European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0110NS00063.17D.0913.000
Spruch:
Im Umfang der gegen Ionut-Catalin F*****, Ahmed K*****, Zoran J*****, Vjeran R***** und Redha A***** erhobenen Anklagevorwürfe wird die Sache dem Oberlandesgericht Wien zur Entscheidung über die Einsprüche gegen die Anklageschrift übermittelt.
Die Akten werden dem Landesgericht für Strafsachen Graz zurückgestellt, das entsprechende Aktenteile dem Oberlandesgericht Wien zuzuleiten hat.
Gründe:
Mit beim Landesgericht für Strafsachen Graz eingebrachter Anklageschrift vom 21. Juni 2017 (ON 600) legt die Staatsanwaltschaft Graz insgesamt acht Angeklagten Verbrechen des Suchtgifthandels, und zwar Ionut-Catalin F*****, Abderezek Z*****, Ahmed K*****, Zoran J*****, Vjeran R***** und Redha A***** jeweils nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG, Sami B***** nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG und Fares D***** nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 1 SMG, sowie jeweils weitere strafbare Handlungen zur Last.
Die Angeklagten F***** (ON 610), K***** (ON 605), J***** (ON 604), R***** (ON 611) und A***** (ON 603) erhoben gemäß § 212 StPO Einspruch gegen die Anklageschrift.
Z*****, B***** und D***** dagegen erhoben keinen solchen Einspruch. Ebenso wenig teilte das Landesgericht für Strafsachen Graz bisher dem Oberlandesgericht gemäß § 213 Abs 6 zweiter Satz StPO Bedenken gegen seine Zuständigkeit mit.
Mit Beschluss vom 16. August 2017, AZ 9 Bs 240/17p, legte das Oberlandesgericht Graz – nach Verneinen des Bestehens eines der in § 212 Z 1 bis 4, 7 und 8 StPO genannten Gründe sowie nach Prüfung der Haftfrage jeweils in Ansehung der fünf Einspruchswerber – die Akten gemäß § 215 Abs 4 zweiter Satz StPO dem Obersten Gerichtshof vor, weil es für möglich hielt, dass für das Verfahren gegen die Einspruchswerber ein im Sprengel eines anderen Oberlandesgerichts liegendes Gericht, nämlich das Landesgericht für Strafsachen Wien, zuständig sei.
Rechtliche Beurteilung
Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 37 Abs 1 StPO ist im Falle gleichzeitiger Anklage mehrerer beteiligter Personen (§ 12 StGB) oder einer Person wegen mehrerer Straftaten das Hauptverfahren vom selben Gericht gemeinsam zu führen. Gleiches gilt, wenn mehrere Personen der Begehung strafbarer Handlungen verdächtig sind, die sonst in einem engen sachlichen Zusammenhang stehen.
Nicht gemäß § 37 Abs 1 StPO konnexe, aber dennoch gleichzeitig (ie in ein und derselben Anklage) angeklagte Taten mehrerer Personen haben nicht Gegenstand eines gemeinsam geführten Hauptverfahrens zu sein, vielmehr sind die Verfahren diesfalls – idR mit prozessleitender Verfügung (§ 35 Abs 2 zweiter Fall StPO) – zu trennen. Die örtliche Zuständigkeit für jedes dieser getrennt zu führenden Verfahren bestimmt sich – im kollegialgerichtlichen Verfahren sofern perpetuatio fori (§ 213 Abs 5 StPO) noch nicht eingetreten ist – nach § 36 Abs 3 StPO und, wenn auch das getrennte Verfahren mehrere zueinander im Verhältnis des § 37 Abs 1 StPO stehende Verfahrensteile umfasst, nach § 37 Abs 2 StPO. Die – eine Ausscheidung aus einem gesetzmäßig (§ 37 Abs 1) gemeinsam geführten Verfahren voraussetzende – Zuständigkeitsnorm des § 36 Abs 4 StPO hingegen greift in solchen Fällen nicht (RIS‑Justiz RS0127578; Oshidari , WK‑StPO § 36 Rz 9).
In Ansehung der Angeklagten Z*****, B***** und D***** verfuhr das Oberlandesgericht Graz – ua mangels (auch) insoweit expliziter Prüfung des Zutreffens von Einspruchsgründen nach § 212 Z 1 bis 4, 7 oder 8 StPO sowie der Haftfrage (§ 214 Abs 2 und Abs 3 StPO; vgl RIS‑Justiz RS0124585 [insbesondere T7]) – nicht etwa nach § 214 Abs 2 iVm § 215 Abs 4 zweiter Satz StPO (zum beneficium cohaesionis vgl Bertel/Venier , Komm StPO § 214 Rz 2). Vielmehr beschränkte es die Vorlage (§ 215 Abs 4 zweiter Satz StPO) ausdrücklich auf „das Verfahren gegen die Einspruchswerber“ (BS 9; vgl zur Verfahrenstrennung als Rechtsfolge verschiedenartiger Erledigung von Anklagepunkten durch das Einspruchsgericht [§ 215 Abs 5 erster Satz StPO] Pilnacek/Pleischl , Das neue Vorverfahren [2005] Rz 819; Nimmervoll , Das Strafverfahren 2 452).
Daher hatte der Oberste Gerichtshof die Frage der Zuständigkeit – ausschließlich – für diesen Verfahrensteil zu klären. Zu prüfen war demnach vorerst, ob (1.) die Vorgangsweise des Oberlandesgerichts § 37 Abs 1 StPO widersprach, und bei Verneinung dieser Frage, ob (2.) für das Verfahren gegen die Einspruchswerber (isoliert betrachtet) ein nicht im Sprengel des Oberlandesgerichts Graz gelegenes Gericht zuständig ist. Nicht zu prüfen war hingegen, ob Letzteres auch auf das Verfahren gegen die übrigen Angeklagten (ganz oder teilweise) zutrifft.
1. Die Vorlage bloß des betreffenden Verfahrensteils erfolgte hier prozessordnungsgemäß, weil das Verfahren gegen die Einspruchswerber zu jenem gegen die übrigen Angeklagten nicht im dargestellten Sinne konnex ist:
Den Anklagevorwürfen zufolge war keiner der Einspruchswerber im Sinn des § 12 StGB an einer der den Angeklagten Z*****, B***** und D***** zur Last gelegten strafbaren Handlungen beteiligt.
Sonst ein enger sachlicher Zusammenhang im Sinn des zweiten Satzes des § 37 Abs 1 StPO besteht im Fall eines einheitlichen Tatgeschehens oder dann, wenn es bei der Beurteilung von Taten verschiedener Personen auf dieselben Beweismittel, insbesondere auf die Aussagen derselben Zeugen oder jeweils des einen Angeklagten im Verfahren gegen den anderen ankommt. Nach ihrem Telos dient die Bestimmung – im Interesse der Wahrheitsfindung und der einheitlichen Erfassung und Aburteilung zusammengehöriger Sachverhalte – der Verfahrensökonomie (AB 1157 BlgNR 18. GP 6 f; Nordmeyer , WK-StPO § 26 Rz 4; Fabrizy , StPO 12 § 26 Rz 1).
Zwischen den zugesonnenen Straftaten der Einspruchswerber einerseits und denen der übrigen Angeklagten anderseits bestehen nach dem Inhalt der Anklageschrift nur folgende Zusammenhänge: F***** und K***** wird der Verkauf von Suchtgift an Z***** (ON 600 S 2, 11 f, 13), K***** der Verkauf von Suchtgift an D***** angelastet (ON 600 S 2, 13). Z***** und D***** wiederum liegt jeweils der – davon unabhängige – Weiterverkauf dieses Suchtgifts an (B***** und) Dritte zur Last (ON 600 S 2, 3, 12 f, 14 f). B***** soll überdies (bloß) gemeinsam mit A***** und Z***** in dessen Wohnung – ohne ersichtlichen Bezug zu einer Straftat des Einspruchswerbers A***** – „angetroffen“ worden sein (ON 600 S 14; vgl ON 590 S 37 ff).
Ein enger sachlicher Zusammenhang, der aus prozessökonomischen Gründen eine gemeinsame Verfahrensführung erfordern würde, wird damit – auch, weil getrennte Führung fallkonkret keine Verschlechterung der Beweislage in prozessualer Hinsicht zur Folge hat – nicht begründet (vgl Nordmeyer , WK-StPO § 26 Rz 4; Leitner in Schmölzer/Mühlbacher , StPO 1 § 26 Rz 5 [je zweiter Absatz]).
2. Die Vorlage selbst erweist sich als zutreffend, weil den Einspruchswerbern – nach Anklagevorwurf und Aktenlage – ausschließlich in Wien ausgeführte Taten zur Last liegen (ON 600 iVm ON 590 S 3 ff, 19 ff, 23 ff und 33 ff).
Dies führte – im Einklang mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, die sich zum Fehlen eines engen sachlichen Zusammenhanges auf eine eigene (unveröffentlichte) Entscheidungspraxis beruft – zur Übermittlung der verfahrensgegenständlichen Sache an das Oberlandesgericht Wien. Dieses wird nach Zuleitung entsprechender Aktenteile durch das (mit dem verbleibenden Verfahrensteil befasste – § 213 Abs 4 StPO; vgl RIS‑Justiz RS0125453) Landesgericht für Strafsachen Graz über die Einsprüche zu entscheiden haben (dazu näher RIS‑Justiz RS0124585).
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