OGH 1Ob139/17y

OGH1Ob139/17y30.8.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. G***** R*****, vertreten durch Dr. Peter Wallnöfer, LL.M., und Dr. Roman Bacher, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagten Parteien 1. Ärztekammer für Wien, *****, vertreten durch die Backhausen Rechtsanwalts GmbH, Wien, und 2. Wiener Gebietskrankenkasse, *****, vertreten durch die Preslmayr Rechtsanwälte OG, Wien, wegen Feststellung (in eventu Widerruf), unvertretbarer Handlung und Unterlassung, über die „außerordentliche“ Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 7. Juni 2017, GZ 16 R 74/17w‑81, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 16. März 2017, GZ 24 Cg 146/14p‑75, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0010OB00139.17Y.0830.000

 

Spruch:

Die Akten werden dem Erstgericht zurückgestellt.

 

Begründung:

Das Erstgericht wies die Klagebegehren des Klägers auf Feststellung, dass der Widerruf der Ausschreibung einer bestimmten Kassenplanstelle unwirksam sei (1.), weiters dass

in eventu die Beklagten zur ungeteilten Hand schuldig seien, diesen Widerruf zu widerrufen und das Ausschreibungsverfahren fortzusetzen (2.),

die Erstbeklagte schuldig sei, bei der Reihung für die ausgeschriebene Kassenplanstelle dem Kläger jedenfalls 48,75 Punkte zuzurechnen und dementsprechend ihn der Zweitbeklagten als Erstgereihten vorzuschlagen (3.),

die Erstbeklagte schuldig sei, es im Fall der Bewerbung des Klägers um eine freie (frei werdende oder neu geschaffene) Kassenplanstelle für Frauenheilkunde und Geburtshilfe und auch für die ausgeschriebene Kassenplanstelle zu unterlassen, bei der Reihung der Bewerber Punkt 3. der Reihungskriterien insoweit anzuwenden, als der Kläger keine Wartezeit für die Monate Juni 2010 bis Oktober 2014 bei der Kassenplanstelle bzw bis laufend für künftige Planstellen berücksichtigt erhalte (4.),

die Zweitbeklagte schuldig sei, es zu unterlassen, einen Mitbewerber oder einer Mitbewerberin des Klägers für eine freie (frei werdende oder neu geschaffene) Kassenplanstelle für Frauenheilkunde und Geburtshilfe und auch für die ausgeschriebene Kassenplanstelle aufgrund eines Reihungsvorschlags der Erstbeklagten in Vertrag zu nehmen, wenn die Erstbeklagte bei der Reihung der Bewerber dem Kläger für die Monate Juni 2010 bis Oktober 2014 im Falle der Planstelle bzw bis laufend für künftige Planstellen keine Punkte für seine Wartezeit zugeteilt habe (5.), und

die Beklagten zur ungeteilten Hand schuldig seien, es zu unterlassen, die ausgeschriebene Kassenplanstelle in Zukunft zu widerrufen und/oder aufzulassen und/oder als Kassenplanstelle an eine Vertragsgruppenpraxis zu vergeben (6.), ab.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands hinsichtlich des Feststellungsbegehrens, des Eventual‑Widerrufsbegehrens, des Begehrens auf Zurechnung von Punkten, beider Unterlassungsbegehren zusammen hinsichtlich der Punktevergabe für die Wartezeit und des Unterlassungsbegehrens hinsichtlich Widerruf, Auflassung und Vergabe der Kassenplanstelle jeweils 5.000 EUR, nicht jedoch 30.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision jeweils nicht zulässig sei.

Rechtliche Beurteilung

Das Erstgericht legte die dagegen vom Kläger erhobene „außerordentliche“ Revision dem Obersten Gerichtshof vor. Der Oberste Gerichtshof ist allerdings zur Entscheidung darüber nicht berufen.

1. Gemäß § 502 Abs 3 ZPO ist die Revision– außer im Fall des § 508 Abs 3 ZPO – jedenfalls unzulässig, wenn der Entscheidungsgegenstand an Geld oder Geldeswert zwar 5.000 EUR, nicht aber insgesamt 30.000 EUR übersteigt und das Berufungsgericht die ordentliche Revision nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO für nicht zulässig erklärt hat. Dann steht der Partei nur die Möglichkeit offen, gemäß § 508 ZPO einen– mit einer ordentlichen Revision verbundenen – Antrag auf Abänderung des Nichtzulässigkeitsausspruchs an das Berufungsgericht zu stellen.

2. Hat das Berufungsgericht – wie hier – über mehrere Entscheidungsgegenstände entschieden, deren Werte nicht zusammenzurechnen sind, ist die Revisionszulässigkeit für jeden einzelnen Entscheidungsgegenstand gesondert zu beurteilen (§ 55 Abs 4 JN). Eine Zusammenrechnung der einzelnen Ansprüche gemäß § 55 Abs 1 Z 1 JN käme nur in Betracht, wenn diese in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang stehen (RIS‑Justiz RS0042741). Ein solcher liegt nur vor, wenn die Forderungen aus einer gemeinsamen Tatsache oder einem gemeinsamen Rechtsgrund entstanden sind (RIS‑Justiz RS0037905).

Ein tatsächlicher Zusammenhang mehrerer Ansprüche liegt vor, wenn alle Ansprüche aus demselben Sachverhalt abgeleitet werden, also schon das für einen Anspruch erforderliche Sachvorbringen zur Gänze ausreicht, um auch über die anderen Ansprüche entscheiden zu können. Ein rechtlicher Zusammenhang ist zu bejahen, wenn die Ansprüche auf einem Vertrag beruhen oder ihnen die gleiche(n) Rechtsnorm(en), die auf einen einheitlichen Sachverhalt anzuwenden ist (sind), zugrunde liegt(en). Die Voraussetzungen für die Zusammenrechnung mehrerer gemeinsam erhobener Ansprüche ist daher zu verneinen, wenn die Ansprüche nicht aus für sie gemeinsamen Tatsachen und Rechtsgründen abgeleitet werden, demgemäß jeder Anspruch unabhängig von den anderen besteht und ein verschiedenes rechtliches Schicksal haben kann (RIS‑Justiz RS0037899; Mayr in Rechberger 4 § 55 JN Rz 2 f mwN aus der Rechtsprechung).

3. Die Kriterien für eine Zusammenrechnung sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt, leitet doch der Kläger seine Begehren aus verschiedenen Anspruchsgrundlagen ab. Sämtliche vom Berufungsgericht behandelten – und hinsichtlich der Revisionszulässigkeit gesondert zu beurteilenden – Entscheidungsgegenstände liegen im Bereich unter 30.000 EUR. Mit der alleinigen Behauptung, die Ansprüche seien „im Sinn des § 55 JN jedenfalls zusammenzurechnen, da sie auf einem gleichen Lebenssachverhalt beruhen“, zeigt er nicht die rechtlichen Voraussetzungen für eine solche Zusammenrechnung auf.

4. Daher kann das Urteil des Berufungsgerichts nicht mittels „außerordentlicher“ Revision angefochten werden. Das Erstgericht wird zu beurteilen haben, ob die Eingabe des Klägers als ein (mit einer ordentlichen Revision verbundener) Antrag nach § 508 Abs 1 ZPO zu qualifizieren ist. Bejahendenfalls wird es die Akten dem Berufungsgericht vorzulegen haben. Andernfalls wird der Kläger unter Fristsetzung zur Verbesserung aufzufordern sein (RIS‑Justiz RS0109501 [T8]; RS0109623 [T4] ua).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte