European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E118467
Spruch:
Der Rekurs wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Rekursbeantwortung selbst zu tragen.
Begründung:
Im Jahr 2007 gewährte die Klägerin der Beklagten und ihrem damaligen Ehegatten einen Kredit über 167.000 EUR. Beide Ehegatten wurden als Hauptschuldner des Kredits geführt. Mit Beschluss des Bezirksgerichts Bludenz vom 28. 9. 2010 wurde die Ehe im Einvernehmen geschieden. Mit Beschluss vom 2. 11. 2010 wurde mit Wirkung für die Klägerin festgestellt, dass gemäß § 98 EheG die Beklagte Ausfallsbürgin und ihr früherer Ehegatte Hauptschuldner des in Rede stehenden Kredits ist. In der Folge gab der Hauptschuldner ein Schuldanerkenntnis in Form eines vollstreckbaren Notariatsakts gegenüber der Klägerin ab, weshalb diese von der Klagsführung vorerst absah. Mit Schreiben vom 23. 9. 2014 und 20. 2. 2015 kündigte die Klägerin schließlich die Geschäftsverbindung gegenüber dem Hauptschuldner und forderte diesen zur Zahlung des Kreditbetrags samt Zinsen auf. Am 30. 3. 2016 verkaufte der Hauptschuldner seine Liegenschaft und tilgte mit dem Erlös einen Teil seiner Schuld bei der Klägerin. In der Folge führte die Klägerin gegen den Hauptschuldner beim Bezirksgericht Feldkirch Forderungsexekution nach § 294a EO auf Basis des vollstreckbaren Notariatsakts. Das Vollstreckungsverfahren blieb erfolglos. Im Vollzugsbericht (vom 29. 8. 2016) betreffend die Vorführung des Hauptschuldners zur Abgabe des Vermögensverzeichnisses findet sich der Vermerk „angeblich nach Rumänien verzogen“.
Der Hauptschuldner hält sich in Rumänien auf, wobei sein Aufenthaltsort unbekannt ist. Die Klägerin unternahm keine Versuche, den Aufenthaltsort des Hauptschuldners in Rumänien zu ermitteln.
Mit Schreiben vom 31. 8. 2016 nahm die Klägerin die Beklagte aus ihrer Bürgschaftsverpflichtung mit dem Kreditrestbetrag von 106.225,86 EUR und Zinsen von 328,02 EUR in Anspruch.
Die Klägerin begehrte von der Beklagten Zahlung. Diese schulde den Betrag als Ausfallsbürgin nach § 98 EheG. Die Eintreibung des Kreditsaldos gegen den Hauptschuldner sei ohne Erfolg geblieben. Über den Aufenthaltsort des Hauptschuldners in Rumänien stünden ihr keine Informationen zur Verfügung. Eine Exekutionsführung in Rumänien sei auch unzumutbar.
Die Beklagte entgegnete, dass die Klägerin gegen den Hauptschuldner keine ausreichenden Exekutionshandlungen vorgenommen habe. Da sie nur als Ausfallsbürgin hafte, könne sie nicht in Anspruch genommen werden.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Beweislast für die Aussichtslosigkeit der Exekutionsführung liege beim Gläubiger. Diesen Beweis habe die Klägerin nicht erbracht. Da Rumänien ein Mitgliedstaat der Europäischen Union sei, könne nicht von der Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Exekutionsführung in Rumänien ausgegangen werden.
Das Berufungsgericht hob diese Entscheidung über Berufung der Klägerin auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Da der Hauptschuldner zum Zeitpunkt der Inanspruchnahme der Beklagten unbekannten Aufenthalts in Rumänien gewesen sei, liege der Ausnahmetatbestand des unbekannten Aufenthalts gemäß § 1356 ABGB objektiv vor. Von einer Nachlässigkeit der Klägerin im Sinn dieser Bestimmung könne nicht ausgegangen werden, weil es auf Eintreibungsmaßnahmen nach Verwirklichung des Ausnahmetatbestands nicht ankomme. Da die Beklagte gegen die übernommene Bürgschaft auch andere Einwände erhoben habe, sei die Rechtssache noch nicht entscheidungsreif. Der (richtig) Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil eine höchstgerichtliche Rechtsprechung zum Ausnahmetatbestand des unbekannten Aufenthalts nach § 1356 ABGB und zur Frage fehle, ob und inwieweit den Gläubiger eine Nachforschungspflicht über den Aufenthaltsort des Hauptschuldners treffe.
