OGH 13Os122/16i

OGH13Os122/16i28.6.2017

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. Juni 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, Mag. Michel, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Plesser als Schriftführer in der Strafsache gegen unbekannte Täter wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB, AZ 703 UT 4/15 w der Staatsanwaltschaft Wien, über den Antrag der Mag. Elnara S***** auf Erneuerung des Verfahrens nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0130OS00122.16I.0628.000

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Mit ihrem Antrag auf Zuerkennung aufschiebender Wirkung wird die Erneuerungswerberin auf diese Entscheidung verwiesen.

 

Gründe:

Die Staatsanwaltschaft Wien führte zu AZ 703 UT 4/15 w ein auf die Klärung allfälliger Fremdeinwirkung gegen den am 23. oder 24. Februar 2015 in einem Haftraum in der Justizanstalt Wien-Josefstadt zu Tode gekommenen Dr. Rakhat A***** gerichtetes Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB, das am 18. Mai 2016 gemäß § 190 Z 2 StPO eingestellt wurde (ON 1 S 101).

Mit einem am 24. Februar 2016 beim Bundesministerium für Justiz eingelangten Rechtshilfeersuchen der Generalstaatsanwaltschaft der Republik Kasachstan (ON 232) wurde mit Beziehung auf dieses Ermittlungsverfahren um die Übermittlung näher bezeichneter „offiziell beglaubigter Dokumente über die Umstände des Todes“ des Dr. Rakhat A***** ersucht, damit anhand derselben in einem in der Republik Kasachstan gegen den Genannten anhängigen Strafverfahren eine Einstellung des Verfahrens verfügt werden könne.

Diesem Rechtshilfeersuchen folgend verfügte die Staatsanwaltschaft Wien am 9. März 2016 mit der Beifügung „Entsprechung ON 232“ die Herstellung von sodann an das Bundesministerium für Justiz übermittelten beglaubigten Kopien folgender Aktenstücke (ON 1 S 97):

ON 20: erster Anlassbericht des Landeskriminalamts Wien der Landespolizeidirektion Wien vom 27. Februar 2015

ON 47: zweiter Anlassbericht dieser Polizeibehörde vom 6. März 2015

ON 53: Sterbeurkunde des Standesamts Wien-Innere Stadt vom 11. März 2015

ON 74: Obduktionsprotokoll des Departments für Gerichtsmedizin der Medizinischen Universität Wien eingelangt am 13. März 2015

ON 108: Tatortmappe der zuvor genannten Polizeibehörde vom 18. April 2015

ON 132: Gutachten der Gerichtsärzte am Institut für Gerichtliche Medizin der Medizinischen Universität Innsbruck vom 5. Mai 2015

ON 138: Gutachten der genannten Gerichtsärzte über spurenkundliche DNA-Untersuchungen vom 22. Mai 2015

ON 147: Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin des Kantonsspitals St. Gallen vom 8. Juni 2015

ON 183: Ergänzungsgutachten der oben genannten Gerichtsärzte vom 18. August 2015.

Mit Schriftsatz vom 27. April 2016 (ON 238) erhob die Witwe des Dr. Rakhat A*****, Mag. Elnara S*****, Einspruch wegen Rechtsverletzung (§ 106 Abs 1 Z 2 StPO) gegen die Verfügung der Herstellung der zuvor bezeichneten beglaubigten Kopien der Aktenstücke sowie deren Vorlage an das Bundesministerium für Justiz zum Zweck der Entsprechung des Rechtshilfeersuchens.

Das Landesgericht für Strafsachen Wien gab dem Einspruch wegen Rechtsverletzung mit Beschluss vom 14. Juni 2016, AZ 333 HR 75/15x (ON 253), Folge und stellte fest, dass die Staatsanwaltschaft Wien durch „die Übermittlung“ beglaubigter Kopien sämtlicher zuvor bezeichneter Aktenstücke mit Ausnahme der nicht in Beschwerde gezogenen Sterbeurkunde ON 53 „an die Generalstaatsanwaltschaft der Republik Kasachstan“ Dr. Rakhat A***** sowie Mag. Elnara S***** jeweils in ihrem nach § 10 Abs 2 und Abs 3 StPO gewährten subjektiven Recht gemäß § 106 Abs 1 Z 2 StPO verletzt hat (BS 1, 11).

Der dagegen erhobenen Beschwerde der Staatsanwaltschaft gab das Oberlandesgericht Wien mit Beschluss vom 14. Juli 2016, AZ 18 Bs 166/16t (ON 258), Folge und änderte den angefochtenen Beschluss dahingehend ab, dass der Einspruch wegen Rechtsverletzung im Umfang der Relevierung der Verletzung eigener Rechte der Mag. Elnara S***** abgewiesen und im Umfang der Geltendmachung der Verletzung von Rechten des Verstorbenen Dr. Rakhat A***** mangels Antragslegitimation gemäß § 107 Abs 1 StPO zurückgewiesen wurde.

Gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht richtet sich der auf die Behauptung einer Verletzung im Grundrecht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Art 8 MRK gestützte Antrag der Mag. Elnara S***** auf Erneuerung des Verfahrens (RIS-Justiz RS0122228), mit welchem eine Verletzung subjektiver Rechte des Verstorbenen Dr. Rakhat A***** als Opfer im Sinne des § 65 Z 1 lit a StPO sowie der Erneuerungswerberin als Opfer im Sinne des § 65 Z 1 lit b StPO geltend gemacht wird.

 

Rechtliche Beurteilung

Die Erneuerungswerberin ist nicht antragslegitimiert:

Zwar sind Erneuerungsanträge nach § 363a StPO ohne vorherige Anrufung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte auch gegen Rechtshilfe für das Ausland zulässig (RIS-Justiz RS0124738; vgl § 9 Abs 1 ARHG), aber Opfer einer Straftat (gleich in welcher der in § 65 Z 1 lit a bis c StPO angeführten Alternativen) zu einem Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a StPO nicht legitimiert (RIS-Justiz RS0126176; Reindl-Krauskopf, WK‑StPO § 363a Rz 20 f, 41).

Im Übrigen genügt der Erneuerungsantrag, worauf die Generalprokuratur ebenfalls zutreffend hingewiesen hat, auch einer weiteren Zulässigkeitsvoraussetzung dieses Rechtsbehelfs nicht:

Für einen nicht auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gestützten Erneuerungsantrag als subsidiären Rechtsbehelf gelten alle gegenüber dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art 34 und 35 MRK sinngemäß. Weil die Opfereigenschaft nach Art 34 MRK nur dann anzunehmen ist, wenn der Beschwerdeführer substantiiert und schlüssig vorträgt, in einem bestimmten Konventionsrecht verletzt zu sein, muss auch ein Erneuerungsantrag deutlich und bestimmt darlegen, worin eine Grundrechtsverletzung im Sinn des § 363a Abs 1 StPO zu erblicken sei (RIS-Justiz RS0122737 [T17]).

Die Erneuerungswerberin erklärt jedoch nicht, weshalb die vom Oberlandesgericht Wien für rechtskonform erkannte bloße Anordnung der Herstellung beglaubigter Kopien von Aktenstücken und deren Vorlage an das Bundesministerium für Justiz zum Zweck der Entsprechung des Rechtshilfeersuchens (BS 3) bereits eine Verletzung des Grundrechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Art 8 MRK (im Sinn einer effektiven Beeinträchtigung der Rechtssphäre des Grundrechtsträgers [vgl auch EBRV 25 BlgNR 22. GP  141 zu § 106 StPO: „… Handlung …, durch welche sich der Einspruchswerber unmittelbar in einem subjektiven Recht verletzt erachtet“]) bewirken soll, und legt somit die Opfereigenschaft nach Art 34 MRK nicht schlüssig dar (vgl 15 Os 127/09d).

Der Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur gemäß § 363b Abs 1 und Abs 2 StPO bereits bei der nichtöffentlichen Beratung als unzulässig zurückzuweisen.

Solcherart ist auch der „Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung“ (vgl dazu aber RIS-Justiz RS0125705) gegenstandslos.

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