OGH 28Os3/16z

OGH28Os3/16z21.9.2017

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 21. September 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hradil als weiteren Richter und die Rechtsanwälte Dr. Wippel und Dr. Strauss als Anwaltsrichter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Wukovits, LL.M., als Schriftführerin in der Disziplinarsache gegen *****, Rechtsanwalt in *****, wegen der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 DSt über die Berufung des Disziplinarbeschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich vom 9. März 2015, AZ D 23/10, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, GA Mag. Koenig, des Kammeranwalts Dr. Kaska, des Verteidigers Prof. Dr. Wennig und des Disziplinarbeschuldigten zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0280OS00003.16Z.0921.000

 

Spruch:

 

Der Berufung des Disziplinarbeschuldigten wegen Nichtigkeit wird Folge gegeben, das angefochtene Erkenntnis aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an den Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich zurückverwiesen.

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Mit der angefochtenen Entscheidung der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich vom 9. März 2015, AZ D 23/10, wurde ***** der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 DSt schuldig erkannt, weil er als Geschäftsführer der *****GmbH als Vertreter der Tamara T***** den Auftrag zur Abwicklung der Verlassenschaft nach der Erblasserin Mag. Martina W***** nicht mit der gebotenen Sorgfalt durchgeführt hatte und es aus seinem Verschulden im Zeitraum 1. Februar 2005 bis 31. Oktober 2007 zum Nachteil der Tamara T***** zu Verzögerungen gekommen war, insbesondere verspätet Aktiva realisiert worden waren.

Der Disziplinarbeschuldigte wurde zu einer Geldbuße von 2.500 Euro sowie zum Ersatz der Kosten des Verfahrens verurteilt.

Dagegen richtet sich die Berufung des Disziplinarbeschuldigten wegen Nichtigkeit, wegen des Ausspruchs über die Schuld und über die Strafe. Der Berufung wegen Nichtigkeit kommt Berechtigung zu.

Zu Recht macht der Berufungswerber der Sache nach mit Mängelrüge (§ 281 Abs 1 Z 5 zweiter Fall StPO iVm § 77 Abs 3 DSt) geltend, dass der Disziplinarrat die zum Akt genommene und in der Verhandlung vorgetragene schriftliche Äußerung des Disziplinarbeschuldigten vom 3. März 2015 im Erkenntnis gänzlich unerwogen ließ.

Diesen Begründungsmangel kommt schon deswegen Bedeutung zu, als gemäß § 35 DSt eine Verhandlung in Abwesenheit des Disziplinarbeschuldigten nicht hätte durchgeführt werden dürfen. Zwar wurde ihm die Ladung ordnungsgemäß zugestellt, wobei er vor der Verhandlung bereits Gelegenheit zur (letztlich unberücksichtigt gebliebenen) Stellungnahme hatte, doch lag dem Disziplinarrat eine ausreichende Entschuldigung vor, zumal der Verteidiger nach Eröffnung der Verhandlung eine ärztliche Bestätigung über eine Erkrankung von ***** vorlegte. Wenngleich für den Disziplinarrat aus der Krankmeldung nicht ersichtlich war, „woran der Disziplinarbeschuldigte erkrankt und ob er überhaupt zuvor bei einer Untersuchung gewesen war“, stellt ein ärztliches Zeugnis über eine Erkrankung des Disziplinarbeschuldigten eine Entschuldigung für dessen Fernbleiben dar, und zwar selbst dann, wenn der Disziplinarrat den – nicht weiter untersuchten – Verdacht hegt, dass die Behauptung des Disziplinarbeschuldigten, wonach er krank sei, unrichtig ist (vgl 16 Bkd 3/94; Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek , RAO 9 § 35 DSt Rz 6 mwN).

Auch die Anwesenheit eines Verteidigers und dessen Einverständnis zur Verhandlung in Abwesenheit des Disziplinarbeschuldigten ermöglicht nicht eine Prozessführung außerhalb des durch § 35 DSt vorgegebenen Rahmens (vgl Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek , RAO 9 § 34 DSt Rz 1; § 35 Rz 1), sodass dem Anspruch des Disziplinarbeschuldigten auf rechtliches Gehör durch die Verhandlung und die Fällung des Erkenntnisses in seiner Abwesenheit im Zusammenhang mit der unterbliebenen Auseinandersetzung des Disziplinarrats mit dessen schriftlicher Äußerung nicht Genüge getan wurde.

Der Berufung des Disziplinarbeschuldigten war daher Folge zu geben, das angefochtene Erkenntnis aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an den Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich zurückzuverweisen.

Damit erübrigt sich auch das Eingehen auf das weitere Berufungsvorbringen.

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