OGH 15Os57/17x

OGH15Os57/17x28.6.2017

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. Juni 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart der Richteramtsanwärterin MMag. Spunda als Schriftführerin in der Strafsache gegen Christian Z***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 7. Februar 2017, GZ 38 Hv 133/16z‑28, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0150OS00057.17X.0628.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Christian Z***** des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB „idF BGBl Nr 60/1974 iVm BGBl I Nr 153/1998“ (1./), des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach §§ 15, 207 Abs 1 StGB (2./), des Vergehens des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB (3./a./) und des (richtig:) Vergehens des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach §§ 15, 212 Abs 1 Z 2 StGB (3./b./) schuldig erkannt.

Danach hat er zu nicht mehr feststellbaren Zeitpunkten im P*****

1./ im Herbst/Winter 1999/2000 mit der am 28. Juni 1986 geborenen, somit damals unmündigen S***** eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung unternommen, indem er sie an ihren bereits entwickelten Brüsten und in ihrem Intimbereich streichelte sowie zunächst einen und in der Folge mehrere Finger in ihre Scheide einführte;

2./ im Sommer 2003 oder 2004 außer dem Fall des § 206 StGB an der am 29. November 1996 geborenen, somit damals unmündigen J***** „zumindest eine geschlechtliche Handlung“ vorzunehmen versucht, indem er ihr ihren Pyjama und die Unterhose hinunterzog, wobei die Tat beim Versuch blieb, weil J***** aufhörte, ihren schlafenden Zustand vorzutäuschen, und sich bewegte;

3./a./ durch die zu 1./ genannte Handlung an der unmündigen S***** unter Ausnützung seiner Stellung als Aufsichtsperson während des nächtlichen Aufenthalts der Genannten in seiner Wohnung eine geschlechtliche Handlung vorgenommen und

b./ durch die zu 2./ genannte Handlung an der unmündigen J***** unter Ausnützung seiner Stellung als Aufsichtsperson während des nächtlichen Aufenthalts der Genannten in seiner Wohnung geschlechtliche Handlungen vorzunehmen versucht.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus § 281 Abs 1 Z 5 und 5a StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten verfehlt ihr Ziel.

Undeutlichkeit (Z 5 erster Fall) – im Sinn mangelnder Eindeutigkeit – liegt vor, wenn den Feststellungen des Urteils nicht klar zu entnehmen ist, welche entscheidende Tatsachen das Gericht als erwiesen angenommen hat und aus welchen Gründen dies geschehen ist. Dazu ist stets die Gesamtheit der Entscheidungsgründe in den Blick zu nehmen (RIS‑Justiz RS0089983, RS0117995).

Unvollständig (Z 5 zweiter Fall) ist ein Urteil, wenn das Gericht bei der für die Feststellung entscheidender Tatsachen angestellten Beweiswürdigung erhebliche, in der Hauptverhandlung vorgekommene Verfahrensergebnisse unberücksichtigt ließ (RIS‑Justiz RS0118316).

Mit sich selbst im Widerspruch (Z 5 dritter Fall) ist der Ausspruch des Gerichts über entscheidende Tatsachen, wenn zwischen Feststellungen und deren zusammenfassender Wiedergabe im Urteilsspruch oder zwischen zwei oder mehr Feststellungen, zwischen Feststellungen und den dazu in der Beweiswürdigung angestellten Erwägungen oder zwischen in der Beweiswürdigung angestellten Erwägungen ein Widerspruch – im Sinn einer logischen Unverträglichkeit – besteht (RIS‑Justiz RS0119089).

Keine oder eine offenbar unzureichende Begründung (Z 5 vierter Fall) liegt vor, wenn für den Ausspruch über eine entscheidende Tatsache entweder überhaupt keine oder nur solche Gründe angegeben sind, aus denen sich nach den Grundsätzen folgerichtigen Denkens und der allgemeinen Lebenserfahrung ein Schluss auf die zu begründende Tatsache entweder überhaupt nicht ziehen lässt oder der logische Zusammenhang kaum noch erkennbar ist (RIS‑Justiz RS0099413).

Nach den Feststellungen wurden vom Angeklagten anlässlich einer „zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt, möglicherweise zwischen dem 13. und dem 15. Lebensjahr der S*****“, gemeinsam unternommenen mehrtägigen LKW‑Fahrt keine Übergriffe gesetzt (US 7).

Da diese Urteilspassage überhaupt keine für den Schuldspruch oder die Subsumtion entscheidenden Tatsachen (siehe dazu RIS‑Justiz RS0117264) enthält, geht der Vorwurf der Undeutlichkeit in Bezug auf die zeitliche Einordnung der erwähnten LKW-Fahrt (Z 5 erster Fall) von vornherein ins Leere.

Dass die zu 1./ und 3./a./ inkriminierte Tathandlung in der Wohnung des Angeklagten in jenem Winter (1999/2000) erfolgte, als S***** (erst) 13 Jahre alt war (US 4), leiteten die Tatrichter aus der von ihnen als glaubwürdig gewerteten Aussage des Tatopfers ab (US 9). Da die von der Beschwerde ins Treffen geführten Zeugenaussagen, wonach S***** erst ab dem Alter von 12–13 Jahren beim Angeklagten übernachten habe dürfen und eine Mitfahrt mit dem LKW nicht erlaubt worden sei (Monika Z*****) oder dass S***** bei der LKW‑Fahrt 12 oder 13 Jahre alt gewesen sei (Thomas Z*****), der Feststellung eines Übergriffs auf die (erst) 13‑Jährige in der Wohnung des Angeklagten (1./ und 3./a./) nicht entgegenstehen, war das Erstgericht mit Blick auf das Gebot der gedrängten Darstellung der Entscheidungsgründe auch nicht gehalten, sich unter dem Aspekt der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) im Detail mit diesen Depositionen auseinanderzusetzen.

Ebensowenig besteht ein entscheidende Tatsachen betreffender Widerspruch (Z 5 dritter Fall) im oben dargestellten Sinn zwischen den Urteilsannahmen, wonach sowohl eine (unbedenkliche) LKW‑Fahrt mit der 13‑ bis 15‑jährigen Nichte als auch (in der Wohnung des Angeklagten) ein Übergriff auf diese im Alter von 13 Jahren stattfand.

Wie lange gemeinsame Familienfeiern zu Weihnachten stattfanden, betrifft gleichfalls keine entscheidende Tatsache, sodass der insoweit erhobene Vorwurf des Fehlens von Feststellungen (nominell Z 5 zweiter Fall, der Sache nach Z 9 lit a) auf sich beruhen kann.

Die weiters behauptete Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) durch Nichterörterung von Beweisergebnissen, die angeblich gegen einen „Vorfallszeitraum Herbst/Winter 1999/2000“ (1./ und 3./a./) und damit gegen die zeitliche Einordnung des Übergriffs durch das Opfer sprechen sollen, ist schon vom Ansatz her unbeachtlich. Denn die Mängelrüge verabsäumt, jene konkreten Ergebnisse deutlich und bestimmt zu bezeichnen (RIS‑Justiz RS0118316 [T4, T5]), die das Erstgericht nach Ansicht des Beschwerdeführers übergangen hat (in diesem Zusammenhang nicht näher dargestellte Aussagen mehrerer namentlich genannter Beweispersonen und ein „vorgelegter Partezettel“), und lässt auch gänzlich offen, aus welchem Grund diese Beweisergebnisse den Feststellungen zur konkreten Tatzeit entgegenstehen sollen.

