OGH 12Os8/17v

OGH12Os8/17v18.5.2017

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. Mai 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé, Dr. Oshidari, Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Brenner in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Adamowitsch als Schriftführerin in der Strafsache gegen Steffen S***** wegen des Verbrechens der schweren Nötigung nach §§ 15 Abs 1, 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 erster und dritter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Schöffengericht vom 16. Dezember 2016, GZ 16 Hv 21/16v‑110, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Gföller, des Angeklagten und seines Verteidigers Rechtsanwalt Mag. Zankl zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0120OS00008.17V.0518.000

 

Spruch:

 

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Steffen S***** dreier Vergehen der Nötigung nach §§ 15 Abs 1, 105 Abs 1 StGB (1./ bis 3./) sowie eines Verbrechens der schweren Nötigung nach §§ 15 Abs 1, 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 erster und dritter Fall StGB (4./ und 5./) schuldig erkannt.

Danach hat er in G***** und B***** JUDr. Valéria H***** durch gefährliche Drohung mit einer Körperverletzung (US 5) sowie mit dem Tod und einer auffallenden Verunstaltung zu einer Handlung zu nötigen versucht, nämlich zur Begleichung einer fiktiven Rechnung über 150.000 Euro samt Zinsen, und zwar

1./ am 31. Oktober 2011, indem er eine Rechnung über 165.360 Euro mit dem Hinweis übermittelte, dass eine Kopie derselben an „M*****“ übergeben werde und festhielt: „Wenn wir kommen, dann nicht zum Kaffee trinken“ und „Wir tun alles, ausser Rasen mähen“;

2./ am 31. Mai 2012, indem er eine Rechnung über 174.100 Euro mit dem Hinweis übermittelte, dass eine Kopie derselben an „M*****“ übergeben werde und festhielt: „Wenn wir kommen, dann nicht zum Kaffee trinken“;

3./ am 31. Oktober 2012, indem er eine Rechnung über 180.000 Euro mit dem Hinweis übermittelte, dass diese zum Inkasso an „M***** (Gruppe B)“ übergeben worden sei;

4./ und 5./ am 18. Dezember 2012, indem er oder eine von ihm dazu bestimmte, bislang unbekannte Person

ein Schreiben in ihren Briefkasten warf, in dem es auf Slowakisch hieß: „Der Termin ist versäumt. Wir kommen wieder. Aber nicht Kaffee trinken. Wir vergessen nie.“;

ein Schreiben in den Hof ihres Wohnhauses warf, in dem es hieß: „Auszug aus dem Vortrag ... wenn Schuldner nicht zahlen wollen: mit einem liter säure erreicht man bindheit und ein total entstelltes gesicht (totenkopfäffchen), fast unerträgliche Schmerzen, mit einem beil den Rücken zertrümmern, querschnittlähmung, rollstuhl mit mund oder sonstwie bedienbar, (teil)verbrennen im auto, vorgangsweise: an einer kreuzung bei stehendem auto scheibe einschlagen, leicht enflb. flüssigkeit einschütten, anzünden“.

 

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus den Gründen der Z 4, Z 5, Z 9 lit a und Z 9 lit b des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist nicht im Recht.

Die Verfahrensrüge (Z 4) bezieht sich auf den Antrag auf Einholung eines psychiatrischen oder psychologischen Sachverständigengutachtens „zum Beweis dafür, dass sich der Angeklagte nicht der möglichen Tragweite seiner Äußerungen bzw Formulierungen in jenen Rechnungen in Richtung einer Eignung zur Nötigung bzw Erpressung einer anderen Person im Sinne des notwendigen Vorsatzes bewusst war“.

Damit verkennt der Rechtsmittelwerber, dass die Eignung der Drohung, begründete Besorgnisse zu erwecken, eine Rechtsfrage betrifft (RIS‑Justiz RS0092538). Sollte der Antrag jedoch auf den Nachweis des als Tatfrage zu beurteilenden Bedeutungsinhalts der Äußerung (RIS‑Justiz RS0092588; RS0092538 [T3, T4]) und des darauf bezogenen Vorsatzes des Angeklagten gerichtet gewesen sein, ist ihm zu entgegnen, dass ein Sachverständiger nur beizuziehen ist, wenn nicht jedes Mitglied des in der Schuldfrage erkennenden Spruchkörpers die erforderlichen Fachkenntnisse für die Beurteilung einer Tatfrage besitzt (RIS‑Justiz RS0121297, RS0097283). Dies trifft auf die vorliegenden Konstatierungen zur subjektiven Tatseite nicht zu.

Die Mängelrüge behauptet zu 4./ und 5./ des Schuldspruchs Undeutlichkeit des Ausspruchs des Gerichts über entscheidende Tatsachen (Z 5 erster Fall), weil nach den Feststellungen „offen blieb, ob es sich bei dem Beifahrer oder Fahrer um den Angeklagten handelte oder ob es sich dabei um von ihm zu diesen Handlungen bestimmte Täter handelte“ (US 5). Der Rechtsmittelwerber verkennt dabei, dass die Art strafbarer Beteiligung nach § 12 StGB angesichts der rechtlichen Gleichwertigkeit der Täterschaftsformen weder aus Z 5 noch aus Z 10 des § 281 Abs 1 StPO angefochten werden kann (RIS‑Justiz RS0117604). Im Übrigen hat das Schöffengericht hier wahldeutige, nicht jedoch undeutliche Feststellungen getroffen.

Soweit die Rechtsrüge (Z 9 lit a) zu 1./ bis 3./ des Schuldspruchs ausführt, die inkriminierten Äußerungen würden keinesfalls eine Drohung mit einer Verletzung der körperlichen Integrität darstellen, orientiert sie sich nicht an den Konstatierungen zu deren Bedeutungsinhalt und verfehlt damit den vom Gesetz geforderten Bezugspunkt (RIS‑Justiz RS0099810). Das Erstgericht stellte nämlich fest, dass der Angeklagte dem Opfer eine über eine bloße Misshandlung hinausgehende Verletzung der körperlichen Integrität in Aussicht stellte (US 5; vgl neuerlich RIS‑Justiz RS0092588, RS0092538 [T3, T4]).

Dass es den „vermeintlichen Drohungen“ zu 1./ bis 3. /des Schuldspruchs an der Eignung mangeln würde, in der Bedrohten begründete Besorgnis zu erwecken, wird von der Rechtsrüge (Z 9 lit a) ohne methodengerechte Ableitung der angestrebten rechtlichen Konsequenz lediglich behauptet (RIS‑Justiz RS0116565).

Indem der Angeklagte zu 4./ und 5./ des Schuldspruchs ausführt, er hätte „die vorliegenden Taten weder als unmittelbarer Täter begangen noch eine Bestimmungshandlung gesetzt“ geht er nicht von den – angesichts der rechtlichen Gleichwertigkeit der Täterschaftsformen – im Übrigen hinreichenden wahldeutigen Feststellungen des Schöffengerichts (US 5) aus (RIS‑Justiz RS0099810; RS0098710).

Soweit der Rechtsmittelwerber zu 4./ und 5./ des Schuldspruchs einen „Feststellungsmangel“ (gemeint: Rechtsfehler mangels Feststellungen; vgl RIS‑Justiz RS0118580, RS0119884) geltend macht, legt er nicht dar, weshalb es eingehender Konstatierungen dazu bedürfen sollte, wie der Angeklagte dritte Personen dazu bestimmt habe, die inkriminierten Schreiben zu verfassen bzw der Bedrohten zukommen zu lassen (vgl RIS‑Justiz RS0102168, RS0089780, RS0089755).

Mit der Bezugnahme auf den Zweifelsgrundsatz (in dubio pro reo) wird materiell‑rechtliche Nichtigkeit nicht gesetzmäßig zur Ausführung gebracht (RIS‑Justiz RS0099756).

