OGH 3Ob88/17p

OGH3Ob88/17p30.8.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hoch als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin Dr. Lovrek, die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch und die Hofrätin Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*****, vertreten durch die BLS Rechtsanwälte Boller Langhammer Schubert GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei G***** AG, *****, vertreten durch die Urbanek Lind Schmied Reisch Rechtsanwälte OG in St. Pölten, wegen 2.382,11 EUR sA und Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 16. Februar 2017, GZ 3 R 59/16t‑17, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 10. August 2016, GZ 56 Cg 7/16x-13, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0030OB00088.17P.0830.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts einschließlich der Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 3.110,22 EUR bestimmten Kosten der Berufungsbeantwortung (darin enthalten 518,37 EUR an USt) und die mit 4.964,28 EUR bestimmten Kosten der Revision (darin enthalten 373,38 EUR an USt und 2.724 EUR an Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Der Kläger und seine damalige Ehefrau schlossen – als Mitschuldner zur ungeteilten Hand – mit der Beklagten am 20. November 2006 einen endfälligen Fremdwährungskreditvertrag ab. Es wurde ihnen ein in Schweizer Franken (CHF) ausnutzbarer Betrag von 284.000 EUR zugezählt. Die Laufzeit des Kreditvertrags endet am 31. Dezember 2031. Vereinbart wurde ein variabler Zinssatz, und zwar – bei Ausnützung in CHF – Zinsen von 0,875 % pa über dem zum quartalsweisen Zinsanpassungstermin maßgeblichen Indikatorwert. Zinsanpassungstermine sind der 1. Jänner, 1. April, 1. Juli und 1. Oktober eines jeden Kalenderjahrs. Als Indikatorwert wurde der 3-Monats-CHF-LIBOR (LIBOR) vereinbart. Vor Addition des Zinsaufschlags von 0,875 % auf den Indikatorwert ist letzterer kaufmännisch auf 0,125 %-Punkte zu runden. Der Zinssatz ist vierteljährlich neu zu berechnen. Fällig sind die Zinszahlungen jeweils zum Ende jedes Quartals über die Restlaufzeit des Kredits. Zu verzinsen ist der endfällige Fremdwährungskreditbetrag in CHF; dieser beträgt derzeit 454.485,19 CHF.

Am 18. Dezember 2014 schwankte der LIBOR erstmals ins Negative. Zwischen Jänner und Dezember 2015 schwankte er zwischen -0,9640 % und rund -0,7600 %. Die Beklagte berechnete die zu entrichtenden Zinsen zunächst weiterhin nach der oben dargestellten Berechnungsmethode: Aufgrund des negativen LIBORS, einer kaufmännischen Rundung auf 0,125 % und des zu addierenden Aufschlags von 0,875 % kam es daher für die Quartalszinszahlung 01/2015, fällig am 31. März 2014, zu einem anwendbaren Zinssatz von 0,75 % und für die Quartalszahlung 02/2015, fällig am 30. Juni 2015 zu einem anwendbaren Zinssatz von 0,0 %.

Mit Schreiben vom 12. Juni 2015 teilte die Beklagte mit, dass sie die ihrer Ansicht nach vorliegende Vertragslücke derart zu schließen gedenke, dass sie zukünftig als geringsten Indikatorwert 0 % ansetze; dies auch dann, wenn der LIBOR negativ sein sollte.

Friert man den Indikatorwert nicht bei Null ein, errechnet sich für die Quartale 3/2015, 4/2015 und 1/2016 jeweils ein Zinssatz von 0,125 %. Friert man den Indikatorwert hingegen bei Null ein, ergibt sich für diese Quartale ein Zinssatz von 0,875 %.

Die Beklagte zog vom Verrechnungskonto des Klägers für die Quartale 3/2015 und 4/2015 insgesamt 1.862,20 EUR ab. Wenn man den Indikatorwert nicht bei Null einfriert, wären nur 259,42 EUR für diese Quartale fällig gewesen. Daraus errechnet sich eine Differenz von 1.602,78 EUR. Für das Quartal 1/2016 buchte die Beklagte vom Verrechnungskonto des Klägers 779,33 EUR mehr ab, als sich bei Nichteinfrieren des Indikatorwerts errechnet.

Der Kläger begehrt die Rückzahlung der von der Beklagten für die Quartale 3/2015, 4/2015 und (nach Ausdehnung) 1/2016 seiner Ansicht nach zuviel eingezogenen Zinsenbeträge von insgesamt 2.382,11 EUR sA (Punkt I. des Klagebegehrens) sowie (in dessen Punkt II.a.) die Feststellung der dementsprechenden Berechnungsweise des Zinssatzes ohne Einfrieren des Indikatorwerts bei Null. Er machte dazu im Wesentlichen geltend, eine Vertragslücke liege nicht vor, weil eine nachteilige Veränderung der Zinsbemessungsgrundsätze für die Beklagte als Bank keineswegs unvorhersehbar gewesen sein könne. Unabhängig davon sei die von der Beklagten vorgenommene Lückenschließung einseitig zu ihren Gunsten erfolgt und verstoße daher gegen § 6 Abs 1 Z 5 KSchG. Es fehle (auch) an der sachlichen Rechtfertigung, weil sich die Beklagte aufgrund des niedrigeren LIBORS als Bank mit einer Fälligkeit von ebenfalls drei Monaten günstiger refinanzieren könne. Sie könne daher unabhängig davon, wie niedrig/negativ der LIBOR sei, stets einen Mindestumsatz von 0,875 % machen. Die Kalkulationen der Beklagten seien dem Kläger nicht bekannt und ihm von der Beklagten auch nicht offengelegt worden. Deren Behauptung, beide Parteien hätten gewollt, dass die Beklagte ihre im Aufschlag einkalkulierten Kosten und ihre Gewinnmarge jedenfalls über die gesamte Laufzeit erhalte, sei unverständlich. Von einer Unentgeltlichkeit des Kreditverhältnisses könne keine Rede sein, weil der Kläger bislang Zinsen sowie quartalsweise verrechnete und jährlich erhöhte Kontoführungsgebühren bezahlt habe. Der Kläger hätte den Darlehensvertrag mit der von der Beklagten nunmehr beabsichtigten Zinsklausel nicht abgeschlossen.

Bei richtiger Berechnung des Zinssatzes laut Kreditvertrag ergebe sich die begehrte Überzahlung. Aufgrund der widerrechtlichen Vorgehensweise habe der Kläger ein rechtliches Interesse an der Feststellung, dass die Berechnung der künftigen Zinssätze für die noch ausstehenden 64 Quartale anhand der im Kreditvertrag vereinbarten Methode vorzunehmen sei. Der Kläger erhob noch insgesamt vier Eventualfeststellungsbegehren.

Die Beklagte bestritt und wendete zusammengefasst ein, die Parteien hätten eine absolute Berechnungsmethode und die Höhe des Aufschlags fix vereinbart. Die Gewinnmarge und die Kosten der Bank seien in den Aufschlag eingerechnet worden. Refinanzierungskosten seien hingegen in den Aufschlag nicht eingepreist. Indikatoren wie der LIBOR würden nur das allgemeine Zinsniveau widerspiegeln. Gewollt sei daher nur eine Bindung an das allgemeine Zinsniveau, nicht jedoch das Widerspiegeln der Veränderung der tatsächlichen Refinanzierungskosten oder gar eines bestimmten Kredits. Deshalb müsse die Entwicklung der tatsächlichen Refinanzierungskosten auch bei der ergänzenden Vertragsauslegung in Folge der Vertragslücke unbeachtlich bleiben. Da die Streitteile die absolute Berechnungsmethode mit fixem Aufschlag vereinbart hätten, sei beiden Parteien klar und von beiden gewollt gewesen, dass die Beklagte ihre im Aufschlag einkalkulierten Kosten und die Gewinnmarge jedenfalls über die gesamte Laufzeit erhalte. Bei Kreditvertragsabschluss im Jahr 2006 sei schlichtweg nicht vorhersehbar gewesen, dass Referenzzinssätze wie der LIBOR auch negative Werte aufweisen werden würden, weshalb die Parteien an so einen Fall auch nicht gedacht hätten. Dass der Kreditnehmer für eine bestimmte Periode gar keine Zinsen zu zahlen hätte, sei ein lebensfremdes Ergebnis und widerspreche der Entgeltlichkeit des Kreditvertrags; es könne nicht unterstellt werden, dass dies dem tatsächlichen oder hypothetischen Willen der Streitteile entspreche. Negativ- und/oder Nullzinsen seien daher grundsätzlich schon nach einfacher Vertragsauslegung ausgeschlossen. Eine dennoch angenommene Vertragslücke zur Frage der Nullverzinsung sei durch ergänzende Vertragsauslegung dahin zu schließen, dass bei der vereinbarten absoluten Berechnungsmethode der Indikator bei Null einzufrieren und der Aufschlag sohin stets zu zahlen sei. Es sei schon nach der allgemeinen Lebenserfahrung bekannt, dass Kreditinstitute die Zinsen bei fixem Aufschlag kostendeckend und mit einer eingepreisten Gewinnmarge kalkulierten, sodass auch die Parteien davon ausgegangen seien. Würde man den Aufschlag kürzen, so könnte das gesamte System nicht mehr aufrecht erhalten und auch die entsprechenden Sorgfaltspflichten durch die Bank nicht mehr eingehalten werden. Der Kläger hätte den Kredit jedenfalls aufgenommen. Schließlich wurde auch die Aktivlegitimation des Klägers bestritten.

Das Erstgericht gab dem Leistungs- und Hauptfeststellungsbegehren (mit ungerügt gebliebener geringfügiger Modifizierung) auf der Basis des eingangs dargestellten Sachverhalts statt.

Die Höhe des vom Kreditnehmer monatlich zu entrichtenden Entgelts richte sich nach einer Berechnungsmethode, die an einen Indikatorzinswert mit einem fixen Aufschlag gekoppelt sei. Dies bedeute abstrakt, dass die Beklagte mit dem Kreditverhältnis immer um 0,875 % mehr einnehme als sie – bei gewöhnlichen Lauf der Dinge – für ihre Refinanzierung ausgeben müsse (1). Diese Rechnung funktioniere auch dann, wenn der Indikatorwert negativ sei. Eine Vertragslücke sei daher nicht zu erkennen. Das Kreditverhältnis sei keinesfalls unentgeltlich, weil der Kreditnehmer über Jahre deutlich höhere Zinsen gezahlt habe und auch laufend Kontoführungsentgelte an die Beklagte zahle. Im Übrigen liege der Zinssatz ohnehin noch im positiven Bereich. Ein Einfrieren des Indikatorzinses bei Null lasse die Wortinterpretation nicht zu. Redliche Parteien hätten auch keine Vereinbarung geschlossen, die Chancen und Risken ausschließlich zu Lasten des Kreditnehmers verteile. Die Behauptung der Beklagten, die negative Entwicklung des LIBOR sei für niemanden vorhersehbar gewesen, könne nicht geteilt werden. Es möge zutreffen, dass die Parteien nicht damit gerechnet haben; ob man den Eintritt eines bestimmten Ereignisses für wahrscheinlich halte, sei jedoch von der Frage zu trennen, ob man wissen habe können, dass der Eintritt eines Ereignisses theoretisch möglich sei (2). Die Beklagte habe ihre Behauptung auch nicht unter Beweis zu stellen versucht.

Das Berufungsgericht verwarf die Nichtigkeitsberufung der Beklagten, gab ihr jedoch im Übrigen Folge und änderte das Ersturteil dahin ab, dass sämtliche Begehren des Klägers abgewiesen wurden. Den Entscheidungsgegenstand bewertete es 30.000 EUR übersteigend und ließ die ordentliche Revision zu, weil zur hier zu klärenden, für viele Fälle bedeutenden Frage keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.

Die Mängelrüge wegen fehlender Beweiswürdigung zu den beiden oben unterstrichen wiedergegebenen, von der Beklagten auch mittels Beweisrüge bekämpften, Feststellungen (1) und (2) verneinte das Berufungsgericht, weil es darauf, welche Einnahmen die Beklagte mit dem gegenständlichen Kredit erziele, rechtlich nicht ankomme; auf die in der Berufung thematisierten, vom Kläger angebotenen Beweise zur Vorhersehbarkeit habe sich die Beklagte in erster Instanz nicht berufen. Die Beweisrüge gegen diese Feststellungen behandelte das Berufungsgericht ebensowenig wie weitere Mängelrügen wegen Verstoßes gegen § 182a ZPO, weil das Erstgericht die Beklagte mit den beiden Feststellungen überrascht habe.