Zu 2./ und 3./b./ schloss das Erstgericht aus den äußeren Umständen (Anleuchten des im Bett liegenden Opfers, das der Angeklagte schlafend wähnte, mit einer Taschenlampe; Herunterziehen von dessen Pyjama- und Unterhose), dass es dem Angeklagten dabei darauf ankam, zumindest „eine geschlechtliche Handlung außerhalb des § 206 StGB“ an J***** vorzunehmen (US 11: im Sinn eines zumindest intensiven Betastens der Scheide des Mädchens), davon aber abließ, als das Opfer vorgab, aufzuwachen (US 6, 10, 11). Unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit (Z 5 vierter Fall) ist diese Herleitung nicht zu beanstanden. Dass aus den angeführten Umständen auch für den Angeklagten günstigere Schlüsse gezogen werden hätten können (bloße Betrachtung des entblößten Mädchens), vermag den angesprochenen Nichtigkeitsgrund nicht zu begründen (RIS‑Justiz RS0098471 [T7]).

Mit der Berufung auf den Zweifelsgrundsatz wird kein Begründungsmangel (Z 5) geltend gemacht (RIS‑Justiz RS0102162).

Insgesamt stellt das im Rahmen der Mängelrüge (Z 5) erstattete Vorbringen bloß einen Versuch dar, die Beweiswürdigung der Tatrichter nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung zu bekämpfen.

Als Tatsachenrüge will die Z 5a nur geradezu unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung verhindern. Tatsachenrügen, die außerhalb solcher Sonderfälle auf eine Überprüfung der Beweiswürdigung abzielen, beantwortet der Oberste Gerichtshof ohne eingehende eigene Erwägungen, um über den Umfang seiner Eingriffsbefugnisse keine Missverständnisse aufkommen zu lassen (RIS‑Justiz RS0118780).

Mit eigenständigen Beweiswerterwägungen zum Alter der S***** im Tatzeitpunkt (1./ und 3./a./) und zum Vorsatz des Angeklagten bei der Tathandlung betreffend J***** (2./ und 3./b./) vermag die Beschwerde keine erheblichen Bedenken hervorzurufen. Durch die Berufung auf den Zweifelsgrundsatz wird auch keine Nichtigkeit iSd Z 5a aufgezeigt (RIS‑Justiz RS0102162).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).

Bleibt anzumerken, dass Anknüpfungspunkt des nach § 61 zweiter Satz StGB vorzunehmenden Günstigkeitsvergleichs die Tat, also der im Urteil festgestellte Lebenssachverhalt ist (RIS‑Justiz RS0112939). Dabei ist der Günstigkeitsvergleich im Fall der Realkonkurrenz für jede Tat gesondert vorzunehmen, im Fall der Idealkonkurrenz ist der zu beurteilende Lebenssachverhalt (hier: einerseits 1./ und 3./a/; andererseits 2./ und 3./b./) entweder dem Urteilszeit- oder dem Tatzeitrecht zu unterstellen (15 Os 61/16h mwN; RIS-Justiz RS0089011 [T3, T4], RS0119085 [T5]).

Im vorliegenden Fall wäre die zu 1./ angeführte Tat dem Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB idgF zu unterstellen gewesen, weil das Urteilszeitrecht (bezogen auf den konkret zu beurteilenden Sachverhalt selbst mit Blick auf die Idealkonkurrenz mit 3./a./) in seiner Gesamtauswirkung gleich günstig ist wie § 206 Abs 1 StGB in der zur Tatzeit geltenden Fassung BGBl I Nr 1998/153.

Eine amtswegige Wahrnehmung (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO) dieses vom Beschwerdeführer nicht aufgegriffenen Subsumtionsfehlers (§ 281 Abs 1 Z 10 StPO), der keinen Einfluss auf den Strafrahmen hat und aus dem keine unrichtigen (nachteiligen) Strafzumessungs-tatsachen (§ 281 Abs 1 Z 11 zweiter Fall) resultieren (US 12), war mangels erkennbaren Nachteils nicht erforderlich (RIS‑Justiz RS0100259). Bei der Entscheidung über die Berufung besteht für das Oberlandesgericht insoweit auch keine Bindung an den Ausspruch des Erstgerichts über das anzuwendende Strafgesetz (RIS‑Justiz RS0118870).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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