OGH 6Ob240/17p

OGH6Ob240/17p17.1.2018

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden und durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm sowie die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen H* S*, geboren am * 2007, *, über den Revisionsrekurs der Minderjährigen, vertreten durch das Land * (Bezirkshauptmannschaft *) als Kinder- und Jugendhilfeträger, gegen den Beschluss des Landesgerichts Ried im Innkreis als Rekursgericht vom 28. August 2017, GZ 14 R 60/17z‑6, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Ried im Innkreis vom 13. Juli 2017, GZ 1 Pu 174/17h‑3, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E120742

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

 

Begründung:

Zwischen der Minderjährigen und ihrem geldunterhaltspflichtigen Vater R* P* ist völlig unstrittig, dass letzterer – ausgehend von seinem Einkommen in Höhe von 2.369,93 EUR und unter (teilweiser) Anrechnung der Transferleistungen (Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag) – seit 1. 8. 2017 einen erhöhten monatlichen Unterhaltsbeitrag von 437 EUR zu leisten hat. Einziger Streitpunkt ist, ob bei Inanspruchnahme des Kinderfreibetrags nach § 106a EStG durch den geldunterhaltspflichtigen Elternteil der sich aus der Anrechnung der Transferleistungen ergebende Kürzungsbetrag um die Steuerersparnis durch den Kinderfreibetrag zu reduzieren, der Kindesunterhalt somit um diese Steuerersparnis zu erhöhen ist.

Das Erstgericht hat diese Frage bejaht und einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von 446 EUR zuerkannt; dies liege „unzweifelhaft mehr im Interesse des Kindes“.

Rechtliche Beurteilung

Das Rekursgericht hat die Frage verneint und (über Zulassungsvorstellung der Minderjährigen) den Revisionsrekurs für zulässig erklärt; es fehle Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu dieser Frage jedenfalls seit Inkrafttreten der Steuerreform 2015 mit 1. 1. 2016. In der Sache selbst folgte das Rekursgericht ausdrücklich der vom Obersten Gerichtshof angewendeten Formel „Unterhaltsanspruch = Prozentunterhalt – (Prozentunterhalt x Grenzsteuersatz x 0,004) + Unterhaltsabsetzbetrag“.

Der Revisionsrekurs der Minderjährigen ist zulässig; er ist auch berechtigt.

1. Es entspricht tatsächlich ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass die nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofs und des Obersten Gerichtshofs (teilweise) Anrechnung der vom betreuenden Elternteil bezogenen Transferleistungen (Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag; dazu ausführlich Gitschthaler, Unterhaltsrecht³ [2015] Rz 731 ff; Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht8 [2016] 137 ff – alle mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung) auf den vom anderen Elternteil zu leistenden Geldunterhalt nach der vom Rekursgericht angewendeten Formel zu erfolgen hat (6 Ob 44/07z EF‑Z 2007/8 [Gitschthaler]; 6 Ob 15/09p; 1 Ob 257/09i iFamZ 2010/90 [Lutschinger]; 10 Ob 49/10v; 3 Ob 100/15z), wobei allerdings klarzustellen ist, dass unter dem „Grenzsteuersatz“ nicht der Prozentwert zu verstehen ist, sondern dessen ganze Zahl einzusetzen ist (Gitschthaler aaO Rz 757/3; Schwimann/Kolmasch aaO 145).

2. Der Gesetzgeber führte mit der Steuerreform 2009 einen Kinderfreibetrag ein (§ 106a EStG), der – anders als der Unterhaltsabsetzbetrag nach § 33 Abs 4 Z 3 EStG – nicht von der Einkommensteuer, sondern von der Steuerbemessungsgrundlage in Abzug gebracht wird (vgl Schwimann/Kolmasch aaO 145). Diese Steuerentlastung betrug ab dem Veranlagungsjahr 2009 monatlich zwischen 4 und 6 EUR, im Schnitt somit 5 EUR (Gitschthaler aaO Rz 757/4). Die Literatur (Heiderer, Kinderfreibetrag nach § 106a EStG und Unterhaltsbemessung, EF‑Z 2009/135; Kolmasch, Die Anrechnung der Familienbeihilfe auf den Kindesunterhalt nach der Steuerreform 2009, Zak 2009, 163; Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht7 [2014]135; Gitschthaler aaO Rz 757/4; vgl nunmehr auch Neuhauser in Schwimann/Neumayr, ABGB‑Taschenkommentar4 [2017] § 231 ABGB Rz 98) vertrat dazu die Auffassung, dass diese Steuerersparnis des Geldunterhaltspflichtigen aus dem Kinderfreibetrag (wie der Unterhaltsabsetzbetrag) den Anrechnungsbetrag von Transferleistungen auf den Geldunterhalt kürzt, die dargestellte Formel somit um den Zusatz „+ Steuerersparnis durch Kinderfreibetrag“ (Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht7 15) bzw (vereinfachend) „+ 5“ (Gitschthaler aaO Rz 757/4) zu ergänzen sei. Letzterem folgte der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 3 Ob 100/15z (ErwGr 1.4.f) jedenfalls im Ergebnis und unter Hinweis darauf, dass eine mathematisch genaue Berechnung des Unterhalts nicht erforderlich ist; vielmehr sei eine Globalbemessung vorzunehmen.

Lediglich Tews (Neue Kürzungsformel für die Anrechnung der Familienbeihilfe, EF‑Z 2015/89) vertrat die Auffassung, der geldunterhaltspflichtige Elternteil müsse diese Steuerersparnis nicht an das unterhaltsberechtigte Kind weitergeben.