Eine variable Zinsvereinbarung in einem Kreditvertrag, die den Zinssatz an Indikatoren wie den LIBOR binde und dazu führen könne, dass bei negativer Entwicklung dieses Indikators der Zinssatz null oder sogar negativ werde, entspreche weder dem gesetzlichen Leitbild eines Kreditvertrags noch dem typischen Willen der Parteien eines solchen. Berücksichtige man den Willen beider Vertragsparteien, einen Kreditvertrag im Sinn des gesetzlichen Leitbilds abzuschließen und führe man sich die hinter der Vereinbarung eines Zinssatzes mit variablem Referenzzinswert stehenden bankwirtschaftlichen Überlegungen vor Augen, führe die ergänzende Vertragsauslegung dazu, dass der vereinbarte Aufschlag jedenfalls vom Kreditnehmer zu zahlen und ein negativer Referenzwert nicht von diesem abzuziehen sei. Diesem Ergebnis stehe weder § 6 Abs 1 Z 5 KSchG noch das Transparenzgebot entgegen.

Dagegen richtet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn der Wiederherstellung des Ersturteils, in eventu auf Stattgebung der Eventualbegehren; hilfsweise wird auch ein Aufhebungsantrag gestellt. Der Kläger macht im Wesentlichen geltend, es liege keine Vertragslücke vor, weil der Vertrag eine auch im Fall eines nicht unvorhersehbaren negativen Zinsindikatorwerts funktionierende Regelung enthalte. Das Einfrieren des Indikatorwerts bei Null würde das kreditvertragliche Synallagma außer Kraft setzen, verletze § 6 Abs 1 Z 5 KSchG und widerspreche Treu und Glauben.

Die Beklagte tritt dem in ihrer Revisionsbeantwortung entgegen, in der sie im Wesentlichen ihre erstinstanzlichen Standpunkte wiederholt.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 55 Abs 1 JN sind das Begehren auf Feststellung eines Rechtsverhältnisses und der Anspruch auf die aus diesem Rechtsverhältnis abgeleiteten Leistungen zusammenzurechnen (RIS-Justiz RS0042923 [T1]; Gitschthaler in Fasching/Konecny ³ § 55 JN Rz 16). Daher schadet der geringe Streitwert des Leistungsbegehrens der Zulässigkeit der Revision auch dagegen nicht. Die Revision ist vielmehr zulässig , weil das Berufungsurteil nicht der (nunmehr) vorliegenden Judikatur des Obersten Gerichtshofs entspricht und deshalb auch im Sinn der Wiederherstellung des Ersturteils berechtigt .

1.  Da sich das Berufungsgericht – ausgehend von seiner nicht aufrecht zu haltenden Rechtsansicht – mit einigen Anfechtungspunkten der Berufung nicht auseinandersetzen musste und dies auch nicht tat, ist dazu vorweg Stellung zu nehmen:

1.1.  Der vom Erstgericht begründet bejahten Aktivlegitimation des Klägers hielt die Beklagte nichts Substantielles entgegen.

Die erstmals im Rechtsmittel erhobene Behauptung eines „Und-Kontos“ der beiden Kreditnehmer stellt nicht nur eine unzulässige Neuerung dar, sondern lässt auch nicht erkennen, ob damit das Kredit- oder das Verrechnungskonto angesprochen wird. Der Vorwurf, das Feststellungsbegehren müsse auf den Kläger beschränkt werden, ist nicht nachvollziehbar; erging doch das Feststellungsurteil in einem nur zwischen dem Kläger und der Beklagten geführten Prozess. Eine weitere Auseinandersetzung mit der Aktivlegitimation erübrigt sich daher.

1.2.  Die Beklagte wendete sich mit ihren beiden Beweisrügen gegen Ausführungen im Rahmen der rechtlichen Beurteilung des Ersturteils, das sind die zuvor mit (1) und (2) bezeichneten Feststellungen, die sie als Tatsachenannahmen des Erstgerichts qualifizierte.

Es trifft zwar zu, dass die Zuordnung einzelner Teile eines Urteils zu den Feststellungen nicht vom Aufbau des Urteils abhängt (RIS-Justiz RS0043110). Auch in der rechtlichen Beurteilung enthaltene, aber eindeutig dem Tatsachenbereich zuzuordnende Ausführungen sind als Tatsachenfeststellungen zu behandeln (dislozierte Feststellungen; RIS-Justiz RS0043110 [T2]). Für die Beurteilung, ob es sich bei außerhalb der Feststellungen vorzufindenden Urteilsausführungen um Tatsachenfeststellung handelt, kommt es aber auf die Qualität der Aussage in den Entscheidungsgründen eines Urteils an (9 ObA 67/16t mwN), die anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalls zu prüfen ist.

Hier ist zunächst zu berücksichtigen, dass das Erstgericht zu den Themen der Refinanzierung durch die Beklagte und der Vorhersehbarkeit der Entwicklung des Indikatorwerts kein Beweisverfahren durchführte bzw– mangels eines Beweisanbots der Beklagten – durchführen konnte, sodass es zu diesen Ausführungen auch keine Beweiswürdigung vornahm. Da diese Umstände auch nicht als notorisch bezeichnet wurden, ist ihre Anführung in der rechtlichen Beurteilung im konkreten Einzelfall ausreichender Beleg dafür, dass es sich um allgemeine Überlegungen des Erstgerichts im Rahmen seiner rechtlichen Beurteilung handelt, denen der Charakter von Tatsachenannahmen nicht zukommt. Ob sie zutreffend sind, ist eine Frage der rechtlichen Beurteilung.

Die in der Revisionsbeantwortung gerügte Unterlassung der Behandlung diesbezüglicher „Beweisrügen“ der Beklagten durch das Berufungsgericht kann daher keinen relevanten Mangel des Berufungsverfahrens verwirklichen (RIS-Justiz RS0116273).

1.3.  Das gilt auch für die unterbliebene Auseinandersetzung mit der Mängelrüge wegen Verletzung des § 182a ZPO durch eine Überraschung der Beklagten mit den „Feststellungen“ (1) und (2):

Konnte es doch für die Beklagte nicht ernsthaft überraschend sein, wenn sich das Erstgericht mit Vorbringen der Parteien auseinandersetzt, das von diesen in erster Instanz erstattet und dem bereits erwidert wurde.

2.  Auch der vom Kläger darin erblickte Mangel des Berufungsverfahrens, dass das Berufungsgericht der Feststellung des Erstgerichts unterstelle, die Parteien hätten beim Abschluss des Kreditvertrags nicht an eine künftige negative Entwicklung des Referenzzinssatzes gedacht, liegt nicht vor.

2.1.  Die Beklagte behauptete in erster Instanz mehrfach, die Parteien hätten bei Abschluss des Kreditvertrags an eine Entwicklung des Referenzzinssatzes ins Negative nicht gedacht. Dies blieb ohne substantiierte Bestreitung des Klägers, obwohl ihm eine solche als Vertragspartei leicht möglich gewesen wäre; sein Bestreitungsvorbringen setzte sich ausschließlich mit der Vorhersehbarkeit der Entwicklung des Referenzzinssatzes auseinander, deren Bejahung aber nicht zwingend bedeutet, dass die Streitteile auch wirklich bei Vertragsabschluss daran gedacht haben. In der Behauptung der Vorhersehbarkeit ist daher keine Bestreitung der genannten Behauptung der Beklagten zu erblicken. Es ist daher als unstrittig anzusehen (RIS-Justiz RS0039927), dass die Streitteile bei Abschluss des Kreditvertrags nicht an eine Entwicklung des Referenzzinssatzes ins Negative dachten.

2.2.  Da im Ersturteil zur Vorhersehbarkeit keine Tatsachenfeststellung getroffen wurde (s Punkt 1.2.), ist auch der geltend gemachte Widerspruch ausgeschlossen.

3.  In der Sache ist zunächst Folgendes klarzustellen:

Bei der Beurteilung des Leistungs- und Hauptfeststellungsbegehrens stellt sich die Frage, ob die Auslegung des Kreditvertrags auch zum Ergebnis führen kann, dass im Fall eines nach Anwendung der absoluten Berechnungsmethode verbleibenden negativen Zinssatzes die Beklagte als Kreditgeberin zu Zahlungen an den Kläger als Kreditnehmer verpflichtet ist, hier nicht (vgl aber die diese Frage verneinende Judikatur: 10 Ob 13/17k; 1 Ob 4/17w; 8 Ob 101/16k; 8 Ob 107/16t; 9 Ob 35/17p).

3.1.  Das Leistungsbegehren besteht nämlich in der Rückforderung von zuviel vom Verrechnungskonto des Klägers eingezogenen Beträgen, weil die Beklagte einen nach Ansicht des Klägers zu hohen positiven Zinssatz anwendete.

3.2.  Auch mit dem Hauptfeststellungsbegehren bezweckt der Kläger (nur) die Klarstellung, dass die von der Beklagten schon vorprozessual vertretene Auslegung mit dem Ergebnis eines Einfrierens des variablen Referenzzinssatzes bei Null unzutreffend ist. Weder das dazu erstattete Vorbringen noch dessen Formulierung lässt die Rechtsansicht des Klägers erkennen, dass von einer Zinsenzahlungspflicht der Beklagten an ihn auszugehen sei. Zum vierten Eventualbegehren hat er eine solche Verpflichtung der Beklagten im Übrigen ausdrücklich ausgeschlossen.

