OGH 3Ob186/17z

OGH3Ob186/17z24.1.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hoch als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Roch und Dr. Rassi und die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G*, vertreten durch Prof. Haslinger & Partner Rechtsanwälte in Linz, und der beklagten Partei F*, vertreten durch Mag. Robert Stadler, Rechtsanwalt in Gallneukirchen, wegen Räumung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 3. August 2017, GZ 14 R 15/17z‑15, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Urfahr vom 30. Dezember 2016, GZ 3 C 771/16w‑10, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E120653

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 377,50 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin enthalten 62,92 EUR an USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Die Beklagte zeigt in ihrer Revision keine erhebliche Rechtsfrage auf, weshalb sie – ungeachtet des nicht bindenden Zulässigkeitsausspruchs des Berufungsgerichts – als nicht zulässig zurückzuweisen ist. Das ist wie folgt kurz zu begründen (§ 510 Abs 3 ZPO):

1. Angesichts der Judikatur des Obersten Gerichtshofs (nach Aufhebung des § 268 ZPO) zur materiellen Rechtskraft einer strafgerichtlichen Verurteilung (RIS‑Justiz RS0074219) besteht ebenso eine Bindung des Zivilrichters. Für ein Abgehen von der zu § 19 Abs 2 Z 3 MG vorliegenden Rechtsprechung, wonach es für den Fall, dass ein Mieter eine strafbare Handlung gesetzt hat, deren Geltendmachung als Kündigungsgrund nach § 19 Abs 2 Z 3 MG vom Vermieter beabsichtigt ist, dem Vermieter wegen der Bindung des Zivilrichters an ein rechtskräftig verurteilendes Erkenntnis des Strafgerichts grundsätzlich nicht verwehrt werden kann, zunächst das Ergebnis des Strafverfahrens abzuwarten und dann erst die Kündigung einzubringen (RIS‑Justiz RS0067559), besteht daher kein Anlass (idS auch T. Hausmann in Hausmann/Vonkilch, Österreichisches Wohnrecht § 30 MRG Rz 32).

2. Eine gefährliche Drohung nach § 107 Abs 1 StGB gegen eine Mitbewohnerin stellt zweifellos einen schwerwiegenden Vorfall dar, der (auch) den Kündigungsgrund des unleidlichen Verhaltens nach § 30 Abs 2 Z 3 MRG (den die Klägerin hier in der Klage allgemein auch geltend machte), verwirklicht und nach Rechtskraft der strafgerichtlichen Verurteilung für den Zivilrichter bindend feststeht. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass der Klägerin auch in dieser Konstellation das Abwarten des Strafverfahrens zuzubilligen sei, ist jedenfalls nicht unvertretbar. Die Frage, ob die Klage (auch) auf eine strafgerichtliche Verurteilung gestützt wurde, stellt sich somit nicht.

3.1. Der in der Judikatur zu findende Grundsatz, dass Auflösungs‑ und Kündigungsgründe ohne unnötigen Aufschub geltend zu machen sind (RIS‑Justiz RS0014427), muss unter dem Blickwinkel eines nachträglichen schlüssigen Verzichts auf einen Auflösungs‑ oder Kündigungsgrund geprüft werden (vgl Lovrek in FS Würth 111 und Lovrek in Rummel/Lukas ABGB4 § 1118 ABGB Rz 40). Allgemein gilt, dass bei der Beurteilung der Frage, ob ein schlüssiger Verzicht auf ein Recht vorliegt, besondere Zurückhaltung und Vorsicht geboten ist. Er darf immer nur dann angenommen werden, wenn besondere Umstände darauf hinweisen, dass er ernstlich gewollt ist (RIS‑Justiz RS0014190, RS0014229; jüngst: 3 Ob 5/17g).

Im Zweifel ist ein konkludenter Verzicht des Vermieters auf das Kündigungsrecht nicht anzunehmen (RIS‑Justiz RS0014416 [T2]). Der Verzicht auf einen Auflösungsgrund hat zur Voraussetzung, dass das Zuwarten des Vermieters mit der Aufkündigung oder der Räumungsklage unter Umständen erfolgt, aus denen mit Überlegung aller Umstände kein vernünftiger Grund daran zu zweifeln übrig bleibt, dass der Vermieter den ihm bekannten Sachverhalt nicht mehr als Auflösungs‑ oder Kündigungsgrund geltend machen will. Es ist daher erforderlich, dass der Mieter weiß oder aus dem Verhalten des Vermieters doch mit Recht ableiten kann, dass dieser den vollen Sachverhalt, der die Auflösung oder die Kündigung rechtfertigt, kennt und dem Mieter keine Umstände bekannt sind, die ein Zuwarten des Vermieters mit der Kündigung oder einer Räumungsklage aus einem anderen Grund als dem eines Verzichts auf das Auflösungs‑ bzw Kündigungsrecht erklärlich erscheinen lassen (RIS‑Justiz RS0014423, RS0067163). Die Beweislast für das Vorliegen eines solchen Verzichts trifft den Mieter (RIS‑Justiz RS0102001). Ob nach den Umständen des Einzelfalls ein Verzicht anzunehmen ist oder nicht, stellt im Regelfall – und auch hier – keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO dar (RIS‑Justiz RS0107199; zu allen jüngst 3 Ob 5/17g).

3.2. Ein Zuwarten der Klägerin mit der Erhebung der Räumungsklage bis zum Abschluss des Strafverfahrens musste für die Beklagte zunächst schon deshalb plausibel erscheinen, weil diese der Klägerin selbst mitteilte, das erstinstanzliche Urteil bekämpft zu haben. Das folgende Abwarten des Ausgangs dieses Berufungsverfahrens über etwa ein halbes Jahr hat schon das Erstgericht unter Hinweis auf die mögliche Dauer eines solchen Rechtsmittelverfahrens von etwa sechs Monaten vertretbar nicht als Verzicht gewertet. Der Rechtsansicht der Beklagten, das folgende, etwa zweimonatige Zuwarten mit der Klage (= Auflösungserklärung) nach Kenntnis von der Rechtskraft des Strafurteils stelle einen schlüssigen Verzicht darauf dar, fehlt schon angesichts der notwendigen Vorbereitungen einer Klageführung jede Grundlage (vgl dazu 3 Ob 5/17g). Außerdem hat die Beklagte nicht gewusst oder aus einem Verhalten der Klägerin mit Recht ableiten können, dass die Klägerin Kenntnis von der Rechtskraft der strafgerichtlichen Verurteilung hatte, weil sie der Klägerin vom Ausgang des (von ihr bekanntgegebenen) Berufungsverfahrens keine Mitteilung machte.

3.3. Die Vorinstanzen haben daher einen schlüssigen Verzicht der Klägerin auf ihr Auflösungsrecht jedenfalls vertretbar verneint.

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41 und 50 ZPO. Die Klägerin hat in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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