European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:010OBS00050.17A.0425.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Dem Kläger war wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 26. 4. 2009 mit gerichtlichem Vergleich vom 17. 4. 2013 (AZ 19 Cgs 271/10h des LG Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht) ab 1. 1. 2011 eine Versehrtenrente im Ausmaß von 35 % der Vollrente als Dauerrente gewährt worden.
Mit Bescheid vom 3. 11. 2015 entzog die beklagte Partei dem Kläger die Versehrtenrente ab 1. 11. 2015 für die Dauer der Weigerung, einer Aufforderung zur Nachuntersuchung nachzukommen.
Das Erstgericht wies die Klage auf Weitergewährung der Versehrtenrente ab.
Es stellte fest, dass der Kläger zu dem zwecks Nachuntersuchung angesetzten fachärztlichen Untersuchungstermin am 5. 5. 2015 nicht erschienen war. Einen Tag nach diesem Termin übermittelte der von ihm bevollmächtigte Rechtsanwalt der beklagten Partei zwei medizinische Sachverständigengutachten, von denen eines im Jahr 2014 vom Landesgericht Salzburg zu AZ 6 Cg 137/11t im vom Kläger gegen die Haftpflichtversicherung angestrengten Verfahren eingeholt worden war. Nach diesem Gutachten ist die Erwerbsfähigkeit des Klägers dauernd um 35 % herabgesetzt, ohne dass eine Besserung erwartet werden könne. Der Rechtsanwalt nahm im Hinblick auf dieses Gutachtensergebnis den Standpunkt ein, eine Nachuntersuchung sei nicht notwendig. Daraufhin entwickelte sich zu diesem Thema eine Korrespondenz bzw Diskussion mit den Vertretern der beklagten Partei. Für den zwischenzeitig für den 1. 6. 2015 angesetzten Untersuchungstermin entschuldigte sich der Kläger mit beruflicher Verhinderung und ersuchte wegen seiner bevorstehenden Hochzeit und Urlaubs um Verschiebung auf Mitte oder Ende Juni. Mit Schreiben vom 10. 6. 2015 teilte ein Mitarbeiter der beklagten Partei dem Rechtsanwalt des Klägers deren (nunmehr endgültigen) Standpunkt mit, dass eine Nachuntersuchung unumgänglich sei. Unter einem wurde in diesem Schreiben der Rechtsanwalt ersucht, den Kläger darauf aufmerksam zu machen, dass die Versehrtenrente auf Zeit ganz oder teilweise entzogen werden könne, wenn dieser trotz Hinweis auf diese Folge einer Einladung zur Nachuntersuchung nicht nachkommen sollte. In der Folge wurde der für den 23. 7. 2015 vorgesehene weitere Untersuchungstermin von einem Mitarbeiter der beklagten Partei in Befolgung eines Ersuchens des Klägers auf 30. 9. 2015 verschoben. Als Begründung hatte der Kläger angegeben, es sei ihm aufgrund der Urlaubszeit schwer möglich, Termine wahrzunehmen. Kurz vor dem 30. 9. 2015 bat dann die Sekretärin des Klägers über dessen Auftrag hin um eine neuerliche Verschiebung, weil der Kläger wegen der Erkrankung seines Geschäftspartners kurzfristig für die Abhaltung eines Seminars einspringen müsse. Tatsächlich sagte der Kläger die angeordneten Termine ab, da er der Ansicht war, er müsse keine weiteren Untersuchungen über sich ergehen lassen.
Rechtlich bejahte das Erstgericht das Vorliegen des Entziehungstatbestands nach § 99 Abs 2 ASVG, weil der Kläger (zu Unrecht) vermeint habe, er müsse sich nicht erneut untersuchen lassen. Selbst wenn er wegen Urlaubs oder eines Seminars verhindert gewesen sein mag, habe kein Grund vorgelegen, der ihn von der Untersuchung hätte befreien können.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge und änderte das Ersturteil dahin ab, dass das Klagebegehren auf Weitergewährung der zuerkannten Versehrtenrente von 35 % der Vollrente über den 1. 11. 2015 hinaus dem Grunde nach zu Recht bestehe und die beklagte Partei schuldig sei, eine vorläufige Leistung von 350 EUR monatlich zu erbringen. Das Berufungsgericht stellte an Hand des Anstaltsakts ergänzend fest, dass das Schreiben vom 10. 6. 2015 auch an den Kläger selbst mit RSb‑Sendung übermittelt wurde. Rechtlich ging das Berufungsgericht davon aus, dass die Voraussetzungen für eine Versagung der Leistung nach § 99 Abs 2 ASVG dennoch nicht gegeben seien. Ein Hinweis auf die Rechtsfolge des § 99 Abs 2 ASVG sei nur im Schreiben vom 10. 6. 2015 enthalten gewesen. Somit sei der Hinweis ein Vierteljahr vor dem Untersuchungstermin 30. 9. 2015 erfolgt. Weiters sei zu berücksichtigen, dass der davor im Juli 2015 in Aussicht genommene Untersuchungstermin einvernehmlich auf den 30. 9. 2015 verschoben worden sei. Bei dieser Situation könne für den Kläger ohne neuerlichen Hinweis nicht mehr eindeutig klar gewesen sein, dass die Missachtung der Vorladung für den 30. 9. 2015 als Sanktion den vorübergehenden Leistungsentzug zur Folge haben könne. Zudem habe er sich mit Ausnahme des ersten Untersuchungstermins – wenn auch jeweils kurzfristig – entschuldigt, sodass nicht davon auszugehen sei, er habe sich jeglicher Nachuntersuchung entziehen wollen.
Rechtliche Beurteilung
Die außerordentliche Revision der beklagten Partei ist mangels einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
1.1 Sind die Voraussetzungen einer Leistung nicht mehr vorhanden, ist sie zu entziehen (§ 99 Abs 1 ASVG).
1.2 Nach § 99 Abs 2 ASVG kann die Leistung auf Zeit ganz oder teilweise entzogen werden, wenn sich der Anspruchsberechtigte nach Hinweis auf diese Folge einer Nachuntersuchung oder Beobachtung entzieht. Eine Entziehung („Versagung“) gemäß § 99 Abs 2 ASVG kommt somit in Betracht, wenn der Versicherungsträger den Leistungsberechtigten nachweislich zur Nachuntersuchung lädt und der Leistungsberechtigte die Ladung trotz ausdrücklichen Hinweises auf die sonstige Entziehung nicht befolgt (RIS‑Justiz RS0083949). Es muss für den Leistungsberechtigten eindeutig klargestellt sein, dass die Nichtbefolgung der Ladung für ihn negative Folgen haben kann. Der Hinweis kann aber auch gegenüber dem vom Leistungsberechtigten mit Prozessvollmacht versehenen Rechtsanwalt erfolgen (10 ObS 143/12w, SSV‑NF 26/79 mwN). Sanktioniert wird nur eine schuldhafte (zumindest leicht fahrlässige) Verletzung der Mitwirkungspflicht (10 ObS 324/91, SSV‑NF 6/13; Schramm in SV‑Komm[127. Lfg] § 99 Rz 13 f; Schrammel in Tomandl, SV‑System, 8. ErgLfg 167).
2.1 Die Ansicht des Berufungsgerichts es liege kein Entziehungstatbestand nach § 99 Abs 2 ASVG vor, weicht von dieser Rechtsprechung nicht ab. Das Berufungsgericht interpretierte die Feststellungen des Erstgerichts so, dass nicht gesagt werden könne, der Kläger habe sich einer Nachuntersuchung überhaupt entziehen wollen, zumal er nur dem ersten Untersuchungstermin im Mai 2015 unentschuldigt ferngeblieben sei und sich jedenfalls für die nach dem Hinweis gemäß § 99 Abs 2 ASVG in Aussicht genommenen Untersuchungstermine entschuldigt habe. Ob auf Grundlage der (so verstandenen) Feststellungen vom Nichtvorliegen des Entziehungstatbestands nach § 99 ASVG auszugehen ist, weil infolge Entschuldigungen ein Verschulden des Klägers an der Nichtbefolgung der Ladungen vom 23. 7. und 30. 9. 2015 fehlt, ist eine Frage des Einzelfalls, die nur bei groben Auslegungsfehlern oder eklatanter Ermessensüberschreitung vom Obersten Gerichtshof überprüfbar wäre (RIS‑Justiz RS0044088). Eine solche zeigt die Revisionswerberin mit ihren Ausführungen, „das Gesamtbild“ ergebe doch, dass sich der Kläger jeglicher Nachuntersuchung entziehen wollte bzw diese vereitelt habe, nicht auf.
2.2 Ob aus dem Hinweis auf die Folgen des Nichterscheinens nach § 99 Abs 2 ASVG klar ersichtlich ist, dass im Fall einer nicht befolgten Ladung die Leistung vorübergehend versagt werden kann, oder diese Voraussetzung nicht gegeben ist, ist ebenfalls nur an Hand der Umstände des Einzelfalls beurteilbar.
Die Revision war daher als unzulässig zurückzuweisen.
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