OGH 1Ob99/17s

OGH1Ob99/17s28.6.2017

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj G***** M*****, geboren ***** 2007, wegen Obsorge, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Vaters M***** M*****, vertreten durch Dr. Johannes Margreiter, Rechtsanwalt in Hall in Tirol, gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 25. Februar 2017, GZ 54 R 14/17f‑106, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Hall in Tirol vom 23. Dezember 2016, GZ 5 Ps 5/15h‑83, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0010OB00099.17S.0628.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Ein im Rekurs gerügter und vom Rekursgericht verneinter Verfahrensmangel (hier: das Unterlassen einer förmlichen Einvernahme der Eltern, die sich allerdings vor dem Erstgericht ausführlich äußern konnten, sowie die Unterlassung der Einvernahme einer vom Vater als Zeugin namhaft gemachten Lehrerin) kann im Revisionsrekurs nicht mehr geltend gemacht werden, es sei denn, eine Durchbrechung dieses Grundsatzes wäre aus Gründen des Kindeswohls erforderlich (RIS‑Justiz RS0030748 [T2, T5]; RS0050037 [T4, T7]). Derartige Gründe ergeben sich nicht aus dem außerordentlichen Revisionsrekurs. Zudem zeigt das Rechtsmittel die Relevanz der behaupteten Verfahrensmängel nicht auf. Der allgemein gehaltene Hinweis, es hätte der (förmlichen) Einvernahme der Eltern dazu bedurft, „ob und in welchem Umfang“ ihr Sohn ein auffälliges Sozialverhalten und auffällige psychosomatische Reaktionen zeige, ist nicht ausreichend, weil nicht dargelegt wird, zu welcher anderen Sachverhaltsgrundlage die Vorinstanzen gekommen wären.

Die Entscheidung des Erstgerichts, von einer persönlichen Anhörung des mittlerweile neunjährigen Kindes abzusehen, das im Rahmen ausführlicher Gespräche mit der Sachverständigen gehört wurde, entspricht § 105 Abs 1 Satz 2 AußStrG. Bei einem Minderjährigen, der das zehnte  Lebensjahr noch nicht vollendet hat, liegen die Voraussetzungen für eine mittelbare Anhörung vor.

2. Der Oberste Gerichtshof ist auch in Außerstreitsachen nicht Tatsacheninstanz (RIS‑Justiz RS0108449 [T2]), weshalb Fragen der Beweiswürdigung nicht an ihn herangetragen werden können (RIS‑Justiz RS0007236 [T1 bis T4, T6, T7]). Die Frage, auf welcher Beweisgrundlage Feststellungen getroffen wurden, betrifft den vom Obersten Gerichtshof nicht überprüfbaren Tatsachenbereich. Daher ist auch keine erhebliche Rechtsfrage zu beantworten.

3. Das Rekursgericht bestätigte die vom Erstgericht gemäß § 181 ABGB wegen Gefährdung des Kindeswohls verfügte Entziehung der Obsorge des Vaters. Ob die Voraussetzungen für eine solche Obsorgeübertragung erfüllt sind und eine Kindeswohlgefährdung vorliegt, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und wirft keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG auf, wenn dabei ausreichend auf das Kindeswohl Bedacht genommen wurde (1 Ob 7/16k mwN; vgl RIS‑Justiz RS0007101 [T2, T3]; RS0115719 [T7]). Die Vorinstanzen haben gründlich und sorgfältig begründet, warum die Obsorgeübertragung dem Wohl des Kindes entspricht. Ihre Beurteilung ist jedenfalls vertretbar.

Ganz allgemein (1 Ob 45/16y mwN) gelten für die Maßnahme des Gerichts nach § 181 ABGB die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Erforderlichkeit im Sinne des gelindesten Mittels (§ 182 ABGB). Entgegen der Ansicht des Vaters kann mit einer Ausweitung des Kontakts des Sohnes zur Mutter nicht allein der Kindeswohlgefährdung begegnet werden, steht doch fest, dass dem Minderjährigen durch das Verhalten des Vaters in früheren, mittleren oder späteren Jugendjahren psychiatrische Probleme bis hin zu einer selbstzerstörerischen Verhaltensweise drohen. Weiters steht fest, dass der Vater nicht ausreichend in der Lage ist, das Problem seines Sohnes durch massive Abspaltung der Mutter zu erkennen und zu beseitigen und auch die emotionale Lage seines Kindes im Schulalltag als auch im außerschulischen Bereich nicht erkennt und insoweit keine ausreichende „Compliance“ aufweist. Damit bleibt – wovon die Vorinstanzen ohne Fehlbeurteilung ausgingen – die Obsorgeentziehung derzeit die einzige Möglichkeit zur Wahrung des Kindeswohls.

4. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).

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