3. Mit der Steuerreform 2015 erhöhte der Gesetzgeber den Kinderfreibetrag deutlich, womit die Steuerentlastung des geldunterhaltspflichtigen Elternteils nunmehr – abhängig von der jeweiligen Steuerbelastung – zwischen 13,75 und 6,25 EUR monatlich (vgl die konkreten Beträge etwa bei Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht8 145) beträgt; im vorliegenden Fall geht es um 8,75 bzw (gerundet) 9 EUR. Grundsätzlich liegt zwar auch dieser Betrag noch im Rundungsbereich (Erhöhung des Kindesunterhalts um rund 2 %; vgl etwa 6 Ob 15/09p), in Anbetracht der deutlich erhöhten Steuerersparnis und der in der Praxis zahlreichen Anwendungsfälle bedarf es aber einer Stellungnahme des Obersten Gerichtshofs (in diesem Sinn wohl auch 3 Ob 100/15z [ErwGr 1.4.f]); die Überlegung etwa des Landesgericht Salzburg (21 R 295/13y EF‑Slg 138.412), es sei im Hinblick auf die geringe Auswirkung des Kinderfreibetrags vertretbar, auf eine Kürzung der Anrechnung von Transferleistungen um die Steuerersparnis aus dem Kinderfreibetrag zu verzichten, teilt der Oberste Gerichtshof jedenfalls nicht.

3.1. Die Ausführungen von Tews (aaO), der geldunterhaltspflichtige Elternteil müsse die sich aus dem Kinderfreibetrag ergebende Steuerersparnis nicht an das unterhaltsberechtigte Kind weitergeben, gründet auf der Überlegung, dass in diesem Fall die Steuerersparnis „völlig verpuffe“ und es dem Gesetzgeber nicht zugesonnen werden könne, dass er geldunterhaltspflichtige Elternteile „schlicht pflanzen“ habe wollen.

3.2. Dem halten allerdings Schwimann/Kolmasch (Unterhaltsrecht8 140, 145) zutreffend entgegen, es sei in einem System der mittelbaren Steuerentlastung (wie der durch Verfassungsgerichtshof und Oberstem Gerichtshof entwickelten Anrechnung der Transferleistungen) von Unterhaltsleistungen folgerichtig, dass zusätzliche Absetz- oder Freibeträge für den geldunterhaltspflichtigen Elternteil ein „Nullsummenspiel“ darstellen und mittelbar dem Kind durch geringere Anrechnung der Transferleistungen zugute kommen müssen; die Anrechnung der Transferleistungen sei nur insoweit gerechtfertigt, als auf die Unterhaltslast nicht bereits im Steuerrecht selbst Bedacht genommen und den Transferleistungen deshalb auch die Funktion der steuerlichen Entlastung des geldunterhaltpflichtigen Elternteils zugeschrieben wird. Der Oberste Gerichtshof schließt sich deshalb der von der überwiegenden Literatur vertretenen Auffassung an, dass der sich aus der Anrechnung der Transferleistungen ergebende Kürzungsbetrag jedenfalls um die Steuerersparnis durch den Kinderfreibetrag zu reduzieren, der Kindesunterhalt somit um diese Steuerersparnis zu erhöhen und die vom Obersten Gerichtshof bereits mehrfach verwendete Formel zur Ermittlung des Kürzungsbetrags deshalb zu lauten hat: „Unterhaltsanspruch = Prozentunterhalt – (Prozentunterhalt x Grenzsteuersatz x 0,004) + Unterhaltsabsetzbetrag + Steuerersparnis durch Kinderfreibetrag“. Ob dies auch für andere Absetz‑ oder Freibeträge gilt, kann hier dahinstehen.

3.3. Die von Tews (aaO) geäußerte Befürchtung, durch die Anwendung von Pauschalsätzen (5 EUR aufgrund der Steuerreform 2009 bzw nunmehr 9 bzw 10 EUR aufgrund der Steuerreform 2015 [vgl Gitschthaler aaO Rz 757/4]) könne es dazu kommen, dass die durch den Kinderfreibetrag ausgelöste Unterhaltserhöhung höher sei als die erzielte Steuerersparnis, erscheint unbegründet: Maßgeblich ist die konkrete Steuerersparnis; im Übrigen wäre dies ohnehin lediglich bei Einkommen der Fall, die mit einem Höchststeuersatz von 25 % zu versteuern sind (vgl Schwimann/Kolmasch aaO 145).

4. Der Vater meint in der Revisionsrekursbeantwortung, die Minderjährige habe im Verfahren erster Instanz gar nicht vorgebracht, dass er tatsächlich den Kinderfreibetrag erhalte. Damit übersieht er aber, dass nach § 106a Abs 2 iVm § 106 Abs 2 EStG für ein Kind, für das dem Steuerpflichtigen der Unterhaltsabsetzbetrag gewährt wird, von Amts wegen ein Kinderfreibetrag in Höhe von 300 EUR jährlich zu berücksichtigen ist. Es hätte sich also vielmehr der geldunterhaltspflichtige Vater im Verfahren erster Instanz darauf berufen müssen, dass er keinen Unterhaltsabsetzbetrag und damit auch keinen Kinderfreibetrag bezieht.

5. Damit war aber insgesamt der erstinstanzliche Beschluss wiederherzustellen.

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