Unter Z 9 lit b des § 281 Abs 1 StPO beansprucht der Angeklagte für sich den Rechtfertigungsgrund nach § 105 Abs 2 StGB (vgl RIS‑Justiz RS0093180, RS0089837; vgl jedoch Schwaighofer in WK2 StGB § 105 Rz 82, wonach § 105 Abs 2 StGB als Tatbestandsausschließungsgrund zu verstehen wäre). Er behauptet unter Bezugnahme auf Schwaighofer (in WK2 StGB § 105 Rz 84) zu den Schuldsprüchen 1./, 2./ und 3./ eine Rechtfertigung, weil es bei diesen Straftaten um die Durchsetzung eines vom ihm angenommenen Anspruchs ging (vgl US 6, wonach nicht festgestellt werden konnte, ob der Angeklagte wusste, dass ihm der geforderte Betrag samt Zinsen nicht zusteht oder ob er subjektiv der Ansicht war, das Opfer würde ihm diesen schulden). Bei derartigen Nötigungen sei die Mittel-Zweck-Relation gewahrt und derartiges Handeln nicht rechtswidrig, wenn „maßvolle Gewalt“ angewendet wird oder mit einer Drohung operiert wird, die weder ein schweres Übel iSd § 106 Abs 1 Z 1 StGB noch eine gegenwärtige Gefahr für Leib oder Leben in Aussicht stellt.

Festzuhalten ist, dass eine Drohung mit einer Körperverletzung der Mittel‑Zweck‑Relation iSd § 105 Abs 2 StGB grundsätzlich widerstreitet (Schwaighofer in WK2 StGB § 105 Rz 78; Kienapfel/Schroll, StudB BT I4 § 105 Rz 64).

Wenn es um die Durchsetzung von tatsächlichen oder zumindest vom Täter angenommenen Ansprüchen geht, liegt eine Rechtswidrigkeit iSd § 105 Abs 2 StGB insbesondere dann vor, wenn entweder ein qualitatives Missverhältnis zwischen dem erstrebten Zweck und dem eingesetzten Mittel besteht oder gerade die spezifische Verknüpfung von Zweck und Mittel sittenwidrig ist (vgl Kienapfel/Schroll, StudB BT I4 § 105 Rz 67; 11 Os 56/96, SSt 62/90).

Dass erst der Einsatz von Todesdrohungen und gleichgelagerter besonders empfindliche Rechtsgut-beeinträchtigungen ankündigender Drohungen ein solches Missverhältnis begründen sollte (Schwaighofer in WK2 StGB § 105 Rz 84), vermag nicht zu überzeugen.

Denn selbst bei der Durchsetzung eines berechtigten Anspruchs mittels gefährlicher Drohung würde durch die Anerkennung der Rechtmäßigkeit einer Ankündigung der Beeinträchtigung der körperlichen Integrität ein über § 105 Abs 2 StGB gebilligtes, zu weit reichendes Selbsthilferecht geschaffen, welches die vorgesehenen staatlichen Durchsetzungsformen von zivilrechtlichen Ansprüchen im Streit- und Exekutionsverfahren massiv unterlaufen würde.

Entgegen der zitierten Auffassung begründet daher schon die Androhung einer (bloßen) Körperverletzung als Mittel zur Durchsetzung eines (realen oder vermeintlichen) Anspruchs ein qualitatives Missverhältnis von Mittel und Zweck (Kienapfel/Schroll, StudB BT I4 § 105 Rz 64 und Rz 68; 12 Os 79/93; 12 Os 177/84, JBl 1985, 631; 9 Os 137/75, SSt 46/79).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Zur Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe:

Das Erstgericht verhängte über den Angeklagten nach § 106 Abs 1 StGB unter Anwendung der § 28 Abs 1 und § 43a Abs 2 StGB eine Freiheitsstrafe von fünf Monaten sowie eine Geldstrafe von 300 Tagessätzen, für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 150 Tagen, wobei die Höhe des Tagessatzes mit 10 Euro bestimmt und gemäß § 43 Abs 1 StGB (gemeint § 43a Abs 2 StGB) die Freiheitsstrafe unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

Dabei wertete es erschwerend das Zusammentreffen mehrerer Vergehen mit einem Verbrechen sowie den langen Tatzeitraum, mildernd dagegen die bisherige Unbescholtenheit des Angeklagten sowie den Umstand, dass es in allen Fällen beim Versuch geblieben ist.

Der Berufung zuwider ist in der Verantwortung des Angeklagten betreffend 1./ bis 3./ des Schuldspruchs kein teilweises Geständnis zu erblicken. Der Berufungswerber verkennt, dass das Zugeben bloßer Tatsachen ohne Eingeständnis der subjektiven Merkmale des strafbaren Verhaltens aus dem Blickwinkel des „reumütigen Geständnisses“ nicht mildernd wirkt (RIS‑Justiz RS0091585 [T10, T12]). Auch von einem wesentlichen Beitrag zur Wahrheitsfindung iSd § 34 Abs 1 Z 17 StGB kann nicht gesprochen werden.

Den Milderungsgrund nach § 34 Abs 1 Z 2 StGB hat das Erstgericht ohnehin angenommen.

Den besonderen Milderungsgrund des längeren Wohlverhaltens nach der Tat (§ 34 Abs 1 Z 18 StGB) hat das Schöffengericht mit Blick auf den Zeitpunkt der letzten Tathandlung (18. Dezember 2012) zu Recht nicht angenommen, weil dafür eine etwa der Rückfallsverjährung (§ 39 Abs 2 StGB: fünf Jahre) nahekommende Frist erforderlich wäre (RIS‑Justiz RS0108563 [T1, T2, T4]).

Eine unangemessen lange Verfahrensdauer (§ 34 Abs 2 StGB) kann entgegen dem weiteren Berufungsvorbringen nicht erblickt werden. Phasen behördlicher oder gerichtlicher Inaktivität zeigt die Berufung nicht auf.

Ausgehend von einem Strafrahmen von sechs Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe hat das Erstgericht die Sanktion ohnehin im unteren Bereich gefunden.

In Übereinstimmung mit dem Schöffengericht kam eine gänzliche bedingte Nachsicht der Strafe mit Blick auf die Mehrzahl der Angriffe aus spezialpräventiven Erwägungen nicht in Betracht.

Weiters führt der Berufungswerber aus, das Schöffengericht hätte die Höhe des Tagessatzes mit 4 Euro festsetzen müssen. Zunächst ist auszuführen, dass die Schulden in Höhe von 25.000 Euro (US 3) entgegen dem Standpunkt der Berufung nicht geeignet sind, die Bemessungsgrundlage zu mindern (Lässig in WK2 StGB § 19 Rz 17). Ausgehend von einer monatlichen Nettopension von 1.500 Euro und einem laut Existenzminimum‑Tabelle per 1. Jänner 2016 bestehenden Existenzminimum von 1.067,40 Euro kann der vom Erstgericht festgesetzte Betrag von 10 Euro nicht reduziert werden (vgl Lässig in WK2 StGB § 19 Rz 29).

Zur Berufung wegen des Ausspruchs über die privatrechtlichen Ansprüche:

Entgegen dem Berufungsvorbringen hat sich das Opfer nicht erst nach Schluss des Beweisverfahrens als Privatbeteiligte angeschlossen (vgl § 67 Abs 3 StPO), sondern bereits mit der Sachverhaltsdarstellung ON 2, wobei zu Beginn der Hauptverhandlung das begehrte Teilschmerzengeld mit 100 Euro beziffert wurde (ON 109 S 2).

Weiters wendet der Berufungswerber ein, zu dem geltend gemachten Anspruch nicht vernommen worden zu sein. Durch die im Gerichtstag nachgeholte Befragung ist dem Gesetz (§ 245 Abs 1a StPO) nunmehr Genüge getan (RIS‑Justiz RS0101178 [T5]).

Ein Zuspruch von 100 Euro an Teilschmerzengeld erscheint angesichts des körperlichen und seelischen Ungemachs des Opfers aufgrund der Vorfälle vom 3. und vom 18. Dezember 2012, wodurch es in seiner Lebensführung für mehrere Tage beeinträchtigt war, keineswegs überhöht (US 6).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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