in Linz, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtsachen Wien als Rekursgericht vom 13. November 2017, GZ 45 R 430/17v‑84, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Liesing vom 5. Juli 2017, GZ 16 Pu 151/17h‑75, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E121220

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die Beschlüsse der Vorinstanzen, die im Übrigen als rechtskräftig unberührt bleiben, werden soweit über den Sonderbedarf entschieden wurde (Punkte 1b und c des erstgerichtlichen Beschlusses) aufgehoben. In diesem Umfang wird dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

 

Begründung:

Das Kind forderte die Kosten des Besuchs einer Privatschule als Sonderbedarf (soweit noch relevant: Einschreibgebühren und monatliche Kosten) als existenznotwendigen, medizinischen (Legasthenie) Sonderbedarf. Auf die Schwächen des im Juli 2006 geborenen Minderjährigen könne beim Unterricht in einer öffentlichen Schule für Kinder ab 10 Jahren in keiner Weise eingegangen werden. Er sei bereits in der Vergangenheit während der Volksschulzeit im Rahmen privater Kurse am Nachmittag bei einer Legasthenietrainerin gefördert worden. Diese nicht von der Krankenkasse übernommenen Kosten seien bereits teilweise als Sonderbedarf gegenüber dem unterhaltspflichtigen Vater geltend gemacht worden. Diese Therapiestunden hätten keine adäquate Förderung erzielt.

Der Vater wendete ein, sein Sohn müsse für die notwendige Förderung keine eigene Schule besuchen und könne die Therapie auch nachmittags machen. Viele an Legasthenie leidende Kinder besuchten eine gewöhnliche Schule und bekämen ihre Schwierigkeiten durch eine, von der Krankenkasse finanzierte Therapie in den Griff.

Das Erstgericht verpflichtete den Vater, einen einmaligen Betrag von 200 EUR (halbe Einschreibgebühr) sowie ab 1. 9. 2016 monatlich 190 EUR (halbes Schulgeld) jeweils als Sonderbedarf zu leisten. Es stellte zusammengefasst Folgendes fest:

„Der Minderjährige leidet seit Jahren an Legasthenie und benötigt entsprechende Förderung/Therapien. Er verfügt über ein durchschnittliches Begabungsprofil mit Schwächen im Bereich des Arbeitsgedächtnisses, der Flexibilität, Impuls‑ und Reaktionskontrolle, Inhibition sowie einer massiven Problematik bei der Aufnahme und Abspeicherung von verbalen Informationen. Es bestehen sehr niedrige Lese‑ und Rechtschreibleistungen. Seit September 2016 besucht er das * Zentrum. Dafür fällt ein monatlicher Schulbeitrag von 380 EUR (12 mal im Jahr) an. Die Einschreibgebühr betrug einmalig 400 EUR.“

Der – unbekämpft gebliebenen – Erhöhung der monatlichen Unterhaltsverpflichtung des Vaters auf 283 EUR (1. 6. bis 31. 7. 2016), 313 EUR (1. 8. 2016 bis 31. 5. 2017) sowie 345 EUR ab 1. 6. 2017 legte das Erstgericht bis 31. 5. 2017 ein monatliches Nettoeinkommen von 1.576 EUR sowie ab 1. 6. 2017 von 1.804 EUR (für Jänner 2017: zusätzlich des fiktiven Arbeitslosengeldes) zugrunde. Weitere Sorgepflichten habe der Vater (derzeit) nicht.

Das Rekursgericht bestätigte die vom Vater bekämpfte Verpflichtung zur Leistung des Sonderbedarfs. Nach den Feststellungen des Erstgerichts könne dem besonderen Förderungsbedarf des Minderjährigen am Besten durch den Besuch einer alternativen Schule wie der gewählten nachgekommen werden.

Das Rekursgericht ließ über Antrag des Vaters nachträglich den Revisionsrekurs zu.

Der – beantwortete – Revisionsrekurs des Vaters ist zulässig und im Sinn einer Aufhebung berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Stehen in einem bestimmten Ausbildungsweg entgeltliche Privatschulen neben öffentlichen (unentgeltlichen) Schulen zur Verfügung, wird der Unterhaltsberechtigte nach dem Grundsatz, dass bei gleichwertigen Alternativen stets die für den Unterhaltspflichtigen weniger belastende den Vorzug genießt, grundsätzlich eine öffentliche Schule auszuwählen haben (7 Ob 101/99z; 4 Ob 120/09i). Ist aber aus im jeweiligen Einzelfall zu prüfenden Gründen die öffentliche Schule keine gleichwertige Alternative und sprechen gerechtfertigte Gründe für den Besuch der ausgewählten Privatschule, kann Schulgeld für diese Schule als Sonderbedarf anerkannt werden (9 Ob 40/02a; 2 Ob 107/11s). Als derartige Gründe kommen eine besondere Begabung des Kindes, die gerade durch den gewählten Schultyp gefördert werden kann, die Unterbringung in einer fremdsprachigen Schule nach vorangegangenem langjährigen Auslandsaufenthalt des Kindes, oder besonderes berufliches Interesse und damit verbundener intensiver Wunsch des Kindes nach einem bestimmten Bildungsweg in Frage (7 Ob 101/99z). Abgeltung von Sonderbedarf hat grundsätzlich Ausnahmecharakter, weshalb der Unterhaltsberechtigte die eine Ersatzpflicht begründenden Umstände behaupten und beweisen muss (2 Ob 107/11s mwN).

2. Das Kind rechtfertigt den Besuch der Privatschule mit seinem besonderen Förderungsbedarf als Legastheniker. Die Rechtsprechung anerkennt zwar an sich einen die Gesundheit betreffenden Sonderbedarf grundsätzlich als deckungspflichtig (RIS‑Justiz RS0047560). Die Feststellungen des Erstgerichts zu den Schwächen des Kindes (die auf einem vom Vertreter des Kindes vorgelegten klinisch‑psychologischen Gutachten beruhen) sowie zum Schulbesuch und dessen Kosten reichen aber nicht aus, um die Ersatzpflicht des Vaters abschließend zu beurteilen. Es steht nicht fest, welche therapeutischen Maßnahmen in der gewählten Privatschule als bessere Alternative zum Besuch einer öffentlichen Schule mit besonderer Betreuung von Kindern mit Legasthenie im Rahmen des Schulbesuchs oder außerhalb angeboten und vom Unterhaltsberechtigten in Anspruch genommen werden. Die Qualität des jeweiligen Förderprogramms von Legasthenikern, deren spezielle Eignung für den Minderjährigen und letztlich die Kosten lassen sich mangels ausreichend konkreter Feststellungen nicht vergleichen. Das Erstgericht wird daher Feststellungen zu treffen haben, ob – wie vom Vater behauptet – gleichwertige günstigere Alternativen für die spezielle Förderung des Kindes zur Verfügung standen.

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