OGH 11Os85/17k

OGH11Os85/17k13.9.2017

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. September 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger, Mag. Michel und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Wetter als Schriftführer in der Strafsache gegen Mihailo C***** wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 4. April 2017, GZ 65 Hv 133/16b‑93, sowie über seine Beschwerden gegen die Beschlüsse des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 20. Juni 2017, GZ 65 Hv 133/16b‑105, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0110OS00085.17K.0913.000

 

Spruch:

 

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das sonst unberührt bleibt, im Konfiskationserkenntnis aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde im Übrigen sowie die Beschwerde gegen den Beschluss auf Urteilsangleichung werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten vorerst dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Mihailo C***** – soweit für die Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerde von Bedeutung – des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG schuldig erkannt.

Danach hat er (zusammengefasst) vom Februar bis zum 30. Mai 2016 in Wien als Mitglied einer kriminellen Vereinigung vorschriftswidrig Suchtgift in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge anderen überlassen, indem er in einer Vielzahl von Angriffen insgesamt 856,5 Gramm Heroin (mit einem Reinsubstanzgehalt dieses Wirkstoffs von 78,82 Gramm, an Monoacetylmorphin von 9,59 Gramm und an Acetylcodein von 5,57 Gramm [vgl US 5 f]) an verschiedene – im Ersturteil genannte – Personen verkaufte.

 

Rechtliche Beurteilung

Nur gegen diesen Schuldspruch sowie gegen den Straf‑ und den Konfiskationsausspruch wendet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, 10 und 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

 

Mit – in einem ausgefertigten – Beschlüssen des Vorsitzenden des Schöffengerichts vom 20. Juni 2017, GZ 65 Hv 133/16b‑105, wurden ferner das Protokoll über die Hauptverhandlung berichtigt und die Urteilsurschrift dem verkündeten Urteil angeglichen, wogegen der Angeklagte (jeweils) Beschwerde erhob.

 

Zur Nichtigkeitsbeschwerde:

Seine die (rechtliche) Annahme der Tatbegehung als Mitglied einer kriminellen Vereinigung tragenden Feststellungen (US 5, 7) stützte das Erstgericht – dem Vorwurf der „Scheinbegründung“ (Z 5 vierter Fall) zuwider – keineswegs bloß auf die „allgemeine Lebenserfahrung“, wonach die Verfügbarkeit der vorliegend manipulierten Suchtgiftmengen („auf Kommission“) für den vermögenslosen Angeklagten sonst nicht erklärbar wäre (US 8 f). Es erschloss sie vielmehr in vernetzter Betrachtung einer Vielzahl von Beweisergebnissen (insbesondere auch der den Angeklagten diesbezüglich belastenden Aussagen der Zeugen A*****, M***** und W*****), in die es (unter anderem) aus den Modalitäten der Verkaufsabwicklung und dem hohen Reinsubstanzgehalt des tatverfangenen Suchtgifts abgeleitete Plausibilitäts-erwägungen miteinbezog (US 8 bis 10, 13 f).

Indem die Mängelrüge solcherart nicht an der Gesamtheit der Entscheidungsgründe Maß nimmt, bringt sie den geltend gemachten Nichtigkeitsgrund (schon) nicht zu prozessförmiger Darstellung (RIS‑Justiz RS0119370).

Jene Suchtgiftquanten, die der Angeklagte nach den Feststellungen des Schöffengerichts anderen mit die kontinuierliche Begehung und den daran geknüpften Additionseffekt umfassendem Willen überließ (US 5 f, 7), entsprechen insgesamt – rechtlich gesehen – mehr als dem 29‑fachen der Grenzmenge (§ 28b SMG). Die weitere Feststellung, dem Angeklagten sei es „gerade darauf an[gekommen]“, die „im Schuldspruch […] angeführten Mengen Heroin“ verschiedenen Personen „zu überlassen“ (US 7), bringt daher auch den von § 28a Abs 4 Z 3 SMG geforderten, auf die Tatbegehung in Bezug auf Suchtgift in einer das 25-fache der Grenzmenge übersteigenden Menge gerichteten Vorsatz (vgl Litzka/Matzka/Zeder, SMG2 § 28a Rz 37) mit hinreichender Deutlichkeit (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 19) zum Ausdruck.

Das gegen die Annahme der genannten Deliktsqualifikation gerichtete Vorbringen zur Subsumtionsrüge (Z 10) geht über dieses Feststellungssubstrat hinweg und verfehlt damit den – im Urteilssachverhalt gelegenen – Bezugspunkt materieller Nichtigkeit (RIS‑Justiz RS0099810).

Entgegen der Sanktionsrüge (Z 11 zweiter Fall) bedeutet die Wertung der „mehrfachen“ Qualifikation des Verbrechens des Suchtgifthandels – nämlich sowohl nach Abs 2 Z 2 als auch nach Abs 4 Z 3 des § 28a SMG – als erschwerend (US 16) keinen Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot (§ 32 Abs 2 erster Satz StGB), weil die Erfüllung der einen Qualifikation nicht zu den Voraussetzungen der anderen zählt (RIS‑Justiz RS0116020 [insbesondere T15]).

Dem weiteren Einwand (Z 11 zweiter Fall) zuwider hat das Erstgericht in seinen Strafzumessungserwägungen (bei verständniswilliger Lesart) nicht die „besondere Gefährlichkeit“ der tatverfangenen Substanzen an sich, sondern – ohne damit seinerseits in unvertretbarer Weise (Z 11 dritter Fall) gegen Bestimmungen über die Strafzumessung zu verstoßen (vgl RIS‑Justiz RS0120234 [T1, T2]) – den Umstand als negativ gewertet, dass sich der Angeklagte eigens zur darauf bezogenen Tatbegehung in das Bundesgebiet begab (US 16 iVm US 5). Auch darin ist somit – fallbezogen – kein Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot zu erblicken (zur Unzulässigkeit aggravierender Bewertung der Gefährlichkeit von Verstößen gegen das Suchtmittelgesetz bei der Straffindung siehe RIS‑Justiz RS0102874).

 

In diesem Umfang war daher die Nichtigkeitsbeschwerde – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der dazu erstatteten Äußerung des Nichtigkeitswerbers – schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

 

Im Recht ist jedoch die gegen das Konfiskationserkenntnis gerichtete Sanktionsrüge:

Wie der Beschwerdeführer zutreffend aufzeigt, hat das Erstgericht zu dem vom Konfiskationsausspruch erfassten „sichergestellten Verpackungsmaterial“ (US 4) – abgesehen davon, dass im Übrigen auch Verhältnismäßigkeitserwägungen gänzlich fehlen (§ 19a Abs 2 StGB) – insbesondere keinerlei Feststellungen getroffen, die eine Beurteilung zuließen, ob die betreffenden Gegenstände zur Zeit der Entscheidung erster Instanz im Eigentum des Angeklagten standen sowie, ob er sie zur Begehung einer vorsätzlichen Straftat verwendet hat oder zu verwenden gedachte (§ 19a Abs 1 StGB).

Die darin gelegene Nichtigkeit (Z 11 erster Fall) führte – abermals im Einklang mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – zur Aufhebung (nur – RIS‑Justiz RS0130618) des Konfiskationsausspruchs bereits bei nichtöffentlicher Beratung wie aus dem Spruch ersichtlich (§ 285e StPO).

 

Zu den Beschwerden:

Sowohl die Wiedergabe des Urteilsspruchs im Protokoll über die Hauptverhandlung (§ 271 Abs 1 Z 7 StPO) als auch jener der Urteilsurschrift wiesen als Dauer der gemäß § 38 Abs 1 Z 1 StGB auf die Freiheitsstrafe angerechneten Vorhaft die Zeit vom 30. Mai 2016, 18:35 Uhr, bis zum 4. April 2016, 11:00 Uhr, aus.

Nach Zustellung einer Urteilsausfertigung und einer Protokollsabschrift an den Verteidiger und nach Einlangen einer Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung (ON 1; ON 101) fasste der Vorsitzende des Schöffengerichts die Beschlüsse, im erwähnten Punkt (1.) das Hauptverhandlungsprotokoll insoweit zu berichtigen und (2.) das ausgefertigte insoweit dem verkündeten Urteil anzugleichen, als das Ende der angerechneten Vorhaft stattdessen „4. April 2017, 11.00 Uhr“, zu lauten habe; dies jeweils mit der Begründung, der Ausspruch sei in diesem Sinne tatsächlich verkündet worden.

Eine Ausfertigung der genannten Beschlüsse, eine in deren Sinn abgeänderte Urteilsausfertigung und eine ebensolche Protokollsabschrift wurden dem Verteidiger am 22. Juni 2017 zugestellt (Zustellnachweis an ON 105).

Gegen diese Beschlüsse richten sich die – unter gleichzeitiger (neuerlicher) Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung gegen das (angeglichene) Urteil erhobenen – Beschwerden des Angeklagten, der ihre ersatzlose Aufhebung begehrt.

Da sich der Beschluss auf Berichtigung des Protokolls über die Hauptverhandlung auf keinen Umstand bezieht, der im Rahmen der Nichtigkeitsbeschwerde als Urteilsanfechtungsgrund geltend gemacht wurde (und übrigens auch gar nicht zulässigerweise werden konnte – vgl Lendl, WK‑StPO § 260 Rz 40; Ratz, WK‑StPO § 283 Rz 5), ist die dagegen gerichtete Beschwerde des Angeklagten schon aus diesem Grund erledigt, ohne dass es einer inhaltlichen Erwiderung bedarf (RIS‑Justiz RS0126057 [insbesondere T2]).

Die Beschwerde gegen den Beschluss auf Urteilsangleichung wiederum ist unzulässig, weil es dem Angeklagten – dem die Vorhaftanrechnung im Sinn der Angleichung fallkonkret vielmehr zum Vorteil gereicht – an einer Beschwer fehlt (vgl Danek, WK‑StPO § 270 Rz 57 und 54).

Im Übrigen ist – entgegen dem Beschwerdevorbringen – die hier vorgenommene Urteilsangleichung (im Gegensatz zu einer Urteilsberichtigung) keineswegs auf Schreib- und Rechenfehler sowie sonstige Formgebrechen und Auslassungen beschränkt, welche nicht die in § 260 Abs 1 Z 1 bis 3 und Abs 2 StPO erwähnten Punkte betreffen (zur Unterscheidung Danek, WK‑StPO § 270 Rz 51 ff; zur darüber hinausgehenden Möglichkeit der Korrektur fehlerhafter Vorhaftanrechnung siehe ferner Flora in WK2 StGB § 38 Rz 30 f; Lässig, WK‑StPO § 400 Rz 5 ff). Dass nicht die angeglichene, sondern die ursprüngliche Ausfertigung des Urteils dem verkündeten entspräche, behauptet der Beschwerdeführer ohnedies nicht.

 

Zur Entscheidung über die Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe ist somit das Oberlandesgericht zuständig (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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