4.  Zur hier zu lösenden Frage, ob die von der Beklagten vertretene Auslegung der Zinsanpassungsklauseln dahin zulässig ist, dass der Kreditnehmer trotz negativer Entwicklung des Indikators jedenfalls den vereinbarten Aufschlag zu zahlen hat, liegen bereits Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs vor (4 Ob 60/17b; 8 Ob 101/16k; 8 Ob 107/16t und 9 Ob 35/17p; RIS‑Justiz RS0131462; RS0117365), die diese Frage – zum Teil nach Auseinandersetzung mit der Lehre – verneinen.

4.1.  Ihre wesentliche Begründung lautet dahin, dass ein negativer Referenzzinssatz – je nach Höhe – den vereinbarten Aufschlag ganz oder teilweise reduziert. Eine ergänzende Auslegung des Vertrags im von der Beklagten gewünschten Sinn ist nicht möglich, weil die Parteien eine eindeutige Regelung getroffen haben und deshalb eine Vertragslücke fehlt. Sie haben die Chancen und Risiken zukünftiger Schwankungen bewusst durch die Bindung an den jeweiligen Indikator geregelt; der Kreditnehmer ist erkennbar von einer symmetrischen Verteilung der Chancen und Risiken ausgegangen. Dem kann auch nicht die Höhe der Refinanzierungskosten der Bank entgegengehalten werden, zumal diese dem Kläger weder offengelegt wurde, noch bekannt sein musste. Eine Auslegung der Vertragsklausel dahin, dass der Indikator einseitig mit Null angesetzt werde, steht im Widerspruch zu § 6 Abs 1 Z 5 KSchG, weshalb ein solches Ergebnis nicht in Betracht kommt. Der entgeltliche Charakter des Kreditvertrags geht durch eine Reduktion der Zinsen (bis auf Null) nicht verloren, weil der Kreditnehmer zumindest in den ersten Jahren des Vertragsverhältnisses Zinsen sowie andere Gebühren an die Bank hat zahlen müssen.

4.2.  Die aktuellen, bereits zu dieser Judikatur geäußerten Lehrmeinungen sind zum überwiegenden Teil zustimmend ( Kronthaler , Die „Negativzinsen“ in der Judikatur des OGH, Zak 2017/388, 224; Vonkilch , Keine „Negativzinsen“ (?), Zak 2017/389, 229 [nur im Ergebnis]; Ramharter , Negativzinsen beim Kreditvertrag – wider die Natur?, VbR 2017/98, 144) und nur zum Teil ablehnend ( B. Koch ÖBA 2017/2348, 422 [Glosse zu 4 Ob 60/17b]).

4.3.  Der erkennende Senat sieht sich im konkreten Einzelfall nicht veranlasst, von der bereits bestehenden Judikatur abzugehen.

5.  Dazu bieten auch die von der Beklagten vorgetragenen Argumente keinen Anlass.

Die Behauptungen der Beklagten zu den Kenntnissen, Absichten und Gedanken der Parteien bei Abschluss des Kreditvertrags müssen – mit einer Ausnahme (s Punkt 2.1.) – schon deshalb unberücksichtigt bleiben, weil dazu trotz Bestreitung durch den Kläger keine tauglichen Beweisanbote gestellt wurden, worauf schon beide Vorinstanzen zutreffend hinwiesen. Es ist daher von keiner anderen Sachverhaltsgrundlage als in den bereits entschiedenen Vorverfahren auszugehen. Da die Beklagte auch keine neuen rechtlichen Argumente ins Treffen führt, genügt der Verweis auf die bereits dargelegte Judikatur.

6.  Zusammengefasst ist somit dem Standpunkt des Klägers zu folgen, wobei die Beklagte seinen der Höhe nach unstrittigen Rückforderungsanspruch im Übrigen gar nicht in Frage stellte. Sie hielt auch die noch in erster Instanz erhobenen Einwendungen gegen das Hauptfeststellungsbegehren in ihrer Berufung nicht mehr aufrecht, sodass sich eine nähere Begründung zur Berechtigung beider Begehren erübrigt und das Ersturteil wiederherzustellen ist. Einer Auseinandersetzung mit den Eventualbegehren bedarf es somit nicht.

7.  Die Kostenentscheidungen gründen sich auf §§ 41 und 50 ZPO.

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