Gegen den Aufhebungsbeschluss richtet sich der Rekurs der Beklagten, die auf eine Wiederherstellung der abweisenden Entscheidung des Erstgerichts abzielt.
Mit ihrer Rekursbeantwortung beantragt die Klägerin, dem Rekurs der Beklagten den Erfolg zu versagen.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs erweist sich als unzulässig.
1. Unstrittig ist, dass die Beklagte für die Kreditforderung der Klägerin gegenüber dem Hauptschuldner als Ausfallsbürgin nach Maßgabe des § 98 EheG haftet.
Die Beklagte führt in ihrem Rekurs aus, dass der Gläubiger bei Eintritt der Fälligkeit der Hauptschuld bzw bei deren Geltendmachung gegenüber dem Hauptschuldner die erforderlichen Schritte zu setzen habe, worunter zumindest Versuche zur Feststellung des Aufenthaltsorts des Hauptschuldners zu verstehen seien. Außerdem treffe den Gläubiger, der sich auf den Ausnahmetatbestand des unbekannten Aufenthalts berufe, die Pflicht, Erhebungen über den Aufenthaltsort des Hauptschuldners anzustrengen. Der Ausfallsbürge könne nur dann in Anspruch genommen werden, wenn der Aufenthalt des Hauptschuldners nach entsprechenden Ausforschungen nicht feststellbar sei. Die Klägerin habe eine Nachlässigkeit zu vertreten, weil sie keine Schritte gesetzt habe, den Aufenthalt des Hauptschuldners in Rumänien ausfindig zu machen.
2.1 Ausfallsbürgschaft im Sinn des § 1356 ABGB bedeutet im Allgemeinen, dass der Bürge nur im Fall der Uneinbringlichkeit der Hauptschuld haftet. Der Gläubiger kann demnach grundsätzlich erst dann auf den Bürgen greifen, wenn er gegen den Hauptschuldner vergeblich Exekution geführt hat (3 Ob 58/05h; 2 Ob 78/11a).
§ 98 EheG, der im Anlassfall maßgebend ist, sieht einen besonderen Fall einer Ausfallsbürgschaft vor. Entscheidet das Gericht (§ 92 EheG) oder vereinbaren die Ehegatten (§ 97 Abs 2, gegebenenfalls § 55a EheG), wer von beiden im Innenverhältnis zur Zahlung der Kreditverbindlichkeiten, für die beide haften, verpflichtet ist, so hat das Gericht auf Antrag mit Wirkung für den Gläubiger auszusprechen, dass derjenige Ehegatte, der im Innenverhältnis zur Zahlung verpflichtet ist, Hauptschuldner, der andere Ausfallsbürge wird. In Abs 2 leg cit werden die Voraussetzungen für den Eintritt der subsidiären Haftung des Ausfallsbürgen speziell festgelegt. Danach kann der Ausfallsbürge – vorbehaltlich des § 1356 ABGB – nur wegen des Betrags belangt werden, der vom Hauptschuldner nicht in angemessener Frist hereingebracht werden kann, obwohl der Gläubiger gegen diesen nach Erwirkung eines Exekutionstitels genau bezeichnete Exekutionsschritte und Verwertungsschritte gesetzt hat. Der Verweis auf § 1356 ABGB stellt klar, dass die dort normierten Ausnahmetatbestände auch für eine besondere Ausfallsbürgschaft nach § 98 EheG gelten (vgl dazu 2 Ob 78/11a).
2.2 § 1356 ABGB normiert zwei Ausnahmetatbestände vom Subsidiaritätsprinzip auch bei der Ausfallsbürgschaft. Danach kann (selbst) der Ausfallsbürge sofort, also ohne Subsidiarität, in Anspruch genommen werden, wenn über das Vermögen des Hauptschuldners das Insolvenzverfahren eröffnet wurde oder wenn der Hauptschuldner zum maßgebenden Zeitpunkt unbekannten Aufenthalts ist. Bei beiden Tatbeständen ist es überdies erforderlich, dass der Gläubiger keine Nachlässigkeit zu verantworten hat (2 Ob 78/11a).
Nach Rechtsprechung und Lehre kommt es auf den Zeitpunkt an, zu dem der Gläubiger vom Bürgen Zahlung begehrt (3 Ob 203/12t). Ist der Hauptschuldner zum maßgebenden Zeitpunkt wegen unbekannten Aufenthalts nicht greifbar, so ist der zweite Ausnahmetatbestand des § 1356 ABGB erfüllt. Der Bürge ist dann nur mehr dadurch geschützt, dass er nicht belangt werden kann, wenn dem Gläubiger eine relevante Nachlässigkeit anzulasten ist.
2.3 Die eigene Nachlässigkeit schadet dem Gläubiger somit bei beiden Ausnahmetatbeständen des § 1356 ABGB. Die Nachlässigkeit muss sich dabei auf die Verfolgung des Anspruchs bzw Eintreibung der Schuld gegen den Hauptschuldner beziehen. So kann sich die Nachlässigkeit etwa darin äußern, dass der Gläubiger mit der Eintreibung der fällig gewordenen Forderung gezögert, also etwa bis zur späteren Flucht des Schuldners zugewartet hat (3 Ob 203/12t).
3.1 Die beiden Ausnahmetatbestände des § 1356 ABGB ermöglichen somit ein Abweichen, also ein Nichteinhalten der sonst erforderlichen Eintreibungsmaßnahmen. Nach Verwirklichung eines der objektiv formulierten Ausnahmetatbestände sind Eintreibungsmaßnahmen daher nicht mehr geboten. Dementsprechend können sich auf die Eintreibung beziehende Nachlässigkeiten nur auf den Zeitpunkt vor Verwirklichung des jeweiligen Ausnahmetatbestands beziehen. Daraus folgt, dass eine dem Gläubiger vorwerfbare eigene Nachlässigkeit im Sinn des § 1356 ABGB nicht in der Unterlassung von Eintreibungsmaßnahmen nach der Verwirklichung eines der in Rede stehenden Ausnahmetatbestände liegen kann (2 Ob 78/11a).
3.2 Die Nachlässigkeit bei der Verfolgung des Anspruchs durch den Gläubiger gegen den Hauptschuldner bezieht sich somit auf die bisherige Eintreibung der Schuld gegen den Hauptschuldner, also vor Verwirklichung des Ausnahmetatbestands und im gegebenen Zusammenhang vor dessen unbekannten Aufenthalt.
3.3 Nach diesen Grundsätzen sind drei Prüfschritte voneinander zu unterscheiden, und zwar
‑ der Wegfall der Subsidiarität nach § 98 Abs 2 EheG bzw im Sinn des § 1356 ABGB (Uneinbringlichkeit; Erfolglosigkeit, Aussichtslosigkeit, Unzumutbarkeit der Exekutionsführung),
‑ Verwirklichung eines Ausnahmetatbestands des § 1356 ABGB, um trotz Subsidiarität dennoch auf den (Ausfalls‑)Bürgen greifen zu können (hier Abwesenheit des Hauptschuldners),
‑ Nachlässigkeit des Gläubigers bei der bisherigen Verfolgung des Anspruchs gegen den Hauptschuldner.
Die Beweislast für die Uneinbringlichkeit bei der Ausfallsbürgschaft – so wie auch für die Einmahnung bei der normalen Bürgschaft nach § 1355 ABGB – trifft den Gläubiger (Kläger). Hat aber der Gläubiger bereits Exekution geführt, so liegt es am Ausfallsbürgen, substanziiert zu behaupten und zu beweisen, dass weitere Exekutionsschritte sinnvoll und erfolgversprechend gewesen wären (2 Ob 78/11a).
Die Beweislast für die objektive Verwirklichung eines Ausnahmetatbestands nach § 1356 ABGB trifft ebenfalls den Gläubiger (3 Ob 203/12t).
Demgegenüber trifft die Beweislast dafür, dass der Gläubiger bei Eintreibung der Schuld gegenüber dem Hauptschuldner nachlässig war, dieser es bei Eintritt der Fälligkeit der Hauptschuld also unterlassen hat, die erforderlichen Eintreibungsschritte gegen den Schuldner zu setzen, den beklagten Bürgen (3 Ob 203/12t).
4.1 Im Anlassfall wurde die Beklagte von der Klägerin am 31. 8. 2016 in Anspruch genommen. Zu diesem für die Beurteilung maßgebenden Zeitpunkt war der Hauptschuldner bereits nach Rumänien mit dort unbekanntem Aufenthalt verzogen. Das Erstgericht spricht zwar nur ungenau davon, dass sich der Hauptschuldner „mittlerweile seit einem nicht genauer bestimmbaren Zeitpunkt“ bzw „seit geraumer Zeit“ in Rumänien (bei unbekanntem Aufenthaltsort) befindet. In seiner Beweiswürdigung bezieht es sich in dieser Hinsicht allerdings ausschließlich auf den Exekutionsakt, konkret auf den Vollzugsbericht, der vom 29. 8. 2016 datiert.
Der zweite Ausnahmetatbestand des § 1356 ABGB ist damit objektiv erfüllt.
4.2 Zum Nachweis einer Nachlässigkeit der Klägerin müsste die Beklagte behaupten und beweisen, dass die Klägerin bei Eintreibung der Schuld gegen den Hauptschuldner vor Verwirklichung des Ausnahmetatbestands (Untertauchen in Rumänien) sorgfaltswidrig war.
Mit der Behauptung, die Klägerin müsse Nachforschungen über den Aufenthalt des Hauptschuldners in Rumänien anstellen, um dann dort Eintreibungsmaßnahmen vorzunehmen, macht sie dies gerade nicht. Das weitere Argument der Beklagten, der Gläubiger habe bei Eintritt der Fälligkeit des Hauptschuldners Eintreibungsschritte einschließlich der Ermittlung des Aufenthaltsorts zu setzen, nützt der Beklagten schon deshalb nichts, weil die Klägerin nach September 2014 gegen den Hauptschuldner – damals noch im Inland – tatsächlich Exekution geführt hat.
Die vom Erstgericht aufgeworfene Frage, ob die Exekutionsführung in Rumänien als Mitgliedstaat der Europäischen Union zumutbar ist, stellt sich hier nicht, weil diese Frage den ersten (Prüf-)Schritt der Uneinbringlichkeit der Hauptschuld hier nach § 98 EheG betrifft, um den es im Anlassfall aber nicht geht. Vielmehr ist zu beurteilen, ob sich die Klägerin auf den zweiten Ausnahmetatbestand nach § 1356 ABGB berufen kann.
5. Insgesamt ergibt sich, dass von einer Nachlässigkeit der Klägerin im Sinn des § 1356 ABGB nicht auszugehen ist und die Abweisung des Klagebegehrens daher nicht auf die angeführte Bestimmung gestützt werden kann. Das Berufungsgericht ist somit von der zutreffenden Rechtsansicht ausgegangen, die sich schon aus der bisherigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ableiten lässt.
Der Beklagten gelingt es damit nicht, mit ihren Ausführungen eine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen. Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof war daher – trotz Zulässigkeitsausspruch des Berufungsgerichts – zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§ 40, 50 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit des Rekurses nicht hingewiesen, sondern in der Rekursbeantwortung nur beantragt, dem Rekurs der Beklagten an den Obersten Gerichtshof keine Folge zu geben.
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