OGH 2Ob240/16g

OGH2Ob240/16g20.6.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Veith und Dr. Musger, die Hofrätin Dr. E. Solé sowie den Hofrat Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A***** G*****, vertreten durch Heiss & Heiss Rechtsanwälte OG in Innsbruck, gegen die beklagte Partei J***** V*****, vertreten durch MMag. Christian Mertens, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 68.003,80 EUR sA und Feststellung (Revisionsinteresse 51.889,87 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 10. November 2016, GZ 1 R 120/16f‑56, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 20. Juni 2016, GZ 6 Cg 130/13y‑50, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0020OB00240.16G.0620.000

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahingehend abgeändert, dass sie einschließlich der rechtskräftigen Teile folgendermaßen lautet:

„1. Der Beklagte ist schuldig, dem Kläger 24.694,94 EUR samt 4 % Zinsen seit 29. 10. 2013 sowie an Barauslagen für das Verfahren erster und zweiter Instanz 3.815,50 EUR binnen 14 Tagen zu bezahlen.

2. Es wird festgestellt, dass der Beklagte dem Kläger für alle jene Schäden und Vermögensnachteile zur Hälfte haftet, die künftig beim Kläger als Folge des Motorradunfalls, der sich am 9. 6. 2011 im Parkhaus der Firma ***** in ***** ereignet hat, eintreten.

3. Das Mehrbegehren, der Beklagte sei schuldig, dem Kläger weitere 43.308,86 EUR samt 4 % Zinsen seit 29. 10. 2013 zu bezahlen, wird abgewiesen.

4. Das Mehrbegehren, es werde festgestellt, dass der Beklagte dem Kläger für alle jene Schäden und Vermögensnachteile zu mehr als der Hälfte hafte, die künftig beim Kläger als Folge des Motorradunfalls, der sich am 9. 6. 2011 im Parkhaus der Firma ***** in ***** ereignet hat, eintreten, wird abgewiesen.

5. Im Übrigen werden die Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz gegenseitig aufgehoben.“

Der Kläger ist schuldig, dem Beklagten die halbe Pauschalgebühr für das Revisionsverfahren in Höhe von 1.362 EUR binnen 14 Tagen zu ersetzen. Im Übrigen werden die Kosten des Revisionsverfahrens gegenseitig aufgehoben.

Entscheidungsgründe:

Am 9. 6. 2011 stürzte der Kläger als Fahrschüler des beklagten Inhabers einer Fahrschule mit einem Motorrad und verletzte sich dabei.

Im Revisionsverfahren ist nur mehr das beiderseitige Verschulden am Unfall strittig.

Der Kläger, der im Besitz der Lenkberechtigung für die Gruppe B ist, beabsichtigte, in der Fahrschule des Beklagten den Führerschein für Motorräder bis 125 ccm und Leistung von nicht mehr als 11 kW (Klasse B111, Code 111) zu erwerben. Es waren vom Kläger lediglich praktische Übungsfahrten in der Dauer von sechs Stunden zu absolvieren. Nach Bezahlung der Kosten von 250 EUR für die Fahrstunden wurde der Beginn der Übungsfahrten für den 9. 6. 2011, 12:00 Uhr, vereinbart.

Es kann nicht festgestellt werden, ob dem Kläger von der Fahrschule aufgetragen wurde, zu den Übungsfahrten Motorradstiefel anzuziehen.

Das Übungsgelände der Fahrschule ist im zweiten Parkdeck eines Möbelhauses. Dieses Parkdeck wird während der Übungsfahrten ausschließlich als Übungsgelände verwendet.

Der Kläger erschien wie vereinbart zur praktischen Ausbildung. Der Beklagte agierte an diesem Nachmittag als Fahrlehrer. Der Beklagte hat in seinem Fuhrpark unter anderem zwar auch ein Motorrad der Marke KTM, Duke 125 ccm (132 kg, 11 kW), doch riet er dem Kläger, ein Motorrad der Marke Honda CB 250 ccm (152 kg, 15 kW, Sitzhöhe 79 cm) für die Übungsfahrten zu verwenden. Der Beklagte ging nämlich davon aus, dass diese Maschine für den Kläger als Fahranfänger leichter zu fahren sei, weil sie nicht so stark sei, eine niederere Fahrposition aufweise und beim Bremsen nicht so empfindlich reagiere wie das neue Motorrad KTM, das, wenn zu fest gebremst wird, sofort steht. Dem Beklagten ist aufgrund seiner Erfahrung bekannt, dass es Fahrschülern bei niederen Geschwindigkeiten immer wieder passiert, dass die Motorräder beim Bremsen sofort stehen und umkippen. Insgesamt ging der Beklagte davon aus, dass für den Kläger die Übungsfahrten mit einer älteren 250 ccm Maschine (152 kg) sicherer seien als mit dem neuen Motorrad KTM, Duke 125 ccm (132 kg).

Der Kläger musste wiederholt einen Übungsparcours durchfahren und zwar zuerst einen Slalom aus sieben Stangen, danach war ein Verkehrshütchen zu umfahren, von dort ging es bis zur anderen Seite des Parcours, wo der Kläger angewiesen wurde stehen zu bleiben, dann erfolgte eine Beschleunigung in Geradeausfahrt mit Umschalten vom 1. auf den 2. Gang mit anschließender Zielbremsung auf vier Verkehrshütchen zu.

Im Lauf der dritten Übungsstunde – der Kläger hatte bis dahin das Motorrad der Marke Honda CB 250 ccm gut bewältigt - fragte der Kläger den Beklagten, ob er mit der größeren Maschine fahren dürfe. Damit meinte er das Motorrad FX650X Vigor, das eine Eigenmasse von 180 kg aufweist und über 29 kW verfügt. Der Beklagte erklärte dem Kläger die Bedienung des Motorrads und machte ihn auch aufmerksam, dass dies eine gefährlichere Maschine als das bisher gefahrene Motorrad sei. Der Beklagte wies den Kläger an, mit diesem Motorrad wieder den Parcours zu durchfahren. In den folgenden etwa 20 Minuten Übungsfahrt ermahnte der Beklagte den Kläger dreimal, langsamer zu fahren.

In der Folge stürzte der Kläger bei einer Kurvenfahrt: Durch das rasche Betätigen der Vorderradbremse in langsamer und relativ aufrechter Kurvenfahrt bei eingelenktem Vorderrad kam es zum Eindrehen des Vorderrads zur Kurvenmitte hin und zu einem Umkippen des Motorrads ebenfalls zur Kurvenmitte. Das Motorrad fiel mit dem Motorblock auf das linke Bein des Klägers.

Wenn ein Motorradfahrer gleichzeitig zum starken Einlenken des Vorderrads auch eine ruckartige Bremsung durchführt, dann „zieht es ihm“ die Füße durch die gegebene Massenträgheit tendenziell nach vorne, wodurch ein Abspreizen der Beine nicht mehr so leicht möglich ist. Durch die gleichzeitige Längsverzögerung und die dadurch hervorgerufene Massenträgheit sind Fahranfänger, wie es auch der Kläger war, häufig nicht in der Lage, ihre Füße weit genug seitlich vom Motorrad abzuspreizen, um so eine günstige Stellung zum Abfangen des kippenden Motorrads zu erreichen.

Der Gussasphalt als Fahrbahnbelag auf dem Übungsgelände stellt aufgrund des großen Bitumenanteils für Beschleunigungsmanöver, Bremsmanöver und rasche Kurvenfahrten grundsätzlich keine ungünstige Oberfläche dar. Es liegt kein ausreichender objektiver Hinweis vor, dass das Wegrutschen des Vorderrads aufgrund der rutschigen Fahrbahn eingeleitet worden wäre. Im Bereich der Sturzstelle war kein Ölfleck vorhanden.

Grundsätzlich sind zur Beurteilung des Kraftaufwands, um ein kippendes Motorrad zu stabilisieren, an technischen Parametern des Motorrads das Fahrzeuggewicht und die Höhe des Fahrzeugschwerpunkts über dem Fahrbahnniveau relevant. Der Kläger ist 1,80 m groß und wog zum Unfallszeitpunkt ca 79 kg, sodass sich kein ausreichender Hinweis ergibt auf eine entscheidende Relevanz der Unterschiede in den Sitzhöhen bzw Sitzbreiten der Motorräder KTM 125 Duke (132 kg) und Honda FX650X Vigor (180 kg).

Da das Umkippen des Motorrads durch ein rasches Betätigen der Vorderradbremse eingeleitet wurde, hatte aus technischer Sicht in Anbetracht der in diesem Fall zu erwartenden ungünstigen Fußstellung des Klägers relativ zum Fahrzeugschwerpunkt das Fahrzeuggewicht einen wesentlichen Einfluss auf die Möglichkeit des Klägers, das Motorrad vor dem Umkippen zu bewahren und nicht mit dem linken Fuß unter das Motorrad zu kommen.

Die Ausbildung des Klägers hätte am Unfalltag von 12:00 Uhr bis 18:00 Uhr dauern sollen. In der Führerscheinausbildung ist nach zwei Fahrlektionen à 50 Minuten eine Pause von 20 Minuten vorgeschrieben. Im vorliegenden Fall ereignete sich der Unfall um ca 16:20 Uhr. Nach über vier Stunden der praktischen Ausbildung sind Ermüdungserscheinungen bei Fahranfängern wie dem Kläger allgemein bekannt und traten auch beim Kläger auf.

Der Kläger begehrte die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von 68.003,80 EUR sA sowie die Feststellung der Haftung des Beklagten für die Unfallfolgen. Das Zahlungsbegehren umfasst Schmerzengeld, Verdienstentgang, Heilbehandlungskosten und Kosten einer Haushaltshilfe. Der Beklagte hafte für die Unfallfolgen, weil er vertragliche Schutz- und Sorgfaltspflichten verletzt habe. Der Kläger habe die Lenkberechtigung für Leichtmotorräder erwerben wollen. In der praktischen Ausbildung sei dem Kläger schließlich ein Motorrad mit 650 ccm zugewiesen worden, obwohl § 7 Abs 1 der Durchführungsverordnung zum Führerscheingesetz (FSG‑DV) die Ausbildung mit einem Motorrad mit nicht mehr als 125 ccm und 11 kW vorsehe. Zudem sei der Unfall in der fünften Stunde passiert, obwohl nach § 64b der Kraftfahrgesetz‑Durchführungsver-ordnung 1967 (KFG‑DV 1967) die Fahrschulausbildung täglich nur vier Stunden betragen dürfe. Nach einer durchgehenden Übungszeit von vier Stunden und fünfzehn Minuten seien beim Kläger entsprechende Ermüdungserscheinungen eingetreten, die auch eine hohe Unfallwahrscheinlichkeit mit sich gebracht hätten. Dies sei dem Beklagten als Fahrschulinhaber bekannt gewesen oder hätte ihm bekannt sein müssen. Ungeachtet dessen habe er den Kläger weiterfahren lassen, was unter Berücksichtigung eines ungeeigneten und viel zu schweren Motorrads geradezu ein grob fahrlässiges Verhalten des Beklagten darstelle.

Der Beklagte wendete ein, das Alleinverschulden am Zustandekommen des Unfalls treffe den Kläger, der aus Unachtsamkeit gestürzt sei. Entgegen den Vorgaben des Beklagten habe sich der Kläger ohne Motorradstiefel eingefunden und sich daher bewusst auf die Gefahr eingelassen. Der Kläger habe die Übungsfahrt mit einem Motorrad Honda CB250 ohne Fahrfehler absolviert. Dann habe der Kläger die Übungen mit einem Motorrad Honda Vigor 650 ccm fortsetzen wollen. Der Fahrstil des Klägers sei übermütig gewesen, sodass er vom Beklagten ermahnt worden sei, langsamer zu fahren. Der Kläger habe sich jedoch entgegen den Anweisungen und Mahnungen verhalten, sodass den Beklagten kein Verschulden treffe. Dass pro Tag nicht mehr als vier Unterrichtseinheiten zulässig seien, betreffe nur die theoretische Ausbildung.

Das Erstgericht gab dem Zahlungsbegehren in Höhe von 49.389,87 EUR sA sowie dem Feststellungsbegehren zur Gänze statt und wies das Zahlungsmehrbegehren von 18.613,93 EUR sA (dies unbekämpft) ab. Es stellte den wiedergegebenen Sachverhalt fest und führte rechtlich aus, der Beklagte habe dem Kläger zum Absolvieren der praktischen Fahrübungen ein Kraftrad mit einem Hubraum von 650 ccm und einer Motorleistung von 29 kW zur Verfügung gestellt. Dadurch habe der Beklagte schuldhaft gegen die Schutznorm des § 7 Abs 1 FSG‑DV verstoßen, wonach die praktischen Fahrübungen für die vom Kläger angestrebte Lenkberechtigung auf Krafträdern durchzuführen seien, die einen Hubraum von nicht mehr als 125 ccm und eine Motorleistung von nicht mehr als 11 kW aufweisen dürften. Weiters sei in § 64b KFG‑DV 1967 geregelt, dass höchstens zwei Unterrichtseinheiten zusammengefasst werden könnten, wobei anschließend eine Pause von mindestens 20 Minuten einzuhalten sei. Pro Tag dürften nicht mehr als vier Unterrichtseinheiten zu je 50 Minuten vermittelt werden. Der Beklagte habe beabsichtigt, die praktische Ausbildung von sechs Stunden Übungsfahrten an einem Nachmittag in der Zeit von 12:00 Uhr bis 18:00 Uhr zu absolvieren. Auch in diesem Zusammenhang sei dem Beklagten die schuldhafte Verletzung einer Schutznorm anzulasten. Dass der Kläger ersucht habe, mit dem Motorrad Honda FX650X Vigor die weiteren Übungsfahrten zu absolvieren, begründe kein bzw nur ein zu vernachlässigendes Mitverschulden. Die Entscheidung, welches Motorrad für die Übungsfahrten in Frage komme, sei vom Fahrlehrer zu treffen, allfällige Wünsche der Fahrschüler seien unbeachtlich. Dass der Kläger Anweisungen des Beklagten betreffend das Fahrverhalten, das zum Unfall geführt habe, nicht beachtet hätte, habe sich nicht ergeben. Dem Kläger könne es nicht als Verschulden angelastet werden, dass ihm im Zuge der praktischen Übungsfahrten Fahrfehler passierten. Es sei daher vom Alleinverschulden des Beklagten auszugehen.

Das nur vom Beklagten angerufene Berufungsgericht wies das gesamte (restliche) Klagebegehren ab und ließ die Revision nicht zu. Es vertrat die Ansicht, § 7 Abs 1 FSG‑DV sehe als Voraussetzung für die Erlangung der Berechtigung zum Lenken von Motorrädern bei bereits bestehender Lenkberechtigung für die Klasse B ausdrücklich vor, dass hiezu die Absolvierung von Fahrübungen auf einem Kraftrad mit einem Hubraum von nicht mehr als 125 ccm und einer Motorleistung von nicht mehr als 11 kW bestätigt werden müssten. Dies bedeute aber nicht, dass es den Fahrlehrern untersagt sei, Fahrschüler auch mit Motorrädern fahren zu lassen, die einen größeren Hubraum und eine größere Motorleistung aufwiesen. § 7 Abs 1 FSG‑DV sei somit kein Schutzgesetz, das den Fahrschüler bei der Ausbildung vor einer Überforderung durch Übungen mit einem allenfalls zu schweren Motorrad bewahren solle. In § 64b Abs 5 Z 1 KFG‑DV 1967 sei geregelt, dass die Ausbildung für die Klasse A1 sowie für die Klassen A2 und A nach dem in der Anlage 10b enthaltenen Lehrplan zu erfolgen habe, wobei nicht alle Unterrichtseinheiten auf einem Motorrad der jeweiligen Klasse absolviert werden müssten. Nach dieser Bestimmung sei es somit durchaus erlaubt, dass der Unterricht teilweise auch auf schwereren Maschinen erfolge. Mit der Absolvierung von Fahrübungen zunächst auf einem Motorrad mit 250 ccm und sodann auf dem Unfallfahrzeug mit 650 ccm sei nicht gegen ein Schutzgesetz verstoßen worden. § 64b KFG‑DV 1967 regle die Fahrschulausbildung. § 64b Abs 3 KFG‑DV 1967 lege für die theoretische Ausbildung fest, dass pro Tag nicht mehr als vier Unterrichtseinheiten zu je 50 Minuten vermittelt werden dürften. Der Vorwurf des Klägers, der Beklagte habe gegen diese Norm verstoßen, treffe somit nicht zu, weil sich diese Regelung nur auf den theoretischen Unterricht, nicht aber auch auf die gegenständlichen praktischen Übungen beziehe. Dass der Beklagte bei der Gestaltung der Unterrichtseinheiten gegen die Bestimmungen des § 64b Abs 2 KFG‑DV verstoßen und die dort vorgesehenen Pausen nicht eingehalten hätte, habe der Kläger im erstinstanzlichen Verfahren nicht behauptet. Dass die beim Kläger eingetretene Ermüdung für den Beklagten erkennbar gewesen sei, habe der Kläger nicht behauptet und sei auch nicht festgestellt worden. Vielmehr habe der Kläger von sich aus den Wunsch an den Beklagten herangetragen, nun mit dem schweren Motorrad Honda FX650X Vigor fahren zu wollen. Der Beklagte habe daher auch nicht gegen vertragliche Nebenpflichten verstoßen.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag auf Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteils; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Beklagte beantragt in der Revisionsbeantwortung, die Revision mangels erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil dem Berufungsgericht bei der Beurteilung des beiderseitigen Verschuldens eine Fehlbeurteilung unterlaufen ist; sie ist teilweise berechtigt.

Der Revisionswerber trägt vor, § 7 Abs 1 FSG‑DV und § 64b Abs 5 KFG‑DV 1967 samt der Anlage 10b seien Schutzgesetze zugunsten unerfahrener Fahrschüler; nach der Anlage 10b müsse der Fahrlehrer bei jeder Übung die Sicherheit der Übung, insbesondere die Einschätzung der Eignung des Kandidaten nach dem Ausbildungsstand überprüfen und beurteilen; der Beklagte habe gegen all diese Normen verstoßen. Überdies habe der Beklagte gegen nebenvertragliche Schutz‑ und Sorgfaltspflichten verstoßen, weil er dem Revisionswerber ein beherrschbares und geeignetes leichteres Motorrad zur Verfügung stellen und wegen der allgemein bekannten Ermüdungserscheinungen nach vier Stunden den Unterricht beenden hätte müssen.

Hierzu wurde erwogen:

1. Rechtsnormen

Sowohl die Vorinstanzen als auch der Revisionswerber beziehen sich auf die schon zitierten Normen in ihrer gegenwärtigen Fassung. Auf den Fall sind freilich jene (relevanten) Vorschriften anzuwenden, die am Unfalltag (9. 6. 2011) galten. Diese lauten:

§ 2 Führerscheingesetz (FSG):

Umfang der Lenkberechtigung

§ 2. (1) Die Lenkberechtigung darf nur für folgende Klassen und Unterklassen von Kraftfahrzeugen gemäß § 2 KFG 1967 erteilt werden:

1. Klasse A:

a) Motorräder …

...

2. Klasse B:

c) Krafträder mit einem Hubraum von nicht mehr als 125 ccm und einer Motorleistung von nicht mehr als 11 kW, wenn der Besitzer der Lenkberechtigung für die Klasse B

aa) seit mindestens fünf Jahren ununterbrochen im Besitz einer gültigen Lenkberechtigung für die Klasse B ist,

bb) sich nicht mehr in der Probezeit gemäß § 4 befindet,

cc) nachweist, praktischen Unterricht im Lenken von derartigen Krafträdern genommen zu haben und

dd) der Code 111 in den Führerschein eingetragen ist.

...

§ 7 Abs 1 Führerscheingesetz-Durchführungsverordnung (FSG-DV):

Berechtigung zum Lenken von Krafträdern mit einer Lenkberechtigung für die Klasse B

§ 7. (1) Einem Antrag auf Eintragung des Zahlencodes 111 gemäß § 3 Abs. 5 sind Bestätigungen beizulegen, dass der Antragsteller in einem Ausmaß von insgesamt sechs Stunden praktische Fahrübungen gemäß Abs. 2 auf Krafträdern mit einem Hubraum von nicht mehr als 125 ccm und einer Motorleistung von nicht mehr als 11 kW durchgeführt hat. Diese Fahrübungen können in Fahrschulen und bei Vereinen von Kraftfahrzeugbesitzern, die Mitglieder des Kraftfahrbeirates sind, durchgeführt werden. Fahrübungen auf Straßen mit öffentlichem Verkehr dürfen jedoch nur unter Anleitung eines Fahrlehrers durchgeführt werden.

§ 64b Kraftfahrgesetz-Durchführungs-verordnung 1967 (KFG‑DV 1967):

Fahrschulausbildung

...

(2) Die Fahrschulausbildung besteht, sofern im Folgenden nichts Abweichendes festgelegt ist, aus einem theoretischen und einem praktischen Teil, in welchem die Inhalte der jeweiligen Lehrpläne zu vermitteln sind. Der Lehrstoff ist auf Unterrichtseinheiten aufzuteilen. Eine Unterrichtseinheit beträgt 50 Minuten. Zwischen den Unterrichtseinheiten ist eine Pause von zehn Minuten zu halten. Unterrichtseinheiten können aus pädagogischen Gründen ohne Auswirkung auf die Gesamtdauer auch geteilt oder verkürzt werden. Höchstens zwei Unterrichtseinheiten können zusammengefasst werden, wobei anschließend dann eine Pause von mindestens 20 Minuten einzuhalten ist.

(3) Die theoretische Ausbildung für alle Klassen von Lenkberechtigungen hat nach dem in der Anlage 10a enthaltenen Lehrplan im Ausmaß der dort jeweils angegebenen Mindestunterrichtszeiten zu erfolgen. […] Dafür sind insgesamt mindestens zwei Unterrichtseinheiten aufzuwenden. Pro Tag dürfen nicht mehr als vier Unterrichtseinheiten zu je 50 Minuten vermittelt werden. […]

(5) Die praktische Ausbildung hat durch Lenken eines Kraftfahrzeuges unter Aufsicht eines Besitzers eines Fahrlehrerausweises zu erfolgen

1. für die Klasse A auf einem Motorrad nach dem in der Anlage 10b enthaltenen Lehrplan;

2. für die Klasse B nach dem in der Anlage 10c enthaltenen Lehrplan …

...

Weder in der Anlage 10b noch in der Anlage 10c in der im Unfallzeitpunkt geltenden Fassung findet sich eine Bezugnahme auf die Notwendigkeit der Einschätzung der Eignung des Kandidaten nach dem Ausbildungsstand durch den Fahrlehrer.

2. Folgerungen aus den Normen

Zutreffend ist das Berufungsgericht zum Ergebnis gekommen, dass der Beklagte gegen keine dieser Normen verstoßen hat: § 7 Abs 1 FSG-DV schreibt zwar Fahrübungen von mindestens sechs Stunden auf einem Kraftrad mit einem Hubraum von nicht mehr als 125 ccm und einer Motorleistung von nicht mehr als 11 kW vor, verbietet aber nicht, dass darüber hinaus (also zusätzlich zu diesen sechs Stunden) auf Motorrädern, die diesen Einschränkungen nicht entsprechen, geübt wird.

Auch die Beschränkung des Unterrichts auf vier Stunden pro Tag betrifft gemäß § 64b Abs 3 KFG‑DV 1967 nur die theoretische Ausbildung. Auch aus den zitierten Anlagen ergibt sich kein Normverstoß, wobei dahingestellt bleiben kann, ob – wie der Revisionswerber behauptet – Anlage 10b oder – wie sich dies aus der Zusammenschau der zitierten Normen (hier: Lenkberechtigung der Klasse B) ergibt – Anlage 10c anzuwenden ist.

Da somit dem Beklagten kein Normverstoß vorwerfbar ist, erübrigt sich die Erörterung der Frage, ob die zitierten Normen Schutzgesetze im Sinn des § 1311 ABGB sind, die den Schutz der Fahrschüler bezwecken.

3. Verletzung vertraglicher Schutz- und Sorgfaltspflichten

Zwischen den Streitteilen ist ein entgeltlicher Vertrag zustande gekommen, der abgesehen von der Hauptleistung (Ausbildung im Motorradfahren) auch nebenvertragliche wechselseitige Schutz- und Sorgfaltspflichten mit sich bringt.

Dabei ist hier dem Beklagten vorwerfbar, dass er den Kläger länger als vier Stunden üben ließ, obwohl nach den Feststellungen allgemein bekannt ist, dass nach über vier Stunden der praktischen Ausbildung bei Fahranfängern wie dem Kläger Ermüdungserscheinungen und damit die erhöhte Gefahr von unfallverursachenden Fahrfehlern auftreten. Dies musste auch dem Beklagten klar sein, zumal er als Fahrlehrer als Sachverständiger im Sinn des § 1299 ABGB anzusehen ist und sich daher nicht auf die Unkenntnis dieses Umstands berufen könnte. Dazu kommt, dass der Kläger mit Zustimmung des Beklagten ein schwereres, nach Einschätzung des Beklagten auch gefährlicheres Motorrad als für die angestrebte Lenkberechtigung notwendig lenkte, was die Gefahr eines Unfalls weiter erhöhte. Der Beklagte hätte daher im hier zu beurteilenden Einzelfall die praktischen Übungen nach vier Stunden beenden müssen. Diesfalls wäre der Unfall unterblieben.

Mit dieser Beurteilung im vorliegenden Fall ist aber nicht ausgeschlossen, dass im Einzelfall – etwa bei einem besonders robusten und belastbaren Fahrschüler – auch nach vier Stunden noch keine maßgebliche Ermüdung des Schülers eingetreten ist und auch noch länger geübt werden könnte. Freilich muss sich der Fahrlehrer davon vergewissern, dass der Schüler noch nicht ermüdet ist.

4. Mitverschulden des Klägers

Das vom Beklagten behauptete Alleinverschulden des Klägers am Unfall impliziert auch den Mitverschuldenseinwand (RIS‑Justiz RS0027044). Es ist daher auch ein Mitverschulden des Klägers gemäß § 1304 ABGB zu prüfen.

Dass der Kläger mit Zustimmung des Beklagten, die dieser nicht hätte erteilen müssen, ein schwereres Motorrad lenkte, ist kein Mitverschulden, ist es doch primär Sache des Fahrlehrers zu beurteilen, ob der Schüler (schon) soweit geübt ist, dass er auch ein gefährlicheres Motorrad ohne erhebliche Unfallgefahr lenken kann. Auch der unfallkausale Fahrfehler an sich ist dem Kläger als Fahrschüler, der die Fahrkenntnisse erst erwerben musste, nicht als Mitverschulden vorzuwerfen.

Fest steht aber, dass beim Kläger nach vier Stunden und somit im Unfallzeitpunkt Ermüdungserscheinungen auftraten. In diesem Fall wäre auch der Kläger als erwachsener Lenker gegenüber dem Beklagten verpflichtet gewesen, diesem seine Ermüdung mitzuteilen und den praktischen Unterricht zu beenden. Auch dann wäre der Unfall nicht passiert. Dazu kommt hier, dass der Kläger als Besitzer der Lenkberechtigung der Gruppe B wissen musste, dass er ein Fahrzeug nur lenken durfte, wenn er sich in einer solchen körperlichen und geistigen Verfassung befand, in der er ein Fahrzeug – hier entsprechend dem Übungsfortschritt – beherrschen konnte (§ 58 Abs 1 StVO; vgl RIS‑Justiz RS0023664; RS0065961; weiters Pürstl , StVO 14 § 58 E 4, 5, 7, 8).

5. Ergebnis

Wägt man das Verschulden beider Streitteile ab, ist ein gleichteiliges Verschulden angemessen. Dem Kläger steht somit die Hälfte des vom Erstgericht zugesprochenen und der Höhe nach unstrittigen Geldbetrags zu; gleichermaßen war die Feststellung der Haftung des Beklagten zur Hälfte auszusprechen.

6. Kosten

6.1. Kosten erster und zweiter Instanz: Auf Basis des ersiegten Betrags (§ 43 Abs 2 ZPO) war der Kläger gemessen am Endergebnis in erster Instanz zur Hälfte erfolgreich. Gemäß § 43 Abs 1 ZPO waren daher die Kosten gegenseitig aufzuheben. Der Kläger hat jedoch Anspruch auf Ersatz der halben von ihm getragenen Sachverständigenkosten unter Berücksichtigung von 800 EUR, die vom Beklagten an Sachverständigengebühren verzeichnet wurden, das sind insgesamt 4.142,50 EUR, sowie der halben Pauschalgebühr, das sind 694,50 EUR, addiert 4.837 EUR.

Die Berufung des Beklagten war gemessen am Endergebnis zur Hälfte erfolgreich, weshalb auch hier die Kosten gemäß §§ 50, 43 Abs 1 ZPO gegenseitig aufzuheben waren und dem Beklagten der Ersatz der halben Pauschalgebühr (1.021,50 EUR) zusteht. Die Differenz zugunsten des Klägers beträgt 3.815,50 EUR.

6.2. Die Kostenentscheidung für das Revisionsverfahren gründet sich auf die §§ 50, 43 Abs 1 ZPO. Der Kläger war zur Hälfte erfolgreich, weshalb die Kosten gegenseitig aufzuheben waren. Dem Kläger steht der Ersatz der halben Pauschalgebühr zu.

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