European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E118618
Spruch:
Aus Anlass der Revision wird das Urteil des Berufungsgerichts als nichtig aufgehoben und die Rechtssache an das Berufungsgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
Der Kläger ist Alleineigentümer der Liegenschaft EZ * GB *, bestehend aus dem Grundstück 1358. Diese Liegenschaft stellt ein Gartengrundstück dar, das südlich an die Liegenschaft EZ * GB *, bestehend aus den Grundstücken 1359 und 1360, grenzt. An dieser Nachbarliegenschaft EZ * ist Wohnungseigentum begründet; die Beklagten und der Kläger sind deren Mit- und Wohnungseigentümer.
Der Kläger begehrte 1. im Verhältnis zwischen ihm als grundbücherlicher Eigentümer der Liegenschaft EZ * GB * und den Beklagten als den grundbücherlichen Miteigentümern der Liegenschaft EZ * GB * die Feststellung, dass die Grundstücksgrenze, welche das Grundstück 1358 von den Grundstücken 1359 und 1360 trennt, entlang des in der Natur bestehenden Zaunes verläuft, sowie 2. die Verpflichtung der Beklagten, in die Vermarkung der unter Pkt 1. beschriebenen Grenze einzuwilligen.
Nur die Zweit- und der Fünftbeklagte erstatteten eine Klagebeantwortung. Die Zweitbeklagte anerkannte Punkt 1. des Klagebegehrens, führte aber aus, keine Veranlassung zur Klagsführung gegeben zu haben. Der Fünftbeklagte bestritt das Klagsvorbringen und beantragte Klagsabweisung; nur dieser beteiligte sich am durchgeführten Beweisverfahren.
Das Erstgericht (erließ weder ein Versäumungsurteil gegen die säumigen Beklagten noch ein Anerkenntnisurteil gegen den Zweitbeklagten und) gab dem Klagebegehren gegenüber allen Beklagten statt.
Das Berufungsgericht gab der Berufung (nur) des Fünftbeklagten nicht Folge.
Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die außerordentliche Revision des Fünftbeklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtenen Entscheidungen im klagsabweisenden Sinn abzuändern. Hilfsweise stellt er einen Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag.
Der Kläger beantragte in der ihm vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision des Fünftbeklagten zurückzuweisen, in eventu dieser nicht Folge zu geben. Die weiteren Beklagten haben sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, weil aus Anlass dieses Rechtsmittels von Amts wegen eine Nichtigkeit wahrzunehmen ist und dieser Frage immer erhebliche Bedeutung zur Wahrung der Rechtssicherheit zukommt (RIS‑Justiz RS0042743, RS0041896 [T7]).
1.1. Die Vorinstanzen gingen erkennbar davon aus, dass die Beklagten eine einheitliche Streitpartei nach § 14 ZPO bilden; dies auch zu Recht.
1.2. Die Frage, ob eine einheitliche Streitpartei (notwendige Streitgenossenschaft) vorliegt, ist nach dem materiellen Recht zu entscheiden; es handelt sich um eine Frage der Sachlegitimation (RIS-Justiz RS0035479 [T11, T18, T19]). Eine einheitliche Streitpartei liegt dann vor, wenn für sämtliche Streitgenossen aus der Einheitlichkeit des rechtserzeugenden Sachverhalts ein allen Streitgenossen gemeinsames Begehren abgeleitet wird, wie bei vollständiger Identität des Streitgegenstands oder wenn die Kläger nur gemeinschaftlich über den streitigen Anspruch verfügen können oder wenn das allen Streitgenossen gemeinschaftliche Rechtsverhältnis seiner Natur nach nur gegen alle oder für alle festgestellt werden kann (RIS-Justiz RS0035409). Eine einheitliche Streitpartei ist also dann gegeben, wenn sich das Urteil zwangsläufig auf alle Streitgenossen erstrecken muss und eine unterschiedliche Beurteilung für oder gegen die einzelnen Streitgenossen unmöglich ist (RIS‑Justiz RS0035496 [T5]).
1.3. Bei der Feststellung eines Grenzverlaufs und der daraus abgeleiteten Verpflichtung zur Zustimmung zur Vermarkung folgt aus der Natur des Anspruchs, dass dieser gegen alle Miteigentümer der angrenzenden Liegenschaft zu erheben ist und zwangsläufig eine einheitliche Entscheidung ergehen muss. Die Beklagten bilden daher eine (anspruchsgebundene) einheitliche Streitpartei im Sinne des § 14 ZPO, weil sich das Urteil kraft der Beschaffenheit des streitigen Rechtsverhältnisses nur auf alle Miteigentümer erstrecken kann.
2.1. Bei einer notwendigen Streitgenossenschaft hat die von einem Streitgenossen gegen den Willen des anderen Streitgenossen vorgenommene Prozesshandlung keine rechtliche Wirkung (RIS-Justiz RS0035701 [T9]). Beantragt auch nur einer von mehreren Beklagten die Abweisung des Klagebegehrens, dann darf kein Anerkenntnis- oder Versäumungsurteil gegen einzelne Streitgenossen gefällt werden (RIS-Justiz RS0035701 [T1, T2]).
2.2. Das Erstgericht hat mit seinem Urteil daher grundsätzlich zutreffend im Prozessrechtsverhältnis gegenüber allen Beklagten entschieden. Dieses Urteil erwächst aber gegenüber allen Teilgenossen erst in Rechtskraft, wenn es von keinem von ihnen angefochten wurde oder angefochten werden kann. Die Frist dafür läuft bei der notwendigen Streitgenossenschaft gegen jeden einzelnen Streitgenossen gesondert (10 Ob 47/11a, 9 Ob 36/05t, vgl RIS-Justiz RS0120144). Sie wird für jeden der Streitgenossen mit Bewirkung der Zustellung an ihn in Gang gesetzt und endet demnach für jeden Streitgenossen mit Ablauf der durch den jeweiligen Zustellakt ausgelösten Frist (10 Ob 47/11a). Der Aktenlage nach hat das Erstgericht sein Urteil aber jenen Beklagten, die keine Klagebeantwortung erstatteten, bislang noch gar nicht zugestellt. Gleiches gilt für die Entscheidung des Berufungsgerichts.
2.3. Die Entscheidung ist solange nicht rechtskräftig, als entweder der Gegner oder noch ein einheitlicher Streitgenosse ein Rechtsmittel einlegen können. Erhob jedoch einer der Streitgenossen – wie hier der Fünftbeklagte – ein Rechtsmittel, so wirkt es auch zu Gunsten der anderen. Auch der Streitgenosse, der (noch) kein Rechtsmittel eingebracht hat, nimmt im Rahmen des vom Streitgenossen (rechtzeitig) erhobenen Rechtsmittels am Rechtsmittelverfahren teil und kann auch in höherer Instanz wieder selbständig ein Rechtsmittel einbringen (9 Ob 36/05t). In diesem Sinne hätte daher das Ersturteil auch den weiteren Beklagten zugestellt und ihnen damit Gelegenheit gegeben werden müssen, selbst Berufung zu erheben und sich so im Berufungsverfahren rechtliches Gehör zu verschaffen.
2.4. Daraus folgt, dass die vom Berufungsgericht über die Berufung des Fünftbeklagten – nach dem Vorgesagten verfrüht – gefällte Entscheidung mit Nichtigkeit nach § 477 Z 4 ZPO (Verletzung des rechtlichen Gehörs) behaftet ist. Das Berufungsgericht hat über die Berufung des Fünftbeklagten auch im Prozessrechtsverhältnis gegenüber den anderen Beklagten entschieden, obwohl diese sich mangels Zustellung des Ersturteils am Berufungsverfahren nicht beteiligen konnten. Es ist dies kein Fall der Nichtbeachtung des Vorliegens einer einheitlichen Streitpartei, der nach der Rechtsprechung keine Nichtigkeit des Verfahrens begründet (5 Ob 2309/96m; Schneider in Fasching/Konecny³ II/1 § 14 ZPO Rz 125, § 15 ZPO Rz 4). Diese Rechtsprechung bezieht sich auf (nur) gegenüber einzelnen Streitgenossen gefällte Urteile, weil das Gericht irrtümlich davon ausgeht, dass keine einheitliche Streitpartei vorliegt.
3.1. Wegen der vorliegenden Nichtigkeit des Berufungsurteils war dieses aufzuheben und dem Berufungsgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen. Dieses wird den Akt zunächst dem Erstgericht zurückzustellen haben, weil die gesetzlichen Voraussetzungen für die Vorlage nach § 179 Abs 1 GeO nicht erfüllt sind, wenn hinsichtlich einer rechtsmittellegitimierten Partei noch keine Zustellung erfolgte. Rechtsmittel sind erst nach Einlangen sämtlicher Rechtsmittelschriften, sonst nach Ablauf der allen Beteiligten offen stehenden Fristen dem zur Entscheidung berufenen Gericht vorzulegen (vgl Danzl, Geo.7 § 179 Anm 4b).
3.2. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.
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