OGH 13Os85/17z

OGH13Os85/17z11.10.2017

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. Oktober 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, Mag. Michel, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Wetter als Schriftführer in der Strafsache gegen Sasa P***** und andere Angeklagte wegen Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 1 SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Sebastian Z***** gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 19. Mai 2017, GZ 154 Hv 17/17z‑284, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0130OS00085.17Z.1011.000

 

Spruch:

 

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in dem den Angeklagten Jure Pa***** betreffenden Verfallserkenntnis aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung des Angeklagten Sebastian Z***** werden die Akten vorerst dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten Sebastian Z***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden – soweit hier von Bedeutung –

Sebastian Z***** jeweils mehrerer Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG (I/B/2/i) und nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall und Abs 2 SMG (I/B/2/ii) sowie mehrerer Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 1 SMG (I/C/2) und

Jure Pa***** jeweils mehrerer Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG (I/B/3/i) und nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall und Abs 2 SMG (I/B/3/ii) sowie des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 achter Fall, Abs 3 SMG (I/C/3) schuldig erkannt.

Danach haben in W*****

I/ vorschriftswidrig Suchtgift

B/ in wiederholten Angriffen erworben und besessen und zwar

2/ Sebastian Z***** ab einem nicht mehr festzustellenden Zeitpunkt bis 19. November 2016

i/ 0,7 Gramm Heroin (Wirkstoff Acetylcodein, Heroin und Monoacetylmorphin) sowie 32 Stück Substitol (Wirkstoff Morphin),

ii/ zum ausschließlich persönlichen Gebrauch zumindest vom 20. Juli 2016 bis zum 19. November 2016 rund 255 Gramm Heroin (Wirkstoff Acetylcodein, Heroin und Monoacetylmorphin),

3/ Jure Pa***** ab einem nicht mehr festzustellenden Zeitpunkt bis 24. November 2016

i/ 25,1 Gramm Cannabiskraut (Wirkstoff THCA und Delta‑9‑THC),

ii/ zum ausschließlich persönlichen Gebrauch eine nicht mehr festzustellende Menge Cannabiskraut (Wirkstoff THCA und Delta‑9‑THC) und Kokain (Wirkstoff Cocain),

C/ anderen überlassen und zwar

2/ Sebastian Z***** gewerbsmäßig, wobei er schon ein Mal wegen einer Straftat nach § 28a Abs 1 SMG verurteilt worden war, zumindest im Zeitraum vom 20. Juli 2016 bis zum 19. November 2016 in Bezug auf Suchtgift in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge an im Urteil namentlich genannte sowie unbekannte Abnehmer insgesamt 12 Stück Substitol (Reinsubstanz 1,8 Gramm Morphin), 349 Gramm Heroin (Reinsubstanz 1,75 Gramm Acetylcodein, 29,55 Gramm Heroin, 1,39 Gramm Monoacetylmorphin) sowie 1 Gramm Cannabiskraut (Reinsubstanz 0,18 Gramm THCA, 0,01 Gramm Delta‑9‑THC),

3/ Jure Pa***** im Zeitraum von Mitte August 2016 bis zum 24. November 2016

i/ gewerbsmäßig Sasa P***** und Vladan S***** rund 100 Gramm Cannabiskraut ([US 20] Reinhaltsgehalt 4,6 % THCA und 0,4 % THC) sowie 20 Gramm Kokain (Reinsubstanz zumindest 4 Gramm Cocain),

ii/ Jerko Pa***** nicht mehr feststellbare Mengen Cannabiskraut (Reinheitsgehalt 4,6 % THCA und 0,4 % Delta‑9‑THC) unentgeltlich bzw zum Selbstkostenpreis,

iii/ Sebastian R***** nicht mehr festzustellende Mengen Cannabiskraut (Reinheitsgehalt 4,6 % THCA und 0,4 % Delta‑9‑THC) unentgeltlich bzw zum Selbstkostenpreis.

Rechtliche Beurteilung

Gegen die zu I/C/2 erfolgte Verneinung der Voraussetzungen des § 28a Abs 3 zweiter Fall SMG richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, 10 und 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Sebastian Z*****.

Die Mängelrüge (Z 5) wendet sich gegen die– diesem Anfechtungsziel entgegenstehenden – Feststellungen, wonach der an Heroin gewöhnte (US 20) Angeklagte Sebastian Z***** „Suchtgifte nicht vorwiegend deshalb verkaufte, um sich für seinen persönlichen Gebrauch Suchtmittel oder Mittel zu deren Erwerb zu verschaffen“, sondern vielmehr danach trachtete, „seine chronisch triste Finanzlage zu verbessern und ein entsprechend hohes Einkommen zu haben“, welches „ihm in allen Lebenslagen, nicht nur bei der Beschaffung von Suchtgiften, zugute kommen sollte“ (US 20, 29).

Inwieweit die Verantwortung des Beschwerdeführers, er habe dem Abnehmer Martin F***** die Substitoltabletten (Schuldspruch I/C/2/i) nicht verkauft, sondern geschenkt (ON 279 S 42), den bekämpften Feststellungen erörterungsbedürftig entgegenstehen sollten (Z 5 zweiter Fall), bleibt unklar.

Der Einwand unterlassener Berücksichtigung der Aussage des Nichtigkeitswerbers (Z 5 zweiter Fall), wonach er mit dem Verkauf seine eigene Sucht finanziert habe (ON 279 S 45), geht daran vorbei, dass § 28a Abs 3 SMG (iVm § 27 Abs 5 SMG) lediglich auf die Absicht des Täters zur Tatzeit abstellt, mehr als die Hälfe des Gewinns in die neuerliche Suchtmittelbeschaffung für den Eigenkonsum fließen zu lassen (RIS‑Justiz RS0125836, RS0124622). Die Frage, ob der aus Suchtmittelgeschäften erwirtschaftete Gewinn tatsächlich im intendierten Sinn verwendet wurde, betrifft hingegen gerade keinen entscheidenden Umstand (15 Os 22/16y).

Demgemäß bedurften die zur allein maßgeblichen Feststellung der Intention des Beschwerdeführers führenden Überlegungen der Tatrichter dem Beschwerdevorbringen zuwider auch keiner mathematischen Begründung (etwa durch Aufschlüsselung von Einnahmen und Ausgaben) im Urteil (vgl RIS‑Justiz RS0098471; 15 Os 22/16y). Mit eigenen Erwägungen zu den Einkommens‑ und Vermögens-verhältnissen des Nichtigkeitswerbers und Berechnungen zu seiner Finanzlage und zur Relation zwischen Verkaufserlösen und Aufwendungen für das von diesem selbst konsumierte Suchtgift wendet sich die Rüge bloß nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht zulässigen Schuldberufung gegen die den Tatrichtern vorbehaltene Beweiswürdigung.

Es bildet auch keinen

Widerspruch (Z 5 dritter Fall), dass das Schöffengericht einerseits davon ausging, dass der (an Heroin gewöhnte) Angeklagte „Suchtgifte nicht vorwiegend deshalb verkaufte, um sich für seinen persönlichen Gebrauch Suchtmittel oder Mittel zu deren Erwerb zu verschaffen“, sondern vielmehr danach trachtete, „seine chronisch triste Finanzlage zu verbessern und ein entsprechend hohes Einkommen zu haben“, welches „ihm in allen Lebenslagen, nicht nur bei der Beschaffung von Suchtgiften, zu Gute kommen sollte“ (US 20 und 29), und ihm andererseits zubilligte, Heroinmengen auch zum ausschließlich persönlichen Gebrauch erworben und besessen zu haben (US 19 f; I/B/2/ii). Denn diese Tatsachen können nach den Gesetzen logischen Denkens durchaus nebeneinander bestehen (vgl RIS‑Justiz RS0099651, RS0099548, RS0099709).

Dem Einwand offenbar unzureichender Begründung (Z 5 vierter Fall) zuwider haben die Tatrichter die bekämpften Feststellungen ohne Verstoß gegen Gesetze der Logik oder grundlegende Erfahrungswerte auf die Aussagen der Zeugen Thomas St***** und Chritscha N***** betreffend den intensiv und groß angelegten Suchtgifthandel bei finanziell schwieriger Situation des Angeklagten Z***** begründet (US 29).

Sämtliche der bisher behandelten Einwände des Rechtsmittelwerbers verfehlen daher unabhängig von der Einordnung des § 28a Abs 3 SMG als Strafsatz- oder als Strafrahmenbestimmung (vgl dazu OGH 18. 5. 2017, 12 Os 21/17f; Letzteres in Verbindung mit Z 11 erster Fall [vgl RIS‑Justiz RS0118581]) ihr Ziel.

Die prozessordnungskonforme Geltendmachung materieller Nichtigkeit erfordert – Feststellungsmängel ausgenommen (vgl RIS‑Justiz RS0118580) – das strikte Festhalten am gesamten im Urteil festgestellten Sachverhalt, dessen Vergleich mit dem darauf anzuwendenden Gesetz und die Behauptung, dass das Erstgericht bei Beurteilung dieses Sachverhalts einem Rechtsirrtum unterlegen ist (RIS‑Justiz RS0099810). Diesen Bezugspunkt verfehlt die auf § 281 Abs 1 Z 10 StPO, eventualiter auf § 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO gestützte Beschwerde, welche die der Bejahung der Voraussetzungen des § 28a Abs 3 SMG entgegenstehenden Urteilskonstatierungen (US 20 und 29) schlicht bestreitet und durch die urteilsfremde Feststellung ersetzt, wonach der Beschwerdeführer Suchtmittel ausschließlich deshalb verkauft habe, um sich für seinen persönlichen Gebrauch Suchtmittel oder Mittel zu deren Erwerb zu verschaffen. Es kann daher auch insoweit dahingestellt bleiben, ob es sich bei § 28a Abs 3 SMG um eine Strafsatz- oder eine Strafrahmenbestimmung handelt.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der Berufung folgt (§ 285i StPO).

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof jedoch, dass zum Nachteil des Angeklagten Jure Pa***** das Gesetz unrichtig angewendet worden ist (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO), weil – wie die Generalprokuratur zu Recht aufzeigt – dem Verfallserkenntnis in Ansehung dieses Angeklagten Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO anhaftet:

Den Entscheidungsgründen ist nämlich nicht zu entnehmen, inwiefern der sichergestellte und für verfallen erklärte Betrag von 440 Euro (US 13, 40) aus den Jure Pa***** angelasteten Taten (I/B/3/i, I/B/3/ii und I/C/3) stammt.

Das Verfallserkenntnis in Ansehung des Angeklagten Jure Pa***** war somit schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort aufzuheben (§ 290 Abs 1 zweiter Satz StPO iVm § 285e StPO). Im diesbezüglichen neuen Verfahren steht die Entscheidung im Sinn des letzten Satzes des § 445 Abs 2 StPO dem Vorsitzenden des Schöffengerichts als Einzelrichter zu.

Der Kostenausspruch, der die amtswegige Maßnahme nicht umfasst (Lendl, WK‑StPO § 390a Rz 12